Nordkap (eBook)
224 Seiten
Highlights Verlag
978-3-945784-11-2 (ISBN)
Kapitel 1: Endlich on the road
07. Juni
Heidelberg - Jarplund
N 54°44’39.1" / E 009°28’11.5"
759 km
schönes Wetter, 20° C
»Na, min Jung? Nur tanken, oder willste auch was essen? ‘Ne Bockwurst vielleicht? Guck mal!«
Ich glaub’, mich tritt ein Pferd! Mit meinen dreiundfünfzig Jahren könnte ich locker ihr Vater sein. Wie spricht sie denn mit mir, wir kennen uns doch gar nicht? Trotzdem ist mir der fröhliche Vorschlag der jungen Kassiererin an einer Autobahntankstelle in der Nähe von Hamburg nicht unangenehm. Ganz im Gegenteil, was zu essen wäre jetzt gar nicht schlecht und deshalb nicke ich, sage »Gute Idee, mach mal, ich stell nur mein Moped weg«, und mache mich auf, um meine BMW auf dem freien Platz neben der Tankstelle zu parken.
»’Ne Cola dazu, damit du wieder fit wirst?«, ruft sie mir hinterher.
»Ja, alles klar.« Im Weggehen hebe ich die Hand in ihre Richtung, um anzudeuten, dass sie mir nichts weiter anzubieten braucht.
»Mach du mal die Zapfsäule frei, ich stell dir alles hier hin.«
Die ist ja geschäftstüchtig! Aber nett, und sie hat mich auch genau richtig eingeschätzt. Ok, um diese Uhrzeit ist es vielleicht zu erwarten, dass die Leute hungrig sind und sich gerne ein Mittagessen verkaufen lassen, trotzdem hat sie ihre Sache gut gemacht.
An der Zapfsäule wartet schon der nächste Kunde darauf, tanken zu können, deshalb beeile ich mich. Wie immer zu Tourbeginn noch etwas eingerostet, schiebe ich das rechte Bein umständlich und mühevoll zwischen dem riesigen Tankrucksack und der auf dem Soziusplatz festgezurrten Packrolle hindurch über die Sitzbank, sitze auf und lasse den Motor an. An das Gewicht des voll beladenen Motorrades muss ich mich erst wieder gewöhnen und so brauche ich zwei Anläufe, um meine Dicke Bertha vom Hauptständer zu wuchten. Voll getankt und mit Gepäck dürfte sie nun etwa 320 kg wiegen. Der Hauptständer klappt nach oben und die Maschine fällt schwer in die Federung. Wir sind halt beide nicht gerade leichtgewichtig unterwegs und ich hoffe, auf der heute begonnenen Reise ans Nordkap vielleicht ein wenig abnehmen zu können. Bertha hingegen sollte möglichst ihr Gewicht beibehalten und mit allen ihren Teilen wieder nach Hause kommen.
Neben der Tankstelle ist ein kleiner Bereich im Freien mit ein paar Tischen und Stühlen. Davor stehen zwei sportliche Motorräder, ihre Fahrer sitzen an einem Tisch und machen Pause. Sie liegen fast in den Stühlen, die sie in die Sonne gedreht haben, strecken Arme und Beine von sich und ihre Gesichter zum Bräunen in die Sonne, so als lägen sie am Strand von Mallorca und genössen den herrlichen Sonnenschein. Ich stelle Bertha zu ihren Maschinen und hole drinnen meine Bestellung ab. Als ich mich an den Nachbartisch setzen will, laden die Jungs mich ein, bei ihnen am Tisch Platz zu nehmen, was ich gerne tue. Sofort entwickelt sich ein Gespräch unter Bikern. Die beiden kommen aus Hamburg und machen ihre gewohnte Sonntags-Ausfahrt heute auf der Autobahn, weil sie gerne mal etwas schneller unterwegs sind. Wie die Verkleidungen ihrer japanischen Renner sind auch ihre Helme und die Schultern der bunten Lederkombis vollkommen übersät von Insektenleichen, was den überragenden Speed der Boys zusätzlich unterstreicht.
