Statt Land Insel (eBook)
256 Seiten
Knesebeck Verlag
978-3-95728-796-0 (ISBN)
Silvia und Guido Weihermüller realisierten mit ihrer Filmfirma für das Kino und das Fernsehen bereits zahlreiche dokumentarische Filmprojekte, die sich insbesondere sportlichen Themen widmen, darunter u.a. Ludwig/Walkenhorst - Der Weg zu Gold, Sxulls, Vierzehneinhalb Kollisionen, Die Norm und Die Wellenbrecherinnen. Vor drei Jahren zogen sie von Hamburg auf die dänische Ostseeinsel Ærø, wo sie nach ökologischen Prinzipien einen Bauernhof bewirtschaften und insbesondere Wein anbauen.
Silvia und Guido Weihermüller realisierten mit ihrer Filmfirma für das Kino und das Fernsehen bereits zahlreiche dokumentarische Filmprojekte, die sich insbesondere sportlichen Themen widmen, darunter u.a. Ludwig/Walkenhorst - Der Weg zu Gold, Sxulls, Vierzehneinhalb Kollisionen, Die Norm und Die Wellenbrecherinnen. Vor drei Jahren zogen sie von Hamburg auf die dänische Ostseeinsel Ærø, wo sie nach ökologischen Prinzipien einen Bauernhof bewirtschaften und insbesondere Wein anbauen.
SOMMER 2020
Ærø
Ein heißer Sommertag mit strahlend blauem Himmel. Fast lautlos teilt der Bug der Elektrofähre Ellen das spiegelglatte Wasser der Ostsee. Silvia und ich stehen auf dem Aussichtsdeck, genießen die Ruhe und den milden Fahrtwind. Ohne stampfenden Schiffsdiesel fühlt es sich auf der E-Fähre irgendwie unwirklich an. Beinahe wie eine Zeitreise. Als schwebe man über das Meer. Unsere Blicke sind auf einen Punkt am Horizont gerichtet. Es ist der Leuchtturm von Ærø, einer kleinen dänischen Ostseeinsel mit nur knapp 6000 Bewohnern. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Ærø wird schon in wenigen Wochen unser neues Zuhause sein. Wir werden unser Haus in Hamburg verkaufen, eine berufliche Vollbremsung hinlegen, das Büro unserer Filmproduktion auflösen und viele geschäftliche und private Verbindungen kappen. Wir steigen aus. Oder wie wir sagen: Wir haben ein neues Projekt. Und wir haben absolut keine Ahnung, worauf wir uns einlassen.
Während der Punkt am Horizont langsam Konturen annimmt, frage ich mich, was wir eigentlich gerade machen. Es fühlt sich mehr wie ein Kurzurlaub am Meer an. Auf jeden Fall nicht so, als stellten wir gerade die Weichen für unsere Zukunft. Erst vor ein paar Tagen hat Silvia mir den Link zu einer Immobilienanzeige gemailt. Ein Biohof auf einer dänischen Insel, deren Namen ich noch nie gehört hatte.
Wie meistens lag die Organisation komplett in Silvias Händen. Sie war es auch, die den Termin mit der Immobilienmaklerin vereinbart hat. Mit ihr wollen wir uns in den nächsten zwei Tagen mehrere, sehr unterschiedliche Immobilien ansehen. Vom Haus am Meer bis zum Bauernhof. Wobei ich bereits einen klaren Favoriten habe: ein Haus direkt am Jachthafen von Ærøskøbing, dem bekanntesten Ort der Insel. Morgens im Bademantel zum Schwimmen gehen, den kleinen Rosengarten pflegen und den Rest des Tages auf der Terrasse entspannen und aufs Meer schauen. Eine verlockende Vorstellung für mich.
Die Fähre hat den Leuchtturm erreicht, macht eine kleine Kurve und fährt dann parallel zur Insel weiter. Ich schaue über die Reling und erkenne einen Golfplatz, Bauernhäuser, Felder und Wiesen. Die Küste ist flach und gespickt mit vielen kleinen Sandstränden. Das Wasser ist tiefblau. Menschen sehe ich keine.
Unsere Freunde halten uns für mutig, da wir oft große Wagnisse eingehen. Das haben wir mit unseren Filmprojekten über viele Jahre bewiesen. Wir lieben, was wir tun, haben uns Durchhaltevermögen antrainiert und gelernt, mit schmerzvollen Rückschlägen umzugehen. Wir fühlen uns immer noch jung genug für neue Herausforderungen, und wir haben keine Angst zu scheitern, denn auch das haben wir schon erlebt und überlebt.
