Zebus sind doch schwanzgesteuert (eBook)
290 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-3383-1 (ISBN)
Jutta Hammer lebte, fotografierte und schrieb drei Jahre lang auf Madagaskar und einigen der benachbarten Inseln im Indischen Ozean. Neben der Datenaufnahme für ihre Dissertation zur Brutbiologie der madagassischen Strahlenschildkröte (Astrochelys radiata) blieb ihr noch genug Zeit, das Land und seine Bewohner kennenzulernen. In diesem Buch berichtet Sie bereits zum zweiten Mal von ihren Erlebnissen auf der Insel im Indischen Ozean.
Tonga soa – Ankommen in Tana
Wie immer komme ich per Flugzeug in Madagaskar an. Wie immer durchlaufe ich eine abgestimmte Reihe von ewig langen Pass- und Zollkontrollen, die mich schlagartig in das madagassische mora mora, eine Art Laissez-faire-Haltung, zurückholen. Wie immer muss ich mich nach den offiziellen Kontrollen durch ein Spalier an Taxifahrern kämpfen, die mich alle gegen Höchstpreis ins Stadtzentrum fahren möchten. Heute bin ich allerdings nicht allein: mein madagassischer Kollege, Léon, holt mich am Flughafen ab.
Die Menge der Taxifahrer teilt sich vor uns, niemand versucht mir ein ach so günstiges Angebot zu machen oder mit mir zu feilschen. Keine ausgestreckten Hände, die mir über den Unterarm streichen, um meine Aufmerksamkeit zu gewinnen oder nach meinem Gepäck greifen. Die kleine Vorhalle des Flughafens ist voller eifriger Taxifahrer, deren klapprige Kisten draußen warten und alle lassen sie mich in Ruhe. Die meisten von ihnen fahren einen R4 in Taxi-Beige. Ein früherer madagassischer Präsident hatte in Deutschland die einheitlich beigen Taxen gesehen und fand diese Farbgebung offensichtlich so passend, dass er dieses Konzept in Tana etabliert hat.
Ich folge Léon durch die Menge der Fahrer und wundere mich, dass ich heute komplett in Ruhe gelassen werde. Er lacht nur, als ich ihn danach frage und bedeutet mir ihm zu folgen. Sobald wir die Menschentraube hinter uns haben erklärt er mir, dass er allen gesagt habe ich sei seine Kundin. Die anderen haben ihn wohl für einen Taxifahrer gehalten. Léon grinst mir freudig zu. Ganz entspannt fahren wir dann ins Zentrum von Antananarivo, der Hauptstadt Madagaskars.
Antananarivo, liebevoll Tana abgekürzt, ist ein Gewühl aus Menschen, Gassen, Menschen in Gassen, stinkenden Autos, Märkten mit einem überquellenden Angebot an Obst, Gemüse, Fleisch, Gewürzen Schuhen, Socken, Unterhosen, T-Shirts und allem was man sonst noch so verkaufen kann. Mitten in diesem Gewimmel steht ein kleines Hotel. Nur sechs oder sieben Zimmer, keines davon ist klimatisiert. Aber das brauche ich nicht hier in der Hauptstadt. Die herzliche Atmosphäre und die Dachterrasse sind lohnenswert genug, um immer wieder hierher zu kommen. Meine Matratze ist so krumm wie eine Half-Pipe und die Dusche, immerhin habe ich diesmal eine eigene Dusche im Zimmer, wird schlagartig kochend heiß. Außerdem treffe ich im Hotel immer wieder andere Reisende, die ihrerseits spannende Erlebnisse berichten. Ideale Bedingungen also, um sich langsam an das Land, die Sprache, die Kultur und das Leben hier anzupassen.
