BASICS Public Health (eBook)
112 Seiten
Urban & Fischer Verlag - Lehrbücher
978-3-437-09723-2 (ISBN)
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1: Public Health: Konzepte
Definition
Public Health (im deutschen Sprachraum auch: Gesundheitswissenschaften) ist „die Wissenschaft und die Praxis der Verhinderung von Krankheiten, Verlängerung des Lebens und Förderung der Gesundheit durch organisierte Anstrengungen der Gesellschaft“ (Definition der WHO nach Donald Acheson, in der deutschen Übersetzung gemäß RKI). Andere Definitionen, z. B. der Deutschen Gesellschaft für Public Health, ergänzen den Aspekt einer gerechten Verteilung und effizienten Nutzung der vorhandenen Ressourcen oder die Vielfalt der Handlungsfelder und Akteure sowie den Aspekt der Nachhaltigkeit der ergriffenen Gesundheitsmaßnahmen.
Drei wesentliche Charakteristika von Public Health sind:
- • Anwendungsbezug: Theorie und Praxis sind immer miteinander verzahnt, die Wissenschaft ist problembezogen, Maßnahmen sollten auf ihre gesellschaftlichen Folgen hin untersucht werden.
- • Bevölkerungsbezug: Im Gegensatz zur klinischen (Individual-)Medizin konzentriert sich Public Health auf die Bevölkerung. Es gibt einen System- bzw. Politikbezug.
- • Multi- bzw. Interdisziplinarität: Eine Vielfalt von beteiligten Einzeldisziplinen und Methoden sorgt für einen umfassenden Ansatz, u. a. die Epidemiologie, Sozialmedizin, Gesundheitsökonomie.
Geschichte
Der Amerikaner Charles-Edward Winslow formulierte 1920 die drei Phasen der Public Health:
- 1. Assanierung (ab ca. 1830): Entwicklung einer öffentlichen Infrastruktur, die hygienische Umwelt- und Lebensbedingungen schafft, unter anderem durch Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie Beseitigung von Abfällen und Abwasser. Zentrale Auslöser waren unter anderem der Cholera-Ausbruch in London 1854 (John Snow) oder die Typhus-Epidemie in Oberschlesien 1848 (Rudolf Virchow).
- 2. Bakteriologie (ab ca. 1900): Entwicklung von bevölkerungsbezogenen Strategien zur Unterbrechung von Infektionsketten, z. B. durch Isolation oder Impfung.
- 3. Persönliche Hygiene (ab ca. 1920): Fokus auf die Förderung einer individuellen, gesunden Lebensweise. Zunehmender Fokus auf Screening und Prävention nichtinfektiöser Erkrankungen.
Entwicklung in Deutschland
In Deutschland stellte Johann Peter Frank bereits 1790 den Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit heraus und forderte, dass die Gesundheitssicherung eine staatliche Verwaltungsaufgabe sein müsse („medizinische Polizey“) und dass Ärzte lokale Informationen zur Bevölkerungsgesundheit erheben sollten („medizinische Topographie“). Dies bereitete den Weg für die heutige Gesundheitsberichterstattung.
Im 19. Jahrhundert entstand dann die „soziale Medizin“, deren führende Vertreter in Berlin die beiden Ärzte und Sozialreformer Salomon Neumann und Rudolf Virchow waren.
In München erhielt zeitgleich Max von Pettenkofer den ersten Lehrstuhl für Hygiene. Er prägte unter anderem den Begriff der Sozialhygiene, die Einflüsse von Lebensverhältnissen auf die Ausbrüche und Verläufe von Infektionskrankheiten untersuchte. Anfang des 20. Jahrhunderts war Deutschland auf dem Gebiet der Hygiene führend, so besuchten im Jahr 1911 über 5 Millionen Menschen die Hygiene-Ausstellung in Dresden (→ Abb. 1.1 ). Auf diese Zeit geht auch die Einrichtung kommunaler Gesundheitsämter zurück.
Bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten gab es Verbindungen zwischen den Konzepten der Sozialhygiene und der Eugenik bzw. Rassenhygiene, erste eugenisch motivierte Sterilisationen wurden 1890 in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich durchgeführt. Nach 1933 wurde dies jedoch mit unvorstellbarer Konsequenz und Grausamkeit umgesetzt, durch Massensterilisierungen und Genozid.
