Messies - Sucht und Zwang
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-89049-5 (ISBN)
»Messies« können schwer Ordnung halten. Unwillentlich lassen sie warten und verpassen Anfang und Anschluss. Sie sammeln oft ohne Ende alles, ohne zu ordnen bis zur Unbewohnbarkeit ihrer Wohnungen oder Häuser. Welches Störungsbild sich hinter diesem Phänomen verbirgt und welche Behandlungsansätze aussichtsreich sind, erfährt der Leser in diesem materialreichen und innovativen Buch.
»Messies« können schwer Ordnung halten. Unwillentlich lassen sie warten und verpassen Anfang und Anschluss. Sie sammeln oft ohne Ende alles, ohne zu ordnen bis zur Unbewohnbarkeit ihrer Wohnungen oder Häuser. Welches Störungsbild sich hinter diesem Phänomen verbirgt und welche Behandlungsansätze aussichtsreich sind, erfährt der Leser in diesem materialreichen und innovativen Buch.
Wohnungen, die über und über mit nutzlosen Dingen angefüllt sind, Räume, die keinen begehbaren Lebensraum mehr für ihren Bewohner bieten: Mit diesen Bildern ist das Messie-Syndrom durch Fernsehberichte einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden. Und es handelt sich nicht um Einzelfälle; immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten, sich von Unbrauchbarem zu trennen und eine rudimentäre Ordnung in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld aufrechtzuerhalten.
Aus psychotherapeutischer Sicht gibt es bisher nur wenige plausible Erklärungen für das Phänomen der freiwillig-unfreiwilligen Vermüllung. Einen innovativen Ansatz bietet dieses Buch. Es zeigt, wie eng das Messie-Syndrom mit der Zwangsstörung verbunden ist: Die Kehrseite des zwanghaften »Müssens« ist das »Mach-ich- nicht«. Rehberger führt beides auf schwere Bindungsstörungen in der frühen Kindheit zurück. Zwanghaftes Unterlassen führt ins Chaos des Messie-Daseins.
An zahlreichen Fallbeispielen zeigt der Autor die klinische Relevanz dieses Grundgedankens auf und weist therapeutische Wege aus der Desorganisation auf.
Dr.med. Rainer Rehberger ist Facharzt für Psychotherapeutische und Innere Medizin, Psychoanalytiker und Gruppenanalytiker in freier Praxis in Seefelden (Bodensee).
Prolog
Danksagung
1. Kapitel
Einführung
Eine überraschende Begegnung - wer sind Messies?
2. Kapitel
Wegweisende Erfahrungen mit der Messie-Problematik ohne Kenntnis des Messie-Konzepts
