Welt-Formeln (eBook)
528 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-50681-7 (ISBN)
Ian Stewart, geboren 1945, ist der beliebteste Mathematik-Professor Großbritanniens. Seit Jahrzehnten bemüht er sich erfolgreich, seine Wissenschaft zu popularisieren. Er studierte Mathematik in Cambridge und promovierte an der Universität Warwick. Dort ist er heute Professor für Mathematik und Direktor des Mathematics Awareness Center. Seit 2001 ist Stewart zudem Mitglied der Royal Society. Er lebt mit seiner Familie in Coventry.
Ian Stewart, geboren 1945, ist der beliebteste Mathematik-Professor Großbritanniens. Seit Jahrzehnten bemüht er sich erfolgreich, seine Wissenschaft zu popularisieren. Er studierte Mathematik in Cambridge und promovierte an der Universität Warwick. Dort ist er heute Professor für Mathematik und Direktor des Mathematics Awareness Center. Seit 2001 ist Stewart zudem Mitglied der Royal Society. Er lebt mit seiner Familie in Coventry. Monika Niehaus, Diplom in Biologie, Promotion in Neuro- und Sinnesphysiologie, freiberuflich als Autorin (SF, Krimi, Sachbücher), Journalistin und naturwissenschaftliche Übersetzerin (englisch/französisch) tätig. Mag Katzen, kocht und isst gern in geselliger Runde. Trägerin des Martin-Wieland-Übersetzerpreises 2021. Bernd Schuh, geboren 1948 ist Physiker, Dozent, Journalist, Autor und Übersetzer. Er studierte Mathematik, Physik und Chemie in Köln, wurde 1977 promoviert und habilitierte sich 1982 in Physik. Er ist Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus.
Kapitel 2 Eine praktische Abkürzung
Logarithmen
Was sagt sie uns?
Wie man Zahlen multipliziert, indem man stattdessen korrespondierende Zahlen addiert.
Warum ist das wichtig?
Addieren ist viel einfacher als multiplizieren.
Was hat sie gebracht?
Effziente Methoden zur Berechnung astronomischer Phänomene wie Verfinsterungen und Planetenumlaufbahnen. Die Beschleunigung wissenschaftlicher Berechnungen. Den treuen Begleiter des Ingenieurs, den Rechenschieber. Radioaktiven Zerfall und die Psychophysik der menschlichen Wahrnehmung.
Zahlen hatten ihren Ursprung in praktischen Problemen: Registrierung von Eigentum, wie Tiere oder Land, und finanzielle Transaktionen, wie Steuererhebung und Buchhaltung. Die früheste bekannte Zahlennotation, abgesehen von vielsagenden Markierungen wie ||||, findet man auf der Außenseite von Tonhüllen. Um 8000 v. Chr. führten mesopotamische Schreiber mit Hilfe von kleinen, unterschiedlich geformten Tongebilden Buch. Die Archäologin Denise Schmandt-Besserat erkannte, dass jede Form einen Artikel des Grundbedarfs repräsentierte – eine Kugel stand für Getreide, ein Ei für einen Krug Öl und so weiter. Aus Sicherheitsgründen wurden die Formen in Ton eingehüllt und versiegelt. Aber es war lästig, die Tonhülle aufzubrechen, um herauszufinden, wie viele Formen sich darin befanden, daher kratzten die antiken Buchhalter Symbole auf die Außenseite, um anzuzeigen, was sich im Inneren befand. Schließlich erkannten sie, dass man, wenn man über solche Symbole verfügt, auf die Tonformen verzichten kann. Das Ergebnis war eine Reihe schriftlicher Symbole für Zahlen – der Ursprung aller späteren Zahlensymbole und vielleicht auch der Schrift.
Zusammen mit den Zahlen wurde die Arithmetik entwickelt: Methoden zum Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren und Dividieren von Zahlen. Zum Addieren dienten Geräte wie der Abakus; die Ergebnisse konnten dann mit Symbolen wiedergegeben werden. Später fand man Wege, die Berechnung allein anhand der Symbole durchzuführen, ohne mechanische Hilfen, auch wenn der Abakus in vielen Teilen der Welt weiterhin in Gebrauch ist, während in den meisten anderen Ländern elektronische Taschenrechner Papier und Stift ersetzt haben.