Ellen hat den Hafen erreicht und verringert das Tempo. Langsam öffnet sich der Bug. Wie ein Theatervorhang, hinter dem der Blick auf das Bühnenbild des ersten Aktes unseres Abenteuers fällt. Doch statt einer imposanten Fanfare dröhnt nur eine blecherne dänische Lautsprecherdurchsage über das Autodeck. Ich verstehe kein Wort.
Vor uns liegt der kleine Ort Søby. Links die Marina mit vielen Segeljachten und Motorbooten, rechts eine Werft mit dem Industriecharme des vergangenen Jahrhunderts. Wir fahren mit unserem Bulli von der Fähre und entdecken Iris, die Maklerin, auf dem gegenüberliegenden Parkplatz. Sie steht neben einem roten Camper und wirkt sehr freundlich. Die grauen Haare hat sie zum Zopf gebunden. Nach einer kurzen Begrüßung fragt sie, ob wir gleich den Biohof sehen wollen oder erst eines der anderen Objekte. Für Silvia ist klar: zuerst den Biohof. Die Fahrt dauert nicht lange, und doch sind wir sofort in einer anderen Welt. Die Straße führt uns einen Hügel hinauf durch den Ort. Wir entdecken Finns Baggeri (eine Bäckerei), einen Geldautomaten, einen Minigolfplatz und einen Loppe Market, so etwas wie ein Flohmarkt. Viele kleine, alte Häuser. Manche schick renoviert, die meisten jedoch nicht. Nach einem Möbelgeschäft lassen wir Søby hinter uns, und der Blick über die Insel öffnet sich zum ersten Mal. Wir sehen nur noch Grün. Und das Meer. Ich muss tief durchatmen, so schön ist es hier.
Schon nach einem Kilometer sind wir an der ersten Station unserer Besichtigungstour angekommen. Es ist kaum zu glauben: Der Hof, der Garten, alles sieht genauso aus wie auf den Fotos – nur noch viel schöner. Iris stellt uns die Besitzer Johannes und Dorit vor, die etwas zurückhaltend auf uns reagieren. In Dänemark ist es üblich, dass die Hausbesitzer dem Makler die Arbeit mit den Kaufinteressenten überlassen. Und so führt uns Iris durch das Haus und über das Grundstück.
Liebe auf den ersten Blick
Es ist alles so grün. Es ist alles so schön. Verwildert. Voller Blumen. Es duftet nach so vielem. Ich bin sofort verbunden mit diesem Ort. Es ist, als hätte das Haus auf uns gewartet. Im Inneren ist es hell und freundlich.
Das Grundstück ist riesig. Iris, die Maklerin, führt uns herum. Johannes und Dorit, die Besitzer, treffen wir im Gemüsegarten, in dem gerade rote und gelbe Himbeeren geerntet werden wollen. Gelbe Himbeeren kannte ich bisher nicht. Sie sind wahnsinnig süß und lecker. Überall wachsen Kräuter, Gewürze und Gemüse. Dorit nennt Namen, von denen ich noch nie gehört habe. Mir dreht sich der Kopf und ich frage mich, ob ich das alles lernen kann. Ich bin beeindruckt von Johannes’ und Dorits Geschichte, von ihrem Schaffen hier an diesem Ort in den vergangenen zehn Jahren. Und sie machen mir Mut, dass auch wir es schaffen können.
Vom Boden, vom Strauch direkt in den Mund. Wann habe ich das zum letzten Mal gemacht? Ich probiere wilden Fenchel und denke: Wozu braucht man Kaugummi? Ich esse Radieschen und stelle fest, dass sie viel schärfer sind als die aus dem Supermarkt. Alles schmeckt unglaublich intensiv.
Dann die Blumenwiese: alles voller Insekten. Nie habe ich so viele Schmetterlinge auf einmal gesehen. Die Felder, auf denen zwei Pferde grasen, Findus und Florina. Der magische Elfenwald, die Teiche und das ans Grundstück angrenzende Naturschutzgebiet mit dem Vitsø. Es riecht nach Erde, nach Sommer, nach Glück. Eine große Stille herrscht an diesem Ort. Wir hören nur das Summen der Bienen und das Zwitschern der Vögel.
