Licht im Dunkeln (eBook)
400 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12024-0 (ISBN)
Prof. Dr. Heino Falcke, geboren 1966 in Köln, ist ein hochdekorierter Astrophysiker und Professor an der Radboud-Universität in Nimwegen. Er leitete den wissenschaftlichen Beirat des Event-Horizon-Telescope-Projekts, das am 10. April 2019 das erste Bild eines Schwarzen Lochs präsentierte.
Prof. Dr. Heino Falcke, geboren 1966 in Köln, ist ein hochdekorierter Astrophysiker und Professor an der Radboud-Universität in Nimwegen. Er leitete den wissenschaftlichen Beirat des Event-Horizon-Telescope-Projekts, das am 10. April 2019 das erste Bild eines Schwarzen Lochs präsentierte. Jörg Römer, geboren 1974, studierte Mesoamerikanistik, Vor- und Frühgeschichte sowie Lateinamerikastudien in Hamburg. Seit Oktober 2015 Redakteur bei DER SPIEGEL im Ressort Wissenschaft/Gesundheit. An der Astronomie fasziniert ihn die Forschung im Grenzbereich. Sie steht für ihn für die unbändige Neugier des Menschen, nach dem Ursprung des Seins zu fragen.
Prolog
Und wir sehen sie doch
Plötzlich verdunkelt sich der große Pressesaal der Europäischen Kommission in Brüssel. Der langerwartete Augenblick ist da, für den wir alle viele Jahre und bis zur Erschöpfung gearbeitet haben. Es ist Dienstag, der 10. April 2019, 15:06 Uhr und 20 Sekunden. Noch 40 Sekunden, dann wird die Weltöffentlichkeit zum ersten Mal die Aufnahme eines riesigen Schwarzen Lochs bewundern. 55 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt befindet es sich im Zentrum der Galaxie Messier 87 – oder kurz M87. Lange schien das tiefe Dunkel Schwarzer Löcher unseren Augen für immer verborgen zu bleiben, aber heute würde es zum ersten Mal ins helle Licht der Öffentlichkeit treten.
Die Pressekonferenz hat begonnen, aber wir begreifen noch gar nicht, was sie alles auslösen werden würde. Eine tausendjährige Entdeckungsreise der Menschheit hin zu den Grenzen unseres Wissens, revolutionäre Theorien über Raum und Zeit, modernste Technologien, die Arbeit einer jungen Generation von Radioastronomen und mein gesamtes Forscherleben werden sich heute im Bild dieses Schwarzen Lochs bündeln. Astronomen, Naturwissenschaftler, Journalisten, und Politiker verfolgen gebannt, was wir hier und in anderen Hauptstädten der Welt zeigen werden. Erst später erfahre ich, dass Millionen Menschen weltweit an Bildschirmen ausharren und dass in nur wenigen Stunden etwa vier Milliarden Menschen unser BILD sehen werden.
In der ersten Reihe des Saales sitzen verdiente Kollegen und junge Wissenschaftler, darunter viele meiner Studenten. Jahrelang hatten wir intensiv zusammengearbeitet; jeder hatte sich selbst und mich weit übertroffen; etliche waren nur für dieses Ziel, manchmal unter Lebensgefahr, in die entlegensten Weltgegenden gereist. Und heute steht das Ergebnis, der Erfolg ihrer Arbeit, im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit, während sie im Dunkeln sitzen. Ihnen allen möchte ich jetzt danken, denn jede und jeder von ihnen hat diesen Durchbruch ermöglicht.
Doch die Uhr tickt. Ich befinde mich in einem Tunnel, jeder Eindruck fliegt an mir vorbei wie der Fahrtwind an einem Rennfahrer. Das Handy in der dritten Reihe, dessen Linse auf mich gerichtet ist, bemerke ich nicht. Der Clip taucht später auf einer der populärsten Webseiten für Kids als »Trending Topic« auf – zwischen vulgären Witzen über den Hintern des amerikanischen Präsidenten und dem Joint eines bekannten Rappers. Die wachsame Spannung der Journalisten springt auf mich über: jeder Blick eine Erwartung. Mein Puls rast. Alle schauen mich an.
