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Gebrauchsanweisung für die Ostsee und Mecklenburg-Vorpommern (eBook)

Aktualisierte Neuausgabe 2021
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
224 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99849-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gebrauchsanweisung für die Ostsee und Mecklenburg-Vorpommern -  Ariane Grundies
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Im Land der zweitausend Seen Weiße Strände, leuchtendes Meer, undurchdringlicher Urwald und glitzerndes Wasser - dafür muss man nicht weit reisen, das alles findet man in Mecklenburg-Vorpommern. Und Ariane Grundies weiß ganz genau, wo. Sie erzählt vom Wasserwandern und Paddeln, von Flößen und Hausbooten. Sie nimmt uns mit auf Spaziergänge vorbei an gotischen Backsteinbauten, zu Radtouren an der kilometerlangen Küste und auf die Hügel der Mecklenburgischen Schweiz. Wir begegnen den Einheimischen mit ihrem spröden Charme, erkunden alte Hansestädte wie Rostock oder Greifswald und beobachten Kraniche, Fische und Surfer. Gemeinsam mit der Autorin entdecken wir die kleinen wie die großen Inseln, Gespensterwald und Königsstuhl - und genießen Ostsee satt. »Genauso humorvoll beschreibt sie die Leute und Landschaften, die ihr sympathisch sind. Das macht ihre Gebrauchsanweisung so lesenswert, dass man am liebsten gleich packen und losfahren würde.« Nordwest Zeitung

Ariane Grundies, 1979 in Stralsund geboren, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig; 2002 gewann sie beim Open Mike mit einer ihrer Erzählungen. Neben einem Roman, Kurzgeschichten und Sachbüchern veröffentlichte sie auch Hörbücher und Artikel in verschiedenen Magazinen. Außerdem scheibt sie regelmäßig für die beliebte Radiosendung »Ohrenbär«. Die Autorin lebt in Berlin und kehrt, so oft es geht, nach Mecklenburg-Vorpommern zurück.

Ariane Grundies, 1979 in Stralsund geboren, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig; 2002 gewann sie beim Open Mike mit einer ihrer Erzählungen. Neben einem Roman, Kurzgeschichten und Sachbüchern veröffentlichte sie auch Hörbücher und Artikel in verschiedenen Magazinen. Außerdem scheibt sie regelmäßig für die beliebte Radiosendung "Ohrenbär". Die Autorin lebt in Berlin und kehrt, so oft es geht, nach Mecklenburg-Vorpommern zurück.

Vorwort: Wir sind ganz oben!


Im Alter von sechs Jahren war ich ziemlich sicher, gemeinsam mit meinem Sandkastenfreund Krischi nach Hiddensee auszuwandern, sobald wir nur das Geld für zwei Fahrkarten zusammenhätten. Ich wollte dort Sanddornpflückerin werden, Krischi Bernsteinjäger. Die Farbe Orange hatte es uns offensichtlich angetan, denn wenn Hiddensee eine Farbe oder ein Geschmack wäre, dann sanddornartig. Wir stellten uns vor, in einem der weiß leuchtenden Reetdachhäuser zu wohnen, die aus der Ferne wie ins Gras geworfene Perlen aussahen.

Doch unsere Zukunftsvisionen verblassten, je älter wir wurden. Plötzlich hockten wir in nirvanaesken Cordhosen und Holzfällerhemden im Goldenen Anker unter Bojen- und Fischernetzdeko, warfen Geld in die Jukebox, die abwechselnd Junge, komm bald wieder, Nachts auf der Reeperbahn und Für mich soll’s rote Rosen regnen dudelte, tranken Störtebeker Starkbier oder Stralsunder Pils und konnten es kaum erwarten, möglichst bald möglichst weit weg von hier zu kommen, wo man von einer roten Stadtmauer aus Backstein umgeben war und jeder, aber auch jeder Schulausflug ins hiesige Meeresmuseum oder das etwas weiter entfernte Kernkraftwerk Greifswald/Lubmin führte.

Als wir dann schließlich in Städten wohnten, die doppelt und dreifach so viele Einwohner hatten wie unser gesamtes Bundesland, da sehnten wir uns zurück nach Sanddorn und Bernstein und Backstein und vielleicht auch unter das große Walgerippe, das an der Decke des Meereskundemuseums baumelt und etlichen Stralsundern noch heute das Gefühl gibt, im Besitz von etwas ganz Besonderem zu sein.

Den Fischgestank wird man wohl nicht los, kommentierte mein Dozent eine Stelle in Uwe Johnsons Jahrestagen. Obwohl Johnson bereits in Amerika lebte, ließ er seine Protagonistin sagen: Das Fischland ist das schönste Land der Welt. Das Schönste am schönsten Land der Welt ist und bleibt der Fischgestank.

