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Finnland (eBook)

Ein Länderporträt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
184 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-172-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Finnland - Rasso Knoller
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Der typische Finne sitzt am See, gerade aus der Sauna gekommen, greift er als Erstes zum Handy. Vermutlich ruft er aber nur seinen Anrufbeantworter an. Denn er spricht nicht gern. Das kennt man ja schon aus den Filmen von Aki Kaurismäki. Und in denen trinken die Männer auch gern. Am liebsten Bier oder Wodka. Und viel.
Dagegen macht der Nachwuchs in den PISA-Statistiken seit geraumer Zeit Furore. Lesen, Schreiben, Rechnen: Überall ist das finnische Kind ganz vorn mit dabei. Und Skispringen kann es auch, denn das lernt es ebenfalls in der Schule.
Alles Klischees? Der Journalist Rasso Knoller hat die besten Voraussetzungen, diese Frage zu beantworten. Er hat mehrere Jahre in Finnland gelebt und gearbeitet. Aber viel wichtiger: Er hat unzählige Saunagänge zusammen mit Finnen hinter sich. Bei knapp hundert Grad wird auch der schweigsamste Finne gesprächig. Und erzählt dann, wie es wirklich zugeht in seinem Land.

Rasso Knoller: Jahrgang 1959, Studium der Anglistik, Politikwissenschaften und Skandinavistik u.a. in Stockholm, arbeitete mehrere Jahre beim Finnischen Rundfunk in Helsinki und als freier Journalist in Oslo, Übersetzer bei den Olympischen Winterspielen in Lillehammer, lebt als Sach- und Reisebuchautor in Berlin und betreibt zusammen mit Kollegen das Internetreisemagazin weltreisejournal.de. Mehr als 50 Buchveröffentlichungen, darunter viele zu Nordeuropa.

Die kurze Geschichte
eines jungen Landes


»Am wohlsten fühlen wir uns, wenn wir betrunken in der dunklen Sauna sitzen und über den Tod reden.« (finnische Selbsteinschätzung)

Am Anfang war die Leere


Bei einem Streifzug durch die finnische Geschichte kann man den Anfang fast überspringen: Bis zum 13. Jahrhundert ist eigentlich nicht viel passiert.

Man vermutet, dass schon vor 120 000 Jahren Neandertaler auf dem Gebiet des heutigen Finnland lebten. In der susiluola, der Wolfshöhle, in Westfinnland fand man Steinwerkzeuge, die so alt sind. Sie wären damit der einzige Nachweis für den Neandertaler in Nordeuropa. Gesichert ist die Besiedlung durch den Homo sapiens ab 8500 v. Chr. Aus dieser Zeit liegen heute Steinscherben im Nationalmuseum in Helsinki. Allerdings sehen diese Scherben ziemlich unspektakulär aus. Auch die 5000 Jahre alten Steinritzungen, die man auf Inseln im Kolovesi Nationalpark in der Nähe von Savonlinna entdeckte, sind nicht gerade ein Hingucker – vor allem wenn man bedenkt, dass sie ebenso alt sind wie die Pyramiden von Gizeh. Während die Ägypter schon Megabauten in den Wüstensand setzten, saßen die Menschen in Finnland am Meeresufer und klopften mit Steinkeilen auf Felsen herum. Damals war nur ein dünner Küstenstreifen im Süden besiedelt. Wer sich jetzt wundert, warum man heute einige hundert Kilometer ins Landesinnere zu den Steinritzungen von Kolovesi fahren muss, den möchte ich jetzt zu einem kleinen Exkurs in die Geologie Finnlands einladen.

Auf Stein gebaut


Finnland steht im wahrsten Sinne des Wortes felsenfest. Wer zur Schaufel greift und an einem beliebigen Ort zu graben anfängt, stößt schon nach wenigen Metern auf eine Schicht aus Granit, Gneis oder Lavagestein. Während der letzten Eiszeit, die vor etwa 100 000 Jahren begann und erst vor 7000 Jahren endete, bedeckten Gletscher das ganze Land. Als sie abschmolzen, versank Finnland in einem riesigen See. Doch langsam – endlich vom Druck des Eismantels befreit – stieg das Land wieder nach oben und tauchte aus dem Wasser auf. Dieser Prozess ist auch heute noch nicht abgeschlossen. Den Finnen kann’s recht sein, denn so wächst ihr Land jedes Jahr um sieben Quadratkilometer. Viele Orte in Westfinnland, die bei ihrer Gründung im 14. und 15. Jahrhundert direkt am Wasser lagen, sind seitdem landeinwärts »gewandert«. Die Stadt Vaasa ist solch ein Beispiel: Die einst am Meer erbaute Altstadt liegt heute sieben Kilometer vom Wasser entfernt.

