Erziehungsfähigkeit psychisch kranker Eltern richtig einschätzen und fördern (eBook)
178 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61934-4 (ISBN)
Dr. Anita Plattner, Dipl.-Psych., München, ist öffentlich bestellte und beeidigte Sachverständige für Sorge- und Umgangsrechtsfragen (Reg. von Obb.). Sie ist freiberuflich als familienpsychologische Sachverständige tätig und leitet Fortbildungen zum Thema Erziehungsfähigkeit psychisch kranker Eltern.
Dr. Anita Plattner, Dipl.-Psych., München, ist öffentlich bestellte und beeidigte Sachverständige für Sorge- und Umgangsrechtsfragen (Reg. von Obb.). Sie ist freiberuflich als familienpsychologische Sachverständige tätig und leitet Fortbildungen zum Thema Erziehungsfähigkeit psychisch kranker Eltern.
Inhalt
Vorwort zur 3. Auflage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Teil I: Grundlagen der Erziehungsfähigkeit . 12
1 Allgemeine Kriterien der Erziehungsfähigkeit . 13
1.1 Juristischer Hintergrund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.2 Körperliches Kindeswohl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.3 Vernachlässigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.4 Seelische Kindeswohlgefährdung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2 Erziehungsfähigkeit aus psychologischer Sicht. 29
2.1 Beurteilung der Eltern-Kind-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29
2.2 Interaktionsbeobachtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.3 Testpsychologische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2.3.1 Testpsychologische Methoden zur Einschätzung der elterlichen
psychischen Stabilität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
2.3.2 Testpsychologische Methoden zur Einschätzung der
Eltern-Kind-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2.3.3 Testpsychologische Methoden zur Einschätzung einer seelischen
Kindeswohlgefährdung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
2.4 Kindeswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
2.5 Informationen von Dritten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3 Beurteilung der Erziehungsfähigkeit bei psychisch kranken Eltern . 41
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Teil II: Die wichtigsten psychischen Erkrankungen
und mögliche
Auswirkungen auf die Erziehungsfähigkeit. 44
1 Affektive Erkrankungen und Angststörungen . 45
1.1 Ursachen und Häufigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
1.2 Symptomatik, Verlauf und Prognose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
1.3 Subgruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
1.3.1 Subgruppen der affektiven Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
1.3.2 Subgruppen der Angststörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
1.4 Behandlung und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
1.5 Spezifische Auswirkungen auf die Kinder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
1.6 Auswirkungen auf die Erziehungsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
Vertiefung: Postpartale Depression und Bindungsentwicklung. . . . . . . . . . . . 58
Exkurs: Kindstötung und erweiterter Suizid. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
2 Psychotische Erkrankungen. 74
2.1 Ursachen und Häufigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
2.2 Symptomatik, Verlauf und Prognose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
2.3 Subgruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 Erziehungsfähigkeit aus psychologischer Sicht
von Anita Plattner
Kurz ausgeführt gehören zu den Kernmethoden anamnestische Gespräche mit den Eltern zur eigenen Vorgeschichte und zu den Kindern, testpsychologische Verfahren mit den Kindern und – bei Bedarf – Fragebögen zur Einschätzung der elterlichen psychischen Stabilität bzw. Gesundheit. Neben den Elterngesprächen gehören auch Gespräche mit Dritten, wie Kindergarten, Schule, Jugendhilfe und behandelnden Ärzten und Therapeuten zum Repertoire einer Begutachtung. Vor dem Führen der Elterngespräche leiten Sachverständige aus der gerichtlichen Fragestellung und aus der Analyse der Gerichtsakten psychologische Fragen ab, die im Befund des Gutachtens beantwortet werden. Für psychisch kranke Eltern liegen inzwischen differenzierte Empfehlungen zu spezifischen psychologischen Fragen vor (Wiedemann/Plattner im IV 2023).
Die Qualität der alltäglichen Eltern-Kind-Beziehung und der frühkindlichen Bindung spielt eine zentrale Rolle bei der Beurteilung der elterlichen Erziehungsfähigkeit. Die zugrundeliegende Kompetenz der Eltern ist die Einfühlsamkeit in die Bedürfnisse der Kinder und die Fähigkeit, diese Bedürfnisse zu befriedigen (Überblick bei Castellanos/Hertkorn 2014).
2.1 Beurteilung der Eltern-Kind-Beziehung
DEFINITION
Je jünger das Kind, desto wichtiger ist die Einfühlsamkeit des Elternteils in dessen Bedürfnisse. Diese Fähigkeit wird auch Feinfühligkeit genannt.