Tatsächlich lag gleich hinter dem Schulhof meiner Grundschule der Hafen, und im Hafen standen große Räucheröfen, deren Qualm herüberzog und im Pionierhalstuch und in den gespendeten Zelten für Nicaragua hängen blieb. Wenn ich nach Hause kam, säuberte mein Großvater Barsche, Heringe oder Aale und hängte sie in den eigenen Räucherschuppen, und am Abend kamen die Nachbarn und brachten ihre Rollmöpse oder Flundern, und niemand hätte sich je vorstellen können, dass anderen Menschen Bananen oder Kiwis oder Ketchup irgendwas bedeuten könnten.

Und die Ruhe, wie einem die Ruhe fehlen kann, wenn man Mecklenburg-Vorpommern verlässt. Sicher ist es kein Zufall, dass sich Menschen wie der dänische Stummfilmstar Asta Nielsen oder Angela Merkel, die schon mit den Worten Ich schätze das Schweigen zitiert worden ist, bei uns pudelwohl fühl(t)en. In der Ruhe liegt Kraft. Schon das vorpommersche Kind merkt schnell, dass Sprechen weder dazu da ist, eine gesellige Runde akustisch zu untermalen, noch um unnötige Informationen weiterzugeben. Plaudern und schwatzen sind Wörter, die dort oben bis heute nicht zum aktiven Wortschatz zählen. Ich habe sie zum ersten Mal gehört, als ich zwanzig Jahre alt war. Ihr Klang hatte in meinen Ohren etwas Unanständiges.

Sollte ein Fremder in Mecklenburg-Vorpommern auf die Idee kommen, jemanden anzusprechen, zum Beispiel eine Verkäuferin hinter der Theke des Rügenbacks, in etwa so: Ich hätte gern ein Roggenbrot oder etwas mit Sonnenblumen. Haben Sie so was da?, wird die Bäckerin dem Fremden stumm etwas einpacken und ebenso stumm den Preis in ihre Kasse tippen. Hat sie nichts dergleichen vorrätig, wird sie keine Alternative vorschlagen, sondern antworten: Nee.

Ich war verwundert und zutiefst verunsichert, als ich in Leipzig ankam und fortan ein Redeschwall auf mich einprasselte, wenn ich nur ein Stück Kuchen kaufen wollte. Ich hatte das Gefühl, alle quatschen mich zu und bringen mich ständig in den Zugzwang, etwas sagen zu müssen, aber niemand hatte mir beigebracht, was man erwidert, wenn ein bisschen geplaudert wird. Plaudern auf Mecklenburgisch geht nämlich so:

In den Himmel blickend: Klärchen (Sonne) lässt sich wohl nicht mehr blicken.

Schulterzuckend: .

Schulterzuckend: Wat soll’s?!

Vom Redepartner wegdrehend: Wird schon wieder kommen, wenn se wat will.

Ebenfalls umdrehend: Jo.

(Ungekürzt)

Aber weil sich in Mecklenburg-Vorpommern, entgegen allen Vorurteilen, die Dinge doch verändern, wenn auch, zugegeben, etwas langsamer, haben einige Dienstleister begriffen, dass eine kleine Unterhaltung mit dem Kunden durchaus verkaufsfördernd wirken kann. Dabei verzichtet der Meck-Pommer auf Lug und Trug, redet nicht lang um den heißen Brei herum, sondern ist kompromisslos ehrlich.

Wenn mir unter einem der Wernesgrüner-Sonnenschirme auf dem Alten Markt in Stralsund die Bedienung auf meinen Hinweis, dass der Milchkaffee irgendwie seltsam schmeckt, antwortet: Ja, ich habe auch schon eine Minute daran gerochen. Die Milch ist eben schon ewig auf, ich habe auch probiert, war mir aber nicht sicher …, dann frage ich mich, wie solche doch brutal offenen Äußerungen wohl auf den unvorbereiteten Touristen wirken. Wird er Mecklenburg-Vorpommern für unwirtlich halten, nur weil jemand ehrlich ist? Wird der Tourist uns geizig oder protestantisch schimpfen, wenn die Fischhändlerin nur eines ihrer zwei vorrätigen Stücke geräucherten Heilbutts rausrücken will, weil es ja erst fünfzehn Uhr ist und sie sonst keinen Heilbutt für jemand anderen mehr hat? Nun, ich schrieb es ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn zu. Und dass mir ein komplett vereistes Eis mit den Worten Eis ist halt futsch, anderes hab ich nicht serviert wurde, hielt ich für eine aufmerksame Geste. Man wollte mir nun mal nicht mit nichts kommen. Typisch gastfreundlicher Meck-Pommer!

