Die Neue Geschichte (eBook)
576 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-402559-9 (ISBN)
Ulinka Rublack, geboren 1967, studierte in Hamburg und Cambridge und lehrt seit 1996 Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit am St John's College in Cambridge/GB. Sie gehört zu den Begründerinnen des Cambridge Centre for Gender Studies. Zu ihren wichtigen Veröffentlichungen zählen u.a. 'Magd, Metz' oder Mörderin. Frauen vor frühneuzeitlichen Gerichten' (1998), 'Die Reformation in Europa' (2003), 'Dressing Up: Cultural Identity in Renaissance Europa' (2010).
Ulinka Rublack, geboren 1967, studierte in Hamburg und Cambridge und lehrt seit 1996 Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit am St John's College in Cambridge/GB. Sie gehört zu den Begründerinnen des Cambridge Centre for Gender Studies. Zu ihren wichtigen Veröffentlichungen zählen u.a. "Magd, Metz' oder Mörderin. Frauen vor frühneuzeitlichen Gerichten" (1998), "Die Reformation in Europa" (2003), "Dressing Up: Cultural Identity in Renaissance Europa" (2010).
hat […] viel zu bieten: Gestandene Historikerinnen und Historiker werfen erfrischende Blicke auf den Stand und die Tendenzen ihres Fachs.
Dass die Essays […] Annäherungen sind, Versuche, Zusammenfassungen und pointierte Fragestellungen, trägt wesentlich dazu bei, [den Band] als lebendigen, Kritik einfordernden Dialog zwischen den Disziplinen […] zu erleben.
verständlich und für ein breiteres Publikum geschrieben. […] Mit diesem Buch sollte sich jeder intensiv auseinandersetzen, der sich für kritische, suchende und innovative Geschichtsschreibung interessiert.
Jürgen Osterhammel
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Dieser Band braucht keinen Geleitschutz bei seinem Weg auf den deutschen Büchermarkt und in die Regale derjenigen, die Geschichte lehren und studieren oder die sich aus einem umfassenden Bildungsinteresse über das Studium der Vergangenheit unterrichten wollen. Er benötigt keine kommentierende Vermittlung, keine behutsam angeleitete Übertragung in einen wissenschaftlichen und öffentlichen Zusammenhang, der dem Entstehungskontext fremd wäre. Die wissenschaftliche Kultur, aus der er stammt, ist im Wesentlichen auch die von Leserinnen und Lesern im deutschsprachigen Raum. Die Autoren, die ausnahmslos an Universitäten in Großbritannien und den Vereinigten Staaten lehren, und das Publikum der vorliegenden Übersetzung teilen Grundüberzeugungen, die in der Ökumene der historisch Interessierten über Ländergrenzen hinweg weit verbreitet sind.
Dennoch gibt es in Nuancen Besonderheiten des Buches, die es von prinzipiell vergleichbaren Unternehmungen im Rahmen der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft unterscheiden. Auf solche Nuancen hinzuweisen muss der wichtigste Zweck dieses Vorworts sein, denn anderes vermag es kaum zu leisten: Es darf dem Vorwort der Herausgeberin nicht vorgreifen, kann keine Kapitel kommentieren, die der Leser, der mit der Lektüre vorne im Buch beginnt, noch gar nicht kennt, und sollte auch nicht die Funktion einer der Bequemlichkeit halber gleich mitgelieferten Besprechung und Kritik erfüllen.
Im Original heißt das Buch »A Concise Companion to History«. Das ist ein hübsches Wortspiel, wie es sich im Deutschen schlecht wiedergeben lässt. »Companion« ist auf dem englischsprachigen Buchmarkt einerseits der Gattungsname für einen von mehreren Autoren verfassten Sammelband, der auf höchstem wissenschaftlichen Niveau, also gemäß »the state of the art«, über ein Gebiet informiert. Bücher dieses Typs sollten verständlich geschrieben sein, aber sie didaktisieren nicht, sind keine Lehrbücher, die ihren Stoff für den akademischen oder schulischen Unterricht »leicht fasslich« aufbereiten und damit Fachleute unterfordern. Ein »Companion« zielt auf ein ungewöhnlich breites Leserspektrum, das von der Expertin bis zum aufgeschlossenen Bildungsleser reicht. Andererseits ist ein »Companion« selbstverständlich auch ein – menschlicher, tierischer oder dinglicher – Begleiter und Gefährte, mit dem man, wie das Wörterbuch erläutert, »viel Zeit verbringt, vor allem auf Reisen«. Ein Buch-»companion« ist mithin ein Vademekum, ein Band, in den man immer wieder hineinschaut, aus dem man Einzelnes herausgreift, den man zur Hand hat und zu dem man nach der ersten Lektüre später zurückkehrt.
