Kolumbus' Erbe (eBook)
816 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-03771-7 (ISBN)
Charles C. Mann, geboren 1955, ist ein preisgekrönter Wissenschaftsjournalist und arbeitet als Korrespondent für The Atlantic, Science und Wired; daneben hat er u. a. für GEO, stern, die New York Times, Vanity Fair und die Washington Post geschrieben sowie für den TV-Sender HBO und die Serie Law & Order. Sein Buch 1491 - New Revelations of the Americas Before Columbus verkaufte sich in den USA eine halbe Million Mal und wurde von der National Academy of Sciences als bestes Buch des Jahres ausgezeichnet.
Charles C. Mann, geboren 1955, ist ein preisgekrönter Wissenschaftsjournalist und arbeitet als Korrespondent für The Atlantic, Science und Wired; daneben hat er u. a. für GEO, stern, die New York Times, Vanity Fair und die Washington Post geschrieben sowie für den TV-Sender HBO und die Serie Law & Order. Sein Buch 1491 – New Revelations of the Americas Before Columbus verkaufte sich in den USA eine halbe Million Mal und wurde von der National Academy of Sciences als bestes Buch des Jahres ausgezeichnet. Hainer Kober, geboren 1942, lebt in Soltau. Er hat u.a. Werke von Stephen Hawking, Steven Pinker, Jonathan Littell, Georges Simenon und Oliver Sacks übersetzt.
Einleitung Im Homogenozän
Kapitel 1 Zwei Monumente
Pangäas Bruchstellen
Obwohl es eben noch geregnet hatte, war die Luft heiß und drückend. Kein Mensch war zu sehen; außer Insekten und Möwen waren nur die karibischen Wellen als leises Hintergrundrauschen zu hören. Auf dem spärlich bewachsenen roten Boden bildeten Steinreihen ein paar verstreute Rechtecke: die von Archäologen ausgegrabenen Umrisse längst verschwundener Gebäude. Dazwischen verliefen Zementwege, von denen nach dem Regen etwas Dampf aufstieg. Ein Gebäude hatte eindrucksvollere Mauern als die anderen. Die Wissenschaftler hatten es mit einem neuen Dach versehen, es war das einzige Bauwerk, das sie auf diese Weise vor dem Regen schützten. Wie ein Posten stand ein handgemaltes Schild am Eingang: «Casa Almirante», Haus des Admirals, und kennzeichnete die erste amerikanische Residenz von Christoph Kolumbus, dem Admiral der Meere und Entdecker der Neuen Welt, wie Generationen von Schulkindern gelernt haben.
La Isabela, wie dieses Gemeinwesen hieß, liegt an der Nordseite der großen Karibikinsel Hispaniola in der heutigen Dominikanischen Republik.[1] Es war der erste Versuch der Europäer, eine dauerhafte Niederlassung auf dem amerikanischen Kontinent zu etablieren, genauer gesagt: La Isabela markierte den Beginn einer ständigen europäischen Besiedlung – Wikinger hatten schon fünfhundert Jahre zuvor ein kurzzeitig bestehendes Dorf in Neufundland angelegt. Der Admiral hatte seine neue Siedlung am Zusammenfluss zweier kleiner Flüsse mit starker Strömung bauen lassen: ein befestigtes Zentrum am Nordufer und eine Reihe Bauernhöfe am Südufer. Für sein Haus hatte Kolumbus – oder vielmehr Cristóbal Colón, um ihn bei dem Namen zu nennen, den er damals trug – den schönsten Standort gewählt, den die Ortschaft zu bieten hatte: eine Felszunge im Nordteil der Siedlung, direkt über dem Wasser gelegen. Das Gebäude war so angelegt, dass es genau dem Nachmittagslicht zugekehrt war.[2]
Steinreihen markieren die Umrisse der längst zerfallenen Gebäude in La Isabela, Christoph Kolumbus’ erstem Versuch, eine dauerhafte Niederlassung auf dem amerikanischen Kontinent anzulegen.
