Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de
Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war -  Christiane Thiel

Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2009 | 2. Auflage
192 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-74181-3 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
5,99 inkl. MwSt
(CHF 5,85)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
»Eine Geschichte voller Atmosphäre und Leichtigkeit, die eindrücklich die Höhen und Tiefen des Erwachsenwerdens beschreibt.« Aus der Jurybegründung Neue Schwester, neuer Vater, neue Gedanken - fast ein bisschen viel für die 13-jährige Tine. Bisher war ihr Leben ganz gemütlich. Aber nun ist Maria da, eben erst zur Welt gekommen, und Carsten, der neue Mann der Mutter, zieht zu ihnen. Carsten denkt ganz anders als sie alle. Und er will Maria taufen lassen - ein exotischer Gedanke für die Leipziger Familie. Plötzlich ist das heilige Thema in ihrem Leben, und nichts ist mehr in Ordnung. Dann spielt auch noch Tines große Schwester Mella verrückt. Und die beste Freundin Manu hat ein Verhältnis mit dem Sportlehrer. Wie soll Tine da den Durchblick behalten?

1


Hier bleibt der Schnee nie lange liegen. Wenn er aber doch einmal für eine Schneedecke reicht, machen alle, die unter vierzehn sind, ihre Schlitten startklar und flitzen raus in den Park und fahren die zwei kleinen Hügel runter. Die Rodelpisten sind höchstens zehn Meter lang, aber ein Gedränge ist dort wie sonst was.

Ich war heute mit meiner kleinen Schwester da. Sie kann noch nicht rodeln. Ich hatte sie im Tragetuch vorn in meiner Jacke. So klein ist sie noch. Sie heißt Maria und hat die ganze Zeit geschlafen. Gott sei Dank. Wenn sie weint, fühle ich mich völlig hilflos.

Ich habe nachgesehen, ob jemand aus meiner Klasse da ist. Manchmal kommen welche von uns mit ihren Schlitten und der Rest steht am Rand und quatscht. Ich hätte gern meine Freundin Ulli getroffen oder die schlaue Babette. Na ja, eigentlich sind wir schon zu groß zum Rodeln, ist ja klar. Aber hier bleibt so selten der Schnee liegen, dass sich fast keiner beherrschen kann, wenn es mal welchen gibt. Sogar Erwachsene kann man rodeln sehen. Die sind albern, wie kleine Kinder. Es dauert nur ein paar Stunden und schon guckt die Erde wieder unterm Schnee hervor. Trotzdem machen alle weiter. Wie die Verrückten. Es ist laut, Lachen füllt die Luft wie Musik.

Heute war keiner aus meiner Klasse da. Schade. Wahrscheinlich lernen sie alle. Wir schreiben morgen wieder einen großen Test in Deutsch. Ich habe keine Lust zum Lernen, und außerdem kann ich meiner Mutter helfen, wenn ich Maria eine Weile mit rausnehme. Ich hätte sie ja so gern mal vorgeführt! Sie ist noch ziemlich neu. Und so süß!

Geplant war sie nicht. Ich meine Maria. Das heißt, das weiß ich nicht genau, aber ich nehme es an. Es gab ziemlichen Wirbel, als es rauskam. Meine Mutter grinste beim Abendbrot so komisch und sagte dann plötzlich: »Wir ziehen um.«

»Hä?«, machte Mella, meine größere Schwester, siebzehn.

»Na ja. Wir brauchen ein Zimmer mehr und Carsten könnte auch gleich mit einziehen.«

Meine Augen fielen fast aus den Höhlen, so weit riss ich sie auf. War das zu fassen? Wieso brauchten wir ein Zimmer mehr? Und Carsten? An den hatten wir uns zwar schon fast gewöhnt, aber zusammen wohnen?

»Was ist los?«, fragte Mella.

»Ich krieg ein Kind«, sagte meine Mutter. »Seid mir nicht böse.«

Pause. Wieso sollten wir böse sein? Komischer Gedanke.

»Ich freu mich. Und Carsten auch. Stellt euch das mal vor. Wir wären wieder eine Familie!«, redete sie einfach weiter.

Das war jetzt echt zu viel. Ich sah Mella an und bemerkte, dass sie wütend schluckte. Ihr schöner Schwanenhals wurde rot und fleckig.