Ein Buch dieser Art – es gibt den Typus im deutschsprachigen Literaturangebot nur ausnahmsweise – kann autoritativ wirken und von dort aus die Grenze zum Autoritären, Einschüchternden und Erschlagenden leicht überschreiten. Das hat Ulinka Rublack vermieden, indem sie ihre Autorinnen und Autoren um Essays gebeten hat, also um Reflexionsstücke, die nicht dem Zweck dienen, ein Maximum an kanonischer Information in einen begrenzten Raum zu pressen. Es sorgt für Abwechslung oder gar Kurzweil zu beobachten, wie die verschiedenen Beiträger die lockere und entspannte Essayform nutzen: als weltgeschichtlichen Husarenritt durch die Epochen, als argumentative Erwägung methodologischer Probleme, als umsichtige Kartierung eines Forschungsfeldes, als begriffsgeschichtliche Annäherung an ein schwer fixierbares Thema, das als »moving target« kaum definitorisch festzunageln ist, oder als Kombination von all dem und noch etwas mehr. Wie in jedem Sammelband wird man sich von den einzelnen Texten in unterschiedlichem Maße ansprechen lassen. Die Leser und Benutzer des Buches werden ihre jeweils persönlichen Präferenzen entwickeln.
Herausgeber und Autoren aus der deutschen akademischen Welt, denen man schwerere und trockenere Stillagen antrainiert, hätten vermutlich mit der Kunstform Essay mehr Mühe gehabt. Sie hätten mit der berühmten deutschen Gründlichkeit weniger Mut zur Lücke bewiesen. Wer hätte es gewagt, in einer Einführung in die Geschichte auf Fragen von Krieg und Frieden (fast) ganz zu verzichten, ihnen jedenfalls kein eigenes Kapitel zu gönnen? Wer hätte unter Verzicht auf Industrie und Finanz die Wirtschaftsgeschichte kühn auf den Handel reduziert? Es wird schnell auffallen, dass nicht nur Epochenporträts (»Was ist Frühe Neuzeit?«), ein Muss konventioneller deutscher Überblicksliteratur, ganz fehlen, sondern dass auch weniger von Antike und Mittelalter die Rede ist, als man bei uns erwarten würde. Das mag einer sich hier durchsetzenden US-amerikanischen Perspektive geschuldet sein, die schon im Bildungssystem die Epochen des okzidentalen Geschichtsverlaufs nicht so eng miteinander verklammert, wie es hierzulande die gymnasialen Bildungspläne und die ihnen entsprechenden Studiengänge an den Universitäten immer noch tun, oder auch der britischen Separierung der Altertumsstudien von der übrigen Geschichtswissenschaft. Trotz gelegentlicher Griffe in die tiefe und tiefste Vergangenheit (Peter Burke erinnert daran, dass der Ursprung der Sprache möglicherweise 6 Millionen Jahre zurückliegt) ist die in diesem Buch beschworene Empirie vorwiegend neuzeitlich.
Stärker als der mit kühlem »understatement« formulierte englische Originaltitel verspricht der deutsche Titel des Buches Beispielloses und Unerhörtes, eine neue und zeitgemäßere Geschichtsschreibung. Wo aber liegt das Neue an der »Neuen Geschichte«? Darüber werden sich Universitätsseminare produktiv streiten. Sie werden sich noch etwas gründlicher, als es hier geschieht, über frühere Phasen von Geschichtsschreibung und Geschichtswissenschaft Rechenschaft geben. Und sie werden vielleicht auch noch grundsätzlicher darüber diskutieren, wie wünschenswert es ist, dass die Geschichtswissenschaft »neue« Ansätze hervorbringt, in welcher Weise sie als neuartig gelten können, in welchem Maße die »alte« Geschichte dadurch entwertet wird, wie stark kumulativ historischer Erkenntnisfortschritt ist und wie sehr von abrupten »Paradigmenwechseln« abhängig und geprägt. Wenn »alt« das ist, was wir herkömmlichen Historiker treiben, dann wird man das Neue mit besonders hoher kritischer Erwartung betrachten.
