Pflegeheim Rating Report 2024 (eBook)
198 Seiten
medhochzwei Verlag
978-3-98800-009-5 (ISBN)
Stellvertretende Leiterin des Kompetenzbereichs 'Gesundheit' am RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Sie studierte an der Universität Mannheim Volkswirtschaftslehre und promovierte im Anschluss an der Queen's University in Kingston, Kanada. Ihr Forschungs- und Arbeitsschwerpunkt liegt bei Themen des Pflegemarkts. Inhaltlich beschäftigt sie sich unter anderem mit Strukturanalysen der ökonomischen Herausforderungen im Gesundheitswesen und der Altenpflegewirtschaft sowie mit Fragen zur Optimierung der Pflegebedarfsplanung.
Executive Summary
Durch die Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade, die einhergehende Ausweitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs sowie die zur Finanzierung dieser Maßnahmen notwendigen Erhöhungen des Beitragssatzes ergaben sich in den vergangenen Jahren für die Pflegebranche gravierende Veränderungen. Das Ausmaß dieser Veränderungen wurde bereits durch den Vergleich der Zahlen von 2015 und 2017 deutlich. Die Anpassungseffekte setzten sich aber auch bis 2021 noch fort. Gleichzeitig ergeben sich durch die veränderte Ausgangssituation auch Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung, wie die Prognosen bis zum Jahr 2040 zeigen.
Status quo
Der Pflegebedarf wächst weiter. Die vorliegenden Zahlen aus 2021 bestätigen dies erneut: Insgesamt gab es 5,0 Mio. pflegebedürftige Menschen, davon wurden 793 000 vollstationär und 1,0 Mio. durch ambulante Dienste versorgt. Rund 2,6 Mio. Pflegebedürftige erhalten Pflegegeld. 565 000 Bedürftige mit Pflegegrad 1 beziehen ausschließlich landesrechtliche oder keine Leistungen und 1 700 Menschen mit Pflegegrad 1 beziehen teilstationäre Leistungen. Die Anzahl dieser „Sonderfälle“ im Pflegegrad 1 wurde 2017 in der Pflegestatistik untererfasst. Durch die verbesserte, wenn auch vermutlich nicht vollständige, Erfassung, fließen diese Personen nun mit in die Analysen ein.
Das Marktvolumen der ambulanten und stationären Pflegedienste betrug im Jahr 2021 rund 72 Mrd. €. Gegenüber anderen Teilbereichen des Gesundheitsmarkts ist der Pflegemarkt am stärksten gewachsen: 1997 betrug sein Anteil 9,8 % des gesamten Gesundheitsmarkts, 2021 bereits 15,2 %. Damit rangiert die Pflege in ihrer Bedeutung aktuell an zweiter Stelle hinter den Krankenhäusern.
Die durchschnittliche Ausfallwahrscheinlichkeit deutscher Pflegeheime betrug im Jahr 2021 1,2 %. Zirka 9 % der Pflegeheime lagen im „roten Bereich“, d. h. besaßen eine erhöhte Insolvenzgefahr, 55 % im „grünen“ mit geringer Insolvenzgefahr und 36 % dazwischen, im „gelben Bereich“.
Nach einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Pflegeheime zwischen 2016 und 2019 hat diese sich seitdem wieder erholt. Die durchschnittliche Verbesserung im Jahr 2021 gegenüber dem Jahr 2020 ist vor allem durch freigemeinnützige und öffentlich-rechtliche Pflegeheime getrieben. Private Heime verschlechtern sich leicht.
Das durchschnittliche Pflegeheim verzeichnete im Jahr 2021 eine EBITDAR-Marge (Betriebsergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen, Amortisation und Mieten im Verhältnis zu den Gesamterlösen) von 11,3 %. Die besten 20 % der Heime erreichten 16,6 % oder mehr, die schlechtesten 20 % höchstens 6,1 %. Das durchschnittliche Jahresergebnis nach Steuern (EAT) betrug 2,3 % der Erlöse.