Die Finnen – eine römische Erfindung


Doch zurück in die Steinzeit: Die ersten Steinzeitmenschen, die in Finnland lebten, hatten mit den heutigen Finnen nichts zu tun. Deren Vorfahren kamen erst um 5000 vor unserer Zeitrechnung aus einem Gebiet östlich des Urals ins Land. Früher wurden diese finnougrischen Stämme als die Vorfahren der heutigen Finnen betrachtet. Inzwischen ist die Forschung weiter. Man weiß, dass die Finnen eine Mischung aus den finnougrischen Stämmen und indogermanischen Zuwanderern sind. Zum Leidwesen jedes Sprachschülers hat sich bei der Verschmelzung der Stämme die finnougrische Sprache durchgesetzt und sich seit jenen Tagen zum heutigen Finnisch entwickelt. Da aber die finnische Sprache ein ganz besonderes Kapitel ist, soll sie auch ein solches erhalten.

Den Namen »Finne« hat übrigens ein Römer erfunden: Der Geschichtsschreiber Tacitus. Er hat in seiner Germania vom Volk der Fenni gesprochen. Das waren angeblich wilde Leute, die keine Häuser kannten und ungeschützt vor der Witterung im Freien auf dem Boden schliefen. Ob’s stimmt? Man weiß es nicht. Tacitus selbst war nie im hohen Norden. Außerdem hat er mit den Fenni vermutlich ohnehin nicht die Finnen, sondern die Sami gemeint.

Ab dem späten 8. Jahrhundert kamen regelmäßig Wikinger aus Schweden an die Küste Finnlands, um dort Pelze zu kaufen. Um die Tiere zu jagen, wagten sich jetzt erstmals die Menschen hinein ins Landesinnere. Doch damals lebten in Finnland nicht nur die Vorfahren der heutigen Finnen, sondern auch die der Sami. Diese Volksgruppe wurde im Laufe der Jahrhunderte von den nachrückenden finnischen Stämmen immer weiter nach Norden verdrängt.

Weil in Finnland nur sehr wenige Menschen lebten, formte sich im Unterschied zu den meisten anderen Ländern Europas kein zusammenhängendes Reich. Die einzelnen finnischen Stämme und Familien waren unter keinem gemeinsamen Fürsten, König oder Kaiser vereint.

Der erste andauernde Einfluss von außen kam durch die Kirche. Dass die Christianisierung nicht ganz so glatt lief, berichtet eine Legende: Der zufolge hat der finnische Bauer Lalli am 20. Januar 1156 den Bischof Heinrich ermordet, den damals bedeutendsten Missionar in Finnland. Glaubt man der Überlieferung, wäre die Ermordung des Bischofs aber gar kein Akt des Widerstands, sondern einfach eine Sanktion für Zechprellerei. Heinrich hatte sich von Lallis Frau in dessen Abwesenheit bewirten lassen und war dann verschwunden – ohne zu bezahlen. Als Lalli dies nach seiner Rückkehr erfuhr, ritt er dem Bischof hinterher, stellte ihn zur Rede und spaltete ihm mit der Axt den Schädel. Lalli überlebte seine böse Tat nicht lange: er ertrank kurz nach dem Mord. Dort, wo die Leiche des Bischofs beigesetzt wurde, errichteten seine Anhänger angeblich die erste Kirche Finnlands. Lange Zeit wurde die Existenz von Lalli und Heinrich in der finnischen Geschichtsschreibung als selbstverständlich angenommen. Heinrich wurde bis zur Reformation sogar als finnischer Nationalheiliger verehrt. Inzwischen zweifelt die Wissenschaft aber nicht nur daran, dass Heinrich je heilig gesprochen wurde, sondern sogar an seiner Existenz. Ob Lalli gelebt hat, weiß auch niemand. Und so zählen zwei Menschen, die es vermutlich nie gegeben hat, zu den wichtigsten historischen Personen Finnlands. Heinrich, der erste Bischof des Landes und bis heute der einzige finnische Heilige – und Lalli, der erste Widerstandskämpfer, den die Finnen bei einer Umfrage im Jahre 2004 auf Rang 14 der wichtigsten Finnen aller Zeiten wählten.

