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Einsteins Ahnung

Das Rennen um den Nachweis der Gravitationswellen
Buch | Hardcover
432 Seiten
2017
Piper (Verlag)
978-3-492-05742-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Einsteins Ahnung - Govert Schilling
CHF 33,55 inkl. MwSt
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Was Einstein schon vor 100 Jahren wusste.
Anfang des 20. Jahrhunderts sagte Albert Einstein mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie voraus, dass Gravitationswellen existieren. Diese Krümmung des Raum-Zeit-Geflechts konnte jedoch nie bewiesen werden – bis zum Jahr 2016, als Forschern in den USA die wissenschaftliche Sensation gelang, hundert Jahre nachdem Einstein seine Theorie aufgestellt hatte.

Der Wissenschaftsjournalist Govert Schilling schildert in diesem Buch die packende Jagd auf den Nachweis der Gravitationswellen.

Dabei zeichnet er die Geschichte und Genese dieses internationalen Forscherprojekts nach, erklärt allgemein verständlich, worum es bei dieser Jahrhundertentdeckung eigentlich geht, und nimmt die Leser mit auf eine verblüffende Reise durch Raum und Zeit.

Govert Schilling ist bekannt als Wissenschaftsjournalist und schreibt für Magazine wie 'Science', 'National Geographis' und 'Sky & Telescope'. Lange Jahre tätig beim Artis Planetarium in Amsteram. Zahlreiche Buchpublikationen zum Thema Astronomie. Der Autor lebt mit seiner Familie in Utrecht, Niederlande.

Vorwort von Martin Rees Einführung 1 Ein Raumzeit-Appetitmacher 2 Relativ gesprochen 3 Einsteins Theorie auf dem Prüfstand 4 Diskussionen über Gravitationswellen und Stabantennen 5 Das Leben eines Sterns 6 Mit der Präzision eines Uhrwerks 7 Die Laser-Mission 8 Der Weg zur Perfektion 9 Schöpfungsgeschichten 10 Kälteeinbruch 11 Erwischt! 12 Schwarze Magie 13 Nanotechnologie 14 Follow-up-Untersuchungen 15 Weltraumeroberer 16 Bühne frei für die Gravitationswellenastronomie Danksagung Bildnachweis Anmerkungen und weiterführende Literatur Register

»(…) Das Buch (erzählt) in der Tat mitreißend – wie im Vorwort angekündigt – eine ›wunderbare Geschichte‹«., wissenschaft.de, 19.03.2018

»Wer die jahrzehntelange Suche nach Gravitationswellen, deren Nachweis 2017 mit dem Nobelpreis geehrt wurde, nachvollziehen und verstehen will, der ist bei Govert Schilling richtig. In seinem gerade erscheinen Buch verbindet er elementares Hintergrundwissen mit Reportage-artigen Berichten und erweitert so das Verständnis für diese Jahrhundertentdeckung nachhaltig.«, Deutschlandfunk Kultur "Buchkritik", 20.12.2017

»Eine hervorragende Lektüre, die jedem wärmstens empfohlen werden kann, der verstehen will, was die Grundlagen des Universums und des (erwiesenen und möglichen) Lebens darin sind.«, rezensions-seite.de

Vorwort von Martin Rees Einstein nimmt einen ganz besonderen Platz in der Ruhmeshalle der Wissenschaft ein, und das völlig zu Recht. Seine Erkenntnisse über Raum und Zeit haben unser Wissen über Schwerkraft und Kosmos auf ein neues Fundament gestellt. Heute kennen wir alle von zahllosen Postern und T-Shirts das Porträt des freundlichen und ungekämmten weisen Mannes. Seine beste Arbeit hat er freilich schon geleistet, als er noch jung war – er war noch keine 40 Jahre alt, als er schlagartig zu Weltruhm gelangte. Am 29. Mai 1919 beobachtete eine Gruppe von Forschern unter der Leitung des Astronomen Arthur Eddington während einer Sonnenfinsternis die Sterne rings um die verdunkelte Sonne. Ihre Messungen zeigten, dass diese Sterne von ihren normalen Positionen versetzt zu sein schienen, da die von ihnen ausgesandten Lichtstrahlen von der Schwerkraft der Sonne gebeugt wurden. Diese Beobachtung bestätigte eine der wichtigsten von Einsteins