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Der Weg des Helden (eBook)

Auf Garibaldis Spuren von Rom nach Ravenna

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
448 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-498-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Weg des Helden -  Tim Parks
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Der Marsch Garibaldis und seiner Garibaldini durch den Apennin von Rom nach Ravenna ist legendär und zentral für die Einigung Italiens. Im Sommer 2019 ist Tim Parks Garibaldis Spuren gefolgt und durch das Herz des Landes gewandert: eine großartige Erkundung von Italiens Vergangenheit und Gegenwart. Im Sommer 1849 musste Guiseppe Garibaldi, Italiens legendärer Revolutionär, die Verteidigung Roms endgültig aufgeben. Er und seine Männer hatten die Stadt vier Monate gehalten, aber nun war klar, dass nur die Kapitulation die Zerstörung durch die überlegene französische Armee verhindern würde. Es galt, die Niederlage in einen moralischen Sieg zu verwandeln, und so führte Garibaldi mit seiner schwangeren Frau Anita eine kleine, schnell aufgestellte Armee an, um den Kampf für die nationale Unabhängigkeit fortzusetzen. Von französischen und österreichischen Truppen verfolgt, marschierten die Garibaldini über den Apennin und kamen mit nur 250 Überlebenden in Ravenna an. Tim Parks hat sich auf die Spuren Garibaldis begeben und ist seinem Weg durch das Herz Italiens gefolgt: ein grandioser Reisebericht, der von Garibaldis Entschlossenheit, die keine Rücksichten kannte, seiner Kreativität, seinem Mut und seinem tiefen Glauben erzählt und ein faszinierendes Porträt Italiens zeichnet, damals und heute, mit unvergesslichen Beobachtungen italienischer Lebensart, der Landschaft, der Politik und der Menschen.

Tim Parks, geboren in Manchester, wuchs in London auf und studierte in Cambridge und Harvard. Seit 1981 lebt er in Italien. Seine Romane, Sachbücher und Essays sind hochgelobt und wurden mit vielen Preisen ausgezeichnet. Er schreibt für den Guardian, The New Yorker, The New York Review of Books und übersetzt u.a. die Werke von Moravia, Calvino, Tabucchi und Machiavelli. Er lebt in Mailand.

Tim Parks, geboren in Manchester, wuchs in London auf und studierte in Cambridge und Harvard. Seit 1981 lebt er in Italien. Seine Romane, Sachbücher und Essays sind hochgelobt und wurden mit vielen Preisen ausgezeichnet. Er schreibt für den Guardian, The New Yorker, The New York Review of Books und übersetzt u.a. die Werke von Moravia, Calvino, Tabucchi und Machiavelli. Er lebt in Mailand.

TAG 2


3. Juli 1849 | 26. Juli 2019


Tivoli, San Polo dei Cavalieri, Marcellina, Montecelio
(Villa dei Romani) – 24 Kilometer

San Polo dei Cavalieri


Wir dachten, wir seien bestens organisiert. Wir hatten uns für das Frühstück um 4.30 Uhr mit ein paar schönen Gebäckteilchen versorgt. In unserem Zimmer stand eine nagelneue Nespresso-Maschine mit einer üppigen Auswahl an Kaffeekapseln – Arpeggio, Levanto, Capriccio.

Der Wecker erfüllt unnachsichtig seine Aufgabe. Wir ziehen uns schnell an, packen unsere Rucksäcke und trinken unseren Saft.

Doch die Nespresso-Maschine funktioniert nicht. Sie geht nicht an. Kein Steckerumstöpseln und Knöpfedrücken hilft. Das rote Lämpchen leuchtet nicht.

Eleonora will nicht aufgeben. Eine Armee marschiert auf Koffein, erklärt sie. Sie versucht es bei Google. Nespressos Online-Bedienungsanleitung erscheint auf ihrem Smartphone. Um 4.45 Uhr morgens.

»Bist du sicher, dass es das gleiche Modell ist?«

»Natürlich.«

Schließlich ist es 5.30 Uhr, als wir die Treppe hinunterstolpern und in die Dunkelheit hinaustreten. Ohne Kaffee. Doch die frühmorgendliche Stille versöhnt mich schnell mit Tivoli. Die schattigen Straßen wirken sanft und ehrwürdig, die Luft ist süß und kühl.

»Es gefällt dir jetzt besser, weil niemand da ist«, stellt Eleonora fest.

