Mit dem Kanu durch Kanada (eBook)
184 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60576-2 (ISBN)
Dieter Kreutzkamp, Jahrgang 1946, ist als Abenteurer, Autor und Fotograf eine feste Größe in der Globetrotter-Szene. Seit den Siebzigerjahren hat er unzählige Reisen in alle Welt unternommen, vor allem nach Kanada und Alaska. Über seine Reiseerfahrungen schrieb der fundierte Kenner vieler Länder bereits zahlreiche Erfolgstitel. Bei MALIK NATIONAL GEOGRAPHIC erschienen zuletzt »Auf dem Dach Afrikas« und »Mitternachtssonne über Alaska«.
Dieter Kreutzkamp, Jahrgang 1946, ist als Abenteurer, Autor und Fotograf eine feste Größe in der Globetrotter-Szene. Seit den Siebzigerjahren hat er unzählige Reisen in alle Welt unternommen, vor allem nach Kanada und Alaska. Über seine Reiseerfahrungen schrieb der fundierte Kenner vieler Länder bereits zahlreiche Erfolgstitel. Bei MALIK NATIONAL GEOGRAPHIC erschienen zuletzt »Auf dem Dach Afrikas« und »Mitternachtssonne über Alaska«.
Auf den Spuren der Pelzhändler
Irgendwas raschelt im Gras. Vielleicht eine Maus. Dicht über dem Boden brechen sich Sonnenstrahlen in Tautropfen, die, von feinen Spinnennetzen gehalten, noch den späten Vormittag erlebt haben. Der Himmel ist blau, ohne Dunst, der die Farbe des Himmels in maritimen Gegenden verwässert.
Als ich mich mit dem Boot auf dem Rücken erhebe, bin ich nicht allein. Gut fünfzig Moskitos haben sich im Windschatten des Bootsrumpfes eingefunden. Saugend, piksend, juckend. Vermutlich hat es sich herumgesprochen, daß deutsches Blut auf dem Weg zum Clearwater ist. Mal was anderes als Hausmannskost und buschkanadisches Einerlei. Sie fliegen eine Attacke nach der anderen.
»Take off, you sucker!« Ich habe mir vorgenommen, mich nicht aufzuregen. Dickfellig will ich sein, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber schaff das mal, wenn zehn Stechmücken dir gleichzeitig auf der Wange sitzen!
Der Portagen-Pfad ist anfangs noch gut erkennbar. Wie die Voyageurs bewegen wir uns im leichten Laufschritt. Schwere Lasten lassen sich in diesem Bewegungsrhythmus besser tragen. Immer wieder raschelt’s in den Bäumen. Braune, pelzige Eichhörnchen, die wir im Mittagsnickerchen gestört haben, giften uns mit hektischem »Tschick! Tschick!« an.
Dreißig Minuten schaffe ich es, das Boot ohne Absetzen zu tragen. Zum Schluß zähle ich die Schritte. Habe ich mein Pensum erreicht, gestatte ich mir, das Kanu abzusetzen. Nur nicht schlappmachen! Nicht schon am Anfang des Trips. Ich bin keiner, der auf Teufel komm raus Durchhalteparolen ausgibt, aber sportlich soll’s schon sein. Seit Jahren habe ich Dauerläufe trainiert. Irgendwann hatte ich auch den Jagdschein gemacht. »Für Kanada, wenn du in der Wildnis schießen mußt, um zu überleben.« Jetzt haben wir nicht einmal eine Flinte zur Entenjagd dabei. Wir hatten uns die Sache mit dem Gewehr reiflich überlegt. Letztlich ließen wir es zu Hause. Ich jage lieber mit der Kamera. Darüber, ob der Entschluß, keine Waffe mitzuführen, richtig war, würden wir noch Gelegenheit zum Nachdenken haben.
