Psychiatrische Beispielgutachten (eBook)
520 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-041406-8 (ISBN)
Dr. med. Felix Segmiller legte den Reifungsprozess vom Assistenz- über den Facharzt bis zum forensischen Psychiater zurück und erlebte somit die dargestellten Problemfelder in den Ausbildungsphasen. Prof. Dr. med. habil. Manuela Dudeck weist als Lehrstuhlinhabern für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Ulm umfassende Expertise bei psychiatrischen Begutachtungen auf.
Dr. med. Felix Segmiller legte den Reifungsprozess vom Assistenz- über den Facharzt bis zum forensischen Psychiater zurück und erlebte somit die dargestellten Problemfelder in den Ausbildungsphasen. Prof. Dr. med. habil. Manuela Dudeck weist als Lehrstuhlinhabern für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Ulm umfassende Expertise bei psychiatrischen Begutachtungen auf.
2 Psychiatrische Gutachten im Sozialrecht
2.1 Allgemeine kurze Vorabinformationen – das Wichtigste auf einen Blick
Das Sozialrecht beinhaltet Fragestellungen (siehe auch Übersicht im Kapitel »Typische Fragestellungen für psychiatrische Gutachten« ( Kap. 1)) aus den Bereichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Unfallversicherung, des Arbeitsförderungsrechts sowie zu zahlreichen Gesetzen zum Erhalt von Geld-, Sach- und/oder Dienstleistungen, wie z. B. Sozialhilfe, Kindergeld, Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz etc. (Derzeit gliedert sich das Sozialgesetzbuch [SGB] in 12 Bücher, in Kürze sind jedoch weitere zu erwarten.)
Simulation und Aggravation
In diesem Gutachtenbereich ist der Untersucher mit Simulation und Aggravation besonders konfrontiert. So gibt es z. B. schon seit längerer Zeit Internetseiten, die Schulungen dazu anbieten, wie man eine Rente aufgrund psychischer Krankheit am wahrscheinlichsten bekommen kann und wie man sich bei Untersuchungen im Rahmen einer Begutachtung verhalten sollte. Wie man als Gutachter Simulation, Aggravation sowie Dissimulation erkennen und belegen kann, ist den einschlägigen Lehrbüchern zu entnehmen und wird im Kapitel»Einsatz und Anwendung testpsychologischer Untersuchungen im Rahmen psychiatrischer Gutachten« erwähnt ( Kap. 7).
Cave: Begrifflichkeiten!
Das SGB beinhaltet viele sehr ähnlich lautende Fachbegriffe, die unterschiedliche Bedeutungen haben und verschiedenen Rechtsbereichen des Sozialgesetzes angehören. Diese sollte man vor Begutachtung in Lehrbüchern nachlesen und sorgfältig und korrekt verwenden!
Als Beispiel für die Notwendigkeit der Kenntnis der Fachbegriffe des Sozialrechts ist aufzuführen, dass die volle oder teilweise Erwerbsminderung eine Begrifflichkeit der gesetzlichen Rentenversicherung darstellt, wohingegen die Minderung der Erwerbsfähigkeit ein Rechtsbegriff aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist. Auch unterscheiden sich die Begrifflichkeiten im SGB in ihrem jeweiligen Bezug, wie z. B. die Leistungsfähigkeit »unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes« (SGB VI, § 43, Rente wegen Erwerbsminderung) versus die im zuletzt ausgeübten Beruf oder aber die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Insofern sollte man sich vor Aufnahme der gutachterlichen Tätigkeit genau belesen, wonach überhaupt gefragt ist und was zu beurteilen ist. Ähnliches gilt für die Frage, wann etwas im sogenannten »Vollbeweis« belegt werden muss und wann eine »überwiegende Wahrscheinlichkeit« ausreicht. »Darüber hinaus ist im gutachterlichen Kontext entsprechend den rechtlichen Vorgaben eine Unterscheidung zwischen Erst- und Folgeschaden (auch als Primär- und Sekundärschaden bezeichnet) erforderlich, nachdem der Erstschaden in allen Rechtsbereichen im sog. Vollbeweis, d. h. ohne vernünftigen Zweifel, nachzuweisen ist. Demzufolge ist zwischen einer psychischen Störung infolge des Unfallereignisses selbst – mit psychischem Erstschaden – und einer (mittelbaren) psychischen Störung infolge einer körperlichen Unfallschädigung, die dann den Erstschaden darstellt, zu unterscheiden.« (Widder 2017, S. 217)
Tipp zum Vorgehen für »Einsteiger« in die sozialrechtliche Begutachtung
Zusammenfassend erscheint es bei Gutachten im Sozialrecht für einen (noch) nicht erfahrenen Untersucher am sinnvollsten, sich als allererstes zu vergegenwärtigen, auf welchem Rechtsbereich des Sozialrechts man sich bewegt und somit ob es sich um ein kausales oder finales Gutachten handelt, was im »Vollbeweis« belegt werden muss und wann hingegen eine »überwiegende Wahrscheinlichkeit« ausreicht. (Diese Aspekte an dieser Stelle zu erklären, würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Es kann nur eine Arbeitsanleitung gegeben werden, wie man in diese komplexe Thematik am besten hineinkommt.)