Unter der Fuchtel der Schweden


»Bald gerieten die Finnen in teils freundliche, teils feindliche Berührung mit den Skandinaviern, und die schwedischen Könige versuchten sie zu unterwerfen.«

(Meyers Konversationslexikon von 1890)

Weil die schwedischen Missionare trotz der Ermordung Heinrichs auf ihren Kreuzzügen durch Finnland besonders erfolgreich waren, sprach der Papst 1216 Finnland dem schwedischen König zu. Aber auch die Konkurrenz schlief nicht: Von Osten kommend, sicherten sich die orthodoxen Herrscher von Nowgorod ihren Teil am finnischen Gläubigen-Kuchen. Im Laufe der Zeit erwiesen sich die Schweden jedoch als militärisch stärker. Und so wurde Finnland im 14. Jahrhundert schwedische Provinz.

Auf Befehl des Schwedenkönigs Gustav Vasa gründete man eine Stadt nach der anderen. Damit wollte der König aber nicht etwa die Entwicklung Finnlands vorantreiben, sondern lediglich die Staatskasse füllen. Der Schwedenherrscher brauchte für seine militärischen Abenteuer viel Geld. Aus der Provinz Finnland floss der Steuersegen mangels Menschen aber nur spärlich. Dem wollte Gustav Vasa durch ein großes Urbarmachungs- und Besiedlungsprogramm Abhilfe schaffen.

Auch wenn sie nun für den schwedischen König schuften mussten, hatten die finnischen Bauern im Vergleich zu ihren »Kollegen« in anderen europäischen Ländern einen Vorteil: Ihnen gehörte das Land, auf dem sie arbeiteten. Leibeigenschaft hat es in Finnland nie gegeben. Vielleicht ist ja in jenen Tagen das finnische sisu entstanden – diese eigentümliche Mischung aus Ausdauer und Sturheit. Eine Mischung, die so speziell finnisch ist, dass es für das Wort keine Übersetzung gibt. Man kann sich gut vorstellen, wie viel Energie die Bauern brauchten, um dem unwirtlichen Land Jahr für Jahr eine Ernte abzutrotzen. Andererseits lebten sie soweit entfernt von jeder Obrigkeit und jedem Nachbarn, dass jeder finnische Bauer ein kleiner, wenn auch armer König auf seinem Land war. Reinreden lassen musste er sich von niemandem. Und Kompromisse schließen schon gar nicht.

Im Laufe des 16. Jahrhunderts erreichte die Reformation nun auch den äußersten Zipfel Europas. 1548 übersetzte der Reformator Mikael Agricola das Neue Testament ins Finnische. Aus heutiger Sicht mag das eine belanglose Randnotiz sein. Doch mit der Bibelübersetzung schuf Agricola die finnische Schriftsprache. An Agricolas Todestag, dem 9. April, wird deswegen noch heute »der Tag der finnischen Sprache« gefeiert.

Damals war einzig Schwedisch Amts- und Behördensprache im Land. Wer gesellschaftlich und beruflich aufsteigen wollte, musste die Sprache der Besatzungsmacht beherrschen. Das Land war sprachlich zweigeteilt: Die unteren Bevölkerungsschichten verständigten sich auf Finnisch, während die Reichen und Adeligen im vornehmen Schwedisch parlierten.

Im Ausland traten Finnen erstmals im Dreißigjährigen Krieg in Erscheinung – allerdings auf ziemlich unangenehme Weise. An der Seite Schwedens kämpften ab 1630 auch finnische Landsknechte, die wegen ihrer Brutalität bald in ganz Europa gefürchtet waren. Nach ihrem finnischen Kampfruf »hakka päälle« – »Hau auf den Kopf« – wurden sie unter dem Namen Hakkapeliten bekannt.

In dieser Zeit stieg Schweden zur Großmacht auf und entsandte seine Armeen zu immer neuen Eroberungen auf dem europäischen Kontinent. Doch irgendwann hatten die raffgierigen schwedischen Könige den Bogen überspannt: Die Soldaten kehrten nicht länger mit Siegen, sondern mit Niederlagen von den Schlachtfeldern heim – sofern sie überhaupt zurückkehrten. Als Folge des Großen...

Erscheint lt. Verlag 30.3.2012
Reihe/Serie Länderporträts
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
Reiseführer Europa Finnland
Schlagworte Aleksis Kivi • Alkohol • Architektur • Atomenergie • Bildungssystem • Eisangeln • Esskultur • Europäische Union • Film • Flüchtlingspolitik • Geschichte • Gewohnheiten • Helsinki • Identität • Jagen • Kalevela • Kolonisation • Länderporträt • Lappland • Literatur • Musik • Nordeuropa • Parteien • Politik • Sami • Sauna • Saunieren • Schulsystem • Seen • Umweltpolitik • Urho Kekkonen • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-86284-172-3 / 3862841723
ISBN-13 978-3-86284-172-1 / 9783862841721
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