Die Abstände zwischen dem Absetzen des Bootes erscheinen mir immer länger. Meine Fußgelenke schmerzen, von den Schultern ganz zu schweigen. Hatten die alten Voyageurs in solchen Fällen nicht immer ein Lied parat? »Juliana, ein Lied, zwo, drei!« Und so schmettert’s durch den kanadischen Busch, gut 10000 Kilometer von der Heimat entfernt: »Dort drunt im schönen Ungarland.« Bei »Wir lagen vor Madagaskar« versacke ich mit meinen Turnschuhen im morastigen Boden. Die restlichen 15 Kilometer bis zum Clearwater River laufe ich barfuß.
Wir rasten im Schatten von Birken, die wie weiße Wattetupfer zwischen den Fichten wirken. Als ich mir das Kanu wieder auf den Rücken stemme, habe ich das Gefühl, eine Zentnerlast zu schleppen. Beiß die Zähne zusammen, old fellow!
Nach dem Rendezvous Lake wird der Trail eng und unübersichtlich. Baumstämme liegen quer. Ich versuche Lücken im Gehölz für das fünf Meter lange Kanu zu finden, verheddere mich aber oft in den Ästen. Ein paarmal muß ich mir mit der Machete eine Bresche schlagen. So vergehen die Stunden.
Plötzlich, vielleicht zwanzig Meter vor uns, ein dunkler Schatten hinter den Zweigen. Ein Bär? Das sind Momente, da jagen dir die Gedanken durch den Kopf. Warum hast du die Knarre nicht doch mitgenommen? Der »Bär« bückt sich, brummt etwas vor sich hin, das nach »Hudson’s Bay Company« klingt. Ich atme tief durch. Ein Mann fummelt mit einem Metallsuchgerät am Boden herum. Er ist ebenso verblüfft wie wir.
»Stan aus Süd-Alberta«, stellt er sich vor. Er sei auf der Suche nach Hinterlassenschaften der Pelzhändler.
Die restlichen der kleinen Gruppe, die sich mit einem Wasserflugzeug zum Rendezvous Lake hatten einfliegen lassen, sehen uns zunächst entgeistert an. Ich lege das Boot ab, wische mir den Schweiß aus dem Gesicht, reibe dabei einige Moskitos zu Brei, was bei den anderen Lachsalven hervorruft.
Leslie Sherwood, der Kopf des Quartetts, stammt aus Islay im Süden. Als er hört, daß wir Boot und Ausrüstung den ganzen Trail entlang schleppen und dann bis zum Eismeer paddeln wollen, ist er begeistert. »Nach dem Kanutrip müßt ihr guys unbedingt bei mir vorbeikommen. Ein Bett und ein warmes Essen habe ich für euch immer bereit.«
Wie wir marschieren die vier zielstrebig den Fährten der Pelzhändler entlang. Ihr Camp haben sie am Rendezvous Lake, dort, wo wir das Zelt vom Helikopter aus gesehen haben. Eine Woche lang suchen sie die Methye Portage Meter für Meter mit Suchgeräten ab, bei denen ein Piepton den Metallfund signalisiert. Stan greift in einen Lederbeutel und drückt mir Bleikugeln von alten Musketen in die Hand. Ob die wohl jemals abgefeuert wurden? Und wenn ja, auf wen?
Als Leslie einen länglichen Gegenstand aus der Hosentasche zieht, funkeln seine Augen. Zwischen dem Dreck von Jahrhunderten und eingefressenem Rost lese ich im Griff des Dolches: Her Majesty’s Company of Adventurers, die Abenteurer Ihrer Majestät. Ein echtes Stück der Hudson’s Bay Company!
»Die Funde sind für unser kleines Regionalmuseum in Dewberry bestimmt«, erklärt er. Hunderte kleiner und großer Teile haben die vier Schatzsucher so schon zusammengetragen.