Von der Hotelterrasse aus beobachte ich die Fahrzeuge auf der einspurigen Straße. Eine Einbahnstraße, auf der bergauf gefahren wird. Der Lärm, der von unten zu mir heraufdringt, ist wesentlich lauter als die Straße, an der ich in Hamburg gewohnt habe. Das Interessante daran ist, dass die Straße in Hamburg sechsspurig ist! Wer in Tana ruhig wohnen möchte, der sollte eine Einbahnstraße mit Fahrtrichtung bergab wählen. Dort schalten Taxifahrer ihren Motor ab und lassen das Fahrzeug rollen, um Benzin zu sparen. Auch wenn es sich oft nur um wenige hundert Meter Straße handelt, es lohnt sich dennoch den Motor zu stoppen. Denn in den engen Gassen herrscht natürlich Dauer-Stau, so dass ein Taxi nur sehr langsam durch den Großstadtverkehr kommt. Rostig, rumpelnd und laut knattern die madagassischen Taxen, hauptsächlich R4 und 2CV, durch die Hauptstadt und sorgen für dicke Luft, fast überall. Dennoch sind Taxen das wichtigste Fortbewegungsmittel für mich in der Stadt, also gleich nach meinen Beinen. Für Besuche an der Universität, bei der Nationalparkbehörde oder im örtlichen Büro des WWF muss ich große Strecken zurücklegen, am schnellsten und bequemsten geht das per Taxi.
Wundern Sie sich übrigens nicht, wenn Sie mal in Tana sind und für ein und dieselbe Strecke per Taxi ganz unterschiedliche Preise bezahlen sollen. Zum einen ist es immer vorteilhaft einen Einheimischen mit dem Fahrer verhandeln zu lassen. Dem Fahrer ist natürlich klar, dass Sie als vazaha die Fahrt bezahlen, also wird der Preis immer noch zu hoch angesetzt, aber nicht mehr exorbitant hoch. Gutes Verhandlungsgeschick und andere wartende Taxen können den Preis ebenfalls drücken. Letzten Endes entscheidet aber auch die Strecke selbst über den Fahrpreis. Wenn Sie ein Ziel erreichen möchten, das sich auf einem der vielen Hügel der Hauptstadt befindet, dann kostet das Taxi selbstverständlich mehr, weil bei der Fahrt ja viel mehr Benzin verbraucht wird, als wenn man einfach nur bergab rollt.
Bevor die Taxifahrt aber so richtig startet steuert der Fahrer fast immer eine Tankstelle an. Hier bezahlt man bereits den vollen Fahrpreis, damit der Fahrer tanken kann. Manche Fahrer füllen das Benzin in eine leere Wasserflasche, aus der sie bei Bedarf nachtanken können. Erst dann wird die Fahrt fortgesetzt, dessen Ziel ohne den Extra-Tropfen Sprit vielleicht gar nicht erreichbar gewesen wäre.
Im Taxi durch die Nacht
Eine Fahrt im Taxi kann in Tana zu einer sehr spannenden Angelegenheit werden. Zusammen mit Laura möchte ich ein Restaurant am anderen Ende des Stadtzentrums besuchen. Tage- oder besser nächtelang haben wir die Proben, die sie aus ihrem Untersuchungsgebiet mitgebracht hat, sortiert. Heute Abend gönnen wir uns eine Auszeit. Ganz in der Nähe unseres Hotels steigen wir in ein Taxi, sagen dem Fahrer den Namen des Restaurants und er rollt los. Bergab. Wir unterhalten uns angeregt auf dem Rücksitz, bis der Fahrer einen Abzweig verpasst. Ich stutze ein wenig, sage aber nichts, es könnte immerhin sein, dass er einen anderen Weg kennt. Kurz darauf verpasst er eine weitere Abzweigung und fährt in die falsche Richtung. Ich erkläre ihm auf Französisch, dass er umdrehen muss und er wendet kurz darauf auch. Als nächstes biegt unser Taxi jedoch in eine ziemlich enge Gasse ab. Rechts und links der schmalen Fahrbahn stehen Holzbuden und Tische, auf denen tagsüber allerhand Dinge zum Kauf angeboten werden. Um diese Uhrzeit ist hier keine Menschenseele unterwegs. Straßenlaternen gibt es nicht. Ich versuche weiter auf den Fahrer einzureden, bitte ihn umzukehren. Laura erzählt mir hinterher sie habe fest damit gerechnet, dass unser Fahrer gleich anhält, eine Pistole aus dem Handschuhfach zieht, auf uns richtet und unser Geld verlangt. Vielleicht sind auch irgendwo hinter den Holzbuden ein paar Kumpels unseres Fahrers versteckt, die dazukommen sobald er anhält.
