Rom (eBook)
336 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01814-3 (ISBN)
Golo Maurer, geboren 1971 in München, hat an der Ludwig-Maximilians-Universität München Kunstgeschichte, Klassische Archäologie, Alte, Mittlere und Neuere Geschichte studiert. 2014 habilitierte er sich im Fach Kunstgeschichte an der Uni Wien. Seit Oktober 2015 leitet Maurer die Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Kunstgeschichte, Bibliotheca Hertziana in Rom. Bei Rowohlt erschien 2021 «Heimreisen. Goethe, Italien und die Suche der Deutschen nach sich selbst» - «ein fulminantes Buch», urteilte «Die Zeit».
Golo Maurer, geboren 1971 in München, hat an der Ludwig-Maximilians-Universität München Kunstgeschichte, Klassische Archäologie, Alte, Mittlere und Neuere Geschichte studiert. 2014 habilitierte er sich im Fach Kunstgeschichte an der Uni Wien. Seit Oktober 2015 leitet Maurer die Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Kunstgeschichte, Bibliotheca Hertziana in Rom. Bei Rowohlt erschien 2021 «Heimreisen. Goethe, Italien und die Suche der Deutschen nach sich selbst» – «ein fulminantes Buch», urteilte «Die Zeit».
Umwege nach Rom. Eine Vorrede
Seinen Geburtsort kann man sich nicht aussuchen, den Lebensort manchmal schon. Zumindest wenn man wirklich will, etwas Glück hat und einen gewissen Preis zu zahlen bereit ist, nicht nur finanziell. Vielleicht haben Sie ja auch schon mal überlegt, wie das wäre, in Rom zu leben. Viele denken das, wenn sie kurz mal hier sind. Die meisten bleiben nicht, sondern fahren wieder heim, was ja auch vernünftig ist. Und fragen sich dann doch manchmal, an Winterabenden, wenn die Nachbarn die Rollläden herunterlassen: Wie wäre das wohl, in Rom zu leben? Darüber würde ich Ihnen gerne einiges erzählen.
Wer hier lebt, ist kein Tourist mehr und schaut sich in der Regel nichts von den Dingen an, die sich Touristen ansehen. Warum sollte man auch. Sie laufen ja nicht davon, das Kolosseum und Sankt Peter, und auch nicht die Bocca della Verità oder der Trevi-Brunnen. Sie sind immer da, sind immer da gewesen und werden es auch immer sein, so wie man selbst. Erwarten Sie also nicht, dass ich Sie aufs Forum führe, Ihnen Kluges zu Altargemälden sage oder Sie durch die Vatikanischen Museen schleife. Nichts davon. Vielleicht sehen wir einmal die Kuppel von Sankt Peter in der Ferne oder die Bögen des Kolosseums durchs Busfenster, wenn wir dorthin fahren, wo die Römer wohnen, wo sie einkaufen, einen Kaffee trinken, ihre Kinder großziehen, schlafen, streiten, essen gehen, kurz: wo sie leben.
Ein Rom ohne Kunst und Kultur also und ohne die tausendjährige Geschichte? Nein. Selbst wenn ich das wollte, es ginge nicht. Rom ist die Stadt der Kunst, aber nicht nur der Kunstwerke. Alles ist hier Kunst, wie auch auf jedem Zentimeter alles Geschichte ist. Kunst und Geschichte dringen überall durch, so wie das Gras durch die Ritzen im Pflaster, weil der Boden, der Untergrund, Kunst und Geschichte ist. Beides ist Teil des Lebens hier, wächst in dieses hinein, so dass man immer auch von Kunst, Kultur und Geschichte spricht, wenn man vom Leben in Rom erzählt. Nur eben nicht wie ein Reiseführer.
Rom ist auch die Stadt der Klischees und Gemeinplätze, vor allem für Deutsche. Davon will ich Sie verschonen, so gut es mir gelingt. Ich kenne kein Geheimes Rom, denn wenn ich es kennen würde, wäre es nicht geheim. Auch mit einem Fremden Land kann ich nicht dienen, denn ich bin es, der fremd ist in diesem Lande, nicht das Land. Und Goethe kommt so gut wie gar nicht vor. Dafür mein barbiere Marcello. Entwarnung also.