Vorhersagen. Nachdem die Wissenschaftler ihre Ergebnisse der Royal Society in London präsentiert hatten, verbreitete sich die Nachricht schnell über die ganze Welt. »Lights All Askew in the Heavens; Einstein Theory Triumphs« (»Lichtstrahlen am Himmelsgewölbe krumm und schief; Triumph für Einsteins Theorie«) lautete die reichlich übertriebene Schlagzeile der New York Times. Im Jahr 1915 hatte Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie vorgelegt, einen Triumph des abstrakten Denkens und Erkennens. Ihre Folgen für uns auf der Erde sind marginal; sie machen geringfügige Korrekturen der in modernen Navigationssystemen eingesetzten Uhren notwendig, aber die Newton’schen Gesetze sind nach wie vor gut genug, um Raumsonden zu starten und ihre jeweilige Bahn zu berechnen. Dagegen ist Einsteins Erkenntnis, dass Raum und Zeit verknüpft sind – dass »die Materie dem Raum sagt, wie er sich krümmen soll, und der Raum der Materie sagt, wie sie sich bewegen soll« –, von entscheidender Bedeutung für zahlreiche kosmische Phänomene. Aber es ist natürlich schwierig, eine Theorie zu prüfen, deren Folgen sich in so weiter Ferne manifestieren. Nach ihrer Veröffentlichung wurde die Allgemeine Relativitätstheorie beinahe ein halbes Jahrhundert lang vom Mainstream der Physik nicht ernst genommen. Doch seit den 1960er-Jahren mehren sich die Belege für einen »Urknall«, der die Expansion des Universums in Gang setzte, und für die Existenz von Schwarzen Löchern – zwei von Einsteins wichtigsten Vorhersagen. Und im Februar 2016, also beinahe 100 Jahre nach der berühmten Sitzung, auf der die Royal Society sich von der Sonnenfinsternis-Expedition berichten ließ, erhärtete noch eine Bekanntmachung – dieses Mal allerdings im Press Club in Washington, D.C. – Einsteins Theorie erneut: Das Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) hatte Gravitationswellen nachgewiesen. Das ist das Thema von Govert Schillings Buch: Er hat eine wunderbare Geschichte zu erzählen, die sich über einen Zeitraum von über 100 Jahren erstreckt. Einstein stellte sich die Wirkung der Schwerkraft als eine Art »Krümmung« des Raums vor. Wenn gravitierende Objekte ihre Form verändern, führt das dazu, dass der Raum selbst sich kräuselt. Wenn eine solche Kräuselung die Erde durchdringt, »vibriert« der Raum in unserer Umgebung: Er wird abwechselnd gedehnt und gestaucht, wenn die Gravitationswellen ihn durchlaufen. Aber dieser Effekt ist minimal, da die Schwerkraft eine so schwache Kraft ist. Die Gravitationskraft zwischen alltäglichen Gegenständen ist winzig. Wenn Sie zwei Hanteln schwingen, erzeugen Sie Gravitationswellen – aber mit verschwindend geringer Kraft. Selbst Planeten, die Sterne umkreisen, oder Zwillingssterne, die einander umkreisen, erzeugen Gravitationswellen, die so schwach sind, dass sie nicht gemessen werden können. Die Astronomen sind sich darüber einig, dass die Quellen, die LIGO möglicherweise aufspüren kann, wesentlich mehr Schwerkraft erzeugen müssen als gewöhnliche Sterne oder Planeten. Bei einem solchen Ereignis werden sehr wahrscheinlich Schwarze Löcher eine Rolle spielen. Wir wissen seit beinahe 50 Jahren, dass es Schwarze Löcher gibt; die meisten von ihnen sind Überreste von Sternen mit 20 oder mehr Sonnenmassen. Wenn ein solcher Stern sich in seinem explosiven Todeskampf (der von einer Supernova angezeigt wird) in gleißender Glut verzehrt, kollabiert sein Inneres zu einem Schwarzen Loch. Das Material, aus dem der Stern bestanden hat, wird vom Rest des Universums abgeschnitten und hinterlässt eine Gravitationsspur in dem Raum, den es verlassen hat. Wenn zwei Schwarze Löcher ein binäres System bilden, kommen sie sich allmählich auf einer spiralförmigen Bahn näher. Und je näher sie sich