Was zählen denn ein ranziger Milchkaffee oder zwei Stücke Heilbutt, wo Wildgänse und Kraniche geräuschvoll über leuchtend gelbe Rapsfelder hinwegfliegen, wo sich Emmas (so heißen laut Morgenstern alle Möwen) in die See stürzen, wo man in gastronomischen Einrichtungen ein spannendes Cross-over aus maritimem Chic mit spanischen oder französischen Elementen und sozialistischen Kunstblumen erwarten darf? Was zählt, wenn man aus einer ihresgleichen nicht findenden Bandbreite an Sanddornprodukten wählen kann? Kaum etwas lässt sich mit Wald und Wasser satt und dem bis 1647 vierthöchsten Kirchturm der Welt (Marienkirche Stralsund) messen. Alte Hansestädte mit Seefahrercharme brauchen kein unvereistes Eis. Kulinarisch ist man hier sowieso etwas weniger anspruchsvoll.

Als ich zum fünfzigsten Geburtstag meiner Mutter für die Verwandtschaft ein französisches Menü kochen wollte, bekniete sie mich verzweifelt, es sein zu lassen. Versau es mir bitte nicht! Du weißt doch, dass sie nur Fisch- und Käsebrötchen und Bockwurst wollen. Wir machen das nun mal immer so!

Ja, keine Extrawürschte, für niemanden. So machen wir’s immer. Als 1991 Angela Merkel in einem Stralsunder Lokal einkehrte, in dem mein Bruder kellnerte, und ihn fragte, ob sie sich zwei Bockwürste vom Büfett einpacken dürfe, antwortete er: Aber nur zwei, die anderen sind für Ines’ Hund. Angela wagte keinen Widerspruch und packte sich für den steinigen Weg, der zweifelsohne vor ihr lag, zwei Bockwürste in Alufolie. Als Dank für die Güte meines Bruders schleppt sie noch heute regelmäßig hohen Besuch ins Land, der auch nicht mit einem französischen Menü, sondern mit Spanferkel oder Zander, dem bestenfalls eine Zitrone im Maul steckt, verköstigt wird. Bodenständigkeit nennt man das. Authentizität. Auch die Bundeskanzlerin weiß, wenn Mecklenburg-Vorpommern einen erst mal am Wickel hat, lässt es einen nicht mehr los, dann gerät man schnell in die Versuchung zu behaupten, das Fischland sei das schönste Land der Welt. Nicht dem Stress allzu vieler Konventionen unterworfen zu sein macht Mecklenburg-Vorpommern zu einer ungemein entspannten Region, in der man den Blick für Wesentliches, zum Beispiel die Natur, behält. Als sich die Medien weltweit fragten, ob der Zaun, der zum G-8-Gipfel um das älteste deutsche Seebad Heiligendamm herum errichtet wurde, die Sicherheit der Politiker garantieren kann, versicherte die mecklenburgische Polizei der Presse: Wenn ein Hase davor hoppelt, merken wir das.

Mecklenburg-Vorpommern, gekrönt mit dem Werbeslogan MV tut gut, gehört mittlerweile zu den beliebtesten Reisezielen im Land. Was genau an Mecklenburg-Vorpommern guttut, lässt sich pauschal nicht sagen. Es ist für jeden etwas anderes, und jeder muss es selbst herausfinden. Der eine knattert mit seinem Motorrad über das Kopfsteinpflaster der uralten Lindenalleen, während sich ein anderer das Kopfstein per Kutsche gönnt. Einer stellt sich in den Wind, der am Pommesstand des Kreidefelsens weht, und der andere setzt sich in die gemütliche Teeschale in Prerow auf dem Darß und futtert selbst gebackenen Rhabarberkuchen. Der eine wandert durch einen der herrlichen Küstenwälder, der andere verliert oder findet sich zwischen unzähligen Seen. In diesem Sinne ist es ganz und gar ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Schon Bismarck meinte: Wenn die Welt untergeht, so ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles fünfzig Jahre später. Die Uhren an den Kirchtürmen, Juweliergeschäften und Sparkassen ticken hier anders. Ümmer mit de Rauh, mien Schieter, pflegte man mir auf Nachfragen jeglicher Art zu antworten....

Erscheint lt. Verlag 1.4.2021
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Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Deutschland
Reisen Reiseführer Europa
Schlagworte Aktivurlaub • Corona • Coronareise • Deutschland • Deutschlandbuch • Deutschland entdecken • Deutschlandreise • Deutschlandreisen • Kreidefelsen • Mecklenburgische Seenplatte • Mecklenburg-Vorpommern • Meck-Pom • Meckpomm • Norddeutschland • Ostsee • Ostseebuch • Reisebuch • Reisefüher • Reisen in Deutschland • Reisen trotz Corona • Rostock • Rügen • Sassnitz • Schwerin • Seenplatte • Stralsund • Strand • Strandlektüre • Urlaub am See • Urlaub am Wasser • urlaub an der ostsee • Urlaub in Mecklenburg • Urlaub in Mecklenburg-Vorpommern • Urlaub mit Kind • Urlaubsbuch • Urlaubslektüre • Wassersport • Wasserurlaub
ISBN-10 3-492-99849-6 / 3492998496
ISBN-13 978-3-492-99849-9 / 9783492998499
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