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Vom Wandern (eBook)

Neue Wege zu einer alten Kunst
eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
416 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-44101-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vom Wandern -  Ulrich Grober
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Die alte Kunst des Wanderns ist heute der Einspruch gegen das Diktat der Beschleunigung und wird deshalb immer beliebter. Wer wandert, kommt ins Sinnieren, deshalb ist dieses Buch auch ein kleines philosophisches Brevier, das uns hilft, wieder uns selbst zu entdecken, und das beweist, dass sanfte Bewegung und Orientierung in der Natur zur allergrößten Zufriedenheit führen.

Ulrich Grober, geboren 1949 in Lippstadt/Westfalen, hat Germanistik und Anglistik in Frankfurt und Bochum studiert und anschließend in mehreren soziokulturellen Projekten sowie in der Erwachsenenbildung gearbeitet. Seit 1992 ist er freier Autor, Publizist und Journalist. Er schreibt regelmäßig für DIE ZEIT, taz, Deutschlandradio, WDR, RBB und viele andere. Seine zahlreichen Reportagen, Radiosendungen, Dokumentationen, Essays konzentrieren sich vor allem auf die Themen Literatur und Naturerfahrung, Kulturgeschichte und Zukunftsvisionen, Wandern und sanfter Tourismus, Ökologie und Nachhaltigkeit. 1998 erschien sein erstes Buch «Ausstieg in die Zukunft», außerdem 2011 «Die Entdeckung der Nachhaltigkeit». Der Autor lebt in Marl am Rand des Ruhrgebiets, ist verheiratet, hat eine Tochter und ist passionierter Wanderer von Kindesbeinen an.

Ulrich Grober, geboren 1949 in Lippstadt/Westfalen, hat Germanistik und Anglistik in Frankfurt und Bochum studiert und anschließend in mehreren soziokulturellen Projekten sowie in der Erwachsenenbildung gearbeitet. Seit 1992 ist er freier Autor, Publizist und Journalist. Er schreibt regelmäßig für DIE ZEIT, taz, Deutschlandradio, WDR, RBB und viele andere. Seine zahlreichen Reportagen, Radiosendungen, Dokumentationen, Essays konzentrieren sich vor allem auf die Themen Literatur und Naturerfahrung, Kulturgeschichte und Zukunftsvisionen, Wandern und sanfter Tourismus, Ökologie und Nachhaltigkeit. 1998 erschien sein erstes Buch «Ausstieg in die Zukunft», außerdem 2011 «Die Entdeckung der Nachhaltigkeit». Der Autor lebt in Marl am Rand des Ruhrgebiets, ist verheiratet, hat eine Tochter und ist passionierter Wanderer von Kindesbeinen an.

1. Auf Schneeschuhen


Hinter den letzten Häusern von Přední Výtoň, einem Dorf in den südlichen Ausläufern des Böhmerwaldes, machen Schneewehen den Weg unpassierbar. Eine meterhohe Barriere baut sich auf, wo der Traktor den Schneepflug gewendet hat. Jenseits zieht eine weiße Fläche hinauf zum Waldrand am Bergkamm. Die Feldwege, selbst die Weidezäune sind darin versunken. Mit klammen Fingern schnalle ich die Schneeschuhe an.

Die ersten Schritte im tiefen Schnee: behutsam den Schneeschuh mit der ganzen Tragfläche auf die Schneedecke aufsetzen und unter Einsatz der Teleskopstöcke das Körpergewicht dorthin verlagern. Die Oberfläche bricht. Schnee quillt durch Rahmen und Gitter. Es knirscht, knarrt und knarzt. Ich sinke ein. Aber nicht tief. Oberhalb des Knöchels, spätestens im unteren Bereich der Wade, kommt die Sinkbewegung zum Stillstand. Die Verstrebungen und geschlossenen Flächen des Schneeschuhs haben unter meinem Gewicht die Luft aus der Struktur des Schnees herausgepresst, ihn verdichtet und so fest getreten, dass er mich an dieser einen Stelle trägt. Sobald das Standbein Halt spürt, ziehe ich das andere nach, indem ich den Fuß nach oben anwinkele und den Schneeschuh aus der ovalen Vertiefung hebe, die er eingedrückt hat. Mit der nach oben gebogenen Front durchbricht er die vordere Kante des Abdrucks und kommt aus der Versenkung hervor. Es stäubt bis zum Knie hoch. Ohne Gamaschen wären die Hosenbeine schnell durchnässt. Zurück bleibt wieder ein kleines Relief im Schnee. Die nächste Bewegung: Das Gewicht des Oberkörpers wieder verlagern, das Bein strecken und den angehobenen Schneeschuh parallel an dem anderen vorbei heben. In einem Abstand, der weit genug ist, dass sie beim Aufsetzen nicht übereinandergeraten und sich verkanten, aber so eng, dass der Gang nicht breitbeiniger als nötig ausfällt. Eine Schrittlänge weiter vorne setze ich den Schneeschuh auf. Ich sacke ein, aber wiederum nicht sehr tief, vielleicht zwanzig Zentimeter, und finde Stand. Wie tief man kommt, ist vom Aufbau der Schneedecke abhängig, nicht von ihrer Höhe. Sehr pulvriger und sehr nasser Schnee geben am wenigsten Halt.

Das Prinzip des Schneeschuhgehens ist einfach: Du vergrößerst die Trittflächen deiner Fußsohlen und verteilst so dein Körpergewicht auf mehr Quadratzentimeter. Nach ein paar Schritten bekommst du ein Gespür dafür, wie tragfähig der Schnee dadurch geworden ist. Die anfängliche Angst zu versinken verfliegt und weicht einem Grundvertrauen. Der große Unterschied zum Skilaufen: Du gleitest nicht über die Oberfläche. Du watest im Schnee. Das alte deutsche Wort «stapfen», laut Grimms Wörterbuch «fest auftretend schreiten», trifft am besten diese besondere Art des Gehens. Durch den Schnee stapfen ist schweißtreibend und mühsamer als die Fortbewegung auf Skiern. Aber es braucht keine präparierten Loipen oder Pisten, keine geräumten Wege. Du bahnst dir – oder besser – spurst dir deinen eigenen Pfad im Unwegsamen. Dorthin, wo kein Pferd und keine Hunde den Schlitten ziehen, wo kein noch so bulliger Geländewagen, nicht einmal ein Snowmobil vordringt. Du bist autonom. Du gewinnst die Freiheit, auch im strengsten Winter aufzubrechen, wohin du willst.

Mein alter Traum: ein paar Tage auf Schneeschuhen durch weiße Wälder wandern. Dass ich auf den Böhmerwald verfiel, lag an Adalbert Stifter. Ein paar seiner Geschichten, die dort spielen und von Schneestürmen und eiszapfenbehangenem Hochwald erzählen, haben die Phantasie in Gang gesetzt. Nun liegt das Moldautal unter mir. Der Lipnostausee, der die Talsohle auf dreißig Kilometer Länge einnimmt, ist dick überfroren. Seine Eisdecke ist kaum noch vom festen Land zu unterscheiden. Der Jänner, so hatte ich im Gasthof in Přední Výtoň gehört, war noch grün. Es hatte nach einem weiteren milden Winter ausgesehen. Erst Anfang Februar kam der große Schnee. Ein kalter Wind bläst aus Nordwesten, als ich zu meiner viertägigen Tour durch das Grenzgebiet von Südböhmen, Oberösterreich und Ostbayern aufbreche.

Nach einer Stunde und hundert Höhenmetern sanftem Aufstieg ist die erste Kammlinie erreicht. Ein Blick zurück. Ging da ein Yeti? Meine ovalen Fußstapfen haben eine reißverschlussartige Spur hinterlassen, die in einer Schlangenlinie den Wiesenbuckel heraufkommt. Ohne Schneeschuhe wäre die Tour spätestens hier zu Ende gewesen. Erschöpft, durchnässt, entnervt hätte ich aufgegeben. Vor mir liegt das hügelige Land in monotonem Weiß. Scheinbar weglos und grenzenlos. Der schweifende Blick des Wanderers orientiert sich an den Strukturen der Landschaft und nicht am Netz der Wege. Nach Westen hin senkt sich der Höhenzug ins oberösterreichische Mühlviertel herab. Seine Kammlinie bildet die kontinentale Wasserscheide zwischen Moldau und Mühl, Donau und Elbe, Schwarzem Meer und Nordsee. Drei Kilometer unterhalb verläuft die uralte Grenze zwischen Böhmen und Oberösterreich. Jahrhundertelang war sie eine durchlässige grüne Grenze, dann vierzig Jahre lang hermetisch abgeriegeltes militärisches Sperrgebiet, Eiserner Vorhang. Nun ist sie wieder offen, wenn auch vorerst nur eingeschränkt. Auch nach dem EU-Beitritt Tschechiens sind Reisende an die Grenzübergänge gebunden. Die kleineren sind im Winter zu. Der nächste ganzjährig geöffnete ist Guglwald. Vor mir erhebt sich die gezackte Silhouette eines Tannenwaldes. Die Wanderkarte bezeichnet das Gelände als «Svatý Tomáš», Wald und Berg des heiligen Thomas. Von seiner runden Kuppe läuft der Kamm nach Nordwesten zunächst in einer sanften Kurve, dann steil ansteigend über das Massiv des Hochficht zur Felswand des Plechy, des Plöckensteins, des Königs des Böhmerwaldes, und springt von dort zum Gipfel des Dreisesselbergs. Obwohl ich zum ersten Mal in dieser Landschaft bin und trotz aller radikalen Umbrüche des 20. Jahrhunderts, scheint sie vertraut. Das Schneeland vor mir ist die Landschaft, die Adalbert Stifter vor 150 Jahren beschrieb, jener «breite Waldesrücken» mit dem «Gewimmel mächtiger Joche und Rücken» an der «Mitternachtseite des Ländchens Österreich». Ein Bändchen mit seinen Erzählungen habe ich im Rucksack. Für die langen Abende.