2.1 Anliegen und Beschwerden von Frau R.
2.2 Lebensgeschichte
2.3 Beziehungserfahrungen in der Behandlung
2.4 Erfahrungen im analytischen Gespräch
2.5 Ergebnisse und Diskussion
3. Kapitel
Anmerkungen zur Theorie
3.1 Zwanghafte und zwanglose Wiederholungen - gezwungenes und gewolltes Verhalten
3.2 Zur Theorie der Sucht
3.3 Das prozedurale Unbewusste (Eric R. Kandel)
3.4 Zur Theorie der Zwangsstörung
3.4.1 Freuds Vorstellungen zu äußerem Zwang und Zwangsneurose
3.4.2 Karl Abraham über den analen Charakter und über starken Zwang in der Reinlichkeitserziehung einer Patientin
3.4.3 Aktuelle psychoanalytische Auffassungen zur Zwangsstörung
3.4.4 Zwangserkrankung im verhaltenstherapeutischen Kontext
3.4.5 Neuropsychotherapie
3.5 Zur Theorie des Sammelns
3.6 Die Kasuistik von Frau R. und die Theorie von Sucht und Zwangsstörung
3.7 Die Kasuistik von Frau R. - ein Schlüssel zum Verständnis der Messie-Störung?
4. Kapitel
Unendlich unaufgeräumt, oft grenzenlos gesammelt und unpünktlich - das klinische Bild des Messie-Syndroms
4.1 Grundlagen meiner Erfahrungen mit Messies
4.2 Wie Messies auftreten
4.3 Messies, ihre Scham und Verschlossenheit über ihre Sammlung und ihr häusliches Durcheinander
4.4 Oft unpünktliche Messies
4.5 Das soziale Profil der Messies in meiner Praxis
4.5.1 Geschlecht
4.5.2 Alter
4.5.3 Berufe
4.6 Erfahrungen und Beschwerden, die bei den Erstkonsultationen vermittelt wurden
4.7 Familiäre Unordnung und familiäres Chaos mit sozialer Zurückgezogenheit oder Verschlossenheit im Mittelpunkt der Störung
4.8 Aktives oder passives Unterwerfungsmuster
4.9 Betroffene und Institutionen
4.10 Zusammenfassungen des klinischen Bildes
5. Kapitel
Ursachen und Entstehung der Messie-Störung
5.1 Ursachen »Das leere Kind« und »Das gezwungene Kind«
5.2 Grundzüge der frühen Entwicklung
5.2.1 Allgemeine Aspekte der kindlichen Entwicklung
5.2.2 Bedeutung der Affekte, ihre Synchronisierung mit und ihre Regulierung durch die Mutter
5.2.3 Bindung, reflektive Funktion und Symbolisierung
5.2.4 Die physikalische und die soziale Welt kennen und bewältigen lernen
5.2.5 Verhaltensmuster im Dienst der Selbstbehauptung und im Dienst der sozialen Verbundenheit - Grenzen lernen
5.3 Entwicklungsstörungen
5.3.1 Verinnerlichungen als Schlüssel zum Verständnis von Störungen
5.3.2 Das vernachlässigte Kind
5.3.3 Das emotional leere Kind
5.3.4 Das aktive Baby sucht Verbindung oder zieht sich zurück
5.3.5 Das innerlich »gespaltene« Kind (Fairbairn)
5.3.6 Das gezwungene Kind
5.3.7 Das eigensinnige Kind
5.3.8 Das sexuelle Kind
5.3.9 Die verdrängten kindlichen Sexualfantasien und Erwachsene
5.4 Entwicklungsstörungen und Psychodynamik bei Zwangsmustern
5.4.1 Zwangscharakter und das prozedurale Unbewusste
5.4.2 Das aversive prozedurale Muster zuwiderzuhandeln
5.4.3 Das prozedurale Muster, folgsam zu sein, und der Widerspruch zum aversiven Zuwiderhandeln
5.4.4 Zwanghaftigkeit als Tugend und zuwiderzuhandeln als Untugend nebeneinander
5.4.5 Zwanghaftes Zuwiderhandeln, zwanghaftes Widersprechen
5.4.6 Bedeutung des dynamischen Unbewussten für die Zwangsstörung