»Wieder eine Familie? Mami, spinnst du?«

Wir waren mal eine Familie. Aber meine Mutter hat unseren Vater vor ungefähr sieben Jahren verlassen. Da sind wir schon mal umgezogen. Danach hatte ich eine Riesensehnsucht nach ihm und diesem ganzen Familienzauber, wenn alle beisammen sind und es so schön gemütlich und geborgen ist.

Mein Vater Paul ist ein starker Typ. Er macht Musik. Außerdem managt er eine Kulturkneipe, vielleicht war er deshalb fast nie zu Hause. Aber wenn er da war, dann hatte er gute Laune und wirbelte uns in der Luft herum, sang mir Lieder ins Ohr und tanzte mit Mella. Allerdings gab es zwischen ihm und meiner Mutter oft Streit. Sehr oft. Das war nicht zu überhören. Und es war schrecklich. Zuletzt haben sie sich dann getrennt.

Wenn es heute zwischen Mella und meiner Mutter kracht, dann fangen sie manchmal an, über die Vergangenheit zu reden, so als würde ihnen das helfen, das Ganze besser zu verstehen. Meine Mutter sagt dann, dass wir nur eine Nebensache in Vaters Leben waren, dass sie oft das Gefühl hatte, Mutter von drei Kindern zu sein und nicht nur von zwei, dass sie sich nie auf ihn verlassen konnte. Neuerdings guckt Mella bei solchen Gesprächen ganz verständnisvoll. Vielleicht liegt das an ihrem Alter?

Vater hat wieder eine Frau und zwei neue Kinder und wir sehen uns einmal im Jahr. Dann macht er einen riesigen Aufriss, schleppt uns irgendwohin, zeigt uns was, und wenn der Tag rum ist, bin ich völlig fertig. Meistens kommt er im Frühjahr auf die Idee. Dieses Jahr ist Mella zum ersten Mal nicht mitgekommen. Sie hat wirklich was verpasst. Er ist mit mir nach Berlin gefahren. Zum Reden sind wir nicht gekommen. Ich würde ihn doch gern mal fragen, warum es mit unserer Familie damals nicht geklappt hat und ob’s ihm was ausmacht, dass es Carsten gibt.

»Wieder eine Familie? Mami, spinnst du?«

Klar, da waren alle Fragen drin. Die ganze Geschichte. Meine Mutter machte auch gleich so ganz tiefe Augen und biss sich auf die Unterlippe. Was sollte sie auch tun? Dann bekam ihr Gesicht einen trotzigen Ausdruck.

»Ach was! Es ist, wie es ist. Das Baby ist unterwegs, und ich habe endlich einen Mann, der mir hilft. Und ich habe euch, und ich wette, wir kommen klar.«

Dann schaute sie uns fröhlich und herausfordernd an, grinste wieder in sich hinein. Sie schien von dem Baby irgendwie Kraft zu kriegen. Später wurde das noch stärker, je dicker sie wurde.

Die Flecken an Mellas Hals und der Krampf in meinem Unterkiefer konnten sowieso nichts ändern. Wir mussten uns ergeben, aber nicht wie bei einem großen Krach, nein. Das brachte nichts. Maria war nun mal unterwegs. Die Uhren tickten anders. Da war allerhand los und irgendwie war’s auch schön und sehr spannend.

Wir besichtigten Wohnungen und zogen in die vierte Etage eines schönen Fachwerkhauses. Unsere Wohnung ist ziemlich groß, jedenfalls für unsere Verhältnisse. Bisher hatten wir drei Zimmer, Küche und Bad. Jetzt haben wir vier echte Zimmer und einen kleinen Verschlag. »Für Gäste«, hat meine Mutter gleich gesagt. Jetzt steht da ein Sofa drin, das man auseinanderklappen kann. Dann ist Platz für zwei. In der Küche gibt es eine Speisekammer, die so groß ist, dass ein kleiner Mensch richtig gut reinpasst. Ich kann mir vorstellen, wo wir Maria später finden werden, wenn sie sich versteckt.