Der Weg in den Wald hinein ist verweht. Nur als gekrümmte Schneise ist er zwischen den Baumstämmen auszumachen. Hier ist seit Wochen niemand mehr gegangen. Niemand? Tierspuren kreuzen den Weg. Sie sind viel auffälliger als im Sommerwald. Die Vorderläufe hintereinander, die Hinterläufe links und rechts gesetzt: Spuren eines Hasen. Mittelfingertief ist er eingesunken, in Sätzen von einem halben Meter mühsam vorwärtsgehoppelt. Eine winzige Spinne läuft behände vorbei. Wenig später eine neue Fährte. Die ovalen Trittsiegel bilden eine durchgehende Linie. Ein Fuchs ist entlanggeschnürt und nach einer Weile in Richtung Mühltal abgebogen. Zu seinem Bau? Zu einer Stelle, wo er Beute zu machen hofft? Viele Waldtiere halten Winterschlaf oder Winterruhe. Mit dem Verwelken der Bodenvegetation im Herbst stellen die Tiere ihre Lebensäußerungen um. Sie ruhen sehr viel. Manche graben sich in Schneehöhlen ein. Sie drosseln die Temperatur in den Extremitäten, reduzieren den Energiebedarf des Körpers. So kommen sie mit sehr viel weniger und minderwertiger Nahrung aus. Die Bäume haben ihre Wachstumsphase beendet. Das Gewebe der frischen Triebe ist verholzt. Die Blätter sind längst abgeworfen und die Blattstielnarben mit Kork verschlossen. Der Schnee schützt die Waldbodenpflanzen und deren Knospen vor dem Frost und bewahrt sie vor dem Erfrieren. Unter dem Schnee geht der Pulsschlag des Lebens, wenn auch stark verlangsamt, weiter. Ihr Existenzminimum finden die pflanzenfressenden Tiere in Form von Knospen und Nadeln. Die anderen Arten setzen ihre Beutezüge fort. Die kargen Spuren im Schnee erzählen von ihrem Leben und Überleben. Für das Wild, besonders für störanfällige Arten wie Raufußhühner, also Auer- und Birkhühner, kann es lebensbedrohlich werden, wenn sie öfters aus ihren winterlichen Ruheräumen aufgescheucht werden. Jede Fluchtbewegung bringt ihren Energiesparhaushalt durcheinander. In kalten Nächten gehen sie dann an Entkräftung und Unterkühlung zugrunde. Dieses Abc der Ökologie des Winterwaldes muss ein Schneeschuhwanderer kennen. Die Gänge abseits der Wege quer durch den Wald, so verlockend sie sind, sollte man sparsam dosieren. Habitate der Raufußhühner sind auf jeden Fall zu meiden. Im Nationalpark Bayerischer Wald sind ihre Ruhezonen gekennzeichnet.

Es hat zu schneien begonnen. Wind kommt auf. Die Flocken wehen frontal ins Gesicht, decken im Nu die Vorderseite des Anoraks zu. Im Bart gefriert der Atem zu Eisperlen. Einmal stürze ich der Länge nach in den Tiefschnee. Die hinteren Spitzen sind stecken geblieben, als ich bei einem Wendemanöver einen Schritt rückwärts mache. Das geht auf Schneeschuhen nicht. Man muss die Füße Zug um Zug seitwärts bewegen, um die Schneeschuhe in die gewünschte Richtung zu bringen. Bei jedem Sturz wird die eindringende Nässe unweigerlich zum Problem. Vor allem wenn man schon schwitzt. Es dauert seine Zeit, bis ich mich aufgerichtet und den Schnee einigermaßen abgeschüttelt und abgeklopft habe. Einiges bleibt haften. An den Handgelenken zwischen Handschuhen und Ärmeln und am Hals zwischen Rollkragen und Kapuze hängen Eisklumpen, die auf der Haut rasch schmelzen. Trocken bleiben ist beim Winterwandern oberstes Gebot. Nicht klirrender Frost, sondern die von Schweiß und Schnee feuchte Kleidung führt zur Unterkühlung. Erst recht, wenn der Wind kalt und böig weht, wird das schnell gefährlich. Gefühllosigkeit in Fingern und Zehen sind die ersten Symptome. Wenn unkontrollierbares Zittern und Zähneklappern einsetzen, wird es höchste Zeit, die...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2011
Zusatzinfo Mit 1 s/w Karte
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Sport
Reisen Sport- / Aktivreisen
Schlagworte Entschleunigung • Landschaft • Reiseliteratur • Trekking • Wandern
ISBN-10 3-644-44101-4 / 3644441014
ISBN-13 978-3-644-44101-9 / 9783644441019
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