Black-Box-Methoden (eBook)
235 Seiten
Vandenhoeck und Ruprecht (Verlag)
978-3-647-99305-8 (ISBN)
Jens Förster, Diplom-Psychologe, Dr. habil., ist Co-Direktor des »Systemischen Instituts für Positive Psychologie« in Köln und Gesellschafter am IF Weinheim. Er war von 2001 bis 2017 Professor der Sozialpsychologie und arbeitete u. a. an der Columbia University in New York, der Newschool for Social Research in New York und der Universiteit van Amsterdam. Er ist systemischer Coach, Therapeut, Supervisor, Organisationsentwickler und Teambuilder, Lehrtherapeut und Lehrsupervisor (SG). Er gibt Trainings und hält Vorträge zu Themen wie Vorurteile, Systemisches Handeln und Denken, Sinngebung in Unternehmen, Kreativität, Selbstmanagement- und Selbstregulation, Gesundheit, Motivation, Embodiment, Lebensziele und Krisenintervention. Er hat über 100 wissenschaftliche Artikel und viele populärwissenschaftliche Bücher verfasst und zahlreiche internationale Preise für Forschung und Lehre erhalten. Er ist Redakteur der »systhema«, Fachgruppensprecher in der DGPPF und im Kuratorium der FSF. Jens Förster hat zudem Operngesang und Schauspiel studiert, er hat Theaterstücke und Lieder geschrieben und als Regisseur gearbeitet. Foto: Ingo Peters Photography
Jens Förster, Diplom-Psychologe, Dr. habil., ist Co-Direktor des »Systemischen Instituts für Positive Psychologie« in Köln und Gesellschafter am IF Weinheim. Er war von 2001 bis 2017 Professor der Sozialpsychologie und arbeitete u. a. an der Columbia University in New York, der Newschool for Social Research in New York und der Universiteit van Amsterdam. Er ist systemischer Coach, Therapeut, Supervisor, Organisationsentwickler und Teambuilder, Lehrtherapeut und Lehrsupervisor (SG). Er gibt Trainings und hält Vorträge zu Themen wie Vorurteile, Systemisches Handeln und Denken, Sinngebung in Unternehmen, Kreativität, Selbstmanagement- und Selbstregulation, Gesundheit, Motivation, Embodiment, Lebensziele und Krisenintervention. Er hat über 100 wissenschaftliche Artikel und viele populärwissenschaftliche Bücher verfasst und zahlreiche internationale Preise für Forschung und Lehre erhalten. Er ist Redakteur der »systhema«, Fachgruppensprecher in der DGPPF und im Kuratorium der FSF. Jens Förster hat zudem Operngesang und Schauspiel studiert, er hat Theaterstücke und Lieder geschrieben und als Regisseur gearbeitet. Foto: Ingo Peters Photography
Kapitel II: Entscheidungen mit Herzen und Füßen
Ein bisschen Struktur vorweg …
Die folgenden vier Kapitel (II–V) sind so aufgebaut, dass Sie sich bestimmte Abschnitte aussuchen können, je nachdem, ob Sie mehr an Praxis oder an Theorie interessiert sind.
Zunächst schildere ich einen Fall im Detail ( Fallbeschreibung). Dabei habe ich die Fälle natürlich so verändert, dass sich keine:r meiner Klient:innen hier wiedererkennen könnte. Namen, Orte und markante Eigenarten wurden verändert. Das Prozessgeschehen entspricht allerdings dem Setting, wie ich es wahrgenommen habe.
Nach der Fallschilderung beschreibe ich die Methode ( Methoden), die ich verwendet habe. Einige Methoden werden systemischen Berater:innen und Therapeut:innen bekannt sein; teils handelt es sich um Klassiker der systemischen Arbeit, die allerdings meist offen und nicht verdeckt durchgeführt werden ( Methodenleitfaden). Trotzdem schildere ich kurz die Vorgehensweise für diejenigen, die die Methode nicht kennen. Alle anderen können diese Beschreibung überspringen.
Danach möchte ich auf einige individuelle Gesichtspunkte, Twists und Entscheidungen der vorgestellten Fälle eingehen. Ich verstehe systemisches Arbeiten so, dass jede Methode auf die Klient:innen zugeschnitten wird. Es gibt hier keine Manuale, die wir streng befolgen müssen; im Gegenteil spricht es für achtsames Arbeiten, wenn jede Methode bei jeder Klientin und jedem Klienten anders gestaltet wird. Manchmal wird sie sogar abgebrochen, wenn es sich so ergibt oder wenn die Klient:innen uns nahelegen, dass für sie die Arbeit beendet ist. Diese Besonderheiten und feinen Unterschiede der individuellen Arbeit am speziellen Fall werde ich ebenfalls kurz besprechen ( Prozessorientierte Abweichungen).
