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Bulgarien 1987 (eBook)

Gebirgswanderungen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
120 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-3114-1 (ISBN)
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Im vorliegenden Buch wird über die individuelle und ganz unorganisierte Reise eines Leipzigers in die beiden bulgarischen Gebirge Pirin und Rila berichtet, welche zwei Jahre vor dem "Fall der Mauer" stattfand. Anreise und Rückfahrt erfolgten über mehrere Tage mit der Eisenbahn. Das war in dieser Zeit bereits ganz ohne eine Einladung aus den betreffenden Ländern möglich und wurde von vielen DDR-Bürgern genutzt - mit dem Zug oder auch mit dem eigenen Auto. Für die Übernachtungen gaben es in diesen Gebirgen ausreichend vorhandene Berghütten. Das Buch ist mit einigen Schwarz-Weiß-Skizzen und bunten Pastell-Bildern des Autors illustriert.

Hans-Jürgen Tietze (Pseudonym: Jören Geilenberg), geb. 1940 in Duisburg, lebt seit 1960 in der Stadt Leipzig (davor seit 1945 in der Lutherstadt Wittenberg). Er ist gelernter Chemiefacharbeiter und verbrachte nach einem Studium sein Berufsleben an diversen Leipziger Instituten mit eigentümlichen Beschäftigungen. Bekannte vermittelten eine Urlaubsreise in die nahen Tatra-Gebirge in der damaligen Tschechoslowakei, was später den Anlaß zu weiteren Reisen in die Berge gab.

Mosgowischka Porta, Tewno Esero


21.06.87 So.


6 Uhr Landregen, Ruhepuls 68, Höhe 2240 Meter.

Die ganze Nacht lang hat es geregnet. Die Sicht ringsum ist schlecht, das Gelände nebelverhangen. Alles liegt grau in grau, man kann kaum fünfzig Meter weit sehen. Das ist eigentlich kein Wetter zum Wandern - zum einen wegen der schlechten Orientierung, zum anderen wegen der Nässe, die in die Kleidung dringt - und man weiß nicht, wann die wieder trocken werden wird.

Doch ich hatte in Leipzig schon vorgesorgt und habe mir neben der großen Gummijacke aus dunkelgrauem Zeltbodenstoff noch eine Hose aus hellem PVC-Plastmaterial genäht. Eigentlich dürfte damit nichts passieren – dachte ich. Daher beschließe ich, trotz des schlechten Wetters aufzubrechen. Das Wetter kann noch tagelang so bleiben. Meine Zeit aber ist begrenzt. Heute möchte ich noch die Hütte „Tewno Esero“ auf der anderen Seite der großen Nord-Süd-Wasserscheide erreichen, und zwar über die „Demirkapia“ und vorbei am „Kralew Dwor“ - alles Bezeichnungen aus der bulgarischen Karte. Was sie im Einzelnen bedeuten, das weiß ich nicht so recht.

Weil nun das Wetter aber so ungünstig ist, beschließe ich doch lieber, den mir teilweise bereits bekannten Weg über die „Dschengalska Porta“ einzuschlagen. Das bedeutet zunächst, einfach nur wieder den Weg von gestern zurückzuwandern.

Doch wo befindet sich dieser Weg heute?

7:30 Uhr Abmarsch. Dabei erkenne ich gerade noch so das rechte Seeufer, an dem ich vorbei muß. Das andere Ufer ist schon nicht mehr zu sehen. Nach Überschreiten eines Baches wandere ich an diesem entlang und dann bergauf und wieder auf diesen Wall von gestern zu. Ich komme auch oben an - dort aber nicht mehr in meine alte Spur - überall nur Schnee, links und rechts Knieholz - der berüchtigte „Klek“ - dazwischen Steine, Felsen, Blöcke.

Ein Stück quäle ich mich durch das tropfnasse Kieferndickicht - alles niedrige, aber sehr gesunde Stämme, die sich teilweise armdick hier überall in den Weg stellen, erst flach über dem Boden, dann im Bogen nach oben strebend. Hinter diesem borstigen Kieferndickicht scheint es irgendwie weiter zu gehen.

