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Frühling in Saudi-Arabien (eBook)

Begegnungen in einem Land der Widersprüche | Von Dschidda bis Riad, al-Ula bis Medina: der außergewöhnliche Reisebericht einer alleinreisenden Frau und profunden Arabien-Kennerin

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
272 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60758-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Frühling in Saudi-Arabien -  Nadine Pungs
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Von Dammam bis Dschidda, von Riad bis ans Rote Meer: Ein unbekanntes Land öffnet sich. Jahrzehnte verschlossen, erlebt Saudi-Arabien gerade einen epochalen Wandel. Monatelang hat Nadine Pungs den Golfstaat allein bereist: Von der Hafenstadt Dschidda bis zur Hightech-Metropole Riad, von der antiken Schatzkammer al-Ula bis zur heiligen Stadt Medina lernt sie besonders die weibliche Seite des Landes kennen. Sie gewinnt exklusive Einblicke, die männlichen Reisenden in der Regel verwehrt bleiben. Nadine Pungs, die bereits alle Länder am Persisch-Arabischen Golf bereist hat, ist eine profunde Arabien-Kennerin. In Saudi-Arabien trifft sie eine feministische Koranlehrerin und eine lesbisch lebende Ingenieurin. Aber begegnet auch einem Prinzen oder einem kleinen Jungen, der aus dem benachbarten Jemen floh. Klarsichtig und anrührend erzählt Pungs Geschichten, wie sie in den Nachrichten nie vorkommen würden. »Hier ist eine Frau unterwegs, die nichts versteckt, auch nicht die Mühsal der Fremde, die Sprachlosigkeit, die Unruhe. Und die sie in einem Ton schildert, der swingt und uns daran erinnert, was dreißig stille Buchstaben vermögen.« Andreas Altmann

Nadine Pungs, 1981 im Rheinland geboren, studierte Germanistik und Geschichte. Als Kleinkünstlerin spielte sie am Theater und organisierte Comedyshows, heute arbeitet sie als freie Autorin. Auf der Suche nach Intensität und Schönheit zieht es sie immer wieder in die Welt, häufig in den Nahen Osten. Zuletzt bereiste sie monatelang Saudi-Arabien. Von ihren Begegnungen und Beobachtungen erzählt sie in Büchern und in Vorträgen. Bei Malik erschienen von ihr »Das verlorene Kopftuch. Wie der Iran mein Herz berührte« und »Meine Reise ins Übermorgenland. Allein unterwegs von Jordanien bis Oman«.

Nadine Pungs, 1981 im Rheinland geboren, studierte Literaturwissenschaft und Geschichte. Als Kleinkünstlerin spielte sie am Theater und organisierte Comedyshows, heute arbeitet sie als freie Autorin. Auf der Suche nach Intensität und Schönheit zieht es sie immer wieder in die Welt, häufig in den Nahen Osten. Zuletzt bereiste sie monatelang Saudi-Arabien. Von ihren Begegnungen und Beobachtungen erzählt sie in Büchern und in Vorträgen. Bei Malik erschienen von ihr »Das verlorene Kopftuch. Wie der Iran mein Herz berührte« und »Meine Reise ins Übermorgenland. Allein unterwegs von Jordanien bis Oman«.

*

Ihr gutes Benehmen gegenüber den Besuchern Ihres Landes spiegelt Ihren Respekt und Ihre gute Moral wider.

SMS des Innenministeriums an meine saudische Handynummer

*

Ich will weg aus Dammam. Meine Gruft deprimiert mich. Dammam deprimiert mich. Ich ziehe nach al-Khobar und funke Faisal an, den ich noch von meinem letzten Besuch kenne. Am Abend treffen wir uns an einer Straßenecke, er parkt im Halteverbot, steigt aus seinem SUV und umarmt mich herzlich, obwohl Körperkontakt in der Öffentlichkeit als unschicklich gilt.

Faisal ist dreißig, spricht gutes Englisch, arbeitet in einem Pharmazieunternehmen. Er trägt Jeans, Hemd, einen Lockenschopf und ein breites Grinsen im Gesicht. Als wir am King Fahd Causeway vorbeifahren, muss Faisal laut lachen. Letztes Wochenende, erzählt er, war er in Bahrain, um zu feiern. Nach einer durchzechten Klubnacht fuhr er über die Brücke zurück nach Saudi-Arabien. Für gewöhnlich werfen die saudischen Partypeople den übrig gebliebenen und in ihrer Heimat streng verbotenen Alkohol aus dem Fenster in den Golf, bevor sie den Checkpoint erreichen (eine künstliche Insel zwischen beiden Staaten), und so treiben auf der bahrainischen Seite Bierdosen, Wodka- und Whiskeypullen im Wasser umher. Faisal ist vorsichtig. Eigentlich. Doch dieses Mal hatte er eine halb volle Flasche Gin auf dem Rücksitz vergessen. »Komplett verschwitzt«, sagt er und schlägt sich die Hand an die Stirn. Der saudische Soldat öffnete die hintere Tür, schaute hinein ins Auto, schloss die Tür und wünschte gute Weiterfahrt. Erst zu Hause bemerkte Faisal den Alkohol auf der Rückbank und erschrak. »Der Soldat hatte wohl Mitleid mit mir, weil ich so dumm war«, sagt er lachend.