Ich teile ein Zimmer mit Mella. Es hat einen Balkon, von dem aus wir auf Kleingärten voller Blumen und Gemüse sehen. Carsten hat uns ein Hochbett gebaut. So was kann er. Außerdem stehen bei uns: eine Lümmelcouch mit einem kleinen Tisch und einem uralten Sessel, zwei Schreibtische und zwei schöne alte Schränke. Die haben wir aber schon, so lange ich denken kann. Auf dem einen steht in schnörkeliger Schrift »Mella«, auf dem anderen »Tine« – das bin ich. Die Zimmerwände sind tiefgelb, wenn es so eine Farbe gibt. Sattgelb, könnte man auch sagen. Wie Sonne am Abend nach einem langen, warmen Tag.

Kurz vor Ferienbeginn sind wir umgezogen. Es war schon fast Sommer. Ich hatte kurze Hosen an und der Bauch meiner Mutter war riesig. Sie konnte nichts mehr tragen. Sie stand nutzlos rum und meistens im Weg. Meine Omi kümmerte sich besorgt um sie. Das ging Mami zwar auf die Nerven, aber hilfreich war es schon, dass sie da waren, unsere neuen Großeltern. Schließlich ist Opa fit und packt richtig mit an, so dass alles ruck, zuck ging.

Für uns waren die beiden eine echte Sensation, denn die Eltern meiner Mutter sind schon lange gestorben und die von unserem Vater haben sich seit der Trennung nicht mehr blicken lassen. Sie hatten sich auch vorher nicht gerade aufgedrängt.

Und jetzt hatte Carsten diese Großeltern in unsere Familie mitgebracht. Als wir sie zum ersten Mal treffen sollten, war mir richtig komisch vor Angst. Sie kamen zu uns zu Besuch und ich hatte mir das so vorgestellt wie im Fernsehen: Wir sitzen alle steif um den Kaffeetisch herum, die Großeltern sehen altmodisch aus, und die Oma hat silbergraue Löckchen, die sie immerzu mit einer steifen Handbewegung nach oben schiebt. Alle versuchen, sich unauffällig zu beobachten, und wenn die alten Leute wieder weg sind, atmet die restliche Familie auf.

So hatte ich mir das gedacht, aber so war es gar nicht. Sie kamen und waren nur ein kleines bisschen altmodisch. Das schon. Vor allem Omis Löckchen, die sie tatsächlich hat. Allerdings kamen wir gar nicht zum vorsichtigen Beobachten, denn sie fragten uns gleich Löcher in den Bauch. Das war überhaupt nicht peinlich, denn es ging auch andersrum. Wir konnten einfach zurückfragen und dann haben sie geantwortet. Als wäre nichts dabei, zum ersten Mal unserer neuen Familie zu begegnen, noch dazu, wenn mit diesem unübersehbaren Babybauch die nächste Überraschung bevorstand.

Sie schienen sich sehr über den Zuwachs zu freuen. Nicht nur über das Baby, sondern auch über Mella und mich. Und über Mutter. Ganz offensichtlich. Sie kamen ein zweites Mal zum Geburtstag meiner Mutter zu Besuch und da habe ich mich schon richtig auf sie gefreut. Als ich hörte, dass sie uns beim Umzug helfen wollten, war das wie eine Versicherung, dass eigentlich nichts schiefgehen würde.

Und so saßen wir nun auf den Küchenstühlen, schnüffelten die frische Farbe, die neue Wohnung, sahen uns wortlos an – das kommt bei uns nicht oft vor! – und freuten uns wie die Schneekönige. Omi hatte eine Plastikdose voll Kuchen mit und eine mit Schnittchen. Die Kaffeemaschine stand schon da und der Wasserkessel auf dem Herd.

Es war also alles da, um gemütlich Kaffee zu trinken. Wobei meine Mutter, Mella und ich Tee bevorzugen.

Die Kleingärten vor unserem Fenster leuchteten in Sommerfarben. Es war warm und die laue Luft strich um meine Beine. Kurz danach kam Maria zur Welt. Es war Sommer. Und bald waren Ferien.

Zum Glück, denn die erlösten mich von der größten Qual der Welt: der Schule. Nicht, dass ich die Schule hasse oder in eine besonders blöde Schule gehen muss. Das kann ich so nicht sagen. Aber ich hänge in manchen Fächern so hinterher, dass ich die Versuche, irgendwas aufzuholen, heimlich längst aufgegeben habe. Ich begreife...

Erscheint lt. Verlag 25.6.2009
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Kinder- / Jugendbuch
ISBN-10 3-407-74181-2 / 3407741812
ISBN-13 978-3-407-74181-3 / 9783407741813
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 222 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich