III. Gläubigerschutzvorschriften im Insolvenzplanverfahren
13 Das Insolvenzplanverfahren ist ein kollektives Entscheidungsverfahren mit einer Vielzahl an Beteiligten, die naturgemäß über unterschiedliche Interessen und Ansichten verfügen. Die Insolvenzplanvorschriften müssen ein effizientes Instrumentarium schaffen, damit ein Plan durchgesetzt werden kann. Zugleich bedarf es aber Schutzvorschriften für die überstimmte Minderheit.
26) Dieser Minderheitenschutz ergibt sich in Bezug auf überstimmte Gläubigergruppen aus § 245 InsO (Rn.
14) und in Bezug auf einzelne Gläubiger aus § 251 InsO (Rn.
23). Eine Schutzvorschrift für den Schuldner befindet sich in § 247 InsO, ist aber von erheblich geringerer praktischer Bedeutung.
27) 1. Obstruktionsverbot (§ 245 InsO)
14 Die Regelung in § 245 InsO wird als Obstruktionsverbot bezeichnet. Ihre Hauptschutzrichtung wird darin gesehen, dass sie verhindert, dass einzelne Gruppen ihre Zustimmung zum Plan von der Gewährung unangemessener Sondervorteile abhängig machen.
28) Wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des Obstruktionsverbots vorliegen, stellt die Ablehnung des Plans durch die Gruppe kein Hindernis für die Planbestätigung durch das Insolvenzgericht mehr dar. Aber genauso wichtig ist, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 245 InsO zugleich Mindeststandards festlegen, die die obstruierende Gläubigergruppe schützen.
29) Sind die Voraussetzungen des Obstruktionsverbots nicht erfüllt, so kann der Plan ohne Zustimmung der obstruierenden Gläubigergruppe nicht bestätigt werden.
15 § 245 Abs. 1 InsO stellt die folgenden Voraussetzungen auf: Erstens dürfen die Angehörigen der obstruierenden Gruppe nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden. Zweitens müssen sie angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf der Grundlage des Plans den Beteiligten zufließen soll. Drittens muss die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan zugestimmt haben.
a) Keine Schlechterstellung
aa) Ziel der Pareto-Effizienz
16 Das Schlechterstellungsverbot ist ein maßgebliches Element des Minderheitenschutzes im Insolvenzplanverfahren. In § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist es in Bezug auf die Gläubigergruppe
30) geregelt. Kein Gläubiger darf gegen seinen Willen wirtschaftlich schlechtergestellt werden, als er ohne einen Plan stünde. Ein Gläubiger bzw. eine Gläubigergruppe kann aber gleich- oder bessergestellt werden. Hierdurch soll nach dem Willen des Gesetzgebers ein wirtschaftliches Optimum erreicht werden.
31) Dieses Optimum wird nach dem italienischen Ökonomen
Vilfredo Pareto (1848–1923) auch Pareto-Optimum oder Zustand der Pareto-Effizienz genannt.
32) Es ist dann erreicht, wenn kein Beteiligter bessergestellt werden kann, ohne einen anderen Beteiligten schlechter zu stellen.
33) Anders ausgedrückt wird eine pareto-ineffiziente Ressourcenallokation dann pareto-effizient, wenn mindestens ein Beteiligter durch eine andere Allokation bessergestellt wird und gleichzeitig kein anderer Beteiligter schlechtergestellt wird. Dieser Gedanke lässt sich auf die Allokation der begrenzten Ressourcen im Insolvenzrecht übertragen: Der Insolvenzplan soll solche Abweichungen vom Regelverfahren ermöglichen, die zumindest einen Beteiligten besserstellen als im Regelverfahren, aber niemanden schlechterstellen.
bb) Vergleichsrechnung
17 Wie gut ein Beteiligter im Regelverfahren bzw. im Insolvenzplan gestellt ist, lässt sich – vereinfacht ausgedrückt – an der Geldsumme erkennen, die ihm im jeweiligen Verwertungsverfahren voraussichtlich zufließen wird. Der Gläubiger wird durch den Insolvenzplan bessergestellt, wenn die an ihn auszuschüttende Quote höher ist als die im hypothetischen Verlauf des Regelverfahrens zu erwartende.
34) Dementsprechend muss der darstellende Teil eines Insolvenzplans eine detaillierte Vergleichsrechnung enthalten,
35) die das Insolvenzgericht zu überprüfen hat.
36) Der Vergleich der wirtschaftlichen Ergebnisse beider Verfahrensarten erzeugt für das Insolvenzgericht jedoch Schwierigkeiten in der praktischen Handhabung. Denn die Vergleichswerte stehen nicht fest, sondern ergeben sich jeweils aus einer Prognose.
37) Entsprechend kann eine mögliche Schlechterstellung nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden, sondern nur nach der prognostischen Überzeugung des Gerichts.
18 In Bezug auf das Ergebnis des hypothetischen Regelverfahrens muss geschätzt werden, zu welchem Preis die in der Masse enthaltenen Vermögenswerte verwertet werden können und welche Quote sich daraus ergeben würde. Außerdem ist die Prognose auch auf den Zeitraum nach Aufhebung des Regelinsolvenzverfahrens zu erstrecken, da der Wortlaut des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO sich nicht auf das Ergebnis des Regelverfahrens beschränkt, sondern die Situation „
ohne einen Plan“ als Vergleichsmaßstab nimmt.
38) So hat der BGH entschieden, dass der Gläubiger einer natürlichen Person, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zwischen Aufhebung des Regelinsolvenzverfahrens und Restschuldbefreiung mit Gegenansprüchen (hier: Steuererstattungsansprüchen) aufrechnen können wird, durch einen Insolvenzplan, der einen weitgehenden Forderungserlass vorsieht, schlechter gestellt wird.
39) 19 In Bezug auf das Ergebnis des Planverfahrens kann im ersten Schritt auf die aus dem Plan ersichtliche Quote abgestellt werden. Aber auch die Erfüllung der Planquote ist risikobehaftet. Wenn der Plan beispielsweise nicht durchführbar ist, sind die dort gemachten Versprechungen für die Gläubiger wertlos.
40) Daher muss ein dem Risiko entsprechender Abschlag auf die Planquote vorgenommen werden.
41) Auch wenn Zahlungen gestundet werden sollen, verringert sich ihr Gegenwartswert und der Zahlbetrag ist entsprechend abzuzinsen.
42) Bei den Abzinsungen können die in der Betriebswirtschaft anerkannten Methoden angewandt werden, wie sie etwa auch bei der Unternehmensbewertung zum Einsatz kommen.
43) Anderweitige Vorteile, die einzelne Gruppen aus dem Plan ziehen, bleiben bei der Vergleichsrechnung außer Betracht. Zum Beispiel können Arbeitnehmer oder Zulieferer von der Sanierung profitieren, indem das Arbeitsverhältnis bzw. die Geschäftsbeziehung bestehen bleibt.
44) Die Gruppe kann dann freiwillig auf einen Teil der Quote verzichten, um die Annahme des Plans zu fördern. Sie kann aber nicht hierzu gezwungen werden. Die Beurteilung, ob etwaige künftige Vorteile (z. B. die künftige Geschäftsbeziehung) die Gläubiger besserstellen, gebührt nur den betroffenen Gläubigern, aber nicht dem Insolvenzgericht.
45) b) Angemessene Beteiligung am wirtschaftlichen Wert
20 Darüber hinaus muss die obstruierende Gläubigergruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der den Beteiligten aufgrund des Insolvenzplans zufließt, § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Gemäß § 245 Abs. 2 InsO liegt für eine Gruppe der Gläubiger eine angemessene Beteiligung vor, wenn kein anderer Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen, wenn weder ein Gläubiger, der ohne einen Plan mit Nachrang gegenüber den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, noch der Schuldner oder eine an ihm beteiligte Person einen wirtschaftlichen Wert erhält und wenn kein Gläubiger, der ohne einen Plan gleichrangig mit den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, bessergestellt wird als diese Gläubiger. Die Gläubiger einer Gruppe behalten also ihren Platz in der allgemeinen insolvenzrechtlichen Rangfolge.
46) Wenn zwei gleichrangige Gläubigergruppen unterschiedlich behandelt werden sollen, muss die schlechtergestellte Gruppe dem Plan zustimmen.
c) Zustimmung der Mehrheit der Gruppen
21 Als dritte Voraussetzung muss die Mehrheit der Gruppen dem Insolvenzplan zugestimmt haben. Diese Voraussetzung dient dazu, die Legitimationsbasis für den Plan zu verbreitern.
47) d) Geltung des Obstruktionsverbots für andere Beteiligte
22 Das Obstruktionsverbot gilt auch für die Anteilseigner. In § 245 Abs. 3 InsO ist festgelegt, dass sie dann angemessen beteiligt werden, wenn kein Gläubiger Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen, und wenn kein gleichrangig zu befriedigender Anteilseigner bessergestellt wird. Für den Schuldner gilt in § 247 Abs. 2 InsO eine parallele Regelung.
2. Minderheitenschutz (§ 251 InsO)
23 Der in § 251 InsO geregelte Minderheitenschutz dient dem Schutz des einzelnen Gläubigers, der von der Mehrheit in seiner Gruppe überstimmt wurde. Anders als das Obstruktionsverbot, das von Amts wegen Anwendung findet, greift der Minderheitenschutz nur nach Widerspruch gegen den Plan und auf Antrag ein, § 251 Abs. 1 InsO. Jedem Insolvenzgläubiger wird zumindest der Wert garantiert, der ihm im Regelverfahren zugeflossen wäre, § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Diese Regel ist Ausfluss des Eigentumsgrundrechts in Art. 14 Abs. 1 GG, das alle vermögenswerten Rechtspositionen und mithin auch Insolvenzforderungen schützt.
48) Die Mehrheitsentscheidung einer Gruppe ist nach Ansicht des InsO-Gesetzgebers keine ausreichende Legitimation dafür, dass einem einzelnen Beteiligten gegen seinen Willen Vermögenswerte entzogen...