Bei Säuglingen geht es darum, Ursachen körperlichen Unwohlseins zu erkennen, z. B. Müdigkeit, Hunger, Unruhe, nasse Windel, Reizüberflutung oder Bauchschmerzen, und entsprechend zu handeln – d. h., das Kind zu beruhigen, zum Schlafen zu bringen, zu stillen oder zu füttern oder den Bauch zu massieren. In den ersten Lebensmonaten entsteht, insbesondere bei Hunger oder Schmerzen, beim Säugling Todesangst. Er kann noch nicht vorhersehen, dass sein Bedürfnis bald gestillt wird, weil es zum Beispiel in vorherigen Situationen auch so gewesen ist.
Im ersten Lebensjahr beginnt die Entwicklung der Bindung des Kindes an eine vertraute Person oder einen begrenzten Kreis vertrauter Personen. Unter dem Begriff der Bindung wird der Vertrauensaspekt der Eltern-Kind-Beziehung aus der Sicht des Kindes verstanden. Eine sichere Eltern-Kind-Bindung gilt als wichtiger Schutzfaktor für die weitere emotionale und psychosoziale Entwicklung des Kindes.
Im Gegensatz zum Begriff der Bindung bezeichnet Beziehung den Alltagsaspekt der jeweiligen Eltern-Kind-Beziehung. Der Aufbau neuer Beziehungen des heranwachsenden Kindes ist im Wesentlichen durch die ersten Bindungserfahrungen geprägt (Spangler / Zimmermann 2015). Bei der Untersuchung einer Bindung ist zu berücksichtigen, dass diese sich kulturabhängig verschieden äußert und in Zeiten von hohem familiären oder kindlichen Stress, z. B. in den ersten Jahren nach einer elterlichen Trennung, ebenfalls in ihrem Ausdruck verändert sein kann (Borchert 2011).
Zentral bei der Bindung von Kindern psychisch kranker Eltern ist es, dass entscheidend für das Kindeswohl nicht die Stärke einer Bindung ist. Im Gegenteil, sind Kinder psychisch kranker Eltern oft besonders stark an ihre Eltern gebunden, verlassen aus Sorge um Eltern und Geschwister selten das Haus. Sie geben ihren Eltern besonders viel emotionale Unterstützung, was von den Eltern manchmal auch auffallend innig erwidert wird. Betrachtet man aber die Bindungsqualität, so ist es für das Kindeswohl entscheidend, wieviel Vertrauen das Kind in seinen Elternteil hat, d. h. ob der Elternteil dem Kind bei eigenen Sorgen, Problemen und Stress jeglicher Art Sicherheit geben kann (Kap. II.1 Vertiefung).
2.2 Interaktionsbeobachtungen
Kern der familienpsychologischen Untersuchungsmethoden ist die Interaktionsbeobachtung zwischen Mutter und Kind, zwischen Vater und Kind oder auch zusätzlich zwischen dem Kind und weiteren an der physischen und emotionalen Versorgung des Kindes beteiligten Personen. Es gibt verschiedene Methoden der Interaktionsbeobachtung (Überblick bei Jacob 2014); im Folgenden werden die gängigsten kurz skizziert.
Interaktionsbeobachtungen erfolgen möglichst immer in Form von Hausbesuchen und in Form von Beobachtungen in einem neutralen Umfeld. Die Interaktion zwischen Mutter und Kind wird also immer mindestens zweimal beobachtet, bei widersprüchlichen Ergebnissen mehrmals. Beim Hausbesuch können neben der Interaktion zwischen Mutter und Kind Hygienekriterien und andere Merkmale einer kindgerechten Umgebung beobachtet werden.
Eine ausgesprochen ausführliche und empfehlenswerte Liste mit Beobachtungskriterien für Eltern-Kind-Interaktionen im Säuglingsalter wurde aus der Arbeit mit Schreibabys und ihren Müttern entwickelt (Dräger / Werner 2008). Die Interaktionsstörungen im Säuglingsalter kann man grob in Unter- und Überstimulation einteilen. Die intuitiven elterlichen Kompetenzen sind hierbei nicht im Gleichgewicht. Außerdem ist die feinfühlige Wahrnehmung der kindlichen Bedürfnisse herabgesetzt. Hiermit hängt auch die intuitive Fähigkeit des Elternteils ab, als „Zeitgeber“ für den Säugling zu funktionieren, also ihn bei einer sinnvollen Rhythmik zwischen Aktivität und Ruhe zu unterstützen (Papoušek 1996).
Bei Kleinkindern im Alter zwischen dem 12. und 18. Lebensmonat kann der sogenannte Fremde-Situations-Test angewendet werden, der eine recht exakte Bestimmung der Bindungsqualität ermöglicht. Dieser Test wird im Kapitel über postpartale Depression in diesem Buch vorgestellt (Kap. II.1 Vertiefung).