Dann klettere ich über graue Gesteinshalden, auf denen die gelb-grünen Flechten glitschig aufgequollen sind. Und schon erscheint vor mir erneut eine Barriere aus „Knieholz“. Es ist teilweise mannshoch - schwarze, dicke Äste, die sich in einem verfilzten Gewirr über dem steinigen Boden ausbreiten, dazu kaum Sicht, wie es dahinter weiter geht. Und alles tropft.

Ich muß umkehren. Unter meiner so schön wasserdichten Regenmontur bin ich ins Schwitzen gekommen. Jetzt ist tatsächlich alles feucht - außen wie innen. Und ich muß den ganzen riesigen Hang wieder absteigen. Manchmal ist mir dabei, als höre ich Stimmen aus Richtung der Hütte. So weit bin ich von dort auch noch gar nicht weg. Zur Not könnte ich immer noch umkehren. Suchen sie mich vielleicht, weil ich bei diesem Nebel einfach abmarschiert bin? Doch eine solche Vermutung ist hier in Bulgarien wohl eher unbegründet.

Wieder unten am Hang lege ich meine Kraxe erst einmal gut sichtbar ab und begebe mich dann auf die Suche nach meiner gestrigen Spur im Schnee. Diese finde ich schließlich und markiere sie mit einem Stock. Als ich zur Kraxe zurückkomme, schälen sich grau zwei Gestalten aus dem Nebel - zwei Bulgaren, Angler. Sie rufen mich an und fragen, ob ich auch in Richtung Tewno Esero will. Es sind Leute, die beim Bau der Hütte beschäftigt sind und heute offenbar ihrem Sonntagsvergnügen, dem Angelsport, nachgehen wollen. Das Wetter dazu ist allerdings alles andere als einladend. Ich schließe mich ihnen an.

Die beiden Männer tragen Gummistiefel mit dicken Sohlen und schlagen diese kräftig in den Schnee, so daß ich ihnen mühelos das steile Schneefeld hinauf folgen kann. Dann aber haben auch sie Mühe, den richtigen Weg zu finden. Immer wieder schränkt der Nebel die Sicht ein. Und der Schnee, besonders aber die Lawinen des Winters, decken die Wegemarkierungen zu. Es geht hoch und runter und runter und hoch. Laufend muß Knieholz umgangen werden. Auf der bulgarischen Landkarte des Pirin wird das Knieholz als „Klek“ bezeichnet (клек – pinus mugo).

Das also ist nun „der Klek“ - ein undurchdringliches, zähes, hinderliches, dickes Geäst aus „Latschenkiefern“ oder „Krüppelkiefern“ - die aber keineswegs „verkrüppelt“ sind, die vielmehr (auf ihre Art) einen sehr gesunden Eindruck machen. Sie kriechen hauptsächlich am Boden entlang und bilden anmutige, grüne Büsche. Sie scheinen überall zu wachsen, wo sie nur wachsen können - so vielleicht wie anderswo das Unkraut wächst.

Ein wesentliches Problem dabei bildet aber auch der Untergrund, auf dem diese zähen Sträucher gedeihen: Blockfelder, auf denen schon ein Laufen ohne solche zusätzlichen Behinderungen zum Problem werden kann. Und zuweilen ist dann auch kaum noch ein Durchkommen, es sei denn mit gewaltigen Mühen und trotzdem nur im Schneckentempo.

Jetzt stelle ich fest, daß meine gute, selbstgenähte PVC-Hose und die Gamaschen aus dem gleichen Material überall geplatzt sind - nicht aber aufgerissen von den spießigen Ästen des „Klek“, sondern einfach wegen der Kälte. Dieser Kunststoff verträgt die tiefen Temperaturen nicht, er versprödet. Und jede etwas mehr beanspruchte Falte bricht einfach. Die beiden Angler sind viel besser gekleidet als ich. Sie haben dicke Lodenhosen an und eine Armeejacke darüber. Als Regenschutz tragen sie weite Regencapes oder einfach eine Plane aus weichem Plast, die oben zusammen gebunden wird. Das ist auch günstiger, denn naß wird man sowieso, weil man schwitzt. Und ich schwitze enorm, denn die Angler legen ein ziemliches Tempo vor. Diese beiden sind Männer, die mich an westliche Fernsehreklame erinnern, wo von irischer Frische und Männerfreiheit die Rede ist - sie schlittern die Schneefelder hinunter, als ständen sie auf Skiern. Einer brach dabei auch mal ein, drehte sich dabei und rutschte dann auf dem Rücken mit dem Kopf voraus weiter bergab. Jedesmal, wenn wir an einen Bergbach kamen, knieten sie an diesem und tauchten ihr Gesicht in das eisige Wasser.

