Orange, die Farbe meiner Aura (eBook)
594 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-3072-0 (ISBN)
Naliandra Eichhorn, Jahrgang 1986, wohnhaft in Osnabrück, ist ausgebildete Lehrerin mit den Fächern Germanistik und Mathematik fürs Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen. Seit ihrem 20. Lebensjahr schreibt sie in ihrer Freizeit Romane. Neben dem Schreiben verfolgt sie vielfältige kreative Interessen: künstlerische Tätigkeiten, Komponieren von Melodien und Singen. Kreative Werke, die im vorliegenden Roman Erwähnung finden, werden auf der Homepage präsentiert.
1. Ein Wunsch ans Universum
Es war Spätsommer. In meinem Inneren waberte die letzte Traurigkeit über den Verlust der Freundschaft zu Kerstin. Wir hatten ein Jahr lang einen sehr intensiven Kontakt gepflegt und uns täglich über WhatsApp geschrieben. Mir fehlte diese Nähe, und die Enttäuschung über ihr Verhalten als Freundin schmerzte noch immer dumpf in meinem Herzen. Am Ende fühlte ich mich von ihr ausgenutzt und alleingelassen. Dazu kamen Wut und Fassungslosigkeit über Gretas Handlungen, die schließlich dazu geführt hatten, dass ich die kompetente und liebenswerte ehemalige Betreuerin verloren hatte. Welche Menschen gab es nun noch in meinem Leben? Meine Eltern, die 300 km entfernt wohnten. Manu, eine Freundin aus der Selbsthilfegruppe, die mit ihren eigenen Problemen als Multiple zu kämpfen hatte. Leonora, die ich bei Facebook kennen gelernt hatte und die aufgrund ihrer eigenen Depressionen die meisten Verabredungen absagte. Carolin und Melina, die mit ihrer Kompetenz nicht mit der vorherigen Betreuung mithalten konnten. Carolin war zudem im Sommer drei Wochen im Urlaub gewesen und hatte anschließend vier Wochen wegen Krankheit gefehlt. Trotz der vielen Seelen in mir umklammerte mich die Einsamkeit.
›Irgendwie sieht Carolin schwanger aus!‹ Dieses Urteil fällte mein Inneres Mitte September, als diese nach der Krankheit wieder arbeitete. Woher dieser Gedanke kam, konnte ich mir gar nicht erklären, denn Carolin hatte sich körperlich nicht verändert, sie war noch immer so schlank wie zuvor.
Zwei Wochen später lag ich am Dienstagabend vor der Mittwochsbetreuung im Wohnzimmer auf dem Sofa, eingekuschelt in meine künstliche Felldecke, und fühlte erstmals aus dem tiefsten Inneren den Wunsch nach einer Seelengefährtin emporsteigen, der so stark war, dass es fast körperlich schmerzte. Könnte ich nicht eine Betreuerin bekommen, mit der die Termine wieder die Qualität der Vorjahre hätten? Eine Frau, die älter war als ich und über genügend Lebenserfahrung verfügte, um mir selbst eine bessere Stütze zu sein als Carolin und insbesondere Melina? Unser Leben erschien noch aufgrund der menschlichen Enttäuschungen der letzten zwei Jahre und der Traumatisierungen der Jahre zuvor im trüben Licht, als hinge eine dunkle Regenwolke über mir. Könnte nicht eine Person in unser Leben treten, die es mit uns wieder farbenfroh gestalten und zum Leuchten bringen konnte? Eine liebevolle, fürsorgliche Frau, die mein Leben bereichern und stützen könnte. ›Eine Frau, in die ich mich verlieben könnte …‹
Dieser letzte Wunsch von innen erreichte mich kaum und drang nicht bis in meine bewussten Gedanken. Nur die tiefe Sehnsucht spürte ich, während mir Tränen aus den Augen flossen, die nicht meine eigenen waren. Manchmal erlebte ich, wie andere Anteile weinten. Nicht immer konnte ich deren Traurigkeit fühlen und begreifen. Nicht immer handelte es sich auch um meine eigene Traurigkeit. An diesem Abend jedoch war es, als hätten sich alle Seelen in mir zusammengeschlossen, um den Wunsch nach einer Seelengefährtin ins Universum zu schicken. Vielleicht gab es dort irgendeine geheime Macht, die ihn uns erfüllen konnte. Gläubig war keiner von uns, von daher war der Adressat des Wunsches unbekannt. Ich schaute in den Sternenhimmel und stellte mir vor, wie die Sterne ihn in sich aufnahmen, bis sie heller leuchteten und ihre Magie zur Erde zurückschickten, um mich glücklich zu machen.
»Ich muss euch etwas sagen …«, verkündete Carolin am nächsten Tag zögernd. »Das ist einerseits etwas sehr Schönes, aber andererseits werdet ihr wohl traurig sein …«
»Du bist schwanger!«, platzte ich heraus und meine Betreuerin schaute sehr überrascht.
»Ja – genau! Woher weißt du das?« Unsicher blickte sie auf ihren Bauch.
