Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de
Menschen im Maßregelvollzug begleiten -  Andrea Trost,  Stefan Rogge,  Susanne Schoppmann

Menschen im Maßregelvollzug begleiten (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
160 Seiten
Psychiatrie-Verlag
978-3-96605-297-9 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
21,99 inkl. MwSt
(CHF 21,45)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Unter schwierigen Bedingungen wirksame Angebote gestalten Wer Jahre seines Lebens im Maßregelvollzug verbringt, braucht zeitgemäße therapeutische Angebote und eine menschenwürdige Begleitung. Denn neben der Straftat steht die psychische Erkrankung. Wie aber arrangiert man sich mit den Hürden, die durch den Freiheitsentzug und die sozialen Konflikte entstehen? Die forensische Psychiatrie arbeitet mit sucht- und psychisch erkrankten Straftäter*innen im Spannungsfeld von Sicherung und fachgerechter Therapie. Besondere Faktoren wie Machtgefälle, Regelwerke, eine vordefinierte Beziehungsdauer, Delinquenz und herausfordernde Interaktionsmuster erschweren die persönliche Begegnung mit den betroffenen Menschen. In den letzten Jahren hat sich der Maßregelvollzug durch Gesetzesnovellen und neue Therapieansätze verändert. Die Neuausgabe des Buchs berücksichtigt diese und thematisiert nun vermehrt Herausforderungen wie Langeweile und Gewalt, den Umgang mit Anund Zugehörigen, einen ressourcenorientierten Pflegeprozess und das Good-Lives-Modell.



Andrea Trost, lehrt seit 2022 im Fachbereich Psychische Gesundheit/Psychiatrische Pflege an der FH der Diakonie Bielefeld, von 2009 - 2021 Stabstelle für Pflegewissenschaft in einer Maßregelvollzugseinrichtung. Aktuell Promotionsprojekt zur ambulanten Versorgung im Maßregelvollzug (Ph. D. cand. Pflegewissenschaft Universität Witten/Herdecke).

Das Setting im Maßregelvollzug und das therapeutische Milieu


Die Gestaltung der Settings und der therapeutischen Milieus ist elementare Aufgabe der professionellen Arbeit im Maßregelvollzug. Anders als zum Beispiel im allgemeinpsychiatrischen Krankenhaus muss bei der Gestaltung von Setting und Milieu im Maßregelvollzug der Umstand berücksichtigt werden, dass hier die Unterbringung langfristig erfolgt und eine Gestaltung möglichst an der Außenwelt orientiert sein sollte. Beispielhaft ist die Trennung der Lebensbereiche Arbeit, Wohnen und Freizeit sowie deren im Maßregelvollzugskontext mögliche individuelle Gestaltung.

Als »Setting« wird im Allgemeinen das Milieu, die Umgebung, also die gesamte Unterbringungssituation bezeichnet. Details und spezifische Settings werden im folgenden Abschnitt beschrieben.

Ein »Milieu« ist grundsätzlich das Umfeld bzw. der Lebensraum, in dem der Einzelne sich befindet und in dem er lebt. Maßregelvollzugseinrichtungen kennzeichnen sich durch spezielle Milieus. Diese werden zum einen durch die institutionellen Faktoren geprägt, wie die architektonische Gestaltung, Regelwerke (Gesetze, Vorschriften, Sicherheitskonzepte, implizite Regelungen wie Umgangsformen etc.), durch therapeutische Ansätze und Angebote. Zum anderen wird das Milieu wesentlich durch die Untergebrachten und die Mitarbeitenden beeinflusst. Insbesondere die Haltung und das berufliche Selbstverständnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spielen hier eine wichtige Rolle. Die bewusste, gezielte Gestaltung des Milieus, also die Etablierung eines therapeutisch wirksamen Milieus, ist eine Kernaufgabe der im Maßregelvollzug Tätigen, insbesondere der Pflegenden. Pflegende sind jederzeit vor Ort, eine ihrer Kernaufgaben ist die Begleitung, Unterstützung und Anleitung der Untergebrachten im Alltag und bei der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Erkrankung und Unterbringung auf den Alltag.

THERAPEUTISCHES MILIEU Der Einfluss der institutionellen Umgebung ist in Maßregelvollzugseinrichtungen immer gegenwärtig. Dieser kann sich positiv oder negativ, unterstützend oder behindernd auf den Therapie- und Behandlungsverlauf, auf die Sicherheit und auf die Gefährdungsaspekte, die von den Untergebrachten ausgehen können, auswirken.