5.4.7 Verdrängte Konflikte, psychodynamisch unbewusste Fantasien und ihr Eindringen ins Bewusstsein durch spontane Handlungsansätze oder Handlungsimpulse. Notwendige Gegenmaßnahmen
5.5 Zusammenfassung Ursachen der Messie-Störung und Folgen
5.6 Aus der vorliegenden Literatur
5.7 Zusammenfassung
6. Kapitel
Psychoanalytisch-psychotherapeutische Behandlung von in ihrer Sozialisierung übermäßig Gezwungenen
6.1 Grundlagen der hier angewandten psychoanalytischen Behandlungstechnik
6.1.1 Hinweise auf die theoretische Orientierung
6.1.2 Durchführung der Behandlung - Rahmen und Bindungsbeziehung
6.1.3 Abgrenzen
6.1.4 Trauer im Zentrum des psychoanalytischen Prozesses
6.1.5 Interaktive Konfrontation mit der Affektabwehr - Deutung
6.1.6 Die Entwicklung einer zusammenhängenden Narration
6.2 Exkurs: Vom szenischen Verstehen zum szenischen Behandeln
6.2.1 Entwicklungen in der Psychoanalyse - vom inneren Triebkonflikt zur Intersubjektivität
6.2.2 Szenisches Verstehen - eine Kategorie im psychoanalytischen Erkenntnisverfahren
6.2.3 Zur »Szene«
6.2.4 Zum szenischen Verstehen beim Kommen von Frau U. in der Erstbegegnung
6.2.5 Was bewirken Veränderung, Umlernen und Heilung in der Psychoanalyse? Stracheys »mutative Deutung«
6.2.6 Einsicht und Veränderung - Ernüchterung
6.2.7 Vom diagnostischen szenischen Verstehen zum gemeinsamen szenischen Auftreten und gemeinsamen Erleben
6.2.8 Gegenwartserleben und Intersubjektivität
6.2.9 Agieren
6.3 Szenisches Behandeln
6.3.1 Zur Systematik des szenischen Handelns in der therapeutischen Begegnung
6.3.2 Haltung und gezielte szenische Behandlung
6.3.3 Die psychodynamische Einordnung der szenischen Aktionen
6.3.4 Emotionale Muster und Verhaltensmuster - Charakter
6.3.5 Das Erschließen des intersubjektiven Feldes in der Behandlung
6.3.6 Zum szenischen Behandeln beim Kommen - aus der Erstbegegnung mit Frau U.
6.3.7 Diskussion der Veränderung durch Deutung und durch szenische Be-Handlung - Strachey und Stern
6.4 Zusammenfassung: Szenisches Behandeln
6.5 Behandlungsskizze Frau H.
6.5.1 Scham und Verschlossenheit über ihr häusliches Durcheinander
6.5.2 Regelmäßig unpünktlich
6.5.3 Das Bild bei der Erstkonsultation
6.5.4 Flucht von zu Hause und Scham
6.5.5 Wie sich Frau H. selbst erlebte, fühlte, beurteilte und verhielt
6.5.6 Soziale Entwicklung und familiäre Umstände
6.5.7 Lebenskrisen als Auslöser
6.5.8 Strenge der Eltern
6.5.9 Widersprüchlichkeiten zwischen Strenge und unangemessener Milde als Erziehende
6.5.10 Soziale Unordnung und unsichere Bindungsmuster
6.5.11 Der Befund zu Beginn
6.5.12 Behandlung
7. Kapitel
Gruppenbehandlung bei Messie-Syndrom
7.1 Gründung, äußerer und innerer Rahmen der Gruppe
7.2 Porträts der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einzelnen Gruppensequenzen
7.3 Zur Behandlungstechnik in der Gruppe
7.3.1 Einzelne Techniken in der Behandlung
7.4 Diskussion des Gruppenverlaufs mit Befunden und vorläufigen Ergebnissen
7.5 Vorläufige Schlussbetrachtungen
8. Kapitel
Anhang
8.1 Kontakte
8.2 Eine Rückmeldung aus New York
8.3 Seitenverweise, die eine fortlaufende Lektüre einzelner Skizzen erlauben
Literatur
Interview mit dem Autor auf planet-wissen.de.