Vielleicht im Einzelnen nicht neu, aber überaus originell in dieser Zusammenstellung, ist die Auswahl der Stichworte; es handelt sich um eine bewusst unabgeschlossen gehaltene Liste von Grundkategorien, um die sich die Arbeit im Fach heute kristallisiert. Dass »Geschlecht«, »Religion« und »Kommunikation« eine große Rolle spielen, versteht sich seit geraumer Zeit von selbst. Bei »Kultur« mag mancher auf den ersten Blick aus Überdruss an immer neuen terminologischen Glaubensbekenntnissen oder Klassikerbeschwörungen den Mut sinken lassen. Man wird jedoch mit einem der besten Kapitel des Bandes belohnt, verfasst von Megan Vaughan, einer anthropologisch versierten Afrikahistorikerin, die sich nicht scheut, in die identitätspolitischen Abgründe eines Kulturbegriffs zu blicken, dessen Vertreter sich leicht in jenen »Essentialismus« verstricken, den sie anderen streng vorhalten. Dieses Kapitel wäre im Tandem mit Elizabeth Buettners (beinahe) genauso gutem Artikel zu »Ethnizität« zu lesen, in dem die Erfahrung einer Kolonialhistorikerin zum Ausdruck kommt. Der Titel »Bevölkerung« lässt dürre Statistik erwarten, bietet aber – mit einem fast schon wieder beunruhigenden Minimum an Quantifizierung – viel von dem, was die »alte« Geschichtswissenschaft unter »Sozialgeschichte« oder »Gesellschaft« abzuhandeln liebte. Eine Pioniertat ist die Einbeziehung der Wissenschaften, hier trotz der korrekten Übersetzung von »science« als »Naturwissenschaft(en)« eigentlich in einem umfassenden Verständnis gemeint, das die Bedeutung von Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit aller Art als gesellschaftlicher Kraft und kultureller Weltdeutungsmacht einschließt.
Hinter all diesen Stichworten steckt viel Theorie. »Neue« Geschichtswissenschaft sieht sich auch in anderen Zusammenhängen gerne als theoretischer und damit zugleich reflektierter und für Nachbardisziplinen »anschlussfähiger« als ihre verstaubte Vorgängerin. Aus deutscher Sicht, in der Theorie möglichst breit rezipiert und umfassend offengelegt werden soll, fällt bei den britischen und amerikanischen Autorinnen und Autoren der einzelnen Kapitel eine gewisse Zurückhaltung auf. Im Register finden sich Theoretikernamen weniger zahlreich, als man erwartet hätte (Michel Foucault steht mit Abstand an der Spitze der Liste); ausführliche, argumentativ in Details gehende Auseinandersetzungen mit einzelnen Theoretikern sind verhältnismäßig selten, etwa Eiko Ikegamis experimentelle Anwendung von Norbert Elias’ Zivilisierungsthese auf Tokugawa-Japan. Auch Bereichstheorien unterhalb der Ebene der »großen« Theorie à la Foucault, Marx, Max Weber oder (dem hier ganz fehlenden) Niklas Luhmann werden nur angedeutet, etwa in Demographie oder Religionssoziologie. Man kann darauf unterschiedlich reagieren. Die einen hätten sich von einer mit »Turn«-Anspruch daherkommenden neuen Geschichtswissenschaft einen größeren und expliziteren Theorieaufwand gewünscht, andere werden dankbar dafür sein, dass mancher deutsche Theorieexzess hier auf ein moderates Maß zurückgeschraubt und der Primat einer nachvollziehbaren »story line« auch dort gewahrt wird, wo es nicht um narrative Ereignisgeschichte in einem platten Sinne geht.
Überhaupt haben die Verfasserinnen und Verfasser mit der neuerlichen Beliebtheit (vor allem an einigen »history departments« in den USA) einer strikt...
Erscheint lt. Verlag | 25.4.2013 |
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Einführung | Jürgen Osterhammel |
Übersetzer | Michael Bayer, Dr. Oliver Grasmück, Norbert Juraschitz, Elsbeth Ranke, Werner Roller, Dr. Ursel |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | Bonnie G. Smith • Christopher Bayly • Christopher Clark • Dorothy Ko • Eiko Ikegami • Elizabeth Buettner • Kenneth Pmeranz • Megan Vaughan • Miri Rubin • Pat Thane • Peter Burke • R. Bin Wong |
ISBN-10 | 3-10-402559-2 / 3104025592 |
ISBN-13 | 978-3-10-402559-9 / 9783104025599 |
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Größe: 1,2 MB
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