Wir steigen hinab zur Straße am Fluss, dem Aniene, der die Brunnen und Wasserfälle der Stadt speist, und wenden uns nach Osten, als wollten wir in die Abruzzen und zur Adria. Dies ist die Straße, von der Hoffstetter glaubte, sie ginge nach Süden, weil sie am Südende aus der Stadt hinausführt. Dann biegen wir abrupt nach Norden ab, folgen Trevelyan, De Rossi und Sacchi und verlassen das Tal, um den brutal steilen Anstieg auf einer Art altem Maultierpfad, dessen einstige Steinoberfläche mittlerweile fast überall aufgebrochen oder mit Geröll bedeckt ist, zu beginnen. Könnte hier jemand eine Kanone hochgeschleppt haben? »Wenige Offiziere würden diesen Weg für fahrbar gehalten haben«, schreibt Hoffstetter. Er war zum Auskundschaften vorgeschickt worden. »Allein ich wusste, welche Ansprüche der General machte.«

Wir gehen schweigend bergan, ducken uns unter nassem Blattwerk und wischen uns Spinnweben vom Mund, während der Morgen dämmert, das Licht durch die Büsche und Pinien bricht und die graue Welt in eine grüne verwandelt. Als der Pfad aus dem Wald hinausführt, um einen Bergvorsprung zu umrunden, sehen wir Tivoli bereits tief unter uns, eine anheimelnde Ansammlung von Torbögen, Säulen, Terrakotta und Stuck; dahinter der rosige Dunst der Ebene, und Rom.

Nach einer weiteren halben Stunde erreichen wir einen Grat, der uns den Blick nach Osten auf den eigentlichen Apennin eröffnet, dorthin, wo die neapolitanische Armee wartet. Vorne ein weitläufiges Patchwork aus Feldern und Waldstücken, dahinter die ansteigenden Silhouetten dunkler Berge, hinter denen gerade die Sonne aufgeht. Allein die Weite dieses Blicks gibt uns ein Gefühl von Triumph. Uns geht’s gut.

Dann wird Eleonora von einem Geräusch erschreckt.

Eine weiße Kuh erhebt sich schwerfällig aus dem Unterholz und trottet davon, wobei ihre langen Hörner laut gegen die niedrig hängenden Äste schlagen. Es sind noch mehr Kühe da, hager und melancholisch erwarten sie einen weiteren höllisch heißen Tag. Hoffstetter reagierte mit Staunen und Bewunderung, als Garibaldi verkündete, sie würden Rinder mit auf den Marsch nehmen, um sie bei Bedarf zu schlachten und zu essen. Der Deutsche hatte so etwas in einer regulären Armee noch nicht erlebt. Garibaldi hatte diesen Trick in Brasilien gelernt.

»Das heißt, sie sind mit Kühen im Schlepptau hier hochgestiegen?«

Eleonora und ich sind Vegetarier.

»Sie hatten ungefähr zwanzig Ochsen dabei. Und zu diesem Zeitpunkt auch noch siebenunddreißig Maultiere. Zwei für die persönlichen Sachen von Garibaldi und Anita. Fünf für Töpfe und Pfannen. Zwei für das, was sie die ›Ambulancen‹ nannten – Tragbahren, Verbandszeug, Medikamente. Dazu Gewehre, Munition, Kleidung.«

Während wir einem steilen Pfad durch ein Eichendickicht folgen, stellen wir uns vor, wie viertausend Männer mit Hunderten von Pferden, Maultieren und Ochsen sich auf diesem Berghang drängeln. Garibaldi, Anita und Ugo Bassi zu Pferd vorneweg. Bassi war ein Priester und Dichter, den Garibaldi in seiner Zeit in Bologna kennengelernt hatte, ehe er nach Rom kam. Eigentlich verachtete Garibaldi alle Priester, doch Bassi hatte sich voll und ganz der nationalen Einheit verschrieben. »Unsere Seelen sind eins geworden«, schrieb der Kirchenmann. »Von allen Helden, denen ich je hoffen darf zu begegnen, ist Garibaldi derjenige, welcher der Poesie am würdigsten ist.« Hoffstetter schreibt über Bassi: »Die sanften Augen, die hohe Stirne, die wallenden Locken seines Haupthaares und Bartes, die ungewöhnliche Tracht, die begeisterte Rede und die Todesverachtung dieses Priesters überraschten Jeden. Niemandes Händedruck that mir so wohl als der seine!«

Was den Kampf betraf, so bewegte sich Bassi inmitten der Schlacht mit völliger Hingabe. »Er macht mich traurig«, beschwerte sich Garibaldi. »Er zeigt ganz offensichtlich, dass er sterben will.« Aber vielleicht war dafür letztendlich der General selbst verantwortlich. »Nichts würde mir erfreulicher sein, als für Garibaldi zu sterben«, sagte Bassi begeistert. »Garibaldi ist Italien.«