Christina Lüdeke, Planet Wissen, 21.10.2011
4. Kapitel Unendlich unaufgeräumt, oft grenzenlos gesammelt und unpünktlich - das klinische Bild des Messie-Syndroms ? Die sichtbarsten Schwierigkeiten und Symptome der Betroffenen sind, handeln zu wollen und doch nicht zu handeln, aufräumen zu wollen und es doch zu lassen; ? Termine und Fristen einhalten zu wollen und doch zu versäumen; ? Sucht, zwanghaft und grenzenlos zu sammeln, zu kaufen und sich nicht oder nur sehr schwer vom Gesammelten zu trennen; ? Sucht, sich mit Arbeit, mit Essen, mit Fernsehen, mit Telefonieren zwanghaft vollzustopfen oder zu betäuben. Die Bild-Medien zeigen gern die verwahrlosten, überfüllten, chaotischen Wohnungen und Höfe, vielleicht noch die Autos, die Teile des Hausstands beherbergen. Betroffene erleben sich bewusst oft als normal mit der Ausnahme, eben zu sammeln und nicht aufzuräumen. Sie igeln sich mithilfe ihrer ungeordneten Sammlungen ein und begründen so ihr grundlegend verändertes Sozialverhalten. Wegen ihrer notorischen Unpünktlichkeit sind sie oft beschämt und suchen Ausreden. Verschiedene Spielarten der Sucht, bei vielen Sammelsucht und unwillentliche Desorganisation in Raum und/oder in der Zeit, sind die gemeinsamen Merkmale der Störung. Merkmale des Zwangscharakters und Zwangssymptome neben allen möglichen Begleiterkrankungen wie Depressionen, Panikstörungen, Essstörungen, schizophrenen Psychosen und Borderline-Störungen ergänzen das klinische Bild. 4.1 Grundlagen meiner Erfahrungen mit Messies Meine Erfahrungen beziehen sich in erster Linie auf meine Sprechstunden. Nur ein Teil der insgesamt Betroffenen sucht die psychotherapeutische Hilfe nach. Manche würden niemals professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, andere suchen psychiatrischen Schutz, wenn sie unter der Last des Schicksals zusammengebrochen sind. Messies haben sehr unterschiedliche soziale und persönliche Merkmale. Sie gehören sehr unterschiedlichen sozialen Schichten und Persönlichkeitstypen an. Vordergründig ist ihnen die Neigung zur Desorganisation ihrer Vorhaben und oft die zu sammeln gemeinsam. Näher betrachtet beeindruckt ihre Unordnung im sozialen Miteinander und oft die Armut an Beziehungen oder ihre Oberflächlichkeit bei großer innerer Verschlossenheit. 4.2 Wie Messies auftreten Sie sind äußerlich unauffällig. Häufig ist ihnen ihr Leid anzusehen, Schmerz, Niedergeschlagenheit, Angst. Manchmal leiden sie auch unter einer Essstörung und sind zu dick oder zu dünn. Sie fallen außerhalb ihrer Wohnung und außerhalb ihrer sozialen Beziehungen nicht als Chaoten auf. Sie sind gepflegt und gemäß ihrer sozialen Zugehörigkeit gekleidet. Über ihr Sammeln und ihren Verzicht zu ordnen schweigen sie meistens. Oder sie deuten es in der Psychotherapie so vorsichtig an, dass ich es lange Jahre als ganz eigenes Problem und als große Not wie viele Psychotherapeuten nicht erkannt habe. Diese Störung ist wenig erforscht. Gegenüber anderen, seien es Angehörige, Freunde, Bekannte oder Fremde, die als Handwerker oder Ableser die Wohnung betreten wollen, verschließen Betroffene oft ihre Wohnung oder verlangen längere Voranmeldung. Ihr Auto ist öfter eine fahrbare Behausung und ein Zwischenlager für viele nützliche und in den Augen anderer unnütze Dinge. 