Zu guter Letzt erkläre ich kurz, warum mir bei dem speziellen Fall eine Black-Box-Methode sinnvoll erscheint ( Gründe für Black-Box-Methoden).
Jedes Kapitel schließe ich mit einer Präsentation von Theorien ab. Die vorgestellten Therapien oder Beratungen basieren auf Entscheidungsprozessen, die auf wichtigen Grundpfeilern der systemischen Theorien basieren. Oftmals entscheide ich mich in einer Sitzung spontan für eine bestimmte Vorgehensweise, sodass ein:e Beobachten:in dies als intuitiv beschreiben könnte. Tatsächlich ist das systemische Denken so in meine Haltung übergegangen, dass ich oft nicht mehr überlegen muss, was ich tue. Ich werde im Theorieteil die Elemente des systemischen Ansatzes hervorheben, die meiner Meinung nach in dem jeweiligen Fall besonders deutlich geworden sind, wie etwa Konstruktivismus, Autopoiese, Embodiment oder narrative Ansätze ( Theorie: Systemische Grundpfeiler; systemische Konzepte).
Die Idee zu dieser Struktur soll es allen Leser:innen ermöglichen, dahinzuspringen, wo es sie hinzieht, ob dies nun der Praxis- oder der Theorieteil ist.
Fallbeschreibung: Galips Schlange im Nacken
Der Klient heißt Galip Arta und ist ein 15-jähriger Fußballer aus der Jugendliga, wie er mir sagt. Sein Verein habe ihn geschickt und der zahle auch die Therapie, wobei von Seiten der Auftraggeber mal von Coaching, mal von Therapie die Rede ist. In unserer Kölner Praxis coachen wir einige Sportler:innen und supervidieren Sportteams. Galips Trainer meint, er habe depressive Tendenzen und brauche Unterstützung. Sein Berufsziel sei die Bundesliga. Er habe mehrere Verletzungen erleiden müssen und musste deshalb von der Stürmerposition ins Mittelfeld wechseln. Ich frage ihn, wie sich das anfühlt, und er schaut auf den Boden und brüllt los: »So einen Pycho-Scheiß mache ich nicht mit. Wie soll sich das denn anfühlen?« Er rollt die Augen. »Wer will denn ins Mittelfeld, wenn er eigentlich Stürmer ist. Und ich sage hier sowieso nichts, wenn Sie dauernd im Fernsehen rumsitzen.« Ich muss mir das Lachen verkneifen – denkt der junge Mann jetzt wirklich, dass ich »den Medien« verrate, wie sich ein 15-Jähriger aus dem Ruhrpott in der Jugendliga fühlt?
Ich entscheide mich für eine Black-Box-Methode, auch deshalb, weil ich sowieso wenig vom Fußball verstehe. Ich habe schon viele Sportler:innen, darunter auch einige Fußballer:innen, gecoacht und therapiert, aber auf Fachdiskussionen à la Mittelfeld versus Stürmer will ich mich gar nicht einlassen.
»Wissen Sie, Herr Arta, ich mache Coaching mit Sportlern sowieso gern anders. Da mache ich mehr was Körperliches, als viel zu reden. Sie müssen mir hier nichts erzählen, was Sie mir nicht erzählen wollen. Tatsächlich müssen Sie mir noch nicht einmal Ihr Problem erzählen. Und trotzdem weiß ich aus meiner Erfahrung, dass ich Ihnen helfen könnte. Wie wäre es, wenn wir zusammen mal so eine körperliche Übung machen, statt zu quatschen? Dazu stehen wir auf (ich stehe auf) und wir bewegen uns im Raum und ich stelle Ihnen Fragen, die mehr mit Ihrem Körper zu tun haben als mit Ihren Gedanken. Und wenn Sie mir nicht antworten wollen, dann lassen Sie es einfach, okay? Und Sie können auch nachfragen, wenn Ihnen eine Frage komisch vorkommt. Und wenn Sie das alles hier nicht mögen, dann brechen wir eben ab. Sie brauchen sich dann nicht zu erklären, wir brechen dann einfach ab. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht. Viele sind hier besser rausgegangen, als sie reingegangen sind, und ich hatte hier schon Leute im Raum, die Sie vermutlich nur aus dem Fernsehen kennen. Erwachsene Fußballer aus der Liga, die den Mut hatten, mal etwas Neues auszuprobieren. Die kommen wieder und haben mich auch Ihrem Trainer empfohlen. Herr Arta, das hier ist kein Psycho-Scheiß, aber es ist auch kein Spaziergang. Sie brauchen etwas Mut dazu. Als Stürmer haben Sie den ja?«
Herr Arta steht auf. »Okay.« Ich wundere mich, wie schnell er sich einverstanden erklärt, frage ihn nach seiner Turnschuhmarke. Er lächelt mich an »ja, die sind fresh, oder?«, nennt mir die Marke und ich tippe sie in mein Handy. Frage ihn dann:
Therapeut: »Sie sollen hier nach zwei Stunden besser rausgehen, als Sie reingegangen sind. Sagen Sie doch mal bitte, worum es sich im Groben handelt. Also, erzählen Sie mir keine Details, sondern bitte nur, ob Sie mal in eine Entscheidung reinschauen möchten oder ob Sie sich mit vielen Fragen beschäftigen oder ob Sie mal auf die letzten Jahre zurückschauen wollen oder in die Zukunft. Solche Sachen. Leute, die dabei vorkommen, Ereignisse, Orte, worum es genau geht, muss ich dabei nicht wissen. Das alles müssen Sie mir hier gar nicht erzählen.