Bei Raffaele Belluzzi, der äußerst detailverliebt ist, trägt Bassi ein schwarzes Hemd, um seinen Hals baumelt ein Kreuz und er reitet ein lebhaftes Pferd, das zuvor dem britischen Gesandten in Rom gehört hatte. Doch von den dreien, die den Zug anführten, war die beste Reiterin zweifellos Anita, die angeblich sogar Garibaldi selbst auf diesem Gebiet Unterricht erteilt haben soll. In seinen Memoiren erzählt Garibaldi, sie habe sich am selben Nachmittag, als sie Rom verließen, noch das Haar schneiden lassen, um wie ein Mann auszusehen. Andere Beobachter schreiben, sie habe lange Haare gehabt. »Die Frau Garibaldis«, berichtet Hoffstetter, »ritt, als Amazone im dunkelgrünen Gewande, einen schönen Grauschimmel und trug den in der ganzen Kolonne gebräuchlichen Salabreserhut mit einer Straußfeder. Gewöhnlich hatte sie keine Waffe; nur bei drohender Gefahr schnallte sie einen leichten Reitersäbel um, der ihr schon in Amerika Dienste geleistet.« Bei Belluzzi trägt sie ein rotes Hemd, eine Pistole und einen Dolch. Die Männer trugen alle Dolche im Gürtel, berichtet er.

Die einzige Waffe, die wir bei uns tragen, ist ein nagelneues Schweizer Taschenmesser, mit dem ich jetzt zur Erfrischung einen Pfirsich aufschneide. Wir haben eine Höhe von ungefähr vierhundertfünfzig Metern erreicht und befinden uns auf einer weiten Lichtung, an der vier Wege aufeinandertreffen. In der prallen Sonne ist das Gras trocken und graugrün, aber die Ränder der Lichtung liegen im Schatten; wir stellen die Rucksäcke ab, ich ziehe mein schweißnasses Hemd aus und hänge es zum Trocknen über einen Ast. Es ist nicht aus Wolle, wie die Hemden der garibaldini – wie heiß muss ihnen darin gewesen sein! –, sondern aus einem wunderbar leichten graublauen Stoff, der den stolzen Angaben des Herstellers zufolge den Schweiß vom Körper wegleitet und durch winzige Löcher verdunsten lässt. Für eine Weile klappt das gut, doch wenn der Schweiß in Strömen fließt, sind dem, was kleine Löcher vermögen, doch Grenzen gesetzt.

Wir haben außerdem leichte Trekking-Shorts, während die garibaldini graue Wollhosen mit einem roten Streifen trugen. Und wir haben elastische, atmungsaktive Sportunterwäsche entdeckt, für die ich extrem dankbar bin. Was für großartige Fortschritte der Bekleidungsindustrie in den letzten zweihundert Jahren gelungen sind! Hatten Garibaldis Männer überhaupt Unterwäsche? Ich fürchte nein. Je bewusster mir wird, an wie vielen Stellen die Kleidung scheuert, die Schuhe drücken und Schmerzen lauern, desto außergewöhnlicher erscheint mir die Entschlossenheit jener Männer. Ich versuche, sie mir vorzustellen, wie sie hier am Rand dieser Lichtung lagern, ihre Zehen und Fersen inspizieren, wunde Stellen entdecken und Vorsorge treffen. Ich habe ein kleines Silikonröhrchen, das ich über den vierten Zeh meines rechten Fußes stülpen kann, weil er anfällig für Blasen ist. Sie haben ihre Zehen vermutlich mit Stoffstreifen umwickelt. Und wir haben uns die leichtesten Trekkingschuhe geleistet, die man kaufen kann, und dazu die allerbesten Wandersocken. Nur ab und zu erwähnen die verschiedenen Berichterstatter das Problem, dass die garibaldini keine guten Stiefel hatten. Von Socken...

Erscheint lt. Verlag 22.2.2022
Übersetzer Ulrike Becker
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte
Schlagworte 19. Jahrhundert • Apennin • Armee • garibaldini • Geschichte • Guiseppe Garibaldi • Italien • Politik • Ravenna • Reise • Reisebericht • Revolution • Rom • Tim Parks • Unabhängigkeit • Unabhängigkeitskriege • Wandern
ISBN-10 3-95614-498-8 / 3956144988
ISBN-13 978-3-95614-498-1 / 9783956144981
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