Along the Road (eBook)
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01813-6 (ISBN)
Aldous Huxley, geboren 1894 im englischen Godalming/Surrey, arbeitete nach dem Studium als Journalist und Kunstkritiker und machte sich als scharfzüngiger Satiriker einen Namen. Huxley war ein begeisterter Reisender und verbrachte in den 1920ern längere Aufenthalte in Italien. Nach seinem Welterfolg «Schöne neue Welt» zog er 1937 nach Kalifornien, wo er unter anderem Drehbücher schrieb. Er starb 1963 in Hollywood. Mit seinem vielfältigen Werk zählt Aldous Huxley zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts.
Aldous Huxley, geboren 1894 im englischen Godalming/Surrey, arbeitete nach dem Studium als Journalist und Kunstkritiker und machte sich als scharfzüngiger Satiriker einen Namen. Huxley war ein begeisterter Reisender und verbrachte in den 1920ern längere Aufenthalte in Italien. Nach seinem Welterfolg «Schöne neue Welt» zog er 1937 nach Kalifornien, wo er unter anderem Drehbücher schrieb. Er starb 1963 in Hollywood. Mit seinem vielfältigen Werk zählt Aldous Huxley zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Willi Winkler, geboren 1957, war Redakteur der «Zeit», Kulturchef beim «Spiegel» und schreibt seit vielen Jahren für die «Süddeutsche Zeitung». Er ist Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen «Luther. Ein deutscher Rebell», «Das braune Netz» und «Herbstlicht. Eine Wanderung nach Italien». Über sein Reisebuch «Deutschland, eine Winterreise» sagte Sonia Mikich: «Solch unverbrauchte Gedanken in schöner Sprachmacht sind selten geworden.» Willi Winkler wurde mehrfach für sein Schreiben ausgezeichnet, unter anderem mit dem Ben-Witter-Preis, dem Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus und dem Michael-Althen-Preis.
Teil I Grundsätzliches zum Reisen
Warum nicht lieber zu Hause bleiben?
Die einen sind beruflich unterwegs, die anderen treibt die Sorge um ihre Gesundheit, doch sind es weder die Kranken noch die Geschäftsleute, die die Grandhotels und die Taschen ihrer Besitzer füllen, sondern jene, die, wie es so schön heißt, zum Vergnügen reisen. Das, wonach Epikur, der nur unterwegs war, wenn er verbannt wurde, in seinem Garten suchte, wollen unsere Touristen im Ausland finden. Finden sie denn ihr Glück? Wer die Orte besucht, an denen sie weilen, wird merken, dass ihm diese Frage mit einer gewissen Dringlichkeit gestellt wird. Die Antwort wird eher Nein sein, denn Touristen sind im Allgemeinen ein recht trübseliger Haufen. Ich habe schon bei Beerdigungen fröhlichere Gesichter gesehen als auf dem Markusplatz. Nur wenn sie sich verbrüdern, wenn sie eine flüchtige Stunde lang so tun können, als wären sie zu Hause, wirken die meisten Touristen tatsächlich glücklich. Man fragt sich, warum sie dann verreisen.
In Wahrheit reisen die wenigsten Reisenden gern. Sie nehmen die Mühen und Kosten des Reisens nicht aus Neugier oder zum Vergnügen auf sich oder weil sie schöne, unbekannte Dinge sehen wollen, sondern aus einem gewissen Dünkel. Die Leute reisen aus dem gleichen Grund, der sie Kunst sammeln lässt: weil es die bessere Gesellschaft tut. Es gehört dazu, an bestimmten Orten auf der weiten Welt gewesen zu sein, und war man einmal dort, ist man allen überlegen, die nicht dort waren. Außerdem liefert einem das Reisen Gesprächsstoff für zu Hause. So arg viele Themen gibt es nicht, als dass man sich die Gelegenheit, seinen Bestand zu vermehren, entgehen lassen könnte.
Um diesen Dünkel zu rechtfertigen, hat man eine ganze Reihe von Mythen entwickelt. Die Orte, die besucht zu haben gesellschaftlich als chic gilt, werden mit einem schillernden Strahlenglanz umgeben, bis sie denen, die nicht dort waren, so märchenhaft vorkommen, als handelte es sich um Babylon oder Bagdad. Die Reisenden wiederum haben ein gesteigertes Interesse daran, diese Märchen zu pflegen und zu verbreiten. Wenn nämlich Paris und Monte Carlo wirklich so phantastisch sind, wie es die Einwohner von Bradford oder Milwaukee, von Tomsk oder Bergen annehmen – dann ist doch das Verdienst der Reisenden, die diese Orte tatsächlich aufgesucht haben, nur umso größer und ihre Überlegenheit über die Stubenhocker noch bedeutender. Genau deshalb und weil sie außerdem die Hotelbesitzer und die Kreuzfahrtunternehmen finanzieren, werden diese Märchen so eifrig am Leben erhalten.