Die Arithmetik erwies sich auch in anderer Weise als wesentlich, vor allem in der Astronomie und bei der Landvermessung. Als sich die Grundlinien der Physik abzuzeichnen begannen, mussten die frühen Wissenschaftler immer aufwendigere Berechnungen per Hand durchführen. Oft nahm dies einen Großteil ihrer Zeit in Anspruch, manchmal Monate oder Jahre, und raubte ihnen die Zeit für kreativeres Tun. Schließlich wurde es dringend, den Prozess zu beschleunigen. Zahllose mechanische Geräte wurden entwickelt, doch der wichtigste Durchbruch war konzeptueller Natur: Erst denken, dann rechnen. Mit Hilfe geschickter Mathematik ließen sich schwierige Berechnungen stark vereinfachen.
Die neue Mathematik entwickelte rasch ein Eigenleben mit tiefgreifenden theoretischen wie praktischen Folgen. Heutzutage sind diese frühen Ideen zu einem unverzichtbaren Werkzeug in den gesamten Naturwissenschaften geworden und reichen sogar bis in die Psychologie und die Geisteswissenschaften hinein. Sie wurden bis in die 1980er Jahre überall verwendet; erst dann machten Computer ihre Anwendung zu praktischen Zwecken überflüssig, aber dennoch ist ihre Bedeutung in Mathematik und Wissenschaft seitdem weiterhin gewachsen.
Die zentrale Idee ist ein mathematisches Verfahren, das man als Logarithmieren bezeichnet. Erfinder des Logarithmus war ein schottischer Gutsherr, doch es bedurfte eines Geometrieprofessors mit großem Interesse für Navigation und Astronomie, um die brillante, aber fehlerhafte Idee des Gutsherrn durch eine weitaus bessere zu ersetzen.
Im März 1615 schrieb Henry Briggs einen Brief an den irischen Theologen und Verfasser einer Weltgeschichte James Ussher und berichtete darin von einem entscheidenden Ereignis in der Geschichte der Naturwissenschaften:
Napier, Lord of Markinston, hat mich dazu gebracht, mich voller Hingabe mit seinen neuen und wunderbaren Logarithmen zu beschäftigen. Ich hoffe, wenn Gott will, ihn diesen Sommer zu sehen, denn ich habe noch nie ein Buch gesehen, das mir besser gefiel oder das mich in größeres Staunen versetzte.
Briggs war der erste Professor für Geometrie am Gresham College in London und «Napier, Lord of Markinston» war John Napier, achter Laird of Merchiston, heute ein Teil der Stadt Edinburgh in Schottland. Napier scheint etwas von einem Mystiker gehabt zu haben, er hatte großes theologisches Interesse, doch es konzentrierte sich auf das Buch der Offenbarung. Seiner Ansicht nach war sein wichtigstes Werk A Plaine Discovery of the Whole Revelation of St John, das ihn zu der Voraussage führte, die Welt werde 1688 oder 1700 untergehen. Angeblich soll er sich mit Alchemie und Nekromantie beschäftigt haben, und sein Interesse am Okkulten brachte ihm den Ruf eines Magiers ein. Gerüchten zufolge trug er, wohin er auch ging, eine schwarze Spinne in einer kleinen Schachtel bei sich und besaß einen «Hausgeist» oder magischen Kumpan, einen pechschwarzen Hahn. Einem seiner Nachkommen, Mark Napier, zufolge, setzte Napier seinen Hausgeist dazu ein, diebische Dienstboten zu ertappen. Er schloss die Verdächtigen in einem Raum mit dem Hahn ein und befahl ihnen, den Hahn zu streicheln, wobei er ihnen klarmachte, dass sein magischer Vogel den Schuldigen unfehlbar herausfinden werde. Doch Napiers Mystizismus hatte einen durchaus rationalen Kern: Er bestreute den Hahn mit einer feinen Rußschicht. Ein unschuldiger Diener würde den Hahn, wie befohlen, ohne zu Zögern streicheln und Ruß an die Hand bekommen, während ein Schuldiger, der seine Enttarnung fürchtete, den Hahn nicht berühren würde. Daher bewiesen saubere Hände paradoxerweise, dass der Betreffende schuldig war.