Die aktuellen Ansätze in der Milieugestaltung entstanden aus der Auseinandersetzung mit negativen Erfahrungen aus den »Anstaltsmilieus«, insbesondere aus den Erkenntnissen zu den nachteiligen Einflüssen. Untersuchungen zeigen, dass ungünstige Milieueinflüsse in Einrichtungen Behandlungsverläufe und Therapieerfolge sowie die Sicherheit negativ beeinflussen (Abderhalden & Schexdt 2023). Eine wichtige Aufgabe der im Maßregelvollzug Tätigen ist daher die bewusste Milieugestaltung mit den Zielen:

 Herstellung eines therapeutischen Milieus, das einen optimalen Behandlungsverlauf und eine Gefährdungsreduktion ermöglicht,

 gezielte Gestaltung und Veränderung von Umweltfaktoren und Umgangsformen.

Dies findet sich in der Praxis beispielsweise in der Inneneinrichtung von Stationen wieder oder in Stationsregeln, die im Bezug zu dem gemeinsamen Miteinander auf der Station stehen. Die bewusste Gestaltung des Milieus kann den Untergebrachten neue Bedeutungsräume erschließen. Sie stellt im Zusammenspiel mit der Soziotherapie einen wichtigen Ansatz zur Gestaltung einer Umgebung innerhalb der Institution Maßregelvollzug dar, der Kompetenzen im Bereich der Aktivitäten und Teilhabe am sozialen Alltagsleben bei den Untergebrachten ausbilden und fördern soll.

> Soziotherapie, Seiten 135 f.

Zur Erreichung dieser Ziele und positiver Effekte müssen Setting und Milieu multidisziplinär unter Berücksichtigung medizinischer, pflegerischer, psychologischer, sozialer und infrastruktureller Aspekte und Erkenntnisse gezielt sicherheits- und therapieförderlich gestaltet werden. Hierbei gilt es auch, die spezifischen Voraussetzungen der Untergebrachten zu berücksichtigen, beispielsweise ihre Krankheitsbilder und Beeinträchtigungen, aber auch ihre Wünsche und Vorstellungen, die explizit thematisiert und, wenn möglich, eingebunden werden sollten.

Mit der Beteiligung der Untergebrachten an der Milieugestaltung auf der Station wird vermittelt, dass das Engagement für eine möglichst positive Umgebung die Lebenszufriedenheit erhöht – auch im späteren Leben außerhalb der Institution.

Prinzipien der Milieugestaltung


Bereits vor rund fünfzig Jahren wurden von J. G. Gunderson (1978) Prinzipien benannt, die es bei der Gestaltung von Milieus zu berücksichtigen gilt. Dies zeigt, dass das Thema der Milieugestaltung die Psychiatrie schon lange beschäftigt. Die wichtigsten Prinzipien sind demnach:

Containment: wird als Sorge für eine sichere Umgebung bezogen sowohl auf psychische als auch auf psychologische Sicherheit beschrieben. Allerdings wird gleichzeitig davor gewarnt, den umschließenden Charakter von Containment zu sehr zu betonen, da damit die Gefahr verbunden ist, Eigeninitiative und Hoffnung zu unterdrücken und die soziale Isolation zu begünstigen.

Support: meint die bewusste Anstrengung zum Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten und die Verbesserung ihres Selbstwertgefühls. Dies geht nicht voraussetzungslos, sondern erfordert die Bereitschaft der Mitarbeitenden, persönliche Erfahrungen zu teilen sowie Reaktionen und Verhaltensweisen von Patienten zu würdigen und anzuerkennen.

Struktur: wird als eine vorhersehbare Organisation von Zeit, Raum und Personen beschrieben. Die Vorhersehbarkeit dieser Dimensionen trägt dazu bei, einer amorphen Umgebung Gestalt zu verleihen und so die Orientierung zu erleichtern.

Involvement: beschreibt diejenigen Prozesse, die darauf abzielen, dass Patientinnen und Patienten sich aktiv mit ihrer sozialen Umgebung verbinden und an ihrer Gestaltung beteiligen, zum Beispiel in von Patienten geleiteten Gruppen.

Validation: bezieht sich auf die Wertschätzung der Individualität der Patientinnen und Patienten. Dies zeigt sich in individualisierten Therapieprogrammen, dem Recht der Untergebrachten auf Privatsphäre, an häufigen Einzelgesprächen, den Gelegenheiten, Fehler zu machen und daraus zu lernen, sowie in der Ermutigung, ihre persönlichen Grenzen im Sinne von Fähigkeiten und Möglichkeiten zu erweitern.

