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Noch einmal Paradies (eBook)

Ein Segelabenteuer zu den Grenzen unserer Freiheit | Hochkarätige Reisereportage und aktueller Blick auf den Zustand des Mittelmeers. Ausgezeichnet mit dem ITB BuchAward 2024
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
256 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60317-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Noch einmal Paradies -  Marc Bielefeld
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Raus aufs Wasser, rein ins Leben Inmitten der Krisen beschließt Marc Bielefeld, den Blick auf andere Horizonte zu richten. Für ein Jahr will er mit seiner Freundin durchs Mittelmeer segeln und eine verlorene Freiheit zurückgewinnen. Will Luft holen und sich treiben lassen, die Schönheiten des Mittelmeerraums aufsaugen, Momente der Einfachheit und den Rhythmus der Natur genießen. Abenteuer mit Tiefgang In Barcelona erstehen sie einen alten Zweimaster, die Solemar; dann heißt es »Leinen los!«. Unterwegs steuern sie kleine Häfen an, ankern in traumhaften Buchten, erkunden wilde Küsten. An Bord gilt es mit wenig auszukommen. Auf offener See springen Delfine neben dem Schiff; oft sehen sie tagelang nur Wasser und Himmel. Doch auch das mare nostrum - noch immer Paradies - gerät durch Klimawandel, Flüchtlingsschiffe und Krieg aus den Fugen. Der Autor trifft auf festgesetzte Oligarchen-Jachten und Strandverkäufer aus Nordafrika. Er taucht mit Thunfischschwärmen, aber auch durch sterbende Seegraswiesen und sieht, wie der Meeresboden mit Coronamasken übersät ist. Und immer wieder begegnet er Menschen, die gegensteuern, Lebensräume retten und Grund zur Hoffnung geben.

Marc Bielefeld, 1966 in Genf geboren und in Hamburg aufgewachsen, lebte nach dem Abitur in Paris und als Vertreter und Werbetexter in Hamburg. Dort und in Washington, D.C. studierte er Literatur und Linguistik. Heute lebt er als freier Autor an der Elbe. Seine Texte und Reportagen sind in den letzten 25 Jahren in diversen Publikationen erschienen, darunter: Die Zeit, mare, Merian, National Geographic, Stern, Süddeutsche Zeitung, Yacht. Außerdem hat er die Zeitschrift Free Men's World mitentwickelt. Von ihm sind u.a. die erfolgreichen Bände »Wilde Dichter« (mit Rüdiger Barth), »Gebrauchsanweisung fürs Segeln«, »Wer Meer hat, braucht weniger. Über den Rückzug auf ein altes Segelboot« und »Den Wind im Gepäck« erschienen. 

Marc Bielefeld, 1966 in Genf geboren und in Hamburg aufgewachsen, lebte nach dem Abitur in Paris und als Vertreter und Werbetexter in Hamburg. Dort und an der Howard University in Washington, D.C. studierte er Literatur und Linguistik. Heute lebt er als freier Autor an der Elbe und auf seinem Segelschiff im Mittelmeer. Seine Texte und Reportagen sind in den letzten 25 Jahren in diversen Publikationen erschienen, darunter: Die Zeit, mare, Merian, National Geographic, Stern, Süddeutsche Zeitung, Yacht. Außerdem hat er die Zeitschrift Free Men's World mitentwickelt. Von ihm sind u.a. »Wilde Dichter« (mit Rüdiger Barth), »Gebrauchsanweisung fürs Segeln«, »Wer Meer hat, braucht weniger. Über den Rückzug auf ein altes Segelboot« und »Den Wind im Gepäck« erschienen. Zuletzt veröffentlichte er mit Diana Kinnert den SPIEGEL-Bestseller »Die neue Einsamkeit«.

Sonne und Meer


Eine alte Ketsch wartet in Barcelona

 

 

Am Abend sank im Nordwesten die Sonne über dem Meer, ein warmer Wind strich über Deck, wir saßen barfuß am Steuerrad. Das Festland hatte sich längst aufgelöst, keine Wolke stand am Himmel. Am Horizont, gute vier Seemeilen entfernt, zog noch ein spanisches Fischerboot dahin, das auf nördlichem Kurs Richtung Côte d’Azur fuhr. Ich blickte durchs Fernglas, peilte den Trawler in gut siebzig Grad. Er hatte zwei Netze draußen, schüttere Silhouetten vor blassem Blau, seine Positionslichter glommen schon. Dann verschwand das Schiff hinter der bereits dunkelnden Kimm, und wir waren allein auf See.

Wir hatten alle Segel gesetzt, Genua, Groß, Besan, so zogen wir nach Osten aufs Meer hinaus, einem Seevogel gleich. Das Boot machte um die fünf Knoten, beruhigende neun Kilometer pro Stunde, ein ganzer Hausstand unter weißen Tüchern, der mit stetig nickendem Bug über eine von Millionen Lichtreflexen ziselierte Fläche glitt und nichts als ein stetiges Rauschen von sich gab. Es war der Takt des Segelns. Alle vier, fünf Sekunden ein Schäumen, ein Sprudeln. Der Rumpf, der sich in den Rhythmus der Wellen warf und allein mit dem Wind seine Reise antrat.

