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Eine Erinnerung an Solferino: Die Geburtsstunde des Internationalen Roten Kreuzes -  Henry Dunant

Eine Erinnerung an Solferino: Die Geburtsstunde des Internationalen Roten Kreuzes (eBook)

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
98 Seiten
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978-3-7578-4859-0 (ISBN)
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Henry Dunant: Eine Erinnerung an Solferino - Die Geburtsstunde des Internationalen Roten Kreuzes | 2021er Neuauflage, mit Begleitwort und zahlreichen Fußnoten und Erklärungen | »Die Sonne des 25. Juni beleuchtete eines der schrecklichsten Schauspiele, das sich erdenken lässt. Das Schlachtfeld ist bedeckt von Leichen und Pferden ... an anderen Stellen liegen Unglückliche, die von Kugeln und Granaten getroffen zu Boden gestreckt sind, denen aber darüber hinaus noch die Räder der Geschütze, die über sie hinwegfuhren, Arme und Beine zermalmt hatten ... Dort liegt ein völlig entstellter Soldat, dessen Zunge aus dem zerschmetterten Kiefer hängt ... Einem anderen Unglücklichen ist durch einen Säbelhieb ein Teil des Gesichts fortgerissen worden ...« - Dies schrieb der Schweizer Henry Dunant, der auf einer Geschäftsreise während der Schlacht von Solferino* am 24. Juni 1859 in die Nähe des Kampffeldes geriet. Nach dem Gemetzel war er aufs Tiefste erschüttert von den Zuständen vor Ort: Tausende von Sterbenden und Schwerstverletzten auf freiem Feld; wenige, schlecht ausgebildete Sanitätssoldaten; auf tausend Verletzte kam ein Chirurg. Seine geschäftlichen Pläne stellte der Schweizer zurück und schrieb stattdessen dieses Buch, ein dramatischer Erlebnisbericht eines Außenstehenden, den das Leid, das Entsetzen und die Qualen, die er hautnah miterlebt hatte, erschütterte. Dunant ließ das Buch auf eigene Kosten drucken und schickte es an führende Persönlichkeiten in Politik und Militär in Europa, mit dem Appell, eine staatenübergreifende Institution zu schaffen, die an Kriegsschauplätzen überall auf der Welt als neutrale Partei auftritt und Verwundete beider Seiten versorgen kann. - Diese Idee war die Geburtsstunde des Internationalen Roten Kreuzes. [*Die Schlacht von Solferino gilt als eine der blutigsten auf europäischem Boden, bei der rund 300.000 Soldaten aufeinander trafen. Sie entschied den Sardinischen Krieg, auch Zweiter Italienischer Unabhängigkeitskrieg genannt, der 1859 zwischen Österreich einerseits, und anderseits Sardinien-Piemont, verbündet mit dem französischen Kaiserreich, ausgetragen wurde.]

In Guidizzolo hatte man deren etwa Tausend in recht angemessener Weise, wenn auch nur vorübergehend in einem ausgedehnten Schloss untergebracht; in Volta diente ein altes Kloster als Kaserne, in welcher Hunderte von Österreichern untergebracht waren. In Cavriana wurden in der Hauptkirche dieses elenden Restes vollständig verstümmelte Österreicher verpflegt, welche vorher während achtundvierzig Stunden unter den Galerien eines hässlichen Wachthauses ausgestreckt gelegen hatten; in dem Lazarett des großen Hauptquartiers nahm man Operationen vor mit Anwendung des Chloroform, der bei den österreichischen Verwundeten fast eine augenblickliche Unempfindlichkeit bewirkte, indessen bei den Franzosen nervöse Zuckungen und eine fieberische Aufregung die Folge war.

Die Bewohner von Cavriana waren durchaus von Lebensmitteln entblößt und die Soldaten der Garde ernährten sie in der Tat vollständig, indem sie ihre Rationen und ihren Kaffee mit ihnen teilten; die Felder waren zerstört worden und fast alle Produkte derselben, welche eingebracht werden konnten, waren an die österreichischen Truppen verkauft, oder unter dem Vorwand von Requisitionen von ihnen genommen worden. Obschon die französische Armee Feldfrüchte im Überfluss besaß, Dank der Vorsorge und Pünktlichkeit ihrer Administration, so hatte sie dennoch Mühe, sich die Butter, das Fett und die Gemüse zu verschaffen, welche zur gewöhnlichen Soldatenkost nötig sind; die Österreicher hatten fast alles Vieh requiriert und die Alliierten konnten nur Maismehl auf ihren Lagerplätzen erhalten. Übrigens wurde alles, was die lombardischen Bauern zum Unterhalt der Truppen verkaufen konnten, zu sehr hohen Preisen bezahlt, welche man in der Weise festsetzte, dass die Verkäufer zufrieden sein konnten. Auch wurden die Requisitionen für die französische Armee, als Pferdefutter, Kartoffeln und andere Lebensmittel, den Einwohnern des Landes, die noch für den Schaden, den der Kampf verursachte, entschädigt wurden, sehr reichlich ersetzt.