kommen, desto stärker wird der Raum in ihrer Umgebung gekrümmt, bis sie zu einem einzigen rotierenden Schwarzen Loch verschmelzen. Dieses Loch schwappt hin und her und »klingelt«, wodurch es weitere Wellen erzeugt, bis es sich schließlich zu einem einzigen bewegungslosen Schwarzen Loch beruhigt. Es ist dieses »Zirpen« – eine Erschütterung des Raums, die sich bis zum Verschmelzen beschleunigt und verstärkt und dann wieder abebbt –, das LIGO erfassen kann. Solche Kataklysmen ereignen sich in unserer Galaxie seltener als einmal in einer Million Jahre, aber ein solches Ereignis würde selbst dann ein für LIGO messbares Signal erzeugen, wenn es sich in einer Milliarde Lichtjahre Entfernung ereignen würde – und es gibt etliche Millionen Galaxien, die uns näher sind. Um selbst die günstigsten Ereignisse aufzuspüren, werden äußerst empfindliche – und sehr teure – Messinstrumente benötigt. In den LIGO-Detektoren werden hochkonzentrierte Laserstrahlen durch vier Kilometer lange Vakuumrohre projiziert und an den beiden Enden von einem Spiegel reflektiert. Durch Analysieren dieser Laserstrahlen kann jede Änderung des Abstands zwischen den Spiegeln, der abwechselnd zunimmt und abnimmt, wenn der Raum expandiert und dann wieder kontrahiert, festgestellt werden. Die Amplitude solcher Vibrationen ist extrem klein, ungefähr 0,0000000000001 Zentimeter – millionenfach winziger als selbst der Durchmesser eines einzigen Atoms. Das LIGO-Projekt besteht aus zwei Detektoren, die etwa 3000 Kilometer voneinander entfernt aufgestellt sind – der eine im US-Bundesstaat Washington, der andere in Louisiana. Ein einziger Detektor würde auch mikroseismische Ereignisse registrieren, etwa vorbeifahrende Fahrzeuge und Ähnliches mehr; um solche Fehlalarme auszuschließen, beschäftigen sich die Experimentatoren nur mit solchen Ereignissen, die an beiden Standorten gemessen wurden. Jahrelang hatte LIGO nichts registriert. Aber dann wurden die Systeme auf den neuesten Stand der Technik gebracht, und im September 2015 waren sie wieder voll und ganz in Betrieb. Nach buchstäblich jahrzehntelangen Frustrationen hatte die Mission endlich Erfolg: Ein Zirpen wurde registriert, das die Kollision von zwei Schwarzen Löchern in einer Entfernung von über einer Milliarde Lichtjahre signalisierte und damit ein neues wissenschaftliches Forschungsgebiet eröffnete – die Erforschung der Dynamiken des Raums selbst. Leider ist es schon vorgekommen, dass hochgehypte wissenschaftliche Behauptungen sich als falsch oder übertrieben herausstellten, und in diesem Buch wird auch von solchen Behauptungen auf diesem Gebiet berichtet. Ich selbst halte mich für einen schwer zu überzeugenden Skeptiker, aber was die LIGO-Forscher behaupten – die Kulmination von buchstäblich jahrzehntelangen Anstrengungen von Wissenschaftlern und Ingenieuren mit erstklassigem Ruf –, ist bestechend, und dieses Mal erwarte ich, voll und ganz überzeugt zu werden. Diese Messung ist in der Tat eine große Sache, eine der ganz großen Entdeckungen dieses Jahrzehnts, ebenso wichtig wie der Nachweis des Higgs-Teilchens, der 2012 einen Riesenrummel auslöste. Das Higgs-Teilchen war eine Bestätigung für das Standardmodell der Teilchenphysik, das über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten entwickelt wurde. Entsprechend sind Gravitationswellen – Vibrationen im Gewebe des Raums selbst – eine entscheidende und unverkennbare Konsequenz der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein. Peter Higgs sagte das nach ihm benannte Teilchen schon vor 50 Jahren voraus, aber dessen Nachweis – und das Erforschen seiner Eigenschaften – musste den technologischen Fortschritt abwarten. Dafür wurde eine riesige Maschine benötigt, der Large Hadron Collider