Wir fahren zu seinem Appartement, einer kleinen Zweizimmerwohnung am Stadtrand. Die Möbel sind von Ikea, an der Wand hängt die Skyline von New York. Faisals Mutter wünscht sich eine Ehefrau für ihn, alle paar Wochen erzählt sie ihm von irgendeiner Cousine, die passen könnte, oder von den Töchtern ihrer Freundinnen, allesamt hübsch und klug und heiratswillig. Doch Faisal mag seine Freiheit. »Ich fühle mich noch nicht bereit für eine eigene Familie«, sagt er und schenkt mir aus einer langschnäbeligen Kaffeekanne (Dalla) dampfenden Qahwa in eine kleine henkellose Tasse. Der Kaffee schimmert golden und schmeckt nach Kardamom und Nelken, jede Region kennt ihre eigenen Rezepte. Seit Kurzem wird das Getränk zusätzlich mit einer Prise Nationalismus gewürzt. Nicht mehr »arabischer Kaffee« soll er offiziell heißen, sondern »saudischer Kaffee«. So will es MbS. Faisal reicht zum saudischen Kaffee saudische Datteln und saudische Kekse.

Ich frage ihn, wie die Menschen die Öffnung des Landes mittlerweile finden. Vor drei Jahren vernahm ich noch skeptische Stimmen. »Nicht, dass alles wieder rückgängig gemacht wird«, hörte ich sie flüstern. Diese Sorge hat sich nicht bestätigt. Die Reformen sind gesetzlich verankert. »Die meisten Saudis finden die Öffnung gut, und dass Frauen jetzt mehr arbeiten dürfen, ist prima«, sagt Faisal. Gleichwohl bringen die Umwälzungen auch Unordnung in alte Strukturen. Zwar sind Frauen häufig besser ausgebildet, »aber manche Firmeninhaber stellen trotzdem lieber Männer ein, weil die den Job tatsächlich brauchen, um ihre Familie zu ernähren oder die Hochzeit zu bezahlen«, erklärt Faisal und behauptet sodann: »Frauen geben sich oft nicht so viel Mühe, denn der Mann zahlt ja trotzdem alles für sie.«

Ich mag Faisal. Er ist freimütig, liebenswürdig und gewitzt. Und doch ist er ein Mann in einem Männerland. Er musste nicht für Gleichberechtigung kämpfen, nicht um Anerkennung bitten, kennt das Gefühl der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nicht, hat keinen Vormund, der über ihn bestimmt. Sein Dasein ist leichter.

Ich erwidere, dass Berufstätigkeit für Frauen vielleicht mehr bedeuten könnte als Taschengeld, nämlich Unabhängigkeit.

Er überlegt und entgegnet: »Aber Frauen führen ein sehr gutes Leben in Saudi-Arabien.«

Es stimmt, dass die saudische Frau meist wie eine Prinzessin behandelt wird. Sie bekommt überall einen Sitzplatz angeboten, und Herren müssen weichen. Sie soll nicht angestarrt werden und braucht keine Rechnungen zu zahlen. Sie gilt als kostbares Kleinod, das der Behütung bedarf. Doch Protektion bedeutet am Ende Paternalismus. Und Schutz entpuppt sich schnell als Unfreiheit.

Faisal erzählt von einer Bekannten, die heimlich ins Ausland abhauen wollte, weil sie unglücklich war in dieser Gesellschaft, die Frauen trotz der momentanen Aufbruchstimmung immer noch unterbügelt. »Ich sagte ihr, dass sie doch alles habe. Ein großes Haus, einen reichen Ehemann, der gut zu ihr ist, Hausangestellte, die für sie kochen und die Kinder zur Schule bringen. Sie braucht nicht zu arbeiten, kann stattdessen Kaffee trinken. Ihr Leben ist mühelos. Warum soll man da weglaufen wollen?« Faisal zuckt mit den Schultern.

»Was hast du ihr geraten?«, frage ich.