Untersucht wurden bis zu 465 Jahresabschlüsse aus den Jahren 2014 bis 2021, die insgesamt 1 844 Pflegeheime bzw. rund 25 % des stationären Pflegemarktes umfassen.
Öffentlich-rechtliche Pflegeheime schnitten im Rating besser ab als freigemeinnützige und private, weil wir zur Berechnung des Ratings die Mietaufwendungen „kapitalisieren“, d. h. als Fremdkapital in der Bilanz verbuchen. Insbesondere private Heime mieten häufiger ihre Immobilien. Ohne eine solche Kapitalisierung der Mieten gäbe es nur geringe Unterschiede zwischen den Trägern. Die wirtschaftliche Situation der Heime war in Ostdeutschland besser als in Westdeutschland. Am besten war die Lage in Sachsen-Anhalt/Thüringen, Hessen, Berlin/Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Am schlechtesten schnitten Heime in Schleswig-Holstein/Hamburg, Baden-Württemberg und Niedersachsen/Bremen ab.
Für die Jahre 2022 und 2023 rechnen wir wieder mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Pflegeheime. Gründe sind – neben den wegfallenden Coronahilfen – Kostenanstiege, sowohl bei Personal- als auch bei Sachkosten. Diese werden u. a. von den höheren Inflationsraten, der 2022 eingeführten Tarifpflicht in der Pflege sowie allgemeinem Personalmangel getrieben. Insofern dürften die Corona-Jahre lediglich eine kurze Erholung für die wirtschaftliche Lage der Pflegeheime darstellen.
Pflegegeldempfänger. Die Aufnahme kognitiver und geistiger Einschränkungen in den Pflegebedürftigkeitsbegriff im Jahr 2017 sorgte für eine starke Ausweitung der Zahl der Pflegegeldempfänger, welche insbesondere durch Pflegegeldempfänger mit niedrigen Pflegegraden getrieben wurde. Ordnet man Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1, die teilstationär gepflegt werden oder ausschließlich landesrechtliche oder keine Leistungen beziehen, anteilig den Pflegegeldempfängern und dem ambulanten Bereich zu, setzte sich diese Ausweitung 2021 verstärkt fort. Ohne diese Zurechnung wäre der Anteil der Pflegegeldempfänger trotz deutlicher Zunahme in der Anzahl nahezu unverändert.
Ambulantisierung. Ebenfalls nahm erneut die Anzahl der ambulant gepflegten Menschen zu. Mit anteiliger Zurechnung der Pflegegrad 1 Sonderfälle lag der Anteil der ambulanten Pflege 2021 bei 24,4 %, während er 1999 erst bei 20,6 % lag. Neben der Ausweitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Jahr 2017 hat die überproportionale Erhöhung der Pflegesätze der Pflegeversicherung für Leistungen der ambulanten Dienste seit 2008 und der Ausbau der ambulanten Pflege im Rahmen der Pflegestärkungsgesetze das Marktvolumen der ambulanten Pflege erhöht. Es scheint sich bei der Ambulantisierung um einen längerfristigen Trend zu handeln, der sich durch die Pandemie und Aufnahmestopps bei Heimen vermutlich beschleunigt hat. Die Anzahl stationär gepflegter Menschen verringerte sich 2021 dagegen erstmalig leicht, ihr Anteil ging daher deutlich zurück.
Privatisierung. Der Anteil der Pflegebedürftigen, die in einer privaten Einrichtung versorgt werden, ist weiter gestiegen: in Pflegeheimen im Jahr 2021 auf 39,8 % (1999: 25,4 %) und in ambulanten Diensten auf 54,4 % (1999: 35,6 %). Die Zahl der Plätze in privater Trägerschaft stieg seit 1999 um 143 % (freigemeinnützig: 29 %). Allerdings ist die Auslastung privater Heime 2021 mit 86,2 % unter das Niveau von 1999 (87,3) gefallen. 2009 erreichte sie den niedrigsten Wert von 83,1 %. Dabei arbeiten in Westdeutschland Heime in privater Trägerschaft kostengünstiger als öffentlich-rechtliche oder freigemeinnützige Heime: Inklusive des Investitionskostenanteils lagen ihre Preise 6,7 % unter dem westdeutschen Durchschnitt.
