Schritte über uns hinaus (Schritte, Bd. 1)
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-94248-4 (ISBN)
Die moderne Weltanschauung ihrer inneren Widersprüchlichkeit zu überführen, ist ein Leitmotiv des Philosophierens von Robert Spaemann. »Wir tun niemals einen Schritt über uns hinaus«, charakterisierte David Hume pointiert die »moderne Weltanschauung«. Meisterhaft entfaltet Robert Spaemann die Schattenseite dieser Geisteshaltung, wenn sie konsequent umgesetzt wird.
Die moderne Weltanschauung ihrer inneren Widersprüchlichkeit zu überführen, ist ein Leitmotiv des Philosophierens von Robert Spaemann: Dem philosophischen Denken geht es um etwas jenseits seiner selbst. Und dass es ihm überhaupt um etwas geht, denn es verbindet den Menschen mit allem Lebendigem.
Diese philosophische Haltung zeigt sich in seinem Gespräch mit den Großen der Philosophie und wird zum roten Faden seines Opus, dessen essayistischer Teil in Form von Reden und Aufsätzen der letzten 60 Jahre in diesem Band vorliegt. Ihre Lektüre bereitet zudem Vergnügen. »Die Zeit« nennt Spaemann den das beste Deutsch schreibenden lebenden Philosophen.
Robert Spaemann, geboren am 5. Mai 1927 in Berlin, studierte Philosophie, Romanistik und Theologie in Münster, München und Fribourg. Von 1962 bis 1992 lehrte er Philosophie an den Universitäten in Stuttgart, Heidelberg und München, wo er 1992 emeritiert wurde. Robert Spaemann hatte zahlreiche Gastprofessuren inne, erhielt mehrere Ehrendoktorwürden und war 2001 der Träger des Karl-Jaspers-Preises der Stadt und der Universität Heidelberg. Robert Spaemann, einer der führenden konservativen Philosophen im deutschsprachigen Raum, starb am 10. Dezember 2018.
Versuche, das Ganze zu denken. Anstelle eines Vorworts . 7
Philosophie
Philosophie als institutionalisierte Naivität . . 27
Der Streit der Philosophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Die kontroverse Natur der Philosophie . . . . . . . . .. . . . . . . 56
Philosophie zwischen Metaphysik und Geschichte: Philosophische Strömungen im heutigen Deutschland . . .. 81
Philosophen
Platons Philosophenkönige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
Das Sum in Descartes' Cogito Sum . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Leibniz' Begriff der möglichen Welten . . . . . . . . . . . . . . 149
Whitehead oder: Welche Erfahrungen lehren uns die Welt verstehen? . . . . . . . . 171
Niklas Luhmanns Herausforderung der Philosophie . . . . 189
Laudatio für Hans Jonas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Karl Jaspers' Idee eines philosophischen Glaubens . . . . . 214
Philosophiegeschichte nach Martin Heidegger . . . . . . . . . 233
Habermas und die Natur des Menschen . . . . . . . . . . . . . . 242
Kultur
Die Rückkehr der Erinnyen. Zum Begriff des Opfers . . 253
Ars longa - Vita brevis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
Überzeugungen in einer hypothetischen Zivilisation. . . 285
Wahrheit und Freiheit . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . 310
Aufhalter und letztes Gefecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
Ritual und Ethos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
Was ist eine gute Religion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
Versuche, das Ganze zu denken. Anstelle eines Vorworts
Vorbemerkungen
Dass wir niemals einen Schritt über uns hinaus tun, diesen Satz David Humes finde ich bei Durchsicht meiner Texte aus den letzten Jahren immer wieder zitiert. Er erscheint mir als ein Schlüssel zur modernen Weltanschauung. Allerdings ist er widersprüchlich, denn wenn er wahr wäre, könnten wir ihn nicht aussprechen und von seiner Wahrheit nicht wissen. Aber er ist suggestiv. Die Reflexion, die ihm zugrunde liegt, scheint ja unwiderstehlich. Auch das Jenseits unseres Denkens ist ja selbst wieder ein Gedanke. Und das Wohlwollen gegenüber anderen kann jederzeit uminterpretiert werden zu meinem Interesse an jener Befriedigung, die ich in diesem Wohlwollen finde, Gedanken aber und Interessen zu Zuständen von Gehirnen. Husserls »Logische Untersuchungen« von 1900 mit ihrer Kritik des Psychologismus haben - trotz der phänomenologischen Bewegung, die sie auslösten - die Richtung des Mainstream nicht umkehren können. Die dank dem Interesse des Verlages Klett-Cotta in dieser Sammlung erneut vorgelegten Texte aus mehr als sechs Jahrzehnten haben miteinander gemein, dass sie diesem Mainstream entgegenstehen - aus theoretischen, aber auch aus »existentiellen« Gründen. Der Gedanke der Menschenwürde scheint mir nämlich zu stehen und zu fallen mit der wenn auch noch so eingeschränkten Wahrheitsfähigkeit und der wenn auch noch so eingeschränkten Liebesfähigkeit des Menschen. Wichtig ist nur, sich klarzumachen, dass das selfish system ausschließlich auf einer Entscheidung beruht, einer grundlosen Entscheidung. Während die entgegengesetzte Denkweise eigentlich keiner Entscheidung bedarf, weil sie dem spontanen Selbstverständnis unser aller als Denkender und Handelnder entspricht, einem Selbstverständnis, das sich nur durch eine die Phänomene aushebelnde Reflexion selbst zum Verschwinden bringen kann.