Vor mir hat Carlos Moedas gesprochen, der EU-Kommissar für Wissenschaft. »Nicht zu lange reden«, hatten wir ihm eingebleut. Moedas facht mit seinen Worten die Neugier des Publikums an, und jetzt ist er zu früh fertig. Aus dem Stand muss ich die Zeitlücke füllen, versuche, meine Nervosität zu überspielen.
Synchron soll weltweit die allererste Aufnahme gezeigt werden. Punkt 15:07 Uhr mitteleuropäischer Zeit wird das Bild auf der riesigen Leinwand hier im Saal aufscheinen. Gleichzeitig stehen meine Kollegen in Washington, Tokio, Santiago de Chile, Shanghai und Taipei bereit, dieses Bild eines Schwarzen Lochs vorzuführen, zu kommentieren und Fragen der Journalisten zu beantworten. Computerserver auf allen Kontinenten sind programmiert, um Fachpublikationen und Pressemitteilungen in alle Welt zu schicken. Unaufhaltsam läuft die Zeit. Alles hatten wir zuvor präzise koordiniert und geplant – die geringste Abweichung würde alles durcheinanderbringen, so wie es auch bei unseren Messkampagnen der Fall gewesen war. Jetzt komme ich direkt am Anfang ins Stolpern.
Ich beginne mit meinen Eröffnungsworten, während ein Film hinter mir immer schneller und tiefer in das Herz einer riesigen Galaxie hineinzoomt. Vor Aufregung beginne ich mit einem dummen Versprecher. Ich verwechsle Lichtjahre mit Kilometern – keine Kleinigkeit für einen Astronomen, aber auch keine Zeit, im Boden zu versinken, es muss weitergehen.
Die Anzeigetafel springt um – es ist exakt 15:07 Uhr. Aus der Tiefe und der unendlichen Dunkelheit des Weltalls, aus dem Zentrum der Galaxie Messier 87, taucht ein rot glühender Ring auf. Schemenhaft zeichnen sich seine Konturen ab, verharren leicht verschwommen auf der Leinwand, der Ring leuchtet auf, zieht alle Zuschauer in seinen Bann und lässt erahnen: Dieses Bild, das aufzunehmen für unmöglich gehalten wurde, hatte mittels Radiowellen aus 500 Trillionen Kilometer Entfernung seinen Weg endlich zu uns auf die Erde gefunden.
Supermassereiche Schwarze Löcher sind Weltraumfriedhöfe. Sie entstehen aus verglühenden, ausgebrannten und erlöschenden Sternen. Das All füttert sie aber auch mit gigantischen Gasnebeln, Planeten und Sternen. Sie krümmen durch ihre schiere Masse den leeren Raum in extremer Weise und scheinen selbst den Lauf der Zeit anhalten zu können. Was ihnen zu nahe kommt, geben Schwarze Löcher nie wieder frei – nicht einmal Lichtstrahlen können ihnen entkommen.
Aber wie können wir überhaupt Schwarze Löcher sehen, wenn kein Lichtstrahl von dort zu uns dringen kann? Woher wissen wir, dass dieses Schwarze Loch 6,5 Milliarden Sonnenmassen verdichtet hat und dadurch supermassereich geworden ist? Schließlich hüllt doch der glühende Ring die tiefdunkle Schwärze ihres Inneren ein, dem kein Lichtstrahl und kein Wort entkommen können.