in Genf. Gravitationswellen waren noch früher vorhergesagt worden, doch es hat noch länger gedauert, bis sie tatsächlich gemessen werden konnten – auch hier musste ein außerordentlich schwer auszumachender Effekt erfasst werden, und auch dafür wurden riesige und ultrapräzise Geräte gebraucht. Ganz abgesehen davon, dass diese Ergebnisse Einsteins Theorie auf eine ganz neue Art bestätigen, vertiefen sie auch unser Wissen über Sterne und Galaxien ganz erheblich. Die astronomischen Belege für Schwarze Löcher und massereiche Sterne sind nach wie vor dünn gesät – es war daher schwierig abzuschätzen, wie viele davon sich innerhalb der Reichweite von LIGO befinden. Pessimisten vermuteten, dass solche Ereignisse so selten sein könnten, dass selbst das neue und verbesserte LIGO nichts registrieren würde, zumindest nicht für ein oder zwei Jahre. Aber falls die Experimentatoren nicht gerade ein ganz außergewöhnliches »Anfängerglück« gehabt haben, sieht es so aus, als hätten sie eine neue Art von Astronomie gefunden, die es ermöglicht, die Dynamiken des Raums selbst zu erforschen statt nur die Materie, die darin existiert. Inzwischen sind andere Detektoren in Europa, Indien und Japan in die Suche mit eingebunden, und es gibt Pläne, ähnliche Detektoren in den Weltraum zu bringen. Aber nur allzu viele Wissenschaftler scheuen davor zurück, ihre Ideen und Entdeckungen zu erklären, weil sie sie für undurchschaubar und unverständlich halten. Es stimmt, dass professionelle Wissenschaftler ihre Ideen in der Sprache der Mathematik ausdrücken, die für viele Menschen eine Fremdsprache ist. Aber die ihnen zugrunde liegenden Schlüsselkonzepte können durchaus von einem entsprechend qualifizierten Autor in einfacher Sprache vermittelt werden. Govert Schilling ist einer der besten von ihnen, und mit diesem Buch hat er sich selbst übertroffen. Seine Erzählung erstreckt sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert. In diesem Buch erklärt er diese Schlüsselkonzepte in klaren und unterhaltsamen Begriffen und stellt sie dabei in einen historischen Kontext. Er porträtiert auch die sehr unterschiedlichen beteiligten Persönlichkeiten, von denen einige »besessen« waren – was freilich kein Wunder ist, da eine gewisse Besessenheit eine der Voraussetzungen dafür ist, dass jemand viele Jahre oder gar Jahrzehnte seines Lebens einer experimentellen Herausforderung widmet, für die es keinerlei Erfolgsgarantie gibt. Aber das Projekt ist von Hunderten von Experten unterstützt worden, die in Teams zusammenarbeiteten. Schilling erzählt von aufwühlenden Kontroversen, bitteren Rückschlägen und ganz erstaunlichen technischen Leistungen von Wissenschaftlern und Ingenieuren, die jahrzehntelang darum gekämpft haben, eine ganz fantastische Präzision zu erzielen. Er berichtet von ihren Triumphen, die auf Erkenntnissen über das fundamentale Wesen von Raum und Zeit beruhen. Es ist eine wunderbare Geschichte, die in diesem Buch spannend und mitreißend erzählt wird. Einführung Auf einer Umlaufbahn rings um einen gelben Zwergstern in den Ausläufern einer Spiralgalaxie kreist ein winziger Planet, der etwa 3,3 Milliarden Jahre zuvor aus einer Ansammlung von Staub und Felsbrocken entstanden war. Organische Verbindungen, die aus dem Weltraum in die lauwarmen Ozeane des blauen Planeten hinabgeregnet waren, hatten sich zu Molekülen zusammengefunden, die sich selbst reproduzieren können. Inzwischen wimmelt es in diesen Gewässern von einzelligen Lebensformen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis das Leben seinen Weg auch auf die öden Kontinente des Planeten findet. In einem anderen Winkel dieses unermesslichen Universums haben zwei extrem massereiche Sterne ihr kurzes Leben in katastrophalen