Personalknappheit. 2021 waren in der ambulanten und stationären Pflege rund 1 257 000 Personen beschäftigt, was 898 000 Vollkräften entsprach, davon 341 000 Pflegefachkräfte. Zwischen 1999 und 2021 entspricht dies über 427 000 zusätzlichen Vollzeitkräften. Zwar nahm also der Personalbestand deutlich zu. Bedarf an weiteren Arbeitskräften besteht jedoch immer noch, der am Arbeitsmarkt derzeit nicht vollständig gedeckt werden kann, sodass ein zunehmender Mangel an Pflegefachkräften zu beobachten ist.
Regulierung. Die Pflege ist ein stark regulierter Markt. Je restriktiver die regulatorischen Vorgaben bezüglich des Betriebs von Heimen sind, zum Beispiel Ein-Bett-Zimmer-Quoten, bauliche und personelle Vorgaben, desto teurer werden der Betrieb und die Investitionen in neue und Bestandseinrichtungen. Manche Investoren dürften sich daher aus Bundesländern mit hoher Regulierungsdichte zurückziehen, sodass sich das Angebot an Pflegeplätzen verknappt. Wird kein ausreichender Ersatz geschaffen, kann es zu einer Rationierung des Angebots und zu einer Verteuerung der stationären Pflegeplätze kommen. Tatsächlich mehren sich die Berichte von Wartelisten für Pflegebedürftige.
Ausblick
Hauptgrund für das Wachstum des Pflegemarkts ist die Alterung der Gesellschaft, die in den kommenden Jahrzehnten weiter anhalten wird. Ende der 20er Jahre schwächt sich der Wachstumstrend – bei weiterhin positiven Wachstumsraten – vorübergehend etwas ab, um Ende der 30er Jahre wieder zuzunehmen. Unter der Annahme konstanter Pflegequoten, d. h. Prävalenzraten, dürfte die Nachfrage nach Pflegeleistungen daher ungebrochen weiter zunehmen. Bis 2030 ist mit 5,7 Mio. Pflegebedürftigen in Deutschland zu rechnen, bis 2040 mit 6,4 Mio., was gegenüber 2021 einen Anstieg um 14 % bzw. 28 % bedeuteten würde. Allerdings manifestierte sich in der Pflegestatistik 2021 erstmals ein leichter Rückgang der Zahl der Pflegebedürftigen in Pflegeheimen gegenüber der Pflegestatistik 2019, während die Zahl der zu Hause gepflegten Menschen stark anstieg. Diese Entwicklung spiegelt einerseits weiterhin Anpassungseffekte der Umstellung auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff wider. Aber auch der Fachkräftemangel führt bereits zu Aufnahmestopps in Pflegeheimen und bei ambulanten Diensten, sodass das Angebot an professioneller Pflege dadurch de facto reduziert wird.
Das Nachfragewachstum führt bei Fortschreibung des Status quo zu einem zusätzlichen Bedarf von 322 000 stationären Pflegeplätzen bis 2040. Bei einer zunehmenden Professionalisierung der Pflege fällt der Bedarf sogar deutlich höher aus. Ein stärkerer Trend hin zu mehr ambulanter Pflege würde den Bedarf dagegen verringern. Die erforderlichen Neu- und Re-Investitionen beliefen sich entsprechend auf 81 bis 125 Mrd. €. Darüber hinaus ist mehr Personal erforderlich, um die steigende Zahl an Pflegebedürftigen zu versorgen. Bis 2040 rechnen wir mit insgesamt 163 000 bis 380 000 zusätzlichen Stellen (Vollkräfte) in der stationären und mit 97 000 bis 183 000 in der ambulanten Pflege. Bei Pflegefachkräften erwarten wir bis 2040 einen zusätzlichen Bedarf zwischen 124 000...
Erscheint lt. Verlag | 11.12.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Allgemeines / Lexika |
ISBN-10 | 3-98800-009-4 / 3988000094 |
ISBN-13 | 978-3-98800-009-5 / 9783988000095 |
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Größe: 13,2 MB
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