Silke saß auf der Backskiste. Sie lehnte mit dem Rücken am Steuerschemel, und der Schatten des Besanmasts wanderte jedes Mal über ihre Beine, wenn das Boot ein paar Grad nach Backbord oder Steuerbord auswanderte. Ich drehte mich zur Sonne um. Sie hing tief über dem westlichen Horizont, und wahrscheinlich würde der Seewind bald abflauen, wenn es zur Nacht hin eine Spur kälter werden würde.

Die Luken auf dem Vordeck standen alle offen, und durch den vorderen Niedergang fiel der Blick in die Kombüse. An Bord hatten wir alles verstaut, was wir für die nächste Zeit brauchen würden. Brot, Avocados, Bananen, Butter, Marmelade. Mehl, Gewürze, Nudeln, Fladenbrot und Couscous für die nächsten Wochen. Dazu Dosen voller Thunfisch und Mejillones, Wasser, Säfte, Bier und Wein. Unten in der Kajüte baumelte das Netz mit den Zwiebeln und Zitronen. Daneben, verknotet an drei Tampen, torkelte die Petroleumlampe, die ich vor Jahren auf einem Flohmarkt gekauft hatte.

Ich saß in der Plicht, blickte hoch in die Masten. Die Segel standen gut im Wind, und wir würden für die Nacht nicht reffen müssen. So kamen wir still voran, Seemeile für Seemeile, und irgendwann zum Morgen hin würden wir die Balearensee erreichen.

Mehr brauche ich gerade nicht, dachte ich. Alles war gut. Das Unterwegssein auf dem Meer kam noch immer einer Art Balsam gleich. Man reiste durch dieses Element, enthoben, ganz beim Himmel, den Regungen des Winds und den Zeichnungen des Wassers. Die Welt schien jetzt weit weg, der ganze Wahnwitz. Ich schielte aufs Handy. Wir hatten schon lange keinen Empfang mehr. Rundherum nur noch Meer.

Es war die erste Fahrt auf unserem neuen Boot. Wir wussten noch nicht, wie lange wir letzten Endes auf dem Schiff, auf dem Wasser bleiben würden. Alles stand offen. Es herrschten jetzt seltsame Zeiten, und bereits auf diesen ersten Seemeilen über das Mittelmeer wuchs mir das Boot ans Herz wie ein guter Freund.

 

Schon vor einiger Zeit, irgendwann vor zwei, drei Jahren, war es das erste Mal geschehen. Ich erinnere mich, dass ich mit dem Auto von Hamburg aufs Land fuhr, weit hinaus an die Elbe, wo ich wohnte. Die Ortschaften wurden schmaler, Finkenwerder, Jork, Cranz, hinter Grünendeich dünnte sich die Welt weiter aus. Vor der Scheibe rollte das Alte Land vorbei, die Apfelhöfe südlich des Stroms, die Reetdachhäuser und Hofläden der Obstbauern im Norden Deutschlands. Ich hatte das Radio laufen. Bei Hollern-Twielenfleth kam der Abbieger ins Kehdinger Land, eine Kreuzung und eine rote Ampel, vor der ich wie meistens halten musste und wo mich nun das erste Mal eine massive Sehnsucht überkam. Das Wort wird ja allzu oft missbraucht, doch diesmal traf es eindeutig zu.

Auf einmal sah ich das Meer vor mir. Ein fließendes Blau, sonnenbeschienen, ausgebreitet ins Nirgendwo. Ich musste an jene Zeiten denken, die ich früher auf meinen Segelschiffen verbracht hatte. Vor meinem geistigen Auge sah ich das Folkeboot, mit dem vor über zwanzig Jahren alles begann. Ein herrliches kleines Segelschiff aus Holz, mit dem ich damals Anlegemanöver übte und bald die ersten Seemeilen über offenes Wasser wagte. Vom schwedischen Råå segelte ich rüber zur Insel Ven, dann zu den Inseln der Dänischen Südsee. Ich sah vom Meer aus die Felder und kleinen Dorfkirchen, blickte über die Sandbänke und Landzungen, sah die Vögel, die durch die Wasserwelt flogen.

Ich dachte an das zweite Boot, das ich vor Jahren besaß. Ein schneeweißer Wingakreuzer, der sich in den schwedischen Schären versteckte. Ich war damit südlich nach Bornholm gesegelt, nach Westen in einen weiteren langen Sommer. Wochen, Monate verbrachte ich auf diesem Boot.

Dann verwischten die Bilder, verschwommen wie in einem zu schnell ablaufenden Daumenkino. Hinter mir waren sie schon am Hupen. Die Ampel war längst grün geworden, jäh wurde ich aus meinem Traum gerissen.