Supernova-Explosionen beendet. Übrig geblieben ist ein eng verbundenes binäres System zweier unersättlicher Schwarzer Löcher, von denen ein jedes zehnmal mehr Masse in sich vereint als der weit entfernte gelbe Zwerg. Ihre Schwerkraft zieht Materie an, die ihnen zu nahe kommt, etwa Gas und Staub, und beugt die Lichtstrahlen in ihrer Umgebung. Nichts kann jemals dem eisernen Griff der Schwerkraft dieser kosmischen Abgründe entkommen. Während die Schwarzen Löcher einander umkreisen, erzeugen sie Wellen: winzige Kräusel der Raumzeit, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Diese Wellen tragen Energie fort, wodurch die zwei Schwarzen Löcher einander immer näher kommen. Schließlich umkreisen sie sich Hunderte Male pro Sekunde, mit halber Lichtgeschwindigkeit. Die Raumzeit wird gedehnt und gestaucht, die winzigen Perturbationen wachsen sich zu massiven Wellen aus. Und dann, in einem letzten Ausbruch reiner Energie, kollidieren die zwei Schwarzen Löcher und verschmelzen zu einem einzigen. Am Ort des Geschehens kehrt wieder Ruhe ein, aber die letzten machtvollen Wellen breiten sich wie ein Tsunami in den Weltraum aus. Die Todeszuckungen der zwei Schwarzen Löcher brauchen 1,3 Milliarden Jahre, um die Ausläufer unserer Spiralgalaxie zu erreichen; bis es so weit ist, hat ihre Amplitude enorm abgenommen. Nach wie vor stauchen und dehnen sie alles, was ihnen in die Quere kommt, aber inzwischen würde das niemand mehr bemerken. Die Oberfläche des blauen Planeten ist inzwischen mit Farnen und Bäumen bewachsen; ein Asteroideneinschlag hat eine Population von Riesenreptilien ausgelöscht, und eine der zahlreichen auf dieser Welt lebenden Säugetierentwicklungslinien hat sich zu einer Spezies von neugierigen zweibeinigen Kreaturen entwickelt. Wenn sie die Ausläufer dieser Spiralgalaxie, der Milchstraße, passiert haben, brauchen die von der fernen Verschmelzung der beiden Schwarzen Löcher erzeugten Gravitationswellen nur noch etwa 100 000 Jahre, um die Umgebung von Sonne und Erde zu erreichen. Während sie noch mit 300 000 Kilometern pro Sekunde auf den blauen Planeten zurasen, beginnen die Menschen, das Universum zu erkunden, dessen Bestandteil sie sind. Sie schleifen Teleskoplinsen, entdecken neue Planeten und Monde und kartieren die Milchstraße. 100 Jahre, bevor die Wellen ankommen – inzwischen haben sie 99,99999 Prozent ihrer 1,3 Milliarden Lichtjahre langen Reise hinter sich gebracht –, sagt ein 26 Jahre alter Wissenschaftler namens Albert Einstein ihre mögliche Existenz voraus. Weitere 50 Jahre gehen ins Land, bevor die Menschen beginnen, ernsthaft zu versuchen, diese Wellen aufzuspüren. Und dann schließlich, im 21. Jahrhundert, sind ihre Detektoren endlich gut genug, damit das gelingen kann. Schon ein paar Tage, nachdem sie angeschaltet wurden, registrieren sie winzige Vibrationen, deren Amplitude viel kleiner ist als der Durchmesser eines Atomkerns. Als ein Team von Astronomen am Montag, dem 14. September 2015, um 09:50:45 Universal Time eine aus Gravitationswellen bestehende Botschaft von der Kollision zweier Schwarzer Löcher in einer weit entfernten Galaxie registriert, bewahrheitet sich eine 100 Jahre alte Vorhersage von Albert Einstein. Die erste direkte Messung einer Gravitationswelle wird zu Recht als eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Entdeckungen des neuen Jahrhunderts gefeiert. Weitere Messungen mit immer empfindlicheren Messgeräten werden den Astronomen völlig neue Wege eröffnen, die gewalttätigen Ausbrüche des Universums zu erforschen, und den Physikern die Gelegenheit bieten, endlich die Rätsel um Raum und Zeit zu lösen. Einige Jahre, bevor die neueste Version des Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) online