Es gibt kaum einen erbärmlicheren Anblick als unerfahrene Reisende, die mit diesen Mythen groß geworden sind und verzweifelt die äußere Realität mit dem Märchen in Einklang zu bringen versuchen. Wegen dieser Mythen und wegen ihres Dünkels sind sie aufgebrochen. Wenn sie sich jetzt eingestehen müssten, dass sie von der Wirklichkeit enttäuscht sind, müssten sie auch zugeben, dass sie dumm genug waren, auf diese Märchen hereinzufallen, was das Verdienst, die Wallfahrt auf sich genommen zu haben, doch erheblich schmälern würde. Zweifellos haben die meisten von den Hunderttausenden Angelsachsen, die die Pariser Nachtklubs und Tanzsäle bevölkern, tatsächlich ihren Spaß daran, aber bestimmt nicht alle. Insgeheim sind sie gelangweilt und finden es ein wenig abstoßend. Sie sind jedoch in dem Glauben an dieses märchenhafte Gay Paree aufgewachsen, wo alles so wahnsinnig aufregend ist, eigentlich der einzige Ort, wo man das sogenannte wahre Leben beobachten kann. Deshalb mühen sie sich mit aller Kraft, nun selber lustig zu sein, wenn sie in Paris sind. Nacht für Nacht drängeln sich in den Tanzsälen und Bordellen ernsthafte junge Landsleute von Ralph Waldo Emerson und Matthew Arnold, eifrig bemüht, dieses Leben, nicht standfest zwar und auch nicht ganzheitlich, durch die immer dichteren Nebel von Heidsieck und Roederer in sich aufzunehmen.
Noch entschlossener zeigen sich ihre Begleiterinnen, denn den meisten (es sei denn, sie sind besonders «modern») steht kein Roederer zur Seite, um Paris lustig zu finden. An einem Herbstmorgen bot sich mir um fünf Uhr in der Früh in einer boîte am Montmartre der denkbar traurigste Anblick: An einem Tisch in der Ecke des Saales saßen drei unbegleitete junge Amerikanerinnen, die mutig das Leben auf eigene Faust kennenlernen wollten. Vor ihnen auf dem Tisch standen die üblichen Champagnerflaschen, doch sie zogen es vor, vielleicht aus Prinzip, Limonade zu trinken. Die Jazzkapelle spielte monoton weiter, der müde Drummer nickte über seinem Schlagzeug ein, der Saxophonist gähnte in sein Instrument. Die Gäste verließen paarweise und in torkelnden Gruppen das Lokal. Doch die drei jungen Mädchen blieben verbissen sitzen, unbeugsam der Erschöpfung, der Langeweile trotzend, die sich unübersehbar auf ihren reizenden Kindergesichtern abzeichnete. Als ich bei Sonnenaufgang davonging, saßen sie noch immer da. Ich malte mir aus, welche Geschichten sie wohl zum Besten geben würden, wenn sie nach Hause kämen! Und wie neidisch sie die daheimgebliebenen Freunde machen würden. «Paris ist einfach wunderbar …»
Den Parisern trägt das Märchen einige Hundert Milliarden gutes Geld ein. Sie machen kein Geheimnis daraus, Geschäft ist Geschäft. Aber wenn ich der Manager eines dieser Tanzlokale auf dem Montmartre wäre, würde ich meinen Kellnern vermutlich nahelegen, ihre vorgeschriebene Fröhlichkeit mit mehr Überzeugung zu spielen. «Männer», würde ich sagen, «ihr solltet wenigstens so tun, als würdet ihr an das Märchen glauben, von dem wir alle leben. Lächelt, seid fröhlich. Der Gesichtsausdruck, den ihr spazieren führt, diese Mischung aus Müdigkeit, größter Verachtung für eure Gäste und zynischer Eilfertigkeit, kann niemanden begeistern. Vielleicht sind die Gäste irgendwann nüchtern genug, um es zu merken, und was wird dann aus uns?»
Paris und Monte Carlo sind jedoch keineswegs die einzigen Orte, an die es die Pilger zieht, es gibt auch noch Rom und Florenz. Dort gibt es Museen, Kirchen und Ruinen sowie Läden und Casinos. Und der Dünkel, der verlangt, dass man sich für Kunst zu interessieren hat, oder genauer gesagt, dass man die Orte aufgesucht haben muss, an denen Kunst zu sehen ist, herrscht fast ebenso tyrannisch wie der Dünkel, der es gebietet, all jene Orte zu besichtigen, an denen sich das echte Leben beobachten lässt.