4.3 Messies, ihre Scham und Verschlossenheit über ihre Sammlung und ihr häusliches Durcheinander Beispiele Betroffene schämen sich und verschließen sich sehr wegen ihrer chaotischen und beinahe oder ganz unbewohnbaren Wohnungen. Sie deuten diese Notlagen oft so beiläufig an, dass sie von der Fachfrau oder vom Fachmann übersehen werden. Herr H. (s. a. S. 19) Die Messie-Problematik von Herrn H., der seinen Hausstand nicht ordnete, verstand ich während der fünfjährigen Behandlung nicht. Ich behandelte ihn wegen einer Panikstörung (Rehberger, 2000, S. 28 ff.) und konnte ihm behilflich sein, seine Ängste und seine Depression besser zu bewältigen. Am Rande erfuhr ich von seiner chaotischen Wohnung. Die Möbel standen noch so, wie die Möbelpacker sie bei seinem Einzug hingestellt hatten. Die Flurlampe bestand immer noch in einer Fassung mit einer nackten Glühbirne. Kündigte der Hausbesitzer einen Besuch an, geriet Herr H. in helle Aufregung. Ich hielt seine Unordnung damals für die Folge seiner depressiven Stimmungen nach dem Tod von Bruder und Mutter. Herr H. kam regelmäßig rechtzeitig. Frau S. (s. a. S. 80) Auch Frau S. deutete ihre Unordnung zu Hause beim Erstgespräch äußerst zurückhaltend an, sodass ich nicht aufmerksam wurde. Als ich nach den ersten Kontakten mit dem Förderverein zur Erforschung des Messie-Syndroms sie direkt auf das Messie-Thema ansprach, ging sie sofort darauf ein und ordnete sich zu meinem Erstaunen in diese Gruppe ein. Aus dem Fernsehen kannte sie Berichte über die Symptome. Das war im siebten Behandlungsjahr. Frau A. (s. a. S. 85) Sie umschrieb ihre häusliche Desorganisation, als wir mit der Behandlung anfingen, als »Unfähigkeit, sich gemütlich einzurichten«. Das Stichwort Messie verwendete sie nicht. Sie kam rechtzeitig und wartete fünf bis zehn Minuten bis zum Stundenbeginn. Herr Y. (s. a. S. 85) Er war sehr verschlossen und verschwieg viele seiner persönlichen Lebensumstände lange. Zögernd räumte er eines Tages ein, dass er in seiner Wohnung keine Ordnung schaffte. Er schämte sich erheblich, das bei mir einzugestehen. Er kam in der Regel auf die Minute pünktlich oder etwas früher, obwohl er einen weiten Weg mit dem Auto zurückzulegen hatte. Er hetzte sich, wenn er etwas später dran war. Meine Haltung, dass er über die Zeit der Stunden frei verfügte, brachte ihm kaum Linderung des Drucks, pünktlich sein zu müssen. [...]
4. Kapitel Unendlich unaufgeräumt, oft grenzenlos gesammelt und unpünktlich - das klinische Bild des Messie-Syndroms ? Die sichtbarsten Schwierigkeiten und Symptome der Betroffenen sind, handeln zu wollen und doch nicht zu handeln, aufräumen zu wollen und es doch zu lassen; ? Termine und Fristen einhalten zu wollen und doch zu versäumen; ? Sucht, zwanghaft und grenzenlos zu sammeln, zu kaufen und sich nicht oder nur sehr schwer vom Gesammelten zu trennen; ? Sucht, sich mit Arbeit, mit Essen, mit Fernsehen, mit Telefonieren zwanghaft vollzustopfen oder zu betäuben. Die Bild-Medien zeigen gern die verwahrlosten, überfüllten, chaotischen Wohnungen und Höfe, vielleicht noch die Autos, die Teile des Hausstands beherbergen. Betroffene erleben sich bewusst oft als normal mit der Ausnahme, eben zu sammeln und nicht aufzuräumen. Sie igeln sich mithilfe ihrer ungeordneten Sammlungen ein und begründen so ihr grundlegend verändertes Sozialverhalten. Wegen ihrer notorischen Unpünktlichkeit sind sie oft beschämt und suchen Ausreden. Verschiedene Spielarten der Sucht, bei vielen Sammelsucht und unwillentliche Desorganisation in Raum und/oder in der Zeit, sind die gemeinsamen Merkmale der Störung. Merkmale des Zwangscharakters und Zwangssymptome neben allen möglichen Begleiterkrankungen wie Depressionen, Panikstörungen, Essstörungen, schizophrenen Psychosen und Borderline-Störungen ergänzen das klinische Bild. 4.1 Grundlagen meiner Erfahrungen mit Messies Meine Erfahrungen beziehen sich in erster Linie auf meine Sprechstunden. Nur ein Teil der insgesamt Betroffenen sucht die psychotherapeutische Hilfe nach. Manche würden niemals professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, andere suchen psychiatrischen Schutz, wenn sie unter der Last des Schicksals zusammengebrochen sind. Messies haben sehr unterschiedliche soziale und persönliche Merkmale. Sie gehören sehr unterschiedlichen sozialen Schichten und Persönlichkeitstypen an. Vordergründig ist ihnen die Neigung zur Desorganisation ihrer Vorhaben und oft die zu sammeln gemeinsam. Näher betrachtet beeindruckt ihre Unordnung im sozialen Miteinander und oft die Armut an Beziehungen oder ihre Oberflächlichkeit bei großer innerer Verschlossenheit. 