ging, kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dieses Buch zu schreiben. Wäre es nicht großartig, so überlegte ich, wenn die erste Messung einer Gravitationswelle ungefähr zur gleichen Zeit stattfände, da ich gerade dabei sein würde, mein Manuskript fertigzustellen? Dann würde das Buch kurz nach der Pressekonferenz erscheinen können, mit einem zusätzlichen Nachwort über das neue Forschungsergebnis. Aber der wissenschaftliche Fortschritt vollzog sich schneller als erwartet. Kaum jemand hätte sich vorstellen können, dass der neue Detektor schon in den ersten Tagen nach seiner Inbetriebnahme den Hauptpreis gewinnen würde. Daher mussten der größte Teil meiner Recherchen und die gesamte Niederschrift des Manuskripts nach dem epochalen Fund stattfinden. Aber jetzt, da das Buch fertig ist, bin ich froh über diesen zeitlichen Ablauf – so ist die Entdeckung zu einem integralen Bestandteil der Geschichte geworden statt zu einer nachträglichen Ergänzung. Die Historie der Gravitationswellenastronomie ist auch früher schon erzählt worden. In diesem Buch ist sie allerdings nur die Hälfte der Geschichte. In Einsteins Ahnung geht es hauptsächlich um den Fortschritt der Wissenschaft, um die Art und Weise, wie Entdeckungen gemacht werden, und um heute stattfindende Entwicklungen. Und es geht um Erwartungen für die Zukunft, wenn die Erforschung der Gravitationswellen sich zu einem ausgereiften Gebiet der Astronomie entwickelt haben wird. Die Entdeckung von GW150914 – also dem Signal, das an jenem denkwürdigen Montag registriert wurde – ist sowohl die Kulmination einer Suche, die sich über 100 Jahre erstreckt hat, als auch der Anfang eines völlig neuen Kapitels der Erforschung des Universums.

1 Ein Raumzeit-Appetitmacher Joe Cooper legt seinen NASA-Raumanzug an und setzt seinen Helm auf. Er braucht eine Sauerstoffreserve für den Fall, dass beim Start etwas schiefgeht. Zwei Techniker helfen ihm, in die Raumkapsel zu klettern, die sich ganz oben auf der Spitze der turmhoch aufragenden Rakete befindet. Über seine Sprechfunkverbindung hört er den Countdown, und er fühlt, wie das Adrenalin durch seine Venen strömt. Cooper ist kein Feigling, aber es würde auch jeden anderen ein bisschen nervös machen, ganz oben auf einer Flammensäule reitend in den Weltraum geschossen zu werden. Bald ist er mit seinen Crewkameraden, drei weiteren Astronauten, auf dem Weg ins All. Alles läuft nach Plan. Durch das kleine Fenster der Raumkapsel sehen sie, wie der blaue Himmel hinter der schwarzen Leere des Weltraums zurückweicht. Die Triebwerke verstummen; Schwerelosigkeit setzt ein. Jetzt müssen sie nur noch den Weg zu dem riesigen Raumschiff hinter sich bringen, das mit über acht Kilometern pro Sekunde die Erde umkreist, und daran andocken – ganz einfach. Das alles mag sich anhören wie ein Routinetrip zur Internationalen Raumstation (ISS) an Bord eines russischen Sojus-Raumschiffs. Business as usual … oder etwa nicht? Sie haben noch nie von einem NASA-Astronauten namens Joe Cooper gehört. Und Cooper kann keine drei Crewkameraden haben; jeder Astronaut kann Ihnen sagen, dass die Sojus-Raumkapsel viel zu klein ist für vier Personen – schon zu dritt ist es darin sehr eng. Dann hören Sie den nächsten Teil der Geschichte: Das Raumschiff, an dem sie andocken, heißt Endurance, und es sieht ganz anders aus als die ISS. Und dann steuern die Astronauten die Endurance zum Saturn, verschwinden durch ein Wurmloch, kommen in einer anderen Galaxie wieder heraus, umkreisen ein riesiges Schwarzes Loch, das sie Gargantua nennen, und landen auf mehreren fremden Planeten. Cooper macht sogar einen Ausflug in den Hyperraum. Irgendetwas stimmt nicht an dieser Geschichte. Nun, dieses Szenario stammt aus dem