Wer sich entschieden hat, hier zu leben, mag kein Tourist mehr sein, er ist deshalb aber noch längst kein Römer, zumindest kein richtiger. Die richtigen Römer haben ein feines Gespür dafür, wer dazugehört und wer nicht. Ich selbst werde da zuverlässig aussortiert, mit Takt und großer Herzlichkeit, aber eben doch. Und das wird sich nicht ändern, da mache ich mir keine Illusionen. Ich bin der Fremde hier, der tedesco, und ich werde es bleiben, bis ich ins Gras beiße. Das hat freilich auch Vorteile. Man genießt Sonderrechte, eine gewisse Narrenfreiheit, ist sozial ungebundener, kann sich freier bewegen. Aber man zählt am Ende nicht. So viel zu dem erwähnten Preis, den man bezahlen muss. Pazienza – ein in seiner vollen Bedeutung unübersetzbares Wort, das alle hier ständig im Munde führen und das so viel sagen will wie: Egal, nicht so schlimm, nur Geduld, machen wir es halt anders – aber ohne jede Form von Bitternis. Es steht für ein lächelndes Sich-Fügen in die Dinge, wie sie eben sind. Ohne dieses Wort könnte man in Rom nicht leben. Es ist eine Art sprachliches Grundnahrungsmittel.
Dieses Dasein zwischen dem diplomatischen Status des Touristen und jenem des Römers erlaubt eine ganz eigene Perspektive auf Rom und die Römer, eine privilegierte und zugleich interessante Mischung aus Vertrautheit und Distanz. Man bekommt viel mit, ohne wirklich drinzustecken mit Haut und Haaren. Keine schlechte Voraussetzung für ein Buch über Rom.
Bekanntlich führen alle Wege nach Rom, aber die meisten davon sind Umwege, so wie der meine. Es bedurfte mehrerer Anläufe. Wie aber kommt nun einer wie ich dazu, in Rom leben zu wollen? Es ist der Beruf, könnte man sagen, in meinem Fall der des Kunsthistorikers. Aber ich hätte erstens auch etwas anderes werden oder, zweitens, anderswo mein Auskommen finden können. Kunsthistoriker werden bekanntlich überall gebraucht. Warum also ausgerechnet Rom? Natürlich gab es da ein Schlüsselerlebnis, und das ist die erste Geschichte, die ich Ihnen erzählen will. Sie beginnt in den letzten Jahren des letzten Jahrtausends, tief im Brunnen der Vergangenheit.
An irgendeinem Januartag dieser Jahre stand ich mit einem schweren Koffer, der damals noch keine Räder hatte, oberhalb der Spanischen Treppe, und Rom leuchtete um mich herum. Ich atmete durch. Vor mir, in der Wintersonne, die Kirche Trinità dei Monti, hinter mir trübe Monate eines missglückten Erasmus-Stipendiums in Florenz.
Florenz war damals der falsche Ort zur falschen Zeit. Ich fühlte mich elend dort, es war kalt, eng und grau. Und so lief ich im Regen durch die tristen Straßen und dachte an Rom, wo ich einige Jahre zuvor, noch als Teenager, schon einmal gewesen war. Vor allem erinnerte ich mich an Farben: das Orangerot der Ziegel, das ins Oliv gehende Ocker des Tuffsteins, das buttrige Weiß des Travertin, das schwärzliche Grün von Pinie und Zypresse und, all diese Farben der Erde mächtig überspannend, das Blau des Himmels, der am Abend rosa, orange und violett werden konnte und nachts pflaumenschwarzblau. Dahin! Ich entschied, fast von einer Minute auf die andere, in Florenz alles liegen und stehen zu lassen, und kaufte einen Fahrschein nach Rom, solo andata, ohne Rückfahrt. Von der Uni habe ich mich gar nicht erst abgemeldet. Wahrscheinlich bin ich dort immer noch eingeschrieben, im bald sechzigsten Semester.
Nun stand ich also hier in Rom. Schräg gegenüber, zwischen Via Sistina und Via Gregoriana wie ein Tortenstück sich zuspitzend, lag ein kleiner, hexenhausartiger Barockpalast, Sitz der hochberühmten Bibliotheca Hertziana. Dort gedachte ich, meine Magisterarbeit in Kunstgeschichte vorzubereiten, als Ersatz für das sang- und klanglos abgebrochene Erasmusjahr. Irgendwo in der Nähe, so meine Idee, wollte ich auch unterkommen. Mein Blick fiel auf einen riesigen Gebäuderiegel neben Trinità dei Monti, der in seiner ganzen Länge auf Rom blickte, leuchtend im Glanz des Nachmittags. Hundert Fenster sahen hinab auf die Kuppeln und Häuser. Wo so viel Platz ist, dachte ich, da wird auch Platz für mich sein.
