Patagonien (eBook)
272 Seiten
Piper ebooks (Verlag)
978-3-492-99787-4 (ISBN)
Carmen Rohrbach, geboren in Bischofswerda, ist Entdeckerin aus Leidenschaft. Sie studierte Biologie in Greifswald und Leipzig und schloss mit der Promotion in München ab. Ihre Reisen führten sie unter anderem nach Südamerika, Afrika, Asien und Arabien, auf dem Jakobsweg durch Frankreich und Spanien und entlang der Isar durch Österreich und Bayern, stets auf der Suche nach intensiven Begegnungen und Naturerlebnissen. Heute ist sie eine der beliebtesten Reiseschriftstellerinnen Deutschlands, dreht Dokumentarfilme, schreibt für Zeitschriften und hält Vorträge über ihre Reisen. Mit ihren persönlich geschriebenen Reiseberichten hat sie sich inzwischen eine große Fangemeinde erworben. Bei Malik und National Geographic Malik erschienen mehr als zwanzig Bücher von Carmen Rohrbach, darunter der Spiegel-Bestseller »Unterwegs sein ist mein Leben«.
Carmen Rohrbach, geboren in Bischofswerda, ist Entdeckerin aus Leidenschaft. Sie studierte Biologie in Greifswald und Leipzig und schloss mit der Promotion in München ab. Ihre Reisen führten sie nach Südamerika, Afrika, Asien und Arabien, auf dem Jakobsweg durch Frankreich und Spanien und entlang der Isar durch Bayern und Österreich, stets auf der Suche nach intensiven Begegnungen und Naturerlebnissen. Heute ist sie die beliebteste Reiseschriftstellerin Deutschlands, dreht Dokumentarfilme, schreibt für Zeitschriften und hält Vorträge über ihre Reisen. Mit ihren persönlich geschriebenen Reiseberichten hat sie sich inzwischen eine große Fangemeinde erworben. Bei MALIK und MALIK NATIONAL GEOGRAPHIC erschienen mehr als zehn Bücher von Carmen Rohrbach, darunter der Spiegel-Bestseller "Unterwegs sein ist mein Leben".
Bis ans Ende der Welt
Unbekanntes zu erforschen ist der physische Ausdruck einer intellektuellen Leidenschaft… du wirst belohnt werden, und sei es nur mit einem Pinguinei.
apsley cherry-garrard
Der patagonische Wind rüttelt an den Tragflächen. Wie bei einer Achterbahn fällt die Propellermaschine tief hinab, steigt wieder auf, aber der Wind ist überall. Die späte Nachmittagssonne taucht die Erde in plastisches Licht, vergoldet das öde Land, lässt die lehmbraunen und sandgelben Farben leuchten. Nichts deutet darauf hin, dass dort unten Menschen leben. Weder Städte noch Dörfer, keine Straßen oder Pisten sind sichtbar.
Sechs bis acht Stunden braucht das Flugzeug von Buenos Aires, der Hauptstadt Argentiniens, bis zu meinem ersten Reiseziel: die 3400 Kilometer entfernte, am weitesten südlich gelegene Stadt der Erde Ushuaia, die größte Ortschaft auf Feuerland. Ich will mir ein halbes Jahr Zeit nehmen, um die Insel zu durchqueren und anschließend durch Patagonien zu wandern, wenn möglich, will ich auch reiten und größere Entfernungen mit einem Mietwagen zurücklegen.
In früheren Jahrhunderten, zur Zeit der Entdeckungen, war eine Reise nach Feuerland ein entbehrungsreiches, abenteuerliches und gefährliches Vorhaben, eine Fahrt ins Ungewisse, die nur wenige Weltumsegler, Forscher, Pioniere und Abenteurer wagten. Heute ist es eine Reise wie jede andere – realistisch gesehen. Im Kopf aber lebt der Mythos fort vom »Ende der Welt«, webt die Fantasie grandiose Bilder von sturmumtosten Küsten, windzerzausten Landschaften, von grenzenloser Einsamkeit und unberührter Natur.
Als Jugendliche war Tierra del fuego, wie Feuerland auf Spanisch heißt, für mich ein Begriff, der mich entflammte. Da wollte ich hin! Unwiderstehlich zog mich das raue Land an. Wenn man mich fragte, was um Himmels willen ich dort am Ende der Welt denn wolle, wusste ich eine einfache Antwort: beobachten, entdecken, erforschen, alles anschauen und darüber berichten. Das ist meine Begründung fürs Reisen bis heute geblieben.
