1. Kapitel:
Einführung und Vorgehensweise
1 Zu einem funktionierenden Wirtschaftssystem gehört immer auch ein intaktes Rechtssystem, das von bestimmten moralischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Mindeststandards ausgeht. Zu diesem funktionierenden Rechtssystem gehört im Bereich des Wirtschaftsrechts auch das Insolvenzrecht. Denn wirtschaftliches Handeln birgt immer die Gefahr des Scheiterns in sich, und in diesem Fall sorgt das Insolvenzrecht für eine geordnete Abwicklung des insolventen Rechtssubjekts und für eine möglichst weitgehende Befriedigung der Gläubiger.
1) Das Insolvenzrecht gehört daher zu den wichtigsten wirtschaftsrechtlichen Normkomplexen. Der Insolvenzverwalter trägt eine rechtliche, wirtschaftliche und vor allem soziale Verantwortung gegenüber dem am Verfahren beteiligten Schuldner und den Gläubigern insbesondere den Arbeitnehmern.
2) Ernst Jaeger prägte den Grundsatz
„Die Auslese des Verwalters ist die Schicksalsfrage des Konkurses“3). Die Auswahl des Verwalters hat nach wie vor die zentrale, über Erfolg oder Misserfolg eines Verfahrens entscheidende Bedeutung, auch wenn aktuelle Krisenfälle häufig einen erheblichen, zunächst vorinsolvenzlichen Beratungsbedarf mit sich bringen und sich insofern das Berufsbild des Verwalters verändert hat und noch weiter verändert.
4) 2 Dieser herausragenden Bedeutung des Insolvenzverwalters für ein erfolgreiches Insolvenzverfahren ist es geschuldet, dass die seit Jahrzehnten bestehende Streitfrage über ein sachgerechtes Auswahlverfahren dieses alles entscheidenden Protagonisten bis heute andauert und noch keiner konsensfähigen Lösung zugeführt werden konnte.
A. Ausgangslage
3 Zu Beginn des neuen Jahrtausends sorgte zunächst das im Auftrag des Gravenbrucher Kreises erstellte Gutachten von
Holzer/Kleine-Cosack/Prütting für eine aufgeregte Debatte.
5) Einen neuen Startschuss erfuhr die Debatte durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3.8.2004,
6) der die Tätigkeit des Insolvenzverwalters erstmals als eigenständigen Beruf anerkannte. Dadurch wurde die Debatte über die Schaffung eines Berufsrechts für Insolvenzverwalter weiter intensiviert und mündete schließlich in das bis
dato wohl umfangreichste Ergebnis der Diskussion, die Empfehlungen der sog. Uhlenbruck-Kommission
7) aus dem Jahr 2007, die auf politischer Ebene jedoch letztlich keine Mehrheit fanden und daher nicht Gesetz wurden. Mangels gesetzlicher Vorgaben erließ der Verband der Insolvenzverwalter Deutschland e. V. (VID) Ende 2006 eigene „Berufsgrundsätze“ für Insolvenzverwalter
8) und im Jahr 2011 die „Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung“ (GOI)
9), die seine Mitglieder durch vereinsinterne Regelungen auf besondere Qualitätsstandards verpflichten sollten.
4 In jüngerer Vergangenheit hat vor allem eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes die Diskussion um das Berufsrecht für Insolvenzverwalter erneut entfacht. Ein zum Insolvenzverwalter bestellter Rechtsanwalt hatte Anfechtungsansprüche geltend gemacht. Die Gegenpartei schaltete ihrerseits einen Rechtsanwalt ein, der um ausschließliche Kommunikation über seine Kanzlei bat. Als der Insolvenzverwalter sich anschließend dennoch direkt an die Gegenpartei wandte und das Briefpapier seiner Rechtsanwaltskanzlei verwendete, erteilte die Rechtsanwaltskammer München diesem einen belehrenden Hinweis nach § 73 II Nr. 1 BRAO, dass er auch in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter das Umgehungsverbot des § 12 BORA zu beachten habe. Der Bundesgerichtshof entschied am 6.7.2015 schließlich in der Sache:
„Das Verbot, ohne die Einwilligung des Rechtsanwalts eines anderen Beteiligten mit diesem unmittelbar Verbindung aufzunehmen oder zu verhandeln, gilt auch für einen Rechtsanwalt, der zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist und für die verwaltete Masse eine Forderung geltend macht“.
10) 5 Die Entscheidung war anschließend Gegenstand einer Vielzahl (kritischer) Urteilsbesprechungen.
11) Darüber hinaus wurde allerdings auch die Diskussion über die Notwendigkeit eines eigenständigen Berufsrechts für Insolvenzverwalter wieder aufgenommen und erhielt auch durch die Aufnahme dieser Problematik in den Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU zur 19. Legislaturperiode neuen Schwung.
12) Zu einer Umsetzung des Vorhabens der „Großen Koalition“ kam es dann jedoch nicht mehr. Gleichwohl hat das Vorhaben jedoch erneut eine breite (politische) Diskussion in Gang gesetzt, die zu umfangreichen Reformvorschlägen der verschiedenen Verbände
13) und schließlich auch zu einem ersten Bericht einer Bund-Länder Arbeitsgruppe geführt hat.
14) 6 In dieser Legislaturperiode konnten dann schließlich mit dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) neue vorinsolvenzliche Instrumentarien eingeführt werden. Dazu gehören auch ein sog. Restrukturierungsbeauftragter sowie ein Sanierungsmoderator, deren Auswahl unverändert in Anlehnung an das Auswahlsystem der Insolvenzverwalter stattfinden soll.
7 Ausgangspunkt der Diskussion ist bis heute der wenig aufschlussreiche § 56 I 1 InsO, der lediglich festhält, dass es sich bei dem Insolvenzverwalter um eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, unabhängige und geschäftskundige Person handeln muss. Auf Grundlage dieser sehr unbestimmten Regelung ist es theoretisch sogar möglich, dass jedermann zum Insolvenzverwalter bestellt werden könnte. Gerade die Auswahl des Insolvenzverwalters spielt sich also in einer
„rechtlichen Grauzone“ ab.
15) Auch das Bundesverfassungsgericht kritisierte in seinem eingangs erwähnten Beschluss, dass gerade die Vorauswahlentscheidung
„frei und unkontrolliert“ sei und dass
„präzisierte rechtliche Maßstäbe“ für den Zugang in die Vorauswahlliste fehlten.
16) Auf der Grundlage dieser Norm gestaltet sich das Auswahlverfahren gegenwärtig höchst unterschiedlich. Die Ausgestaltung der Vorauswahl scheint den Fachgerichten gänzlich anheimgestellt zu sein, da in § 56 I InsO gesetzliche Vorgaben in Bezug auf die Vorauswahl vollständig fehlen. Dies stößt vor allem auf verfassungsrechtliche Bedenken, ist es doch gerade die Pflicht des Gesetzgebers, die den Bürger in seinen Grundrechten wesentlich betreffenden Bereiche auch ausreichend gesetzlich zu normieren. Dem ist der Gesetzgeber im Fall der berufsrechtlichen Fragen von Insolvenzverfahren augenscheinlich nicht nachgekommen.
8 Als weiteres Problem erweist sich eine ebenso wenig effektive wie einheitliche Aufsicht der Insolvenzgerichte. In Zeiten auch überregional tätiger Verwalter ist es aufgrund eines fehlenden gerichtlichen Informationsaustausches nicht möglich, festgestellte Verstöße gegen insolvenzspezifische Pflichten auch zwischen den Gerichten bemerkbar zu machen. Ein überregionaler Informationsaustausch findet nicht statt, sodass auch entsprechend bestrafte Verwalter in einer anderen Region ohne weiteres tätig werden können. Im Rahmen der Berufsaufsicht besteht Einigkeit, dass eine vollumfängliche Berufsaufsicht nur schwer durch die Insolvenzgerichte selbst geleistet werden kann, da diese meist schon personell unzureichend ausgestattet seien.
17) Diesbezüglich wurden daher verschiedene Varianten zur derzeit bestehenden gerichtlichen Berufsaufsicht diskutiert und mit einer Neuordnung des Vorauswahllistensystems in Verbindung gebracht.
18) 9 Die derzeitige Regelung ist jedenfalls immer noch stark von der frühen Phase der Entwicklung dieses Rechtes geprägt, das nicht zuletzt auch wegen der noch nicht vorhandenen modernen Verkehrs- und Kommunikationsmittel vor allem darauf bedacht war, einen regional ansässigen, wirtschaftlich erfahrenen und geschäftskundigen Insolvenzverwalter zu suchen und zu finden. Das Verfahren der Auswahl, Bestellung und Überwachung der Insolvenzverwalter durch örtliche Gerichte erschien daher als geeigneter Mechanismus zur Sicherstellung einer zügigen und fachkundigen Abwicklung des Verfahrens.
19) Hieran scheint das System bis heute festhalten zu wollen. Fraglich ist jedoch, ob dieser Ansatz heute, vor dem Hintergrund überregional tätiger Verwalter und immer größer werdender Insolvenzverwalterbüros noch zeitgemäß erscheint.
10 Schließlich ist noch ein weiteres, in seiner gesellschaftspolitischen Relevanz gewichtiges Motiv für eine Neuregelung der berufsrechtlichen Aspekte im Insolvenzrecht zu erkennen: Die bisherigen Regelungen bei der Auswahl und der Kontrolle von Insolvenzverwaltern erweisen sich überwiegend als hochgradig intransparent. Dabei handelt es sich nicht nur um eine grundrechtsrelevante Fragestellung im Bereich des Insolvenzverfahrens, sondern auch um eine Fragestellung mit grundsätzlich gesellschaftspolitischer Tragweite. Indem die Auswahl des Insolvenzverwalters als „Schicksalsfrage“ eines jeden Insolvenzverfahrens bezeichnet wird, hat auch sie direkten Bezug zur Frage der sozialen Gerechtigkeit. Denn die Aufgabe des Insolvenzrechts ist es vor allem auch, soziale und wirtschaftliche Interessen zusammen zu sehen und in einen Ausgleich zu bringen. Deutlich wird dies immer wieder bei großen Verfahren, wenn es darum geht, weitreichende Entscheidungen zu treffen, die vor allem auch die Existenz einer großen Zahl von Beschäftigten betreffen. Gerade die weltweite Pandemielage und die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen haben das Insolvenz-, Restrukturierungs- und Sanierunsverfahren deutlicher ins...