»Keine Ahnung – du siehst nicht dicker aus! Aber ehrlich gesagt haben wir das schon vor zwei Wochen gedacht, ich weiß nicht, weshalb …«
In mir mischten sich zwei Emotionen: Sorge, weil Carolin nun bereits ab Mitte Oktober nicht mehr arbeiten durfte, aber auch Beruhigung, dass die Weissagung aus dem Inneren endlich eingetreten war. Unter diese beiden Gefühle mogelte sich eine dritte Ahnung: Vielleicht würde die neue Betreuerin die Person werden, die wir uns noch am Vortag herbeigesehnt hatten …
»Es finden aktuell schon Bewerbungsgespräche statt!«, berichtete Carolin. »Für mich wird für meine Babypause eine neue Kraft eingestellt, erfahrungsgemäß bleibt die dann auch im Team, das war bisher immer so! Mal sehen, ob ihr mich dann überhaupt zurückhaben wollt!«
»Natürlich!«, erwiderte ich voller Überzeugung und gratulierte ihr zur Schwangerschaft, obwohl ich spürte, wie sich neue Tränen in meinen Augen sammelten. Wieder jemand Neues. Wieder Ungewissheit.
»Sucht bitte, bitte jemand Gutes aus!«, bat ich, nachdem Carolin erzählt hatte, sie und Melina seien während der Bewerbungsgespräche anwesend. »Unbedingt eine Frau!«
Mit Männern hatten wir Traumatisches erlebt. Einen fremden Mann regelmäßig in unsere Wohnung zu lassen, konnte ich mir nicht vorstellen. »Und am besten eine Frau, die älter ist als ich – als unser Körper«, ergänzte ich. »Die nicht schwanger wird, schon viel Erfahrung hat, kompetent und intelligent ist – und warmherzig!«
Carolin nahm die Wünsche entgegen und versprach, sich so gut wie möglich für deren Erfüllung einzusetzen.
Am kommenden Montag wusste Melina bereits Genaueres: »Es stehen jetzt drei Bewerberinnen zur Auswahl«, informierte sie uns. »Zwei sind etwas jünger, eine ist Ende 40!«
»Oh, dann nehmt bitte die Frau Ende 40!«, sagte ich vehement. Ein Kindanteil wollte wissen: »Wie heißen die drei denn mit Vornamen?«
Ich hatte im Vorjahr meinen Namen offiziell zu Thaleia Skyla Lichtenthal ändern lassen, da der Geburtsname mit Traumatisierungen verknüpft war. Den neuen Namen hatten wir uns alle zusammen selbst ausgesucht. Seitdem war in uns ein Interesse für Vornamen und deren Bedeutung erwacht. Doch Melina musste uns enttäuschen.
»Das darf ich wegen Datenschutz nicht sagen …«, meinte sie, wozu im Inneren die Stirn gerunzelt wurde, weil die meisten in mir die Wahrung dieser Information übertrieben fanden, da keiner nach den Nachnamen der Bewerberinnen gefragt hatte. »Ach, eins kann ich euch vielleicht sagen«, überlegte Melina vorsichtig. »Die Vornamen beginnen mit A, E und K.«
Mit dieser Information konnte niemand etwas anfangen, aber, ohne dass wir den Grund dafür nennen konnten, sprang nur das E in unseren Kopf. ›Elisabeth‹, formatierte sich in meinem Gehirn; die Buchstaben hüpften vor meinem inneren Auge ins Bewusstsein. Anschließend verschwanden sie langsam nach links und verblassten, während ein neuer Name auftauchte, eine Abkürzung dieses Namens: Ela. Die Buchstaben glühten in einem kräftigen Orange. Es war, als könnte ich im Kopf diese drei Buchstaben plastisch spüren, und aus sämtlichen Winkeln meines Inneren wurde dieser Name geflüstert, Ela, immer wieder, Ela … Ela, Ela, Ela …
Als Melina gegangen war, entstand die Idee, eine Liste mit möglichen Namen mit A, E und K zu machen und später zu überprüfen, ob der Name der neuen Betreuerin dabei wäre. Ein spielerisches Zwiegespräch der inneren Kinder und Jugendlichen mit dem Schicksal. Dazu aber kam es nicht; wir überlegten uns nicht einen einzigen anderen Namen mit E oder Namen mit A und K, weil der Name Ela in unserem Kopf bereits so mächtig war, dass er alle anderen möglichen Namen verdrängte.
»Also, ihr habt Glück, wir haben die 48-Jährige eingestellt! Ich kann die Neue bei unserem letzten Termin mitbringen, dass ihr sie kennen lernen könnt!«, informierte uns Carolin am Telefon am Freitag vor ihrer letzten Arbeitswoche. Wir jedoch wünschten uns einen Abschlusstermin nur mit Carolin und wollten die neue Betreuerin lieber in derselben Woche alleine kennen lernen.
Am Montag, dem 8. Oktober 2018, saß Carolin auf unserem Sofa und teilte mir mit, der Termin mit uns könne erst in der kommenden Woche stattfinden, weil die Neue neben dem Kennenlernen von Carolins Klienten noch von ihr selbst und weiteren Kollegen in die Büroarbeit eingearbeitet werden müsste.
»Aber dann kann sie doch mit Kollegen im Büro arbeiten, wenn sie sonst mit dir zusammen zu uns gegangen wäre!«, schlug ich vor. »Wie heißt sie denn jetzt eigentlich?«
In diesem Augenblick, als der Name der neuen Betreuerin Carolins Mund verließ und durch den Raum schwebte, stand etwas in uns still. »Ela! Und sie ist wirklich hochgradig sympathisch!«, beruhigte sie uns.
Der Name aus unserem Kopf. Ein sehr seltener Name. Unser Herz zog sich aufgeregt zusammen; hatte uns das...
Erscheint lt. Verlag | 22.2.2021 |
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Sprache | deutsch |
ISBN-10 | 3-7534-3072-2 / 3753430722 |
ISBN-13 | 978-3-7534-3072-0 / 9783753430720 |
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