Inzwischen ist der Süden des amerikanischen Kontinents kein weißer Fleck mehr auf der Landkarte. Also das Ende der Illusion? Obwohl ich weiß, dass es das Feuerland meiner Jugend nicht mehr gibt, kann ich diese Tatsache doch nicht akzeptieren. Ich werde es schon finden, »mein« Tierra del fuego, davon bin ich überzeugt. Dennoch ist mir klar: Die Abenteuer und Entbehrungen früherer Zeiten, die die Entdecker damals erlebt und erlitten haben, kann ich mir nur in der Fantasie ausmalen.
Von Europa kommend, mussten sie zuerst mit dem Schiff den Atlantik überqueren. Eine gefährliche Reise, die viele Wochen dauerte. Ich hingegen rase im Flugzeug die Strecke von München nach Buenos Aires über fünf Zeitzonen hinweg, einen Tag und eine Nacht lang. Und dann in nur wenigen Stunden über nahezu die gesamte Länge Argentiniens.
Keine Wolken behindern die Sicht, und ich kann während des ganzen Fluges die Erde unter mir sehen. Da taucht schon die Magellanstraße auf, diese fjordartige Wasserfläche, die Feuerland vom patagonischen Festland trennt. Und welche Überraschung, die gelbbraune Ödnis der wüstenartigen Steppenlandschaft verschwindet, wird abgelöst von grünen Farben. Plötzlich sind da Wälder und Wiesen, dazwischen schimmern blaue Seen und schneeweiße Berggipfel. Das Ende der Welt scheint ein grünes Paradies zu sein.
Noch einmal packt der Wind das Flugzeug mit Gewalt. Über dem Beagle-Kanal wird es auf und nieder geschleudert. Wir fliegen so tief, dass ich die Schaumkronen des aufgepeitschten Meeres sehen kann. Völlig unerwartet für mich, da an meiner Fensterseite kein Land sichtbar war, setzt die Maschine auf. Sehr nahe am Rand der Wasserfläche befindet sich die Landebahn von Ushuaia.
Der Raum zwischen Meer und hochragendem Gebirge ist schmal, und dennoch hat sich hier eine große Stadt entwickelt. Im Abendlicht wirkt die Szene futuristisch. Massenhaft drängen sich Häuser am Uferstreifen eng zusammen. Unwirklich, dass hier am »Ende der Welt« so viele Menschen leben. Zahlreiche Schiffe ankern im Hafen, darunter ein roter Eisbrecher.
Gleich hinter Ushuaia steigt das Gebirge steil an, die DarwinKordillere, ein Ausläufer der Anden, mit immerhin 2300 Meter hohen Gipfeln. In der beginnenden Dunkelheit leuchten ihre Gletscher besonders weiß, und über den bizarren Bergen zwischen drohend blauschwarzen Wolken spannt sich ein Regenbogen. Ein Anblick, der mir den Atem nimmt, eine unwirkliche Vermischung von wuchernder Zivilisation und ungezähmter Wildnis. Wind fegt über das Rollfeld, eisig und schneidend, obwohl dem Kalender nach der Sommer beginnt.
Ich hatte geglaubt, es wäre einfach, in Ushuaia eine Unterkunft zu finden, doch alle Quartiere sind besetzt, denn gleich mehrere Kreuzfahrtschiffe haben angelegt. Eine Wirtin erbarmt sich meiner und ruft eine Bekannte an. Eigentlich vermiete diese nicht mehr, aber eine einzelne Person finde sicherlich noch Platz, tröstet sie mich. So gelange ich zu Familie Andrade mit ihren sechs Kindern. Sie bewohnen ein zweistöckiges Holzhaus mit blau-gelb-grünem Anstrich und haben kräftig eingeheizt, denn zwischen Fensterrahmen und Wand klaffen Spalten von mindestens einem Zentimeter.
»Das macht doch nichts!« Roberto Andrade lacht. »Heizöl ist spottbillig, und so haben wir immer frische Luft, ohne die Fenster öffnen zu müssen.«
Die Kinder, zwei Mädchen und vier Buben zwischen einem und 13 Jahren, staunen erst einmal über den fremden Gast, bevor sie wieder lautstark durch die Wohnung toben.
»Wegen der Kinder vermieten wir nicht mehr«, meint Olga Andrade entschuldigend. »Den Krach können wir keinem Gast zumuten, vor allem seit das Jüngste da ist. Die Kleine weint nachts oft.«
Tapfer, denn was bleibt mir anderes übrig, sage ich, so seien Kinder halt, mir mache der Lärm nichts aus.
Die Andrades leben seit fünf Jahren in Ushuaia, angelockt von hohen Löhnen, geringen Steuern und anderen Vergünstigungen. Ihren Entschluss haben sie nicht bereut. Sie hätten sich zunächst für drei Jahre verpflichtet, wollen jetzt aber für immer bleiben.
