Wanderer der Nacht
Transit (Verlag)
978-3-88747-244-3 (ISBN)
Wojciech Jagielski, einer der mutigsten Schüler Kapuscinskis, hat sich in den letzten Jahren immer wieder in den gefährlichsten Krisengebieten dieser Welt aufgehalten: Kaukasus, Afghanistan, Tschetschenien - und immer wieder Afrika. Seine Methode beim Beobachten und Schreiben ist so einfach wie schwierig: er lässt sich auf das Land, die unterschiedlichen Sichtweisen, auf die Konflikte innerhalb der Gesellschaft ohne Vorurteile ein; er porträtiert Menschen, die in die Spirale des Hasses und der Rache geraten und kaum eine Chance haben, da wieder herauszukommen. In seinem neuesten Buch schreibt Jagielski über Uganda, über Truppenführer, die Dörfer überfallen und Kinder rauben, über Eltern, die mit aller Kraft und Phantasie versuchen, ihre Kinder vor diesem Schicksal zu bewahren. Er schreibt aber auch über die politischen Hintergründe, die gesellschaftliche 'Normalität' und fragt, wieso aus ehemaligen 'Befreiern' immer wieder habgierige und brutale Despoten werden, wie Menschen in einem dreißigjährigen Bürgerkrieg überleben, und trotz allem die Hoffnung auf eine Zukunft nicht aufgeben. Er erweitert seine Reportage durch fiktive, erzählerische Elemente und erreicht damit eine eigene schriftstellerische Qualität. Besonders eindrucksvoll sind seine genauen und stilistisch sensiblen Porträts von Menschen, die Soldaten oder Partisanen waren, fliehen konnten und jetzt mit diesem Trauma leben müssen; von Kindern, die sich vor dem Militär oder den Guerilleros verstecken, nachts aus den Dörfern in die Städte ziehen (wo sie sicherer sind) um dann, am Morgen, wieder zurückzuschleichen - eben die 'Wanderer der Nacht'.an, der mit seiner Genauigkeit, seiner Vielfalt von Beobachtungen und seinem Einfallsreichtum jeden Leser berührt und bereichert.
Wojciech Jagielski, 1960 geboren, arbeitet für die polnische Zeitung 'Gazeta Wyborcza'. Seine Bücher über die Krisengebiete dieser Welt wurden mit vielen polnischen und europäischen Preisen ausgezeichnet und auch in den USA, England, Niederlanden, Italien und Spanien veröffentlicht. Mit diesem gerade erschienenen, wichtigen Buch wird er zum ersten Mal auch in deutscher Sprache vorgestellt.
'Sein Werk ist die konsequente Fortsetzung und exzellente Bereicherung all dessen, was in der polnischen und europäischen Reportage Rang und Namen hat.' Ryszard Kapuscinski
Später kamen die Kinder. Sie erschienen ohne Ankündigung, nahezu unbemerkt. Wie Geister nahmen sie plötzlich Gestalt an, tauchten unvermutet aus der Dunkelheit auf, als hätte der Erdboden sich aufgetan und sie freigegeben. Zügig, in Gruppen strömten sie von allen Seiten in die Stadt, die in Erwartung des Unwetters still, wie ausgestorben dalag, schritten sicher voran, ohne Eile, wie jemand, der etwas Wohlbekanntes zum tausendsten Mal wiederholt. Einige waren in Schuluniform, mit Tornistern voller Bücher und Hefte auf dem Rücken. Andere wiederum liefen barfuß und in Lumpen, schleppten Decken, Stoffballen, undefinierbare Bündel mit sich, auch Zeitungspapier und Pappstücke aus Straßengräben oder Abflussrinnen. Die älteren Kinder führten die jüngeren, erst ein paar Jahre alten, an der Hand, und die Mädchen trugen, ganz wie Bäuerinnen bei der Feldarbeit, Säuglinge in Tüchern auf dem Rücken. Der Kinderstrom glitt nahezu geräuschlos durch die Dämmerung, die alle Konturen verwischte. Auf dem Marktplatz teilte er sich schließlich in mehrere Arme auf. Der größte bog Richtung Busbahnhof ab, ein kleinerer endete seinen Lauf auf dem St. Marien-Kirchhof mit seinem gewaltigen, aus roten Ziegeln errichteten Gotteshaus. Wieder andere bewegten sich zielstrebig auf Krankenhäuser, Schulhöfe zu. Die Übrigen blieben auf der Hauptstraße, im Schatten der Häuser, wo sie ihr Nachtlager errichteten. Die meisten waren nur auf der Suche nach einem Ruheplatz und legten sich sofort schlafen, noch vor Einbruch der Nacht, die die Stadt jedes Mal in völliges Dunkel hüllte. Vor der Eisenwarenhandlung gegenüber ertönte Weinen. An der menschenleeren Bar vom 'At Franklin’s' lief leise der Fernseher, und durch das geöffnete Küchenfenster war zu hören, wie der Wirt die Tellerwäscher antrieb, die zu Ende eines ganzen Arbeitstages nicht mehr zur Eile fähig waren. Da tauchten direkt neben unserem Tisch einige Mädchen aus der pechschwarzen Nacht auf. Angelockt wie die Motten von den letzten Streifen gelblichen Lichts, die von der Bar auf die Straße fielen, machten sie sich schweigend daran, ihr nächtliches Lager auf dem Teil des Gehsteigs aufzuschlagen, der zum 'At Franklin’s' gehörte. Den letzten späten Gästen schenkten sie keine Beachtung, breiteten ihre Pappstücke und Decken auf der Erde aus und legten sich schlafen. Bei ihrem Erscheinen schrak Jackson zusammen und blickte verwirrt um sich, wie jemand, der die Zeit völlig vergessen hat. Er stellte die noch volle Bierflasche auf dem Tisch ab und machte mit dem Kopf ein Zeichen Richtung Ausgang, wartete aber nicht einmal, bis ich die Rechnung beglichen hatte, sondern stand einfach auf und verschwand in der Dunkelheit. Als ich nach ihm aus dem Lichtschein in die Nacht hinaustrat, brauchte ich eine ganze Weile, um in der Dunkelheit seine Gestalt auszumachen. Er ging schnellen Schrittes in der Mitte der Straße, sehr aufrecht, schaute nicht rechts und links, wo die Kinder sich unter den Vordächern der Häuser für die Nacht einrichteten.