Heute ist La Isabela fast vergessen. Manchmal scheint seinem Gründer ein ähnliches Schicksal zu drohen. Natürlich wird Colón nicht aus den Geschichtsbüchern gestrichen, verliert dort aber offenbar immer mehr an Wertschätzung und Bedeutung. Er sei ein grausamer, verblendeter Mann gewesen, sagen seine Kritiker, den reines Glück in die Karibik geführt habe. Als Erfüllungsgehilfe des Imperialismus habe er sich in jeder Hinsicht als Unglück für die amerikanischen Ureinwohner erwiesen. Allerdings gibt es auch eine andere zeitgenössische Ansicht, nach der der Admiral durchaus unser Interesse verdient: Er sei der einzige Mensch, dem es je gelang, ganz allein ein neues Zeitalter in der Geschichte des Lebens zu begründen.[3]
Nur widerwillig unterstützte das spanische Königspaar, Ferdinand II. und Isabella I., Colóns erste Reise. Ozeanüberquerungen waren damals schwindelerregend kostspielig und riskant – heute vielleicht vergleichbar mit Spaceshuttle-Flügen.[4] Obwohl Colón die Monarchen pausenlos bekniete, vermochte er sie nur zur Unterstützung zu gewinnen, indem er schließlich drohte, sich mit dem ganzen Vorhaben nach Frankreich zu wenden. Er sei schon auf dem Ritt zur Grenze gewesen, so schrieb ein Freund später, als die Königin «Hals über Kopf einen Häscher hinter ihm herschickte», um ihn zurückzuholen. Die Geschichte ist wahrscheinlich übertrieben. Trotzdem haben die Vorbehalte des Herrscherpaares den Admiral veranlasst, seine Expedition – wenn auch nicht seine Ambitionen – auf ein Minimum zu beschränken: drei kleine Schiffe, das größte wohl kaum zwanzig Meter lang, und eine Mannschaft von insgesamt neunzig Mann. Colón selbst musste laut einem seiner Männer ein Viertel der Kosten übernehmen, vermutlich lieh er das Geld von italienischen Kaufleuten.
All das änderte sich mit seiner triumphalen Rückkehr im März 1493, die Schiffe beladen mit Goldschmuck, buntschillernden Papageien und sage und schreibe zehn gefangenen Indianern. Nur ein halbes Jahr später schickten König und Königin, jetzt voller Begeisterung, Colón auf eine zweite, viel größere Expedition: siebzehn Schiffe und insgesamt etwa 1500 Mann Besatzung, darunter mindestens ein Dutzend Priester mit dem Auftrag, in den neuen Ländern den christlichen Glauben zu verbreiten. Da der Admiral glaubte, er habe einen Seeweg nach Asien entdeckt, war er sich sicher, dass China und Japan – nebst ihren reichen Schätzen – nur noch eine kurze Reise entfernt seien. Diese zweite Expedition hatte das Ziel, für Spanien eine dauerhafte Bastion im Herzen Asiens zu schaffen, einen Stützpunkt für weitere Entdeckungs- und Handelsreisen.[5]
Die neue Kolonie werde, so prophezeite einer ihrer Gründer, «weithin gerühmt werden wegen ihrer vielen Einwohner, ihrer prachtvollen Gebäude und ihrer mächtigen Mauern».[6] Stattdessen war La Isabela eine Katastrophe und wurde kaum fünf Jahre nach der Gründung aufgegeben. Im Laufe der Zeit zerfielen die Häuser, ihre Steine wurden abgetragen und zum Bau anderer, erfolgreicherer Städte verwendet. Als ein archäologisches Team von US-amerikanischen und venezolanischen Forschern dort Ende der 1980er Jahre mit Ausgrabungen begann, war die Einwohnerschaft so geschrumpft, dass die Wissenschaftler die ganze Siedlung auf einen Berghang in der Nähe umsetzen konnten. Heute hat sie zwei an der Durchfahrtsstraße gelegene Fischrestaurants, ein schäbiges Hotel und ein kaum besuchtes Museum vorzuweisen. Am Rand der Ortschaft erinnert eine 1994 erbaute, bereits vom Verfall gezeichnete Kirche an die erste katholische Messe, die auf dem amerikanischen Kontinent gefeiert wurde. Als ich vom einstigen Haus des Admirals auf die Wellen blickte, konnte ich mir unschwer die Enttäuschung der Touristen vorstellen, die sicherlich den Eindruck gewinnen, es sei von der Kolonie nichts Bemerkenswertes übriggeblieben – es gebe, vom schönen Strand abgesehen, keinen Grund, La Isabela Beachtung zu schenken. Doch das ist ein Irrtum.