Napier widmete der Mathematik viel Zeit, vor allem Methoden, die es erlaubten, komplexe arithmetische Berechnungen schneller durchzuführen. Eine seiner Erfindungen, die Napier’schen Rechenstäbe, bestand aus einem Satz von zehn mit Zahlen versehenen Stäben, die lange Multiplikationen vereinfachten. Noch besser war eine Erfindung, die seinen Ruf begründete und eine wissenschaftliche Revolution bewirkte: nicht sein Buch über die Offenbarung, wie er gehofft hatte, sondern sein Werk Mirifici logarithmorum canonis descriptio (Beschreibung des wundervollen Canons der Logarithmen) (1614). Das Vorwort zeigt deutlich, dass Napier genau wusste, was er da geschaffen hatte und wozu es dienen konnte:[5]
Weil nichts, liebe mathematische Kollegen, bei der Ausübung der mathematischen Künste lästiger ist als die großen Verzögerungen, die beim Durchführen langer Multiplikationen und Divisionen, beim Auffinden von Verhältnissen und beim Ziehen von Quadrat- und Kubikwurzeln auftreten – und … die vielen schwer zu fassenden Fehler, die dabei auftreten: Ich habe daher lange überlegt, durch welch sicheren und raschen Kunstgriff ich diese besagten Schwierigkeiten beheben könnte. Nach langem Nachdenken habe ich schließlich eine erstaunliche Möglichkeit gefunden, diese Vorgänge abzukürzen … es ist eine erfreuliche Aufgabe, diese Methode zu erklären, damit sie von allen Mathematikern angewandt werden kann.
Als Briggs von den Logarithmen hörte, war er augenblicks begeistert. Wie zahlreiche Mathematiker seiner Zeit verbrachte er viel Zeit mit astronomischen Berechnungen. Das wissen wir, weil Briggs in einem anderen Brief an Ussher aus dem Jahr 1610 erwähnt, dass er gerade Verfinsterungen berechnet, und weil Briggs bereits früher zwei Bücher mit Zahlentafeln veröffentlicht hatte, von denen sich das eine mit dem Nordpol, das andere mit Navigation beschäftigte. All dies hatte sehr viele aufwendige arithmetische und trigonometrische Berechnungen verlangt. Napiers Erfindung würde eine Menge mühsame Arbeit ersparen. Doch je mehr Briggs Napiers Werk studierte, desto klarer wurde ihm, dass dessen Strategie zwar wunderbar, seine Taktik aber falsch war. Briggs entwickelte eine einfache, aber effiziente Verbesserung und machte sich auf die lange Reise nach Schottland. Als die beiden sich trafen, «verbrachten sie fast eine Viertelstunde damit, sich voller Bewunderung anzuschauen, bevor auch nur ein Wort gesprochen wurde».[6]
Was rief so viel Bewunderung hervor? Die entscheidende Beobachtung für jeden, der sich mit Arithmetik beschäftigte, war, dass Zahlen addieren relativ einfach ist, Zahlen multiplizieren hingegen nicht. Multiplikation verlangt viel mehr arithmetische Operationen als Addition. So erfordert die Addition von zwei zehnstelligen Zahlen beispielsweise zehn einfache Schritte, die Multiplikation hingegen 200. Bei modernen Computern spielt dieses Thema noch immer eine wichtige Rolle, doch heute versteckt es sich hinter den Algorithmen, die zur Multiplikation eingesetzt werden. In Napiers Tagen musste jedoch alles von Hand erledigt werden. Wäre es nicht großartig, wenn es einen mathematischen Trick gäbe, der diese lästigen Multiplikationen in hübsche, rasche Additionen umwandeln könnte? Es klang zu schön, um wahr zu sein, doch Napier erkannte, dass es möglich war. Der Trick bestand darin, mit Potenzen einer festen Zahl zu arbeiten.
In der Algebra werden die Potenzen einer unbekannten Größe x durch eine kleine Hochzahl angezeigt. Das heißt, xx = x2, xxx =...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2014 |
---|---|
Übersetzer | Monika Niehaus, Dr. Bernd Schuh |
Zusatzinfo | Zahlr. s/w Abb. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | Chaostheorie • Fortschritt • Geschichte • Gleichungen • imaginäre Zahlen • Logarithmen • Mathematik • Mathematische Grundlagen • Menschheitsgeschichte • Naturwissenschaft • Newtons Gravitationsgesetz • Populärwissenschaftlich • Technik |
ISBN-10 | 3-644-50681-7 / 3644506817 |
ISBN-13 | 978-3-644-50681-7 / 9783644506817 |
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