Nicht nur hier, auch zu Hause betätigen sie sich als Freizeithistoriker. »Wenn du als Getreidefarmer täglich mit dem Traktor deine Furchen ziehst, schaust du auf den Boden. Zwangsläufig. Und da liegen die Schätze. Du brauchst dich nur zu bücken. Steinäxte von Indianern, Pfeilspitzen, manche tausend Jahre alt. Gelegentlich auch das Horn eines Bisons, der schon vor über hundert Jahren starb.«
Leslie schwärmt von seinem Land im Süden: »Wo heute Weizenfelder sind, so groß, daß du halb Europa von Hamburg bis Sizilien reinpacken könntest, waren zur Zeit meines Urgroßvaters Prärien mit Millionen wilder Bisons und jagender Indianer. Dann eines Tages kamen die Eisenbahnen, Siedler und Männer wie Buffalo Bill, die mit ihren schnellfeuernden Büchsen die Bisons abknallten und das Land veränderten.« Leslie sieht ernst vor sich ins Gras. »Für alle Zeiten … Anyhow, wo die Wigwams der Cree oder Schwarzfußindianer standen, sind jetzt meine Fundstätten.«
Ich bin begeistert. Wir versprechen ihm, auf dem Rückweg, irgendwann im Herbst, bei ihm vorbeizuschauen.
»Eine gute Zeit, denn dann sind die Felder abgeerntet, und der Wind trägt die trockene Ackerkrume als schwarzen Staub über die Prärien. Pfeilspitzen, Dolche und Keile werden dabei freigelegt, so daß du dich nur zu bücken brauchst. You are welcome.«
Der Himmel bewölkt sich. Wir müssen uns beeilen, wenn wir unser verstecktes Gepäck am Ufer des Flusses vor dem Regen erreichen wollen. Ich wär’ gern noch bei den Schatzsuchern geblieben.
Juliana drängt zum Aufbruch. »Denk an unsere Lebensmittel am Clearwater!«
Händeschütteln. »Bis zum Herbst dann …«
Ein schwarzweißer, zottiger Hund aus dem Geologencamp, der uns schon am Beginn aufgefallen war, läuft noch immer hinter uns her. Rasten wir, hält auch er an. »Meine Fußsohlen brennen wie Feuer, von den Schultern ganz zu schweigen«, werde ich abends im Tagebuch notieren.
Am späten Nachmittag erreichen wir die Stelle, die auf meiner topographischen Karte als »Mackenzie’s Viewpoint« eingezeichnet ist. Mein Blick streicht über das Athabasca-Land zu meinen Füßen. Was Peter Pond 1778 bei diesem Blick empfand, ist nicht überliefert. Ob er seine Eindrücke jemals in Tagebücher notiert hat, ist zweifelhaft. Er war nicht der Typ, der momentane Empfindungen konservierte. Stimmungsmalereien sollten späteren Abenteurern vorbehalten bleiben, Pelzhändlern, Soldaten und uns …
Die Sonne steht hoch über dem Land, als wir den Aussichtspunkt erreichen. Von hier bis zum Nordpol gibt’s in direkter Linie keine Siedlung mehr, keine Industrieanlage, die schmutzige Wolken in den Himmel bläst, keine Fabrik, aus der heimlich giftige Abwasser in die Natur kriechen. Ich atme tief durch. Nur der Clearwater River schlängelt sich durch die Unendlichkeit vor uns, hier und da mit weißen Tupfern im Blau des Wassers. Stromschnellen. Selten habe ich in meinem Leben ein harmonischeres Bild gesehen. Vielleicht ist es auch nur die Aussicht auf das Ende der Schinderei über den Methye Trail,...
Erscheint lt. Verlag | 28.9.2023 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Nord- / Mittelamerika |
Schlagworte | Abenteuer • aussteigen • Kanada • Kanadagänse • Kanu • Pelzjäger • Reise • Trapper • VW-Bus |
ISBN-10 | 3-492-60576-1 / 3492605761 |
ISBN-13 | 978-3-492-60576-2 / 9783492605762 |
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Größe: 49,2 MB
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