4 Metaphysik oder Funktionalismus
Ich habe zum Verständnis jenes Geschehens der Moderne, in das wir alle verwickelt sind, stets zwei Weisen des Zugangs gesucht. Die eine ist die Geistesgeschichte. In meiner Dissertation von 1951 über de Bonald, die unter dem Titel »Der Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration« 1959 erschien und 50 Jahre später in Italien, Spanien und Frankreich übersetzt wurde und eine Diskussion auslöste, versuchte ich zu zeigen, dass erst in der Kritik an der Französischen Revolution und an der sie vorbereitenden Ideologie die Moderne ihre spezifische theoretische Gestalt gewinnt. »Die Restauration«, so schrieb ich damals, »vermag den Zirkel der modernen Gesellschaft nicht zu durchstoßen, sie gerät nur tiefer in ihn hinein.« Metaphysik wird abgelöst durch eine soziologisch-funktionale Begründung der Notwendigkeit ihrer Erhaltung. »Ecarter Dieu comme irreligieux« hat dann bald darauf Comte gefordert: Funktionalismus, Rationalisierung als Unterordnung des Daseins unter die Bedingungen seiner Erhaltung, das waren die ersten Hilfsbegriffe der Selbstverständigung über das, was Moderne heißt.
5. Dialektik von Naturalismus und Spiritualismus
Mein zweiter Zugang zum Phänomen der Moderne ist ein spontaner Widerwille gegen die Uminterpretation unseres natürlichen Selbstverständnisses, die Vergessen verlangt. Philosophie ist Widerstand gegen dieses Vergessen, Erinnerung. Nicht als irrationaler Impuls zur Mimesis einer Natur, von der man gar nicht sagen kann, worin ihre Verletzung bestünde, sondern als denkender Vollzug einer teleologischen Struktur, als Bewegung, die den Anfang in der Gegenwart anwesend hält. Eine nichtteleologische Natur kann ja gar nicht verletzt werden. Sie ist eben nur der Anfang, der dadurch definiert ist, dass man sich von ihm entfernen muss: exeundum e statu naturali . Indem Philosophie den Anfang als arche, als Prinzip, als Maßstab des Weges erinnert, ist sie Vergegenwärtigung der verborgenen Voraussetzungen der Moderne und holt diese zurück in einen
Erscheint lt. Verlag | 26.2.2010 |
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Reihe/Serie | Schritte ; 1 |
Zusatzinfo | Lesebändchen |
Sprache | deutsch |
Maße | 134 x 210 mm |
Gewicht | 538 g |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft ► Briefe / Präsentation / Rhetorik |
Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Philosophie der Neuzeit | |
Schlagworte | Essay • Essayistik • Philosophen • Philosophen 347552 • Philosophen/-innen • Philosophie • philosophisches Denken • Philosoph / Philosophin |
ISBN-10 | 3-608-94248-3 / 3608942483 |
ISBN-13 | 978-3-608-94248-4 / 9783608942484 |
Zustand | Neuware |
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