Sie teilen sich eine Tüte Süßigkeiten, die sie eigentlich gar nicht zu kaufen vorhatten, die hat ihnen die nette Verkäuferin vorgeschlagen, wie sie mir erzählen.
»Wo kommst du her? Hast wohl noch ‘ne weite Strecke vor dir?«
»Aus Heidelberg. Ja, ans Nordkap und zurück, werden so um die 8.000 Kilometer zusammenkommen.«
Anerkennendes Nicken. »Nicht schlecht, Alter. Seit wann bist du unterwegs?«
»Heute morgen um sieben gestartet. Läuft gut bis jetzt«, sage ich lachend. Was soll an einem halben Tag schon passiert sein?
»Stellenweise ist es ziemlich windig, aber immerhin trocken. Und nicht zu heiß, wenigstens solange man fährt.«
»Ja, mit der BMW kann man so eine Tour gut machen. Wir sind aber lieber ohne viel Gepäck und’n büschn zügiger unterwegs.«
»Dafür ist das Wetter doch ideal.«
Aber in der Juni-Sonne wird mir ohne Fahrtwind nun doch ziemlich warm, denn um Platz zu sparen, habe ich jetzt schon die Winter-Klamotten an, die ich bald brauchen werde und sonst irgendwo im Gepäck hätte verstauen müssen. Und der Platz in meinen Packtaschen ist bereits komplett ausgeschöpft. Nur das Winterfutter der Hose ist zum Glück noch nicht eingeknöpft, sondern noch in der großen Packrolle, ansonsten fahre ich bereits mit Fleece-Jacke und langer Unterwäsche. In der heißen Sonne gare ich jetzt schon im eigenen Saft. Schwitzend verdrücke ich die leckere Bockwurst und mache mich dann wieder auf meinen Weg immer weiter nach Norden. Die beiden Kollegen fahren auch wieder los, lassen die Sportauspufftüten ordentlich röhren und sind schon nach wenigen Sekunden nicht mehr zu sehen.
Bei mir ist eine eher gemäßigtere Fahrweise angesagt, denn ich möchte die Tour gemütlich angehen und das Motorradfahren auskosten. Vor der Abfahrt verbrachte ich endlose Stunden damit, Sehenswürdigkeiten ausfindig zu machen, die Strecke auszuarbeiten und Packlisten zu schreiben. Sinnvolle Neuanschaffungen waren sicherlich der große, wasserdichte Packsack mit 80 l Fassungsvermögen und ein gebrauchtes, robustes Tablet, meine Tochter nennt es iFake, auf dem beispielsweise Reiseführer als E-Books gespeichert sind, die Bedienungsanleitungen der Kamera und des Motorrades, ein Campingplatzverzeichnis und Wörterbücher für Norwegisch, Finnisch und Schwedisch. Auch um mein Reisetagebuch zu schreiben und die Datei, bei vorhandenem WLAN, als E-Mail an mich selbst zu sichern, eignet es sich ganz hervorragend. Es lässt sich während der Fahrt ganz einfach an der Bordsteckdose aufladen. Dafür habe ich mir extra ein Kabel angefertigt, das lange genug ist, um bis in den Tankrucksack mit Regenüberzug zu reichen. Obwohl dies nicht meine erste Tour ist und ich bei weitem nicht der Erste bin, der die Fahrt zum Nordkap antritt, war doch von Anfang an klar, dass sie für mich etwas Besonderes sein würde. Diese Reise ist für mich mehr, als einfach nur eine weite Strecke abzureiten. Sie ist eine Reise, die irgendwie ans Ende der Welt führt und allein deshalb hat sie schon einen ganz eigenen Charakter, hat etwas Grundsätzliches, Elementares, etwas Großes an sich, bringt einen zum Nachdenken über sich und die Welt. Sie wird mich dahin führen, wo alle europäischen Wege im Norden enden, wo es nicht mehr weitergeht. Sie ist nicht einfach nur eine Motorrad-Tour wie alle anderen.