»Dass sie ein paar Tage Urlaub machen soll.«

Ihre Bedrängnis versteht er nicht. Kann er nicht verstehen. Weil sich seine Lebenswirklichkeit von ihrer unterscheidet. Er trägt nicht die Ehre der Familie zwischen seinen Beinen und erbt nicht nur die Hälfte dessen, was Männer erben. Für Frauen ist es ebendarum fundamental wichtig, durch Arbeit in die Selbstwirksamkeit zu kommen. Souveränität zu erlangen. Nur so wird sich eine Gesellschaft nachhaltig verändern. Ich denke an die Bundesrepublik der 1970er-Jahre. Verheiratete Frauen durften damals laut Gesetz nur dann arbeiten gehen, wenn ihr Beruf »mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar« war. Heute nicht mehr vorstellbar.

Dass etliche Männer keinen Job finden oder aufgrund von Geldmangel keine Familie gründen können, ist dennoch ein großes Problem in Saudi-Arabien. Und deshalb hat die Regierung schon 2011 im Zuge der »Saudisierung« ein Quotenprogramm (Nitaqat) aufgelegt, um die Saudis in Lohn und Brot zu bringen. Ähnliche Vorgaben gibt es auch in Kuwait und Oman. Unternehmen sollen hauptsächlich Einheimische unter Vertrag nehmen und die Gastarbeiter allmählich ersetzen.

Fast siebzig Prozent der angestellten Saudis arbeiten im Staatsdienst oder im völlig aufgeblähten und schwerfälligen Verwaltungsapparat. Saudi-Arabien ist Bürokratieland. Im Privatsektor hingegen ist noch Luft nach oben. Saudische Arbeitnehmer gelten jedoch häufig als teuer sowie schlecht qualifiziert. Und schrecklich langsam. Vieles wird immer wieder auf morgen verschoben und dann trotzdem nie erledigt. Dieser Müßiggang führe zu Ineffizienz, meint auch Faisal. Die Notwendigkeit zur wirtschaftlichen Diversifizierung erzeugt überdies einen hohen Leistungsdruck. Zugleich fehlt es an Unternehmergeist und Eigenständigkeit. Das Schulwesen besteht überwiegend aus Auswendiglernen, da kritisches Denken nicht erwünscht ist. Dennoch sollen die Lehrpläne in den nächsten Jahren modernisiert werden, und namhafte nicht saudische Professoren bekommen hoch dotierte Stellen angeboten. Herausragende ausländische Forscherinnen und Forscher werden an saudische Universitäten berufen, so auch 2021 der Deutsche Jürgen Schmidbauer, einer der weltweit führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz.

Sechs Millionen zusätzliche Arbeitsplätze sind bis 2030 für saudische Staatsbürger geplant. Wer als Arbeitgeber besonders viele Saudis beschäftigt, kassiert Prämien, bei Nichterfüllung drohen Strafen. Deshalb stellen einige gewiefte Firmen Fata-Morgana-Arbeitnehmer ein. Oder anders gesagt: Quotensaudis. Die saudischen Lohnempfänger existieren also nur auf dem Papier. Sie erhalten einen Arbeitsvertrag und ein kleines monatliches Gehalt, arbeiten aber nicht oder sitzen alibimäßig in ihren gestärkten und gebügelten Thawbs ein paar Stunden untätig herum, zupfen ihre kunstvoll drapierten Shemaghs zurecht und scrollen durch ihr Smartphone. Die eigentliche Tätigkeit wird weiterhin von günstigen Gastarbeitern aus Indien oder Bangladesch übernommen, da eventuelle Strafzahlungen am Ende erschwinglicher sind, als einen Saudi voll zu beschäftigen.

»Wir müssen lernen, selbst zu erschaffen, statt bloß zu verbrauchen«, findet Faisal, »das braucht Zeit, aber wir sind auf dem richtigen Weg.« Er bietet mir erneut saudische Kekse an.

»Mögen die Leute MbS?«, frage ich.

...

Erscheint lt. Verlag 26.9.2024
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Naher Osten
Schlagworte Ägypten • Alkohol • alleinreisende Frau • al-Ula • Arabien • Arabisch • Arabische Halbinsel • Auswärtiges Amt • Buch • Bücher • Dammam • Dschidda • Emirate • Essen • Flagge • Formel 1 • Frauenrechte • Fußball • Geschenk • Hauptstadt • Huthi • Iran • Jemen • Karte • Kashoggi • Katar • König • Lawrence • Liga • Menschenrechte • Militär • Monarchie • Naher Osten • Öl • Orient • Prinz • Prinzessin • Reisebericht • Reiseführer • Reisewarnung • Riad • Ronaldo • Rotes Meer • salman • Sehenswürdigkeit • Starke Frau • sunnitisch • Tourismus • Visum • Währung • Wasserstoff • Wüste
ISBN-10 3-492-60758-6 / 3492607586
ISBN-13 978-3-492-60758-2 / 9783492607582
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