Die Verwundeten der sardinischen Armee, welche nach Desenzano, Rivoltella, Lonato und Pozzolengo gebracht wurden, befanden sich in einem minder unangenehmem Zustand als jene zu Castiglione: die beiden ersten dieser Städte, welche während einiger Tage von den beiden Armeen nicht besetzt gewesen waren, boten freilich mehr Lebensmittel, die Lazarette waren besser unterhalten, und die Einwohner minder eingeschüchtert und erschreckt, zeigten sich sehr tätig bei dem Krankenwärterdienst; die Kranken, welche man nach Brescia schaffte, lagen auf einer dichten Heustreue in guten Wagen, über welche mit Hilfe von geflochtenen Zweigen starke leinene Tücher gespannt waren.

Den 27. nachmittags ließ ich, durch die Strapazen erschöpft und nicht mehr imstande, einen erfrischenden Schlaf zu finden, mein Cabriolet anspannen und fuhr gegen sechs Uhr aus, um mindestens in der Frische des Abends ein wenig der Ruhe zu genießen, und während dieser Zeit den ergreifenden Auftritten, die mir überall in Castiglione begegneten, zu entgehen. Es war ein günstiger Tag und keine Truppenbewegungen (wie ich später erfuhr) waren für den Montag angeordnet worden. Ruhe folgte den schrecklichen Aufregungen der vorhergehenden Tage auf dem jetzt so düsteren Schlachtfeld, wo man keine Ausbrüche der Leidenschaft und des Enthusiasmus mehr sah noch hörte; da und dort erblickte man aber immer noch Stellen mit geronnenem Blut in ihrem dunkeln Rot hervorblicken, aufgerissene Erdstrecken, weiß mit Kalk bestreut, woran man die Plätze erkannte, wo die Opfer vom 24. ruhten.

Bei Solferino, dessen viereckiger finster und stolz sich erhebender Turm seit Jahrhunderten das umliegende Land beherrscht, und wo jetzt schon zum dritten Mal zwei der größten Mächte der neueren Zeit sich im blutigen Kampf maßen, wurden noch immer die zahlreichen und traurigen Menschenreste jenes Tages gesammelt, die selbst auf dem Kirchhof die Kreuze und Grabsteine mit Blut bedeckten. Gegen 9 Uhr kam ich nach Cavriana; es war ein in seiner Art einzigartiges und großartiges Schauspiel, den Kriegstrain zu sehen, welcher das Hauptquartier des Kaisers der Franzosen umgab. Ich suchte den Herzog von Magenta, den ich die Ehre hatte, persönlich zu kennen.

Da ich nicht genau wusste, wo in diesem Augenblick sein Armee-Corps lagerte, so ließ ich mein Cabnolet auf einem kleinen Platz halten, gegenüber dem Haus, in welchem seit Freitag Abend Kaiser Napoleon wohnte; und so befand ich mich nun plötzlich inmitten einer Gruppe von Generalen, welche auf einfachen Strohstühlen oder selbst auf hölzernen Schemeln saßen und in der Frische des Abends, gegenüber des improvisierten Palastes ihres Herrschers, ihre Zigarren rauchten. Während ich mich erkundigte, in welcher Richtung ich den Marschall Mac-Mahon treffen könne, befragten diese Generale ihrerseits den mich begleitenden Korporal, welchen sie neben meinem Kutscher sitzend für meine Ordonnanz hielten20: sie wollten nämlich wissen, wer ich sei und zugleich erfahren, welchen Auftrag ich wohl haben könne; denn es fiel ihnen nicht ein, dass ein gewöhnlicher Tourist sich allein in die Lager wage und, bis nach Cavriana gekommen, zu so später Stunde noch weiter wolle. Der Korporal, der selbst keinen Aufschluss geben konnte, blieb natürlich sehr schweigsam hierüber, obgleich er auf sehr ehrfurchtsvolle Weise ihre Fragen beantwortete, und die Neugierde schien noch zuzunehmen, als man mich hierauf nach Borghetto fahren sah, woselbst sich der Herzog von Magenta befinden sollte. Das zweite, von ihm befehligte Corps hatte sich den 26. von Cavriana nach Castellaro zu begeben, das fünf Kilometer davon entfernt ist, und seine Divisionen lagen rechts und links der Straße, welche von Castellaro nach Monzambano führt; der Marschall selbst befand sich mit seinem Generalstab in Borghetto.