Mir ist auch aufgefallen, dass, anders als bei den vorhergehenden Fahrten, dieses Vorhaben bei den Leuten gewisse Reaktionen hervorruft, wenn man ihnen davon erzählt. Es löst schon im Vorfeld eine gewisse Anerkennung, wenn nicht Bewunderung aus und wirft meist die Frage auf, ob ich denn keine Angst habe, ganz alleine zu fahren. Niemand geht reaktionslos darüber hinweg. Selbst mein Nachbar, ein versierter langjähriger Tourenfahrer mit verschiedenen Motorrädern, der übrigens heute morgen eigens im Schlafanzug und mit herrlich zerzausten Haaren vor sein Haus kam, um mir bei der Abfahrt den »Daumen hoch« zu zeigen, hob damals kritisch die Augenbrauen, als ich ihm zum ersten Mal von meinem Plan erzählte, und gab zu bedenken: »Sicher, wenn du alleine fährst, bist du unabhängig und dein eigener Herr. Wenn aber was schief geht, bist du auch alleine!«
Die Verabschiedung von Freunden und meinen Arbeitskollegen in der Apotheke, in der ich arbeite, fiel herzlich, aber auch ungewohnt ernst aus. Mit besorgtem Gesichtsausdruck bat man mich, gut aufzupassen und doch bitte wieder heil zurück zu kommen.
Und mit diesem Gefühl, nämlich am Beginn einer in vielerlei Hinsicht großen Tour zu stehen, legte ich heute morgen den ersten Gang ein, winkte meiner Frau und den Kindern ein letztes Mal und begab mich auf meine »Expedition in die Arktis«.
Im ungefähr 600 Meter langen Tunnel, den ich am Ortsausgang auf dem Weg zur Autobahn durchquerte und wo sich der Klang des Motorrades immer so schön zu einem markerschütternden Sound of Freedom verstärkt, brachen meine Emotionen hervor und ich machte mit der linken Hand eine Faust, stieß sie hoch in die Luft und brüllte: »Ja! Es geht los! On the road again …« Ich fühlte mich frei, darauf hatte ich mich so lange gefreut. Selbst die Dicke Bertha schien mir an manchen Tagen, als scharrte sie schon mit den Hufen und wollte fragen, wann es endlich wieder los gehe.
Nun bin ich unterwegs, und das Motto der Tour lautet:
»Dies ist wahrscheinlich die Reise meines Lebens. Also mache ich sie auch genau so, wie sie mir gefällt und genieße jede Minute und jeden verdammten Kilometer davon, auch wenn es junge Hunde regnen sollte!«
Die Orientierung fällt mir nicht schwer, nur die A5 und A7 sind für mich heute von Bedeutung. Die A5 bis kurz nach dem Frankfurter Kreuz, dann die A7 Richtung Flensburg. Wenn nur alles so einfach wäre. Dennoch habe ich das Navi montiert und eingeschaltet, denn zum einen muss ich so auf den letzten paar Kilometern nicht selbst nach dem geplanten Campingplatz bei Flensburg Ausschau halten und zum anderen zeichnet das Gerät die gesamte Strecke auf und errechnet daraus Durchschnittswerte der Geschwindigkeiten mit und ohne Pausen, was zur Planung weiterer Touren vielleicht einmal interessant sein könnte. Und es soll angeblich vor Radarfallen warnen können, was aber, glaube ich, nicht erlaubt wäre.
Es ist Sonntagmorgen, nur wenige Autos und keine LKW sind unterwegs. Die Frische zu Beginn der Fahrt tut gut, aber gegen Mittag wird es immer wärmer und ich öffne an der Jacke die Lüftungsreißverschlüsse, was...
Erscheint lt. Verlag | 15.2.2020 |
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Verlagsort | Euskirchen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseführer ► Europa |
Reisen ► Sport- / Aktivreisen ► Europa | |
Schlagworte | Motorradreise • Nordkap • Norwegen |
ISBN-10 | 3-945784-11-5 / 3945784115 |
ISBN-13 | 978-3-945784-11-2 / 9783945784112 |
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