Von oben immer wieder Regenschauer. Der Nebel scheint etwas lichter zu werden.

9:30 Uhr, ich habe mich von den Anglern getrennt, weil ich doch lieber den alten Weg suchen will und dazu nicht erst noch weiter ins Tal hinab zu den Seen absteigen möchte. Sie gehen weiter zum Popowo Esero. Ich will hinauf zur Dshengalska Porta. Meine Schuhe sind pitschnaß - so, als wäre ich mit ihnen durchs Wasser gewatet. Auch ansonsten scheint alles, was ich anhabe, durch und durch feucht zu sein. Durch die Wanderung mit diesen Hüttenleuten bin ich ziemlich außer Atem gekommen. Jetzt muß ich langsamer gehen. Aber ohne sie hätte ich auf dieser Strecke bis hierher weit mehr Probleme gehabt.

11 Uhr befinde ich mich kurz vor dem ersten Paß und habe leichte Schwindelgefühle - vermutlich Überanstrengung. Viel Traubenzucker habe ich gegessen in den letzten Tagen - eine etwas einseitige Ernährung. Traubenzucker soll man überhaupt nur unmittelbar während körperlicher Leistung essen, ansonsten mobilisiert er nur den Magen sowie sämtliche Verdauungsdrüsen - ohne daß es etwas zum Verdauen gäbe. Traubenzucker geht direkt ins Blut, sehr schnell, innerhalb von wenigen Minuten. Das habe ich später einmal von einem wandernden Arzt erfahren. Es ist ja auch plausibel. Ich glaube, beim Aufstieg an einem Hang ist dieser Zucker von Nutzen, ansonsten zur Ernährung sind Haferflocken, Knäckebrot, gewöhnlicher Zucker besser geeignet.

12 Uhr stehe ich wieder oben auf dem Paß „Dshengalska Porta“. Das Wetter ändert sich. Es wird heller. Jetzt taucht für Sekunden ab und an sogar schon mal die Sonne auf, und ich bin froh, daß ich schon so weit gewandert bin. Auf dem Grat fliegt wieder der blutrote Vogel (starengroß) hin und her.

Von der Uhr ist das Lederarmband gerissen. Ich muß sie jetzt in der Tasche mit mir herumtragen. Die Gamaschen waren übrigens auch eine Fehlanschaffung. Ich hatte sie so genäht, daß sie über die Schuhe zu ziehen und unter den Sohlen festzubinden sind. Aber der feuchte Schnee drückt sich beim Laufen von unten zwischen Gamaschen und Schuh nach oben und bleibt dort kleben. Die Hosen sind überall feucht, mehr vom Schweiß als vom Regen. Statt dieser komischen Hosen hätte ich mir zu Hause lieber so etwas wie eine Art Rock aus gummiertem Zeltbodenstoff nähen sollen und auch nur gegen den gröbsten Regen von oben.

15 Uhr bin ich am Fuße des Passes „Mosgowitschka Porta“ angekommen, und es scheint dies der Tag der Pleiten und Pannen geworden zu sein. Die Hosen und Gamaschen habe ich ausgezogen, fest gefaltet, zusammen gedrückt und tief unter einem Stein vergraben. Vielleicht komme ich in etlichen Jahren hier wieder einmal vorbei und kann sie ausbuddeln, um dann zu schauen, wie sich dieses Plastmaterial weiter zersetzt hat. Vermutlich aber werde ich diese Stelle gar nicht wiederfinden.

Gegen 13 Uhr war ich am...

Erscheint lt. Verlag 26.11.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Europa
Reisen Reiseführer Europa
Schlagworte Bergwanderungen • Bulgarien • Individualreisen • Pirin • Rila
ISBN-10 3-7693-3114-1 / 3769331141
ISBN-13 978-3-7693-3114-1 / 9783769331141
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