Hollywood-Kassenknüller Interstellar, der 2014 in die Kinos kam. Regie führte Christopher Nolan, der Astronaut Cooper wurde von dem Schauspieler Matthew McConaughey gespielt. Wenn Sie ein echter Weltraum-Freak sind, werden Sie vielleicht den Namen Joe Cooper erkannt haben. Vielleicht haben Sie Interstellar sogar öfter gesehen als ich – ein toller Film.1 Ein Aspekt, der Interstellar von anderen Science-Fiction-Thrillern unterscheidet, ist seine Produzentenriege: Jordan Goldberg (Batman: Gotham Knight, Inception), Jake Myers (The Revenant – Der Rückkehrer) und Thomas Tull (Jurassic World). Und dann ist da noch Kip S. Thorne, emeritierter Feynman-Professor der theoretischen Physik am California Institute of Technology in Pasadena; es gibt nicht viele theoretische Physiker, die nebenbei als Filmproduzent in Erscheinung treten. Was passiert, wenn bei der Produktion eines Science-Fiction-Films ein Wissenschaftler hinzugezogen wird? Nun, dann darf man hoffen, dass die wissenschaftlichen Zusammenhänge im Film richtig dargestellt werden. Und das ist auch erstaunlich gut gelungen. Thorne war daran beteiligt, die Handlung des Films zu entwickeln. Er beriet den Drehbuchautor, den Regisseur, das Visual-Effects-Team und die Schauspieler zu Themen der Astronomie und der Allgemeinen Relativitätstheorie. Er hat sogar für Filmprofessor John Brand (der von Michael Caine gespielt wird) die Gleichungen an die Tafel geschrieben. Leider hat Thorne keinen Cameo-Auftritt in dem Film, aber immerhin wurde KIPP, einer der Roboter, anscheinend nach ihm benannt. Kaum jemand wäre besser befähigt als Kip Thorne, als wissenschaftlicher Berater eines Films über Schwarze Löcher zu fungieren. Wenn überhaupt jemand die bizarren Eigenschaften der Raumzeit versteht, dann er. Im Jahr 1990 gewann er sogar eine 15 Jahre alte Wette gegen seinen britischen Kollegen und Freund Stephen Hawking, bei der es um das wahre Wesen einer astronomischen Quelle von Röntgenstrahlen ging, die unter dem Namen Cygnus X-1 bekannt ist. (Der Wetteinsatz: ein Jahresabo des Männermagazins Penthouse.) Thornes 1994 erschienenes Buch Black Holes and Time Warps (dt.: Gekrümmter Raum und verbogene Zeit) wurde zu einem US-Bestseller. Anfang 2016 war Thornes Name wieder in aller Munde. Am 11. Februar gab eine Gruppe von Wissenschaftlern die erste erfolgreiche direkte Messung von Gravitationswellen bekannt. In einer weit entfernten Region des Universums waren zwei Schwarze Löcher zusammengestoßen und miteinander verschmolzen. Der Crash hatte bewirkt, dass die Raumzeit sich kräuselt. Nach einer über eine Milliarde Lichtjahre langen Reise erreichten diese Wellen am 14. September 2015 die Erde. Die beiden riesigen Detektoren des Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) in den Vereinigten Staaten zeichneten dieses verschwindend winzige Zittern auf. Und das LIGO ist das geistige Produkt von Thorne und zwei seiner Kollegen, der Physiker Rainer Weiss und Ronald Drever.

Erscheinungsdatum
Übersetzer Karsten Petersen
Zusatzinfo Mit 25 Schwarzweißabbildungen
Sprache deutsch
Original-Titel Ripples in Spacetime: Einstein, Gravitational Waves, and the Future of Astronomy
Maße 128 x 210 mm
Gewicht 524 g
Einbandart gebunden
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Naturwissenschaften Physik / Astronomie Astronomie / Astrophysik
Schlagworte Barry Barish • Forschung • Gravitation • Gravitationswellen • Kosmos • Naturwissenschaft • Nobelpreis Physik • Rainer Weiss • RaumZeit • Relativitätstheorie • Relativitätstheorie • Schwarze Löcher • Schwarze Löcher • Schwerkraft • Universum
ISBN-10 3-492-05742-X / 349205742X
ISBN-13 978-3-492-05742-4 / 9783492057424
Zustand Neuware
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