4.2 Wie Messies auftreten Sie sind äußerlich unauffällig. Häufig ist ihnen ihr Leid anzusehen, Schmerz, Niedergeschlagenheit, Angst. Manchmal leiden sie auch unter einer Essstörung und sind zu dick oder zu dünn. Sie fallen außerhalb ihrer Wohnung und außerhalb ihrer sozialen Beziehungen nicht als Chaoten auf. Sie sind gepflegt und gemäß ihrer sozialen Zugehörigkeit gekleidet. Über ihr Sammeln und ihren Verzicht zu ordnen schweigen sie meistens. Oder sie deuten es in der Psychotherapie so vorsichtig an, dass ich es lange Jahre als ganz eigenes Problem und als große Not wie viele Psychotherapeuten nicht erkannt habe. Diese Störung ist wenig erforscht. Gegenüber anderen, seien es Angehörige, Freunde, Bekannte oder Fremde, die als Handwerker oder Ableser die Wohnung betreten wollen, verschließen Betroffene oft ihre Wohnung oder verlangen längere Voranmeldung. Ihr Auto ist öfter eine fahrbare Behausung und ein Zwischenlager für viele nützliche und in den Augen anderer unnütze Dinge. 4.3 Messies, ihre Scham und Verschlossenheit über ihre Sammlung und ihr häusliches Durcheinander Beispiele Betroffene schämen sich und verschließen sich sehr wegen ihrer chaotischen und beinahe oder ganz unbewohnbaren Wohnungen. Sie deuten diese Notlagen oft so beiläufig an, dass sie von der Fachfrau oder vom Fachmann übersehen werden. Herr H. (s. a. S. 19) Die Messie-Problematik von Herrn H., der seinen Hausstand nicht ordnete, verstand ich während der fünfjährigen Behandlung nicht. Ich behandelte ihn wegen einer Panikstörung (Rehberger, 2000, S. 28 ff.) und konnte ihm behilflich sein, seine Ängste und seine Depression besser zu bewältigen. Am Rande erfuhr ich von seiner chaotischen Wohnung. Die Möbel standen noch so, wie die Möbelpacker sie bei seinem Einzug hingestellt hatten. Die Flurlampe bestand immer noch in einer Fassung mit einer nackten Glühbirne. Kündigte der Hausbesitzer einen Besuch an, geriet Herr H. in helle Aufregung. Ich hielt seine Unordnung damals für die Folge seiner depressiven Stimmungen nach dem Tod von Bruder und Mutter. Herr H. kam regelmäßig rechtzeitig. Frau S. (s. a. S. 80) Auch Frau S. deutete ihre Unordnung zu Hause beim Erstgespräch äußerst zurückhaltend an, sodass ich nicht aufmerksam wurde. Als ich nach den ersten Kontakten mit dem Förderverein zur Erforschung des Messie-Syndroms sie direkt auf das Messie-Thema ansprach, ging sie sofort darauf ein und ordnete sich zu meinem Erstaunen in diese Gruppe ein. Aus dem Fernsehen kannte sie Berichte über die Symptome. Das war im siebten Behandlungsjahr. Frau A. (s. a. S. 85) Sie umschrieb ihre häusliche Desorganisation, als wir mit der Behandlung anfingen, als »Unfähigkeit, sich gemütlich einzurichten«. Das Stichwort Messie verwendete sie nicht. Sie kam rechtzeitig und wartete fünf bis zehn Minuten bis zum Stundenbeginn. Herr Y. (s. a. S. 85) Er war sehr verschlossen und verschwieg viele seiner persönlichen Lebensumstände lange. Zögernd räumte er eines Tages ein, dass er in seiner Wohnung keine Ordnung schaffte. Er schämte sich erheblich, das bei mir einzugestehen. Er kam in der Regel auf die Minute pünktlich oder etwas früher, obwohl er einen weiten Weg mit dem Auto zurückzulegen hatte. Er hetzte sich, wenn er etwas später dran war. Meine Haltung, dass er über die Zeit der Stunden frei verfügte, brachte ihm kaum Linderung des Drucks, pünktlich sein zu müssen. [...]