Später kamen die Kinder. Sie erschienen ohne Ankündigung, nahezu unbemerkt. Wie Geister nahmen sie plötzlich Gestalt an, tauchten unvermutet aus der Dunkelheit auf, als hätte der Erdboden sich aufgetan und sie freigegeben. Zügig, in Gruppen strömten sie von allen Seiten in die Stadt, die in Erwartung des Unwetters still, wie ausgestorben dalag, schritten sicher voran, ohne Eile, wie jemand, der etwas Wohlbekanntes zum tausendsten Mal wiederholt. Einige waren in Schuluniform, mit Tornistern voller Bücher und Hefte auf dem Rücken. Andere wiederum liefen barfuß und in Lumpen, schleppten Decken, Stoffballen, undefinierbare Bündel mit sich, auch Zeitungspapier und Pappstücke aus Straßengräben oder Abflussrinnen. Die älteren Kinder führten die jüngeren, erst ein paar Jahre alten, an der Hand, und die Mädchen trugen, ganz wie Bäuerinnen bei der Feldarbeit, Säuglinge in Tüchern auf dem Rücken.Der Kinderstrom glitt nahezu geräuschlos durch die Dämmerung, die alle Konturen verwischte. Auf dem Marktplatz teilte er sich schließlich in mehrere Arme auf. Der größte bog Richtung Busbahnhof ab, ein kleinerer endete seinen Lauf auf dem St. Marien-Kirchhof mit seinem gewaltigen, aus roten Ziegeln errichteten Gotteshaus. Wieder andere bewegten sich zielstrebig auf Krankenhäuser, Schulhöfe zu. Die Übrigen blieben auf der Hauptstraße, im Schatten der Häuser, wo sie ihr Nachtlager errichteten. Die meisten waren nur auf der Suche nach einem Ruheplatz und legten sich sofort schlafen, noch vor Einbruch der Nacht, die die Stadt jedes Mal in völliges Dunkel hüllte. Vor der Eisenwarenhandlung gegenüber ertönte Weinen. An der menschenleeren Bar vom 'At Franklin's' lief leise der Fernseher, und durch das geöffnete Küchenfenster war zu hören, wie der Wirt die Tellerwäscher antrieb, die zu Ende eines ganzen Arbeitstages nicht mehr zur Eile fähig waren. Da tauchten direkt neben unserem Tisch einige Mädchen aus der pechschwarzen Nacht auf. Angelockt wie die Motten von den letzten Streifen gelblichen Lichts, die von der Bar auf die Straße fielen, machten sie sich schweigend daran, ihr nächtliches Lager auf dem Teil des Gehsteigs aufzuschlagen, der zum 'At Franklin's' gehörte. Den letzten späten Gästen schenkten sie keine Beachtung, breiteten ihre Pappstücke und Decken auf der Erde aus und legten sich schlafen. Bei ihrem Erscheinen schrak Jackson zusammen und blickte verwirrt um sich, wie jemand, der die Zeit völlig vergessen hat. Er stellte die noch volle Bierflasche auf dem Tisch ab und machte mit dem Kopf ein Zeichen Richtung Ausgang, wartete aber nicht einmal, bis ich die Rechnung beglichen hatte, sondern stand einfach auf und verschwand in der Dunkelheit. Als ich nach ihm aus dem Lichtschein in die Nacht hinaustrat, brauchte ich eine ganze Weile, um in der Dunkelheit seine Gestalt auszumachen. Er ging schnellen Schrittes in der Mitte der Straße, sehr aufrecht, schaute nicht rechts und links, wo die Kinder sich unter den Vordächern der Häuser für die Nacht einrichteten.
Erscheint lt. Verlag | 19.3.2010 |
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Übersetzer | Lisa Palmes |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Nocni wędrowcy |
Maße | 140 x 220 mm |
Gewicht | 470 g |
Einbandart | gebunden |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Afrika |
Schlagworte | Afrika • Afrika; Reisebericht/Erlebnisbericht • Afrika; Reise-/Erlebnisberichte • Kindersoldaten • Kongo • Koni • Krieg • Lords Resistance Army • Reportagen • Resozialisierung • Uganda • Voodoo |
ISBN-10 | 3-88747-244-6 / 3887472446 |
ISBN-13 | 978-3-88747-244-3 / 9783887472443 |
Zustand | Neuware |
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