Kinder, die am 2. Januar 1494 geboren wurden, dem Tag, an dem der Admiral La Isabela gründete, erblickten das Licht einer Welt, in der der direkte Handelsverkehr zwischen Westeuropa und Ostasien weitgehend durch die dazwischen liegenden muslimischen Länder – und ihre Handelspartner in Venedig und Genua – blockiert wurde, Schwarzafrika wenig Kontakt mit Europa und so gut wie keinen mit Süd- und Ostasien hatte und in der die östliche und die westliche Hemisphäre fast nichts von der Existenz der jeweils anderen wussten. Als diese Neugeborenen dann Enkelkinder hatten, bauten Sklaven aus Afrika in amerikanischen Bergwerken Silber ab, das zum Verkauf in China bestimmt war, warteten spanische Kaufleute ungeduldig auf die Schiffe, die asiatische Seide und Porzellan aus Mexiko geladen hatten, tauschten niederländische Seeleute in Angola an der Atlantikküste Menschen gegen Kaurimuscheln von den Malediven im Indischen Ozean. Tabak aus der Karibik verzauberte die Reichen und Mächtigen in Madrid, Madras, Mekka und Manila. Smoke-ins gewalttätiger junger Männer in Edo, dem heutigen Tokio, führten rasch zur Bildung zweier rivalisierender Banden, des Brombeer-Clubs und des Lederhosen-Clubs. Der Schogun steckte siebzig ihrer Mitglieder ins Gefängnis und verbot das Rauchen.[7]
Fernhandel gab es seit mehr als tausend Jahren, größtenteils über den Indischen Ozean. Seit Jahrhunderten lieferte China Seide über die Seidenstraße in den Mittelmeerraum, eine Handelsroute, die lang, gefährlich und – für die Überlebenden – äußerst einträglich war.[8] Doch noch nie hatte es etwas gegeben, das mit diesem weltweiten Austausch zu vergleichen gewesen wäre – ganz zu schweigen davon, wie rasch er sich herausgebildet hatte und wie reibungslos er vonstattenging. Keines der bis dahin existierenden Handelsnetze hatte beide Hemisphären umfasst noch Größenordnungen erreicht, die tiefgreifende Umwälzungen in Gesellschaften auf der anderen Seite des Planeten hätten bewirken können. Die Gründung von La Isabela war der Beginn von Europas dauerhafter Inbesitznahme Amerikas. Zugleich leitete Colón damit das Zeitalter der Globalisierung ein – jenes wilden Austauschs von Waren und Dienstleistungen, an dem heute alle bewohnbaren Regionen der Erde beteiligt sind.[9]
Medien behandeln die Globalisierung meist als rein wirtschaftliches Ereignis, obwohl sie auch ein biologisches Phänomen ist. Langfristig betrachtet, könnte sie sogar ein primär biologischer Vorgang sein. Vor 250 Millionen Jahren gab es auf der Erde nur eine einzige Landmasse, in der Wissenschaft Pangäa genannt. Geologische Kräfte brachen diese riesige Fläche auseinander, wodurch sich Eurasien und Amerika voneinander trennten. Im Lauf der Zeit entwickelten die beiden getrennten Hälften Pangäas höchst unterschiedliche Pflanzen und Tiere. Vor Colón hatten ein paar wagemutige Landspezies das Meer überquert und auf der anderen Seite Fuß gefasst. Erwartungsgemäß überwiegen Insekten und Vögel, aber überraschenderweise sind auch Nutzpflanzen darunter wie Flaschenkürbis, Kokosnuss und Süßkartoffel, die den...
Erscheint lt. Verlag | 20.9.2013 |
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Übersetzer | Hainer Kober |
Zusatzinfo | Zahlr. s/w Abb. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Allgemeines / Lexika |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | 1492 • Akklimatisation • Entdeckung Amerikas • Evolution • Krankheiten • Lebensräume • Menschen • Ozean • Pflanzen • Tiere • Umwelt |
ISBN-10 | 3-644-03771-X / 364403771X |
ISBN-13 | 978-3-644-03771-7 / 9783644037717 |
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