4. Kapitel Unendlich unaufgeräumt, oft grenzenlos gesammelt und unpünktlich - das klinische Bild des Messie-Syndroms ? Die sichtbarsten Schwierigkeiten und Symptome der Betroffenen sind, handeln zu wollen und doch nicht zu handeln, aufräumen zu wollen und es doch zu lassen; ? Termine und Fristen einhalten zu wollen und doch zu versäumen; ? Sucht, zwanghaft und grenzenlos zu sammeln, zu kaufen und sich nicht oder nur sehr schwer vom Gesammelten zu trennen; ? Sucht, sich mit Arbeit, mit Essen, mit Fernsehen, mit Telefonieren zwanghaft vollzustopfen oder zu betäuben. Die Bild-Medien zeigen gern die verwahrlosten, überfüllten, chaotischen Wohnungen und Höfe, vielleicht noch die Autos, die Teile des Hausstands beherbergen. Betroffene erleben sich bewusst oft als normal mit der Ausnahme, eben zu sammeln und nicht aufzuräumen. Sie igeln sich mithilfe ihrer ungeordneten Sammlungen ein und begründen so ihr grundlegend verändertes Sozialverhalten. Wegen ihrer notorischen Unpünktlichkeit sind sie oft beschämt und suchen Ausreden. Verschiedene Spielarten der Sucht, bei vielen Sammelsucht und unwillentliche Desorganisation in Raum und/oder in der Zeit, sind die gemeinsamen Merkmale der Störung. Merkmale des Zwangscharakters und Zwangssymptome neben allen möglichen Begleiterkrankungen wie Depressionen, Panikstörungen, Essstörungen, schizophrenen Psychosen und Borderline-Störungen ergänzen das klinische Bild. 4.1 Grundlagen meiner Erfahrungen mit Messies Meine Erfahrungen beziehen sich in erster Linie auf meine Sprechstunden. Nur ein Teil der insgesamt Betroffenen sucht die psychotherapeutische Hilfe nach. Manche würden niemals professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, andere suchen psychiatrischen Schutz, wenn sie unter der Last des Schicksals zusammengebrochen sind. Messies haben sehr unterschiedliche soziale und persönliche Merkmale. Sie gehören sehr unterschiedlichen sozialen Schichten und Persönlichkeitstypen an. Vordergründig ist ihnen die Neigung zur Desorganisation ihrer Vorhaben und oft die zu sammeln gemeinsam. Näher betrachtet beeindruckt ihre Unordnung im sozialen Miteinander und oft die Armut an Beziehungen oder ihre Oberflächlichkeit bei großer innerer Verschlossenheit. 4.2 Wie Messies auftreten Sie sind äußerlich unauffällig. Häufig ist ihnen ihr Leid anzusehen, Schmerz, Niedergeschlagenheit, Angst. Manchmal leiden sie auch unter einer Essstörung und sind zu dick oder zu dünn. Sie fallen außerhalb ihrer Wohnung und außerhalb ihrer sozialen Beziehungen nicht als Chaoten auf. Sie sind gepflegt und gemäß ihrer sozialen Zugehörigkeit gekleidet. Über ihr Sammeln und ihren Verzicht zu ordnen schweigen sie meistens. Oder sie deuten es in der Psychotherapie so vorsichtig an, dass ich es lange Jahre als ganz eigenes Problem und als große Not wie viele Psychotherapeuten nicht erkannt habe. Diese Störung ist wenig erforscht. Gegenüber anderen, seien es Angehörige, Freunde, Bekannte oder Fremde, die als Handwerker oder Ableser die Wohnung betreten wollen, verschließen Betroffene oft ihre Wohnung oder verlangen längere Voranmeldung. Ihr Auto ist öfter eine fahrbare Behausung und ein Zwischenlager für viele nützliche und in den Augen anderer unnütze Dinge. 4.3 Messies, ihre Scham und Verschlossenheit über ihre Sammlung und ihr häusliches Durcheinander Beispiele Betroffene schämen sich und verschließen sich sehr wegen ihrer chaotischen und beinahe oder ganz unbewohnbaren Wohnungen. Sie deuten diese Notlagen oft so beiläufig an, dass sie von der Fachfrau oder vom Fachmann übersehen werden. Herr H. (s. a. S. 19) Die Messie-Problematik von Herrn H., der seinen Hausstand nicht ordnete, verstand ich während der fünfjährigen Behandlung nicht. Ich behandelte ihn wegen einer Panikstörung (Rehberger, 2000, S. 28 ff.) und konnte ihm behilflich sein, seine Ängste und seine Depression besser zu bewältigen. Am Rande erfuhr ich von seiner chaotischen Wohnung. Die Möbel standen noch so, wie die Möbelpacker sie bei seinem Einzug hingestellt hatten. Die Flurlampe bestand immer noch in einer Fassung mit einer nackten Glühbirne. Kündigte der Hausbesitzer einen Besuch an, geriet Herr H. in helle Aufregung. Ich hielt seine Unordnung damals für die Folge seiner depressiven Stimmungen nach dem Tod von Bruder und Mutter. Herr H. kam regelmäßig rechtzeitig. Frau S. (s. a. S. 80) Auch Frau S. deutete ihre Unordnung zu Hause beim Erstgespräch äußerst zurückhaltend an, sodass ich nicht aufmerksam wurde. Als ich nach den ersten Kontakten mit dem Förderverein zur Erforschung des Messie-Syndroms sie direkt auf das Messie-Thema ansprach, ging sie sofort darauf ein und ordnete sich zu meinem Erstaunen in diese Gruppe ein. Aus dem Fernsehen kannte sie Berichte über die Symptome. Das war im siebten Behandlungsjahr. Frau A. (s. a. S. 85) Sie umschrieb ihre häusliche Desorganisation, als wir mit der Behandlung anfingen, als »Unfähigkeit, sich gemütlich einzurichten«. Das Stichwort Messie verwendete sie nicht. Sie kam rechtzeitig und wartete fünf bis zehn Minuten bis zum Stundenbeginn. Herr Y. (s. a. S. 85) Er war sehr verschlossen und verschwieg viele seiner persönlichen Lebensumstände lange. Zögernd räumte er eines Tages ein, dass er in seiner Wohnung keine Ordnung schaffte. Er schämte sich erheblich, das bei mir einzugestehen. Er kam in der Regel auf die Minute pünktlich oder etwas früher, obwohl er einen weiten Weg mit dem Auto zurückzulegen hatte. Er hetzte sich, wenn er etwas später dran war. Meine Haltung, dass er über die Zeit der Stunden frei verfügte, brachte ihm kaum Linderung des Drucks, pünktlich sein zu müssen. [...]
Erscheint lt. Verlag | 22.8.2007 |
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Reihe/Serie | Leben lernen ; 206 |
Sprache | deutsch |
Maße | 136 x 210 mm |
Gewicht | 343 g |
Einbandart | kartoniert |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Angst / Depression / Zwang |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Klinische Psychologie | |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Sucht / Drogen | |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Abhängigkeitserkrankung • Alkoholabhängigkeit • Bindung • Bindungsstörung • Messie-Syndrom • Persönlichkeitsstörung • Praxisbuch Psychotherapie • Psychotherapie • Störung • Suchterkrankung • Vernachlässigung • Verwahrlosung • Zwang • Zwangsstörung |
ISBN-10 | 3-608-89049-1 / 3608890491 |
ISBN-13 | 978-3-608-89049-5 / 9783608890495 |
Zustand | Neuware |
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