In der Nachkriegszeit geriet die bevölkerungsbezogene Perspektive auf Gesundheit in der Bundesrepublik Deutschland zunächst aus dem Fokus, auch aufgrund der Rolle der „Volksgesundheit“ in der NS-Zeit. Erst in den 1980er-Jahren kam es wieder zu einer intensiven wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Wiederbelebung der Public Health. Der englische Begriff „Public Health“ wurde verwendet, um Assoziationen mit durch die NS-Zeit belasteten Begriffen wie „Sozialhygiene“ oder „Volksgesundheit“ zu vermeiden.
New Public Health
Mit der Verabschiedung der Ottawa-Charta 1986 erfolgte eine Neuausrichtung der Public Health. Der Fokus der „Old“ Public Health lag insbesondere auf der Prävention von Erkrankungen in besonders vulnerablen, gesundheitlich unterversorgten Bevölkerungsgruppen, mit Ansätzen der Hygiene.
Die New Public Health erweiterte nun den Fokus: auf die gesamte Bevölkerung und das gesamte Spektrum der Gesundheitsversorgung, insbesondere der Gesundheitsförderung. Zur Epidemiologie kommen nun auch Disziplinen wie Gesundheitssystem- und Versorgungsforschung, Gesundheitsmanagement oder Gesundheitsökonomie hinzu (→ Abb. 1.2). New Public Health wird daher auch als „öffentliche Gesundheitspolitik“, in Abgrenzung zur Old Public Health und deren Fokus auf „öffentlicher Hygienepolitik“ verstanden.
Elemente der Old Public Health finden sich jedoch weiterhin in der öffentlichen Gesundheitsversorgung, z. B. bei Schutzmaßnahmen aufgrund von (drohenden) Epi- oder Pandemien (→ Kap. 40).
Flussaufwärts-Flussabwärts-Gleichnis
Das Flussaufwärts-Flussabwärts-Gleichnis ist eine Parabel, die in unterschiedlichen Versionen existiert (→ Abb. 1.3). Sie soll die Rolle der Public Health im Vergleich zur klinischen Medizin illustrieren: Eine Ärztin steht am Ufer eines reißenden Flusses und hört laute Schreie eines Ertrinkenden, der den Fluss hinuntertreibt. Sie springt in die Fluten, rettet die Person, schafft es, sie hinauszuziehen und wiederzubeleben. Kaum ist ihr dies gelungen, hört sie erneut Schreie aus dem Fluss, springt wieder in den Fluss, wiederum rettet sie einen Ertrinkenden nur knapp. Unmittelbar hiernach hört sie erneut Hilferufe, rettet wiederum eine Person gerade noch aus dem Wasser. So geht es den ganzen Tag, ohne Pause und ohne dass die Ärztin es schafft, flussaufwärts hinter der Biegung nachzusehen, warum so viele Menschen in das Wasser fallen. Vielleicht ist eine Brücke morsch oder die Bewohner flussaufwärts haben nicht gelernt zu schwimmen?
Vereinfacht gesagt, rettet die Medizin die Menschen flussabwärts, die Public Health hingegen sucht flussaufwärts nach den Gründen, warum die Menschen ins Wasser fallen, und versucht, diese zu reduzieren.
Zentrale Aufgaben der Public Health
Die WHO Europa hat fünf zentrale Aufgaben (Essential Public Health Operations, EPHO) im Bereich der öffentlichen Gesundheit formuliert sowie fünf übergeordnete Themen, die die Erbringung dieser Aufgaben ermöglichen sollen.
Die fünf zentralen Aufgaben sind:
- 1. Surveillance (Überwachung) von Gesundheit und Wohlbefinden der Bevölkerung
- 2. Beobachtung von Gesundheitsgefahren und gesundheitlichen Notlagen und Gegenmaßnahmen
- 3. Gesundheitsschutzmaßnahmen (u. a. in den Bereichen Umwelt-, Arbeits- und Nahrungsmittelsicherheit)
- 4. Gesundheitsförderung, einschließlich Maßnahmen in Bezug auf soziale Determinanten und gesundheitliche Maßnahmen
- 5. Krankheitsprävention, einschließlich Früherkennung
Diese Aufgaben sollen ermöglicht werden durch folgende fünf Maßnahmen:
- 1. Gewährleistung von gesundheitsorientierter Politikgestaltung und Steuerung (Governance)
- 2. Gewährleistung einer ausreichender Zahl von Fachpersonal in der öffentlichen Gesundheit
- 3. Nachhaltige Organisations- und Finanzierungsstrukturen
- 4. Öffentlichkeitsarbeit und soziale...
Erscheint lt. Verlag | 14.2.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Studium ► 2. Studienabschnitt (Klinik) ► Humangenetik |
ISBN-10 | 3-437-09723-7 / 3437097237 |
ISBN-13 | 978-3-437-09723-2 / 9783437097232 |
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