Ich rede weiter auf unseren Fahrer ein und merke, dass er nun auch deutlich nervös wird. Eine weitere Wegbiegung und wir stehen vor einem kleinen Kreisel, an dem ein Polizist steht.
Keine Ahnung welche Aufgabe der Ordnungshüter um diese Uhrzeit und in dieser Gegend erfüllt. Der Taxifahrer hält an und redet mit dem Polizisten. Dieser fragt uns auf Französisch wo wir hinmöchten und übersetzt es dem Fahrer. Anscheinend hatte der Fahrer uns nicht richtig verstanden. Zwei weitere Abbiegungen und unser Fahrer setzt uns vor dem gewünschten Restaurant ab. Wir sind erleichtert, alle drei. Selbstverständlich hat der Taxifahrer von uns ein großzügiges Trinkgeld erhalten.
Ein bisschen Muße, muss auch mal sein
Wenn ich in Tana bin, versuche ich immer wieder die Großstadt auf eigene Faust zu entdecken. Nach meinem Besuch im Büro von Durrell Wildlife, das etwas abseits vom Stadtzentrum liegt, nutze ich die Gelegenheit, um noch ein bisschen spazieren zu gehen. Der nette Büromitarbeiter beschreibt mir eine Abkürzung, die ich nehmen kann auf dem Weg zurück zum Hotel. Nach fünfzig Metern links abbiegen, dann kommen irgendwann Treppen. So waren seine Worte. Nun gut, das habe ich alles gemacht, aber irgendwie hat es doch nicht gestimmt. Schließlich gehe ich eine schiefe Treppe hinauf, deren Stufen im Lehmboden festgetreten sind.
Die kleinen Häuschen rechts und links des Weges rücken immer näher zusammen, bis es schließlich so schmal wird, dass man nicht mehr zu zweit nebeneinander gehen kann. Ich laufe vorbei an verwinkelten Gassen und kleinen Lehmhäusern, die sich farblich perfekt in die Landschaft schmiegen. Die einzigen Farbkleckse bilden die Kleidungsstücke der Menschen, an denen ich vorbeigehe oder die zum Trocknen in den Innenhöfen hängen. Jede Menge verdutzte Gesichter schauen mich an. Hier ist bestimmt noch nie ein vazaha spazieren gegangen. Als ich schließlich oben ankomme, weiß ich nun doch nicht mehr, wo ich langgehen soll. Ich nehme mir also an der nächsten größeren Straße ein Taxi.
Wenn man sich als vazaha in Tana verläuft, dann steigt man einfach in das nächste Taxi und lässt sich an einen Ort bringen, den man schon kennt. Auch wenn ich hier jedes Mal aufs Schärfste mit den Fahrern verhandle, um wenigstens annähernd den Preis für Einheimische zu bezahlen, wirklich teuer ist das Taxi für mich nicht. Der Taxifahrer nimmt mich auf, überlegt kurz, wo ich hinmöchte und rollt dann den Berg wieder hinunter. Die Ecke kommt mir vage bekannt vor. Schließlich erkenne ich es: Wir kommen direkt am Ausgangspunkt meines Spazierganges...
Erscheint lt. Verlag | 20.3.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Afrika |
Schlagworte | Antananarivo • Forschungscamp • Reise • Strahlenschildkröte • Zebu |
ISBN-10 | 3-7578-3383-X / 375783383X |
ISBN-13 | 978-3-7578-3383-1 / 9783757833831 |
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