»Wir können uns hier mehr leisten und unseren Kindern ein besseres Leben bieten als in Rosario, wo wir herkommen. Rosario liegt am Río Paraná, nördlich von Buenos Aires«, sagt Olga und begleitet mich in das obere Stockwerk, um mir mein Zimmer zu zeigen, das Jungmädchenzimmer ihrer ältesten Tochter. Meinen Einwand entkräftet sie: »Dana ist einverstanden. Sie schläft gern mal bei ihren Geschwistern.«
Das Abendessen nehme ich zusammen mit der Familie am großen Tisch ein. Olga hat leckeren Fisch gebraten und serviert Reis dazu. Später spaziere ich durch das nächtliche Ushuaia. Roberto und Olga hatten mir erzählt, dass die Ortschaft eine Bevölkerungsexplosion erlebt habe, die atemlos mache. Vor 30 Jahren lebten hier nicht einmal 6000 Menschen, heute sind es 60000, angelockt von großartigen Versprechungen der Regierung. Eine rasante Entwicklung, wenn man bedenkt, dass Ushuaia hundert Jahre lang nur ein einsamer Vorposten der Zivilisation gewesen war. Die Besiedlung begann, wie so oft in der Geschichte, mit einer Missionsstation. 1870 kam Reverend Thomas Bridges von der britischen Südamerikanischen Missionsgesellschaft in die Bucht. Als einziger Weißer ließ er sich dort nieder, baute sich eine Hütte in der Nähe der Feuerlandindianer und predigten ihnen den christlichen Glauben.
Dann errichtete der argentinische Staat einen Marinestützpunkt und entdeckte die Region als ausbruchssichere Verwahranstalt für Häftlinge. Zwischen 1884 bis 1920 waren Kriminelle und politische Gefangene zuerst auf der Isla de los Estados, der »Staateninsel«, eingekerkert, die südöstlich vor Feuerland im Atlantik liegt. Als das Gefängnis in Ushuaia im Jahr 1920 fertig gebaut war, wurden die Gefangenen dorthin gebracht. Damals war Ushuaia noch keine Stadt, nur eine gottverlassene Ansammlung armseliger Hütten.
Den eigentlichen Anstoß zum Bevölkerungsboom gab der noch immer schwelende Konflikt zwischen Chile und Argentinien. Seit Beginn der Staatenbildung versuchen sie, sich gegenseitig Territorien abzujagen. 1978 waren schließlich beide Länder bereit, den Verlauf ihrer Grenzen mit Waffengewalt zu »diskutieren«. Da mischte sich doch tatsächlich der Vatikan friedensstiftend ein. Konkret ging es um drei kleine Inseln südlich von Ushuaia im Beagle-Kanal, an sich völlig unbedeutende Eilande, aber der Konflikt liegt viel weiter südlich – die Antarktis.
Der rohstoffreiche Eisschrank weckt Begehrlichkeiten. Der Antarktisvertrag von 1961, eine internationale Übereinkunft zwischen den Mitgliedstaaten, hat diese Gebietsansprüche »eingefroren«, bis die technischen Voraussetzungen für eine Nutzung der Bodenschätze geschaffen sind. Inzwischen ist der sechste Kontinent auf Kartenplänen wie ein Kuchen in einzelne Segmente aufgeteilt, aber nur Staaten, die an der Erforschung der Antarktis beteiligt waren oder durch vorgelagerte Inseln eine direkte natürliche Fortsetzung der Südpolargebiete darstellen, wie Chile und Argentinien, haben Anspruch auf eine zukünftige Ausbeutung der Rohstoffe. Je größer das eigene Territorium, umso größer ist auch der Anteil an der Antarktis, so die Regelung. Wer also die Inseln im Beagle-Kanal sein Eigen nennt, besitzt auch ein größeres Stück vom antarktischen Kuchen.
England zum Beispiel, das eigentlich nicht an die Antarktis grenzt, begründet seinen Anspruch mit den Falklandinseln. So erklärt sich, warum Margarete Thatcher so eisern um »ihre« Falklandinseln hat kämpfen lassen und warum Argentinien diese Inseln ebenfalls besitzen will, ihnen demonstrativ mit Malvinas einen eigenen Namen gibt und sie auf Karten provokativ in den argentinischen Landesfarben abbildet.
Zurück zum Vatikan. Der Papst und seine...
Erscheint lt. Verlag | 12.10.2020 |
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Zusatzinfo | Mit 16 Seiten Farbbildteil und einer Karte |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Südamerika |
Schlagworte | Abenteuer • Anden • Carmen Rohrbach • Cerro Torre • Fitz Roy • Reisebeschreibung • Reiseführer |
ISBN-10 | 3-492-99787-2 / 3492997872 |
ISBN-13 | 978-3-492-99787-4 / 9783492997874 |
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Größe: 23,1 MB
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