Ich stieg den schmalen Treppenlauf zum Eingang hinauf und läutete. Eine Asiatin in Ordensgewand öffnete, es schien dies ein Kloster zu sein, was in Rom ja vorkommen kann. Sie sprach mich auf Italienisch an, das ich in den Monaten der Florentiner Studien nur sehr unvollkommen erlernt hatte. Die Nonne bemerkte meine Not, hieß mich ihr folgen und führte mich an einen hölzernen Verschlag, eine Art Conciergerie, hinter deren hübsch geputzten Scheiben eine andere, offenbar höhergestellte Nonne saß, die mich förmlich anblickte und buongiorno sagte, oder besser: buongiornó, denn sie war Französin. Ich atmete auf, Französisch konnte ich aus meiner Pariser Zeit. Also stellte ich mich vor, erklärte meine Lage und mein Anliegen, und zwar in der artigsten Weise, die mir in der Sprache Voltaires zu Gebote stand.
Die Augen der Schwester wurden strenger und ihr Mund schmaler. Meine Rettung war, dass aus dem Dämmer des Verschlags ein adrettes jüngeres Fräulein in Zivil hinzutrat, die, wie sich herausstellte, aus Dijon kam und in der Bibliotheca Hertziana an ihrer Dissertation arbeitete, eine Kollegin gewissermaßen. Meine Geschichte und ich selbst gewannen an Glaubwürdigkeit, Listen wurden studiert und schließlich eine Unterkunft gefunden, la chambre No. 3. Ich hatte ein Zimmer in Rom, ja sogar eine chambre.
Diese war nichts anderes als ein hölzerner Verschlag, nämlich das durch eine Verriere abgetrennte Ende des hohen, gewölbten Korridors. Ein schmales Bett passte der Länge nach so hinein, dass noch Platz für einen cremeweiß lackierten Waschtisch blieb, wie sie in Internaten der Vorkriegszeit üblich gewesen sein mögen. Das herausragende Merkmal dieser chambre aber war ein riesiges Fenster, das ehemalige Korridorfenster nämlich, das die gesamte Wand ausfüllte und auf den rückwärtigen Klostergarten blickte. So passten ich selbst und mein Koffer gerade hinein in dieses so herrlich zur Welt sich öffnende Hieronymus-Gehäuse, die bescheidenste und zugleich fürstlichste aller Behausungen, halb Heiligen-Klause, halb Taugenichts-Romantik, eine Enklave in der Enklave, denn schon das Kloster der Sacré-Cœur-Schwestern – denn das war der Orden – erschien, kaum war das Tor der hohen Gartenmauer durchschritten, als ein der Welt zauberhaft abhandengekommener Ort.
Das Gästehaus stand hoch oben auf dem Rücken des Monte Pincio, von der Stadt getrennt durch den abfallenden, sehr weitläufigen, mit Zypressen, Pinien und Lorbeer bestandenen, in gepflegter Verwahrlosung liegenden Garten. Es gab Hecken, Gebüsche und Beete, wo im Schatten modriger Tuffsteine der wilde Akanthus blühte. Der Hang war durchzogen von Wegen und Treppen, Absätzen und bröckelnden Mäuerchen, dazwischen offen gelassene Gewächshäuser, aus deren zerbrochenen Scheiben die Brennnessel quoll. Hinter dem Haus setzte sich der Garten als feldartige Wiese fort, die sich bis zur uralten Mauer der Villa Medici erstreckte, in deren Fugen die Kapern wuchsen. Am andern Ende die Villa Malta des Königs Ludwig von Bayern, deren...
Erscheint lt. Verlag | 12.3.2024 |
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Zusatzinfo | Zahlr. s/w Abb. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Europa |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Schlagworte | Altes Rom • Benito Mussolini • Bücher Neuerscheinungen 2024 • Die Ewige Stadt • Italien • Italienische Küche • Italienische Mode • italienische Politik • italienischer Lifestyle • Klientelismus • Kolloseum • La dolce vita • Länderporträt • Leben in Rom • Lebenskunst • literarischer Reisebericht • Papst • Pasta • Petersdom • Pizza • Reisebericht Rom • Rom • Rom Geschichte • römische Antike • Sachbuch Rom • Stadt der sieben Hügel • Städteporträt |
ISBN-10 | 3-644-01814-6 / 3644018146 |
ISBN-13 | 978-3-644-01814-3 / 9783644018143 |
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Größe: 23,1 MB
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