An einem besonders schönen Platz auf einem der Felder steht ein Tisch mit Blick auf den Vitsø. Dort setzen wir uns gemeinsam mit der Maklerin hin und sprechen über unsere ersten Eindrücke. Ich bin hin und weg von diesem Ort und kann mich kaum bändigen. Für mich ist es Liebe auf den ersten Blick. Als Kind habe ich zusammen mit meiner Mutter oft Rosamunde-Pilcher-Filme geschaut – ich weiß, dass sie sich genau so einen Ort immer gewünscht hat. Ich kann und will meine Begeisterung vor Iris nicht verheimlichen. Guido geht da viel taktischer vor. Aber vielleicht ist er auch einfach noch nicht so weit.
Bestandsaufnahme
Das Grundstück des Biohofs ist riesig. Sechseinhalb Hektar Land gehören dazu – wenn wir wollen. Wir könnten den Hof auch »nur« mit dem Hausgrundstück erwerben, das wären dann 2000 Quadratmeter, immer noch viel mehr als bei unserem alten Haus. Ich weiß nicht einmal, wie groß ein Hektar überhaupt ist, und recherchiere es schnell auf dem Handy. Insgesamt 65 000 Quadratmeter, so viel wie acht Fußballfelder. Was soll man damit nur anfangen?
Der Zustand des Hauses ist überraschend gut. Die Besitzer haben den Hof von Grund auf saniert und dabei auch zwei Ferienwohnungen und ein Yogastudio eingerichtet. Wärmepumpe, Kaminöfen, Fußbodenheizung, Fenster und Türen, alles ist in Ordnung. Vom Wohnzimmer aus hat man einen wunderschönen Blick auf den Vitsø und das dahinter liegende Meer. Natürlich fühlt es sich in diesem bewohnten Haus fremd an, aber es hat eine gute Atmosphäre. Dorit ist nicht nur Yogalehrerin, sie ist auch etwas »esoterisch« unterwegs, überall liegen spirituelle Gegenstände herum. Sie erzählt uns, sie habe alle bösen Geister aus dem alten Gemäuer vertrieben. Okay, kann ja nicht schaden, denke ich.
Johannes dagegen ist eher ein Pragmatiker. Er beantwortet unsere Fragen konkret und auf den Punkt. Das Krasseste ist der Preis. Er beträgt nur einen Bruchteil von dem, was so ein Objekt an der deutschen Ostseeküste kosten würde. Ich suche nach dem Haken, aber es scheint einfach keinen zu geben. Natürlich ist alles viel zu groß, und das Haus liegt auch nicht direkt am Wasser. Außerdem sieht es nach super viel Arbeit aus. Das ist definitiv nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Aber es gibt ja noch ein paar andere Immobilien, die wir uns ansehen wollen.
Locationtour
Nach einer guten Stunde brechen wir auf zur zweiten Immobilie. Wir fahren auf der Hauptstraße durch kleine gepflegte Dörfer mit lustig klingenden Namen: Leby, Bregninge, Vindeballe und Tranderup. Links ist die Ostsee – und rechts auch. Ich frage Silvia, ob sie sich wirklich vorstellen kann, auf einer Insel zu leben. Sie antwortet: »Lieber von Wasser umgeben als von Idioten.« Wir lachen, und die Sonne lacht mit.
Wir biegen nach Ærøskøbing ab und fahren hinunter zum Jachthafen. Ein cooles Haus. Schick und dezent dänisch...
Erscheint lt. Verlag | 13.7.2023 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Europa |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Schlagworte | AErö • Auswanderer-Story • Auswandern • auswandern buch • Auswanderung • Auswanderung Bericht • Auswanderung Buch • Biohof • Dänemark • Dänisch • Dänische Südsee • hygge • Inselleben • Leben auf dem Biohof • Leben auf der Insel • Leben in Dänemark • Neuanfang • Neubeginn • Neue Heimat • Neues Leben • Nordische Länder • Ostsee • Ostseeinsel • Reisebericht • Reiseerzählung • Reisestory • Reportage • Selbstversorger • Selbstversorgung • Skandinavien • Veränderung |
ISBN-10 | 3-95728-796-0 / 3957287960 |
ISBN-13 | 978-3-95728-796-0 / 9783957287960 |
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