Am Leben sind wir alle mehr oder weniger interessiert – selbst an dem ziemlich übel riechenden Teil, der sich am Montmartre findet. Doch ist das Interesse an Kunst – oder jedenfalls der Art Kunst, die in Museen und Kirchen gezeigt wird – keineswegs allgemein verbreitet. Daher ist der Fall der armen Touristen, die, weil ihr Dünkel es verlangt, nach Rom und Florenz reisen, sogar noch mitleiderregender als der jener, die aus dem gleichen Grund nach Paris und Monte Carlo fahren. Touristen, die eine Kirche «mitnehmen», tragen die Maske pflichtschuldigen Interesses, doch welche Mattigkeit, welche vollkommene Geisteserschöpfung blickt ihnen allzu oft aus den Augen! Innerlich spüren sie diese Erschöpfung sogar noch stärker, weil sie sich verpflichtet fühlen, hingerissene Aufmerksamkeit zu simulieren, ja sogar in geheuchelte Begeisterung auszubrechen, wenn etwas im Baedeker mit Sternen ausgezeichnet ist. Irgendwann kommt der Moment, in dem Körper und Geist diesen Strapazen nicht mehr gewachsen sind. Dann weigert sich der Bildungsphilister kategorisch, sich den Anforderungen des guten Geschmacks zu unterwerfen. Erschöpft und trotzig, wie er ist, schwört der Tourist, dass er sich keine einzige Kirche mehr antun wird. Stattdessen verbringt er seine Tage in der Hotellobby und liest die europäische Ausgabe der Daily Mail.
Ich weiß noch, wie ich in Venedig Zeuge einer solchen Rebellion wurde. Ein Traghetto-Unternehmen warb für Nachmittagsausflüge nach Torcello. Wir hatten unsere Plätze gebucht und fuhren zur vereinbarten Zeit in Gesellschaft von sieben oder acht weiteren Touristen los. Das pittoresk-heruntergekommene Torcello erhob sich aus der Lagune. Die Bootsleute legten an einem vermodernden Steg an. Einen halben Kilometer landeinwärts durch die Felder befand sich die Kirche. Sie beherbergt einige der schönsten Mosaiken in ganz Italien. Wir gingen an Land – alle mit Ausnahme eines willensstarken amerikanischen Ehepaars, das auf die Auskunft hin, auf dieser Insel gebe es schon wieder eine Kirche zu sehen, beschloss, in aller Ruhe im Boot zu warten, bis die anderen zurückkämen. Ich bewunderte ihre Entschlossenheit und Ehrlichkeit. Gleichzeitig kam es mir ein wenig traurig vor, dass sie eigens hierhergefahren waren und so viel Geld für das Vergnügen ausgegeben hatten, in einem Motorboot an einem verrottenden Steg zu hocken. Sie waren doch erst in Venedig. Ihr italienisches Martyrium hatte noch kaum begonnen. Padua, Ferrara, Ravenna, Bologna, Florenz, Siena, Perugia, Assisi und Rom mit all ihren unzähligen Kirchen und Bildern mussten alle noch besichtigt werden, ehe sie endlich das gebenedeite Neapel erreichen würden und die Passage zurück über den Atlantik machen durften. Arme Sklaven, dachte ich, und was für ein unerbittlicher Sklavenhalter!
Wir bezeichnen solche Menschen als Reisende, weil sie nicht zu Hause bleiben. Aber sie sind keine echten, keine geborenen Reisenden, denn sie reisen nicht um des Reisens...
Erscheint lt. Verlag | 17.9.2024 |
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Übersetzer | Willi Winkler |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Europa |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Schlagworte | Alberti • Amsterdam • Architektur • Arezzo • Bologna • Botticelli • «Brave New World» • Brueghel • Brunelleschi • Deutschland • England • Florenz • Frankreich • Freizeit • Gemälde • Großbritannien • Holland • Italien • Kirche • Klassiker • Kloster • Kultur • Kunst • Künstler • Literatur • Malerei • Moderne • Musik • Niederlande • Palazzo • Paris • Pilgern • Reise • Reisebericht • Reiseführer • Reiseliteratur • Renaissance • Rimini • Rom • Romagna • Sabbioneta • Shakespeare • Siena • Theater • Toskana • Tourismus • Vatikan • Wandern • Weltliteratur |
ISBN-10 | 3-644-01813-8 / 3644018138 |
ISBN-13 | 978-3-644-01813-6 / 9783644018136 |
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