»Dies ist das erste Bild eines Schwarzen Lochs«, sage ich[1], als es endlich in seiner ganzen Fülle auf der Leinwand erscheint. Im Saal brandet spontaner Applaus auf. Von mir fällt die ganze Anstrengung der letzten Jahre ab. Ich fühle mich frei – endlich ist das Geheimnis gelüftet! Eine kosmische Fabelgestalt hat jetzt für jeden sichtbar Form und Farbe angenommen.[2]
Die Zeitungen verbreiten am nächsten Tag, wir hätten Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Uns sei es gelungen, der Menschheit einen gemeinsamen Moment der Freude und des Staunens zu schenken: Und es gibt sie doch, diese supermassereichen Schwarzen Löcher! Sie sind keine Hirngespinste abgedrehter Science-Fiction-Autoren.
Das Bild konnte nur gelingen, weil Menschen auf der ganzen Welt über alle Schwierigkeiten und Unterschiede hinweg über Jahre ein gemeinsames Ziel verfolgt hatten. Sie alle wollten Schwarzen Löchern auf die Spur kommen, einem der größten Geheimnisse der Physik. Dieses Bild hat uns an die Grenze unseres Wissens geführt. So verrückt es klingt: Am Rand von Schwarzen Löchern endet unsere Möglichkeit zu messen und zu forschen, und es ist eine große Frage, ob wir diese Grenze jemals überschreiten können.
Generationen von Wissenschaftlern hatten vor uns dieses neue Kapitel der Physik und der Astronomie aufgeschlagen. Vor 20 Jahren galt der Wunsch, das Bild eines Schwarzen Lochs einzufangen, noch als überspannter Traum. Auf der Jagd nach den Schwarzen Löchern war ich damals als junger Forscher in dieses Abenteuer hineingestolpert, das mich bis heute in seinen Bann zieht.
Wie aufregend es werden, wie es mein Leben bestimmen und verändern würde, ahnte ich nicht im Entferntesten. Eine Expedition an das Ende von Raum und Zeit, eine Reise in die Herzen von Millionen Menschen wurde es, auch wenn ich selbst dies als Letzter begriff. Mithilfe der Welt war uns dieses Bild gelungen, jetzt teilten wir es mit der Welt, und die Welt umarmte es – stärker, als ich es jemals für möglich gehalten hatte.
Begonnen hat für mich alles vor fast 50 Jahren. Seit ich als kleiner Junge zum ersten Mal ins nächtliche Firmament aufschaute, träumte ich vom Himmel, wie nur ein Kind vom Himmel träumen kann. Die Astronomie ist eine der faszinierendsten und ältesten Wissenschaften, die uns heute immer noch dramatisch neue Einsichten schenkt. Von der Frühzeit bis heute haben Forscher unser Weltbild immer wieder grundlegend verändert – angetrieben von Neugier und Notwendigkeit. Seither erkunden wir das Universum mit unserem Geist, mit Mathematik und Physik und immer neuen Teleskopen. Mit modernster Technik machen wir uns auf zu Expeditionen an alle Enden der Welt und sogar ins All, um das Unbekannte zu erforschen. Im unergründlichen Weltall, im unendlichen Universum und im göttlichen Kosmos sind Wissen, Mythen und Mythos, Glaube und Aberglaube schon immer so eng miteinander verwoben, dass heute kein Mensch in den Nachthimmel schaut, ohne sich zu fragen, was uns in dieser dunklen Weite noch alles erwartet.
Über dieses Buch
Dieses Buch ist eine Einladung auf eine...
Erscheint lt. Verlag | 17.10.2020 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Weltraum / Astronomie |
Naturwissenschaften ► Physik / Astronomie ► Astronomie / Astrophysik | |
Schlagworte | Albert Einstein • Astronomie • Astrophysik • Black Holes • Edward Hubble • EHT (Event Horizon Telescope) • Fotografie • Galaxie M 87 • Galaxien • Gravitationswellen • Physik • Quasare • Radioastronomie • Schwarze Löcher • Sterne • Weltall |
ISBN-10 | 3-608-12024-6 / 3608120246 |
ISBN-13 | 978-3-608-12024-0 / 9783608120240 |
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