Der psychiatrische Sachverständige ist oft damit beauftragt, den Grad der Behinderung (GdB) oder die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu beurteilen. Hier muss man in den entsprechenden Tabellen nachlesen, z. B. welche Spannweite des GdB der Gesetzgeber für bestimmte Erkrankungen vorsieht. So ist z. B. in der aktuellen Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu lesen ((Versorgungsmedizinverordnung [VersMedV], Versorgungsmedizinische Grundsätze 2020, S. 38): Tab. 4)
Tab. 4: GdB-Werte am Beispiel der Schizophrenie und affektiven Psychosen
Der GdB wird nach Zehnergraden abgestuft. Stellt man mehrere GdB-Werte z. B. bei Vorliegen verschiedener Diagnosen fest, so werden diese GdB-Werte nicht einfach addiert. 50 GdB + 30 GdB ist somit nicht gleich 80 GdB, sondern die Gesamtbildung ist komplex: »Bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen ist ausgehend von der stärksten Beeinträchtigung der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen.« (vgl. Venzlaff et al. 2021, S. 586)
ICF
Bei vielen sozialmedizinischen Fragestellungen, wie z. B. bei der Frage nach der Erwerbsfähigkeit sollte ein sogenanntes positives und negatives Leistungsbild im Rahmen der Untersuchung erstellt werden. Vereinfacht gesagt beschreibt dieses, was ein Proband noch kann und was er nicht mehr kann. Für viele sozialmedizinische Fragestellungen ist die Anwendung des sogenannten ICFs (International Classification of Functioning) zu empfehlen (z. B. auch als sog. »Mini-ICF-APP«), ein Rating für Aktivitäts- und Partizipationsbeeinträchtigungen bei psychischen Erkrankungen.
2.2 Beispielgutachten aus dem Sozialrecht
2.2.1 Beispielgutachten 1 aus dem Sozialrecht (vollständig wiedergegeben)
• Fragestellung(en): Fragenkatalog zum Grad der Behinderung (GdB)
– Diagnose(n) sowie Differenzialdiagnose(n) nach ICD-10: Rezidivierende depressive Störung (ICD-10: F33), generalisierte Angststörung (ICD-10: F41.1), Angst und Depression gemischt (ICD-10: F41.2)
• Delikt: entfällt
Überblick in Kürze
Zur besseren Verständlichkeit in aller Kürze: Herr Muster hatte aufgrund verschiedener Krankheitsbilder ab dem 01.01.2006 einen Gesamt-GdB von 100 erhalten, welcher ab Januar 2011 auf 60 reduziert worden war. Wegen dieser GdB-Reduktion hatte der Proband zunächst mehrfach Widerspruch eingelegt, der aber stets abgelehnt worden war. Daher hatte er Klage gegen diese Reduktion eingelegt. Das Gutachten sollte den Gesundheitszustand des Probanden und die entsprechenden GdB-Werte beurteilen. In diesem Gutachtenfall fanden sich zahlreiche somatische, vor allem orthopädische, Befunde und Diagnosen und es zeigte sich ein komplexer und verfahrener Krankheitsweg, wie er oftmals bei ähnlichen Fragestellungen auftaucht.
Auf Ersuchen des Sozialgerichtes Musterhausen vom 04.04.2014 erstatten wir das folgende wissenschaftlich begründete
Psychiatrische Gutachten
über
Auf Vollständigkeit der persönlichen Angaben achten
Herrn Maximilian Muster, geboren am 01.01.1950,
wohnhaft in: Musterstraße 111 in 11111 Musterhausen, deutscher Staatsangehöriger.
Das Gutachten stützt sich in seiner Beurteilung auf die Kenntnis der vom Auftraggeber übersandten Aktenunterlagen sowie auf eine ambulante Untersuchung in der Abteilung für forensische Psychiatrie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Musteruniversität Musterhausen am 15.01.2015 von 08.30 bis 11.00 Uhr sowie von 13.00 bis 14.00 Uhr.
Arztberichte außerhalb der Aktenlag
Darüber hinaus wurden nach Einverständnis des Probanden Arztberichte über Behandlungen in der Klinik A.A. für Psychiatrie und Psychotherapie aus verschiedenen Jahren eingesehen und die entsprechenden Befunde mit in die Aktenlage aufgenommen.
Informationsquellen, die über die vom Auftraggeber verschickten Akten hinausgehen, sind zu vermerken, vgl. z. B. mit Einverständnis des Probanden angeforderte Arztberichte. In diesem Fall enthielt die Akte zwar zahlreiche medizinische Vorbefunde, diese Arztberichte fehlten jedoch.
Fragestellung
Ein für sozialgerichtliche Fragestellungen typischer »Fragenkatalog«
Gemäß dem Beschluss des Sozialgerichtes Musterhausen vom 04.04.2014 seien die folgenden Fragen zu beantworten:
1. »Ist in den gesundheitlichen Verhältnissen, die den Feststellungen im Bescheid vom 30.07.2008 zugrunde lagen, eine...
Erscheint lt. Verlag | 16.8.2023 |
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Zusatzinfo | 3 Abb., 22 Tab. |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie |
Schlagworte | Gutachtenerstellung • Psychiater • Psychiatrie • psychiatrische Methodik • Psychische Erkrankung • Psychische Erkrankungen • Psychische Gesundheit • Psychische Probleme • Psychische Störungen |
ISBN-10 | 3-17-041406-2 / 3170414062 |
ISBN-13 | 978-3-17-041406-8 / 9783170414068 |
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