Während ich weiterfuhr, lief im Radio eine Sendung, die sich mit dem Zustand der Erde befasste. Ich gondelte so vor mich hin, achtete auf die Blitzer und sah die Reetdachhäuser vorbeiziehen.

In dem Radiobeitrag hieß es, dass nur noch drei Prozent der weltweiten Landfläche heute unberührte Wildnis seien, während die Zahl der Städte und Agrarflächen weiter steige. Der Sprecher sagte, es gebe in Deutschland praktisch keine Natur mehr. Und wenn wir sagen, wir fahren aufs Land, raus in die Natur, was ich ja gerade tat, dann sei das in Wahrheit gar keine Natur mehr. Alles Agrarland. Felder, Äcker, bewirtschafteter Boden. Vom Menschen domestizierte Erde.

Ich sah aus dem Fenster. Der Mann hatte recht. Felder und Landwirtschaft, so weit das Auge blicken konnte. Entwässerte Moore und Maisfluren, Trecker, Heumaschinen, Obstplantagen. Der Norden Deutschlands war quasi flächendeckend nutzbar gemacht worden. Nein, da war keine echte Natur mehr, keine Wildnis. Diese Bezeichnung hielt sich höchstens noch als Missverständnis.

 

Vor meinem inneren Auge tauchten die nächsten Bilder auf. Ich sah die dritte Jacht vor mir, die ich einmal besessen hatte. Acht Jahre hatte ich auf ihr gelebt und gearbeitet, oft monatelang, bis die Winter kamen und es im Norden zu kalt wurde. Und dann, eines Tages, hatte ich auch das letzte Schiff verkauft. Ich brauchte mal eine Pause vom jahrelangen Segeln. Dachte ich.

Nun tauchten der Rumpf, der Mast, die hölzerne Kajüte wieder auf, ein Geisterschiff in der Erinnerung. Wir gleiten durch Schottland, durch die Meerengen und Sunde der Inneren Hebriden. Da sind die kargen Inseln, die vor dem Bug aufsteigen, das von der Strömung zerrupfte Meer. Schafe stehen auf den Wiesen, ich kann sie sehen in der Ferne, vom Wasser aus, vom Boot.

Was für ein Frieden.

 

In den folgenden Monaten kehrten die Visionen vom Meer immer wieder, und ich konnte und wollte nichts dagegen tun. Bis ich merkte, dass es sich nicht nur um Tagträumereien handelte. Eine unbändige Lust, wieder auf dem Wasser zu sein, wuchs in mir. Der Drang, wieder auf ein Boot zu springen. Ein Segelboot. Dieses Verlangen steigerte sich mit jeder trübsinnigen Meldung, die mir entgegenschlug. Man musste ja nur noch das Radio oder den Fernseher anschalten, musste nur aufs Handy starren oder mit irgendjemandem sprechen. Die schlechten Nachrichten kamen aus allen Himmelsrichtungen.

Bald musste ich immer öfter an jene Zeiten denken, die ich in meinem Leben am Wasser verbracht hatte. Irgendwo in den Häfen, auf dem Meer, auf den Schiffen. Die Szenen waren fast schon filmreife Sequenzen, die mir durch den Kopf schossen, während ich im Auto saß oder manchmal auch nur irgendwo gedankenverloren stand. Die Visionen taten gut. Sie beruhigten mich in diesen komischen Zeiten.

Was war da draußen los?

 

Klimawandel. Erderwärmung. Artensterben. Regenwälder, die verschwinden, Korallenriffe, die sterben. Kürzlich haben Wissenschaftler des israelischen Weizmann-Instituts verkündet, dass die Masse der menschengemachten toten Dinge erstmals die lebendige Biomasse auf dem Planeten übersteigt. Die Straßen, Autos, Häuser, Brücken, Fabriken und Produkte des Menschen wiegen...

Erscheint lt. Verlag 27.4.2023
Zusatzinfo Mit 16 Seiten Farbbildteil und einer farbigen Karte
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Europa
Reisen Reiseführer Europa
Schlagworte Abenteuer • allein reisen • Altes Segelboot • Artenschutz • Artenvielfalt • aussteigen • Entdeckungen unter Wasser • Fische • Fischerei • Flüchtlinge • Freiheit • Geflüchtete • Klima • Korallen • Leben an Bord • Leben auf dem Wasser • Lebensräume schützen • Meeresbewohner • Migration • Mittelmeer • Mittelmeer-Flüchtlinge • Mittelmeerraum • Reiseerfahrung • Reiseerlebnis • Segelabenteuer • Segelboot • Segeln • Segeln im Mittelmeer • segeln reisebericht • Tauchen • Tauchen im Mittelmeer • Thunfisch • Überfischung • Unter Wasser • Wind • Zustand der Welt
ISBN-10 3-492-60317-3 / 3492603173
ISBN-13 978-3-492-60317-1 / 9783492603171
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