Galip Arta: »Es ist eine Entscheidung. Ich meine, da könnte ich mal reingucken.« Er nickt zustimmend.
Therapeut: »Ich weiß nicht, ob es von Bedeutung ist, aber, wenn Sie mich fragen, Sie lächeln irgendwie anders – ist irgendwie meine Beobachtung. Können Sie damit etwas anfangen?«
Galip Arta: »Sie haben als Erstes gefragt, ob es sich um eine Entscheidung handelt, und da habe ich gedacht: Der hat es drauf, wie kann der das wissen?«
Ich zwinkere ihm zu.
Therapeut: »Zufall. Also ist es tatsächlich eine Entscheidung?« Er nickt. »Sie müssen sich zwischen wie vielen Möglichkeiten entscheiden? Zwei, drei, vier?«
Galip Arta: »Zwei. Aber Halt mal. Ist es eigentlich Okay, wenn das hier nicht um die ›depressiven Verstimmungen‹ geht, also, was mein Coach draufgeschrieben hat?«
Therapeut: »Vollkommen okay, Sie können das hier nutzen, wie Sie wollen, das habe ich so mit Ihrem Coach klargemacht. Er ist Ihr Fußball-Coach, ich bin Ihr Mental-Coach.«
Galip Arta: »Okay, sagen Sie mal, können wir uns duzen, weil das hier ja eher Sport ist und da duzt man sich. Ich bin Galip.«
Therapeut: »Okay, Galip, ich bin Jens. Hier sind Moderationskarten für die zwei Entscheidungsmöglichkeiten. Also, habe ich das richtig verstanden, du musst dich zwischen A und B entscheiden?« Galip nickt. »Nimmst du mal eine Karte für A und eine für B? Wie gesagt, ich will nicht wissen, was das ist. Nimm mal die Farben, die du mit A und mit B verbindest.«
Er greift in einen bunten Stapel runder Moderationskarten und wählt eine blaue und eine gelbe.
Therapeut: »Merk dir mal bitte, welche Farbe welche Option ist, und such dir mal bitte einen Platz für die beiden Optionen im Raum, auf dem Boden. Also, wo liegt A und wo liegt B?«
Er legt die Karten in die beiden gegenüberstehenden Ecken und läuft zwischen den Karten hin und her. Richtet sie immer wieder aus. Mal liegen sie ca. 25 cm vor dem Eck, mal 50 cm. Er kommt zur Ruhe, als sie beide ca. 70 cm vor dem jeweiligen Eck sind.
Therapeut: »Ich würde gern ab und zu...
Erscheint lt. Verlag | 15.4.2024 |
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Zusatzinfo | mit 5 Abb. |
Verlagsort | Göttingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | beratender • Berater • Beratung • Black-Box-Beratung • Black-Box-Methoden • Black-Box-Verfahren • Coaching • Co-Kreativität • Lösungsorientierung • Positive Psychologie • Problemlösung • Prozesse • Selbstorganisation • Selbstwirksamkeit • Supervision • Systemische Beratung • systemische Haltung • Systemischer Berater • Systemisches Coaching • systemische Supervision |
ISBN-10 | 3-647-99305-0 / 3647993050 |
ISBN-13 | 978-3-647-99305-8 / 9783647993058 |
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