Eine standardisierte, nicht-teilnehmende Beobachtung kann für Kinder aller Altersstufen mit Hilfe der Heidelberger Marschak-Interaktions-Methode (H-MIM) durchgeführt werden. Derzeit erscheint eine Neuauflage des Marschak-Verfahrens, das neben den bisherigen Ausarbeitungen auch konkrete Aufgabenempfehlungen für alle Altersgruppen, auch für Säuglinge und Jugendliche, enthält. Spezifiziert wurden in der Neuauflage ferner differenzierte Beobachtungskriterien für die Protokollierung (Franke/Schulte-Hötzel 2019). Idealerweise wird die Beobachtung in Abwesenheit der Sachverständigen durchgeführt und videografiert. Dabei erhalten die Eltern beispielsweise drei bis fünf Aufgaben, die innerhalb einer Stunde erledigt werden sollen. Die Aufgaben lassen sich folgenden Kriterien zuordnen und werden auch nach diesen beurteilt:
Emotionalität in der Interaktion (Emotionalitätsaufgaben)
Führung des Kindes durch die Bezugsperson (Führungsaufgaben)
Stress und der Umgang mit dem provozierten Stress (Stressaufgaben)
Die finnische Wissenschaftlerin Saara Salo hat inzwischen eine Methode zur standardisierten Auswertung der H-MIM entwickelt, die zwar nicht in Form einer öffentlichen Publikation vorliegt, jedoch in Form eines Trainings mit den zugrunde liegenden Studien bereitsteht (Salo/Mäkela 2006). Handbuch und Scoring wurden von Plattner ins Deutsche übersetzt und sind bei ihr erhältlich (Plattner 2019). Im Unterschied zur Heidelberger Marschak-Interaktionsmethode (H-MIM) erlaubt die Methode nach Salo (MIM/D-EIS) eine standardisierte Durchführung und Auswertung auf einer 5-Punkt-Likert-Skala, was für eine Begutachtung äußerst hilfreich ist, da eine objektive und differenzierte Auswertung möglich wird. Ein weiterer Vorteil liegt in der Möglichkeit, die bei psychisch kranken Eltern häufig vorkommende Parentifizierung eines Kindes ausdrücklich zu erfassen (vgl. Kap. II.5). Bestimmte Gruppen von Aufgaben ermöglichen den Einsatz in vier Altersgruppen: Kleinkinder, Kindergartenkinder, Schulkinder und Jugendliche. Für eine zuverlässige Anwendung und Auswertung ist ein viertägiges Training und ein Zertifikat über die Interrater-Reliabilität (> .85 %; Lizensierung durch Saara Salo, PhD) unbedingt zu empfehlen. (Angebote hierzu finden sich bei https://sachverstaendigenring.de/fortbildungen/.)
BEISPIEL
Fallbeispiel Daniel
Der 11-jährige Daniel lebt seit seinem sechsten Lebensjahr gemeinsam mit seiner zwei Jahre jüngeren Schwester bei seinem Vater. Mit der Mutter, die an paranoider Schizophrenie leidet, hatte er bis zum Zeitpunkt der Begutachtung unbegleiteten Umgang. Der Vater ist durch Berufstätigkeit und Kindererziehung belastet, er hat wechselnde Partnerbeziehungen und nimmt regelmäßig Psychotherapie in Anspruch. In der Marschak-Interaktionsbeobachtung konnten Vater und Mutter sich in den separaten Videobeobachtungen mit Daniel jeweils nur mühsam auf die gestellten Aufgaben einlassen und gingen im Spiel wenig auf die aktuellen Bedürfnisse von Daniel ein. Der Blickkontakt zwischen dem Vater und Daniel wurde wechselseitig von beiden initiiert und war emotional warm. Ferner kam es zwischen dem...
Erscheint lt. Verlag | 28.10.2024 |
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Co-Autor | Joachim Heilmann, Christiane Hertkorn, Beatrice Kraemer, Elisabeth Mach-Hour, Frank W. Paulus |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie | |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Recht / Steuern | |
Schlagworte | Bindung • Depression • Elterliche Sorge • Entfremdung • Erziehungsberatung • Familienhilfe • Familienpsychologische Begutachtung • Kinder- und Jugendhilfe • Kindeswille • Kindeswohl • Kindeswohlgefährdung • Narzissmus • Persönlichkeitsstörung • Pflegschaft • Sucht • Trennung • Vernachlässigung |
ISBN-10 | 3-497-61934-5 / 3497619345 |
ISBN-13 | 978-3-497-61934-4 / 9783497619344 |
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Größe: 2,9 MB
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