Aber die Nacht war bereits schon vorgerückt, und da man mir nur sehr unsichere Andeutungen gegeben hatte, so lenkten wir schon nach einer Stunde eine falsche Straße ein, nämlich in diejenige nach Volta in das Lager des Armee-Corps von General Niel, der seit drei Tagen zum Marschall ernannt worden war, und in der Umgebung dieser kleinen Stadt lagerte. Das unbestimmte Geräusch unter diesem schönen gestirnten Himmel, die Biwakfeuer, welche da und dort von ganzen Bäumen unterhalten wurden, die erleuchteten Zelte der Offiziere, mit einem Wort, diese letzten Regungen eines wachenden Lagers in welchem nach und nach die Ruhe der Nacht ihr Recht geltend macht, sie ergreifen auf recht angenehme Weise eine an und für sich schon erregte Phantasie; die Schatten des Abends und die feierliche Stille machten dem wechselnden Geräusch und den Aufregungen des Tages Platz und die reine milde Luft des prachtvollen italienischen Himmels atmete sich mit Wollust ein.

Mein italienischer Kutscher war inmitten dieses nächtlichen Halbdunkels bei dem Gedanken, dem Feind so nahe zu sein, von einer solchen Furcht erfasst, dass ich mehrere Male gezwungen war, ihm das Leitseil abzunehmen, und es dem Korporal in die Hände zu geben oder selbst zu halten. Dieser arme Mensch war acht bis zehn Tage vorher aus Mantua entflohen, um dem österreichischen Kriegsdienst zu entgehen, kam nach Brescia, um dort einen Unterhalt zu finden, und nahm bei einem Fuhrmann als Kutscher Dienste. Sein Schrecken mehrte sich noch durch einen Schuss, welcher von einem Österreicher abgefeuert wurde, als wir in seine Nahe kamen, und der hierauf durch die Büsche floh.

Während dem Rückzug der österreichischen Armee hatten sich nämlich einige versprengte Soldaten in die Keller der Häuser jener kleinen Ortschaften geflüchtet, welche von ihren Bewohnern verlassen und dann in Folge des Kampfes fast vollständig zerstört worden waren; allein und voll Furcht hatten sie sich anfangs so gut wie möglich in diesen Verstecken ernährt und wagten sich erst später hervor, indem sie während der Nacht irrend in den Feldern umherzogen. Der Mantuaner, der sich nicht zu beruhigen imstande war, vermochte bald nicht mehr sein Pferd in gerader Linie zu führen; er wendete fortwährend den Kopf nach rechts und links, schaute mit stieren Blicken nach den Gebüschen am Weg, jeden Augenblick erwartend, einen dort versteckten Österreicher hervortreten und auf ihn anlegen zu sehen; kein Verhau, kein Mauerrest entging seinen ängstlichen Blicken, besonders wenn die Straße eine Wendung machte. Seine Furcht verwandelte sich in unbeschreibliches Entsetzen, als die Stille der Nacht durch den Schuss einer Vedette unterbrochen wurde, die wir wegen der Dunkelheit nicht gesehen hatten, und er wäre fast in Ohnmacht gefallen beim Anblick eines großen geöffneten Regenschirms, welcher, von drei Kanonenkugeln und mehreren Flintenkugeln durchbohrt, am Rand eines Feldes zunächst dem Fußweg nach Volta lag; dieser Regenschirm hatte wahrscheinlich einer Marketenderin der französischen Armee angehört und war ihr vom Gewitter am 24. entrissen worden.

Wir mussten wieder zurückfahren, um in die gute Straße von Borghetto einzulenken; es war jetzt schon über 11 Uhr, und wir trieben unser Pferd so viel als möglich, sodass unser bescheidenes kleines Fuhrwerk fast geräuschlos, aber schnell wie der Gedanke auf der Strada...

Erscheint lt. Verlag 12.5.2023
Sprache deutsch
ISBN-10 3-7578-4859-4 / 3757848594
ISBN-13 978-3-7578-4859-0 / 9783757848590
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