Kontrolle: erfolgt unter anderem durch die Schaffung eines äußeren Rahmens, die Erfüllung von Grundbedürfnissen, einer medizinischen Betreuung und dem Schaffen von Sicherheit für die Gemeinschaft der Untergebrachten, aber auch für die Besucher und Beschäftigten. In der Vergangenheit wurde der Aspekt der »ganzheitlichen Sicherheit« oftmals nicht bedacht. Jedoch erscheint es aus der Innensicht der Einrichtungen als absolut notwendig, die mit dem Thema »Sicherheit« verbundenen Bedürfnisse und Bedarfe aller Beteiligten zu berücksichtigen und diesen so weit wie möglich zu begegnen, denn unter anderem kann nur jener Mitarbeiter den Patienten ein Gefühl von Sicherheit vermitteln und in der Folge die weiteren Grundprinzipien erfüllen, der auch sich selbst sicher fühlt.

Unterstützung: Eine wichtige Aufgabe der Mitarbeitenden besteht darin, die Untergebrachten zu unterstützen, indem sie ihnen beispielsweise beratend zur Seite stehen, ihnen, unter Berücksichtigung der Nähe- und Distanzkritierien, Zuwendung geben und sie stets ermutigen, denn auch ein »Sie schaffen das« kann schon aufbauend sein, wenn etwa ein Untergebrachter nach vielen Jahren von einer geschlossenen Abteilung in eine Wohngruppe wechselt. Dabei ist es wichtig, dass die Unterstützung auf der Grundlage der persönlichen Bedürfnisse des Untergebrachten erfolgt und nicht nach dem Motto: »Ich weiß ja, was gut für Sie ist.«

Alltagsstrukturierung: In den Behandlungseinheiten sind immer wieder Sätze wie »Tagesstruktur ist wichtig für die Untergebrachten« zu hören. Um diese zu erlangen, benötigen die Untergebrachten Vorgaben etwa in Form von Informationen über Aktivitäten und den Ablauf des Tages, Tages- bzw. Wochenplänen und Stationsordnungen.

Engagement: Im Hinblick auf das Engagement sind sowohl die Untergebrachten als auch die Mitarbeitenden gefordert. Aufgabe der Einrichtungen und der Mitarbeitenden ist es, Gruppen, Versammlungen und Gremien zu gestalten, in denen Untergebrachten die Möglichkeit zur Mitentscheidung und Mitbestimmung gegeben wird. Für die Untergebrachten bedeutet dies, die Möglichkeit anzunehmen und somit (Mit-)Verantwortung zu übernehmen.

Valorisierung: Unter dem Aspekt, »den Untergebrachten dort abzuholen, wo er steht«, gilt es, die Therapie möglichst individuell abzustimmen. Von dieser Möglichkeit sollte gerade im Rahmen der Zwangsunterbringung im Maßregelvollzug Gebrauch gemacht werden, denn – und dies ist eine Erfahrung, die ein jeder von uns aus seinem Leben kennt – Maßnahmen und Aufgaben, mit denen man einverstanden ist und die man eventuell auch gerne macht, gehen leichter von der Hand als Maßnahmen und Aufgaben, die einem diktiert wurden. Eine gemeinsame Entscheidungsfindung (»shared decision making«) hält somit Widerstände gering.

Praxis der Milieugestaltung


Dass in der täglichen therapeutischen und pflegerischen Arbeit zahlreiche Möglichkeiten bestehen, das Stationsmilieu positiv und konstruktiv zu gestalten, sollen hier die folgenden vier Stichworte...

Erscheint lt. Verlag 7.10.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie
ISBN-10 3-96605-297-0 / 3966052970
ISBN-13 978-3-96605-297-9 / 9783966052979
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Adobe DRM)
Größe: 457 KB

Kopierschutz: Adobe-DRM
Adobe-DRM ist ein Kopierschutz, der das eBook vor Mißbrauch schützen soll. Dabei wird das eBook bereits beim Download auf Ihre persönliche Adobe-ID autorisiert. Lesen können Sie das eBook dann nur auf den Geräten, welche ebenfalls auf Ihre Adobe-ID registriert sind.
Details zum Adobe-DRM

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen eine Adobe-ID und die Software Adobe Digital Editions (kostenlos). Von der Benutzung der OverDrive Media Console raten wir Ihnen ab. Erfahrungsgemäß treten hier gehäuft Probleme mit dem Adobe DRM auf.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen eine Adobe-ID sowie eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich