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Humanistische Psychotherapie -  Jürgen Kriz

Humanistische Psychotherapie (eBook)

Grundlagen - Richtungen - Evidenz

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
203 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-036565-0 (ISBN)
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Humanistische Psychotherapie umfasst viele bekannte Ansätze wie Gesprächspsychotherapie bzw. Personzentrierte Psychotherapie, Gestalttherapie, Psychodrama, Transaktionsanalyse, Existenzanalyse/Logotherapie und Körperpsychotherapie. Zu jedem Ansatz gibt es zahlreiche Werke. In diesem Buch wird nun erstmals das historisch gewachsene Wurzelgeflecht aus gemeinsamen Konzepten aufgezeigt, die das ganzheitlich-humanistische Menschenbild fundieren. Mit neueren Erkenntnissen verbunden - u.a. aus der Säuglingsforschung, der Biosemiotik und der Systemtheorie - zeichnet der Autor ein konsistentes Gesamtbild der Humanistischen Psychotherapie. Ergänzt wird dies durch eine kurze Darstellung der einzelnen Ansätze sowie einiger Konsequenzen für die wissenschaftliche Diskussion zu ihrer Evidenz. 'Jürgen Kriz legt mit diesem Buch einen überfälligen und wichtigen Beitrag zur Etablierung der Humanistischen Psychotherapie (HPT) als einer der vier Grundorientierungen der Psychotherapie vor.' (Peter Schulthess, Psychotherapie-Wissenschaft 13 (1) 2023, S. 97-98)

Prof. Dr. phil. Jürgen Kriz ist emeritierter Professor für Psychotherapie und Klinische Psychologie an der Universität Osnabrück.

Prof. Dr. phil. Jürgen Kriz ist emeritierter Professor für Psychotherapie und Klinische Psychologie an der Universität Osnabrück.

A1 Was ist Humanistische Psychotherapie (HPT)?


A1.1 Phänomenologische Grundhaltung und Menschenbild


Die Humanistische Psychotherapie (HPT) versteht sich als eine der vier psychotherapeutischen Grundorientierungen. Wie auch in den drei anderen – der psychodynamischen, der behavioralen und der systemischen Grundorientierung – haben sich in der HPT in Jahrzehnten professioneller Psychotherapie unterschiedliche Ansätze entwickelt. Ein wesentlicher gemeinsamer Kern ist eine phänomenologische Haltung, verbunden mit einem spezifischen Menschenbild.

Diese Haltung resultiert ideengeschichtlich aus dem philosophischen Ansatz der »Phänomenologie«, die von Edmund Husserl (1859 – 1938) Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt wurde. Seit Husserls bedeutenden Werken vor hundert Jahren ist die Phänomenologie allerdings heute als Strömung mit einer »Vielzahl von Nebenarmen« zu sehen (Wendt 2021, 306): eine »heteromorphe – d. h. gestaltenreiche – Bewegung« mit »hermeneutischen und existenzphilosophischen Spielarten«. Aus diesem Grunde müssen wir im vorliegenden Band auch nicht die philosophischen Tiefen und Feinheiten der Phänomenologie ausleuchten, sondern können eine moderat-praxisorientierte Erläuterung von Graumann aus seinem Beitrag zur »Phänomenologischen Psychologie« nutzen. Auf die Frage, was wir berücksichtigen müssen, wenn wir Gefühle und Handlungen verstehen bzw. erklären wollen, führt Graumann (1988, S. 539) unter Verweis auf Nuttin (1973) aus:

»Es genügt bei der Analyse von Verhalten nicht (wie es im behavioristischen Forschungsprogramm versucht wurde), es nur so aufzufassen, als stünde es unter der Kontrolle von physischen Stimulusbedingungen. Vielmehr gilt: ,Verhalten ist eine sinnvolle Antwort auf eine Situation, die ihrerseits für das Subjekt Sinn hat. Diese sinnvolle Situation ist eine Konstruktion des Subjekts' (Nuttin 1973, S. 175 f), bzw. soziale Konstruktion von mehreren Subjekten, die – in sozialer Interaktion stehend – ihre jeweilige Situation definieren, ...bzw. aushandeln. Dass etwas für jemanden Sinn hat oder bekommt, wird also weder subjektiv aus der (Psyche der) Person noch objektiv aus der Sache erklärt, sondern aus der ...Person-Umwelt-Interaktion.«

Die phänomenologische Haltung der HPT besagt somit, dass der Mensch in seiner subjektiven Bedeutungsgebung im Zentrum des psychotherapeutischen Verstehens, Erklärens und Handelns, sowie des damit verbundenen Forschens steht. Dabei wird zugleich hervorgehoben, dass diese »subjektive Bedeutungsgebung« weder allein aus »inneren Prozessen« des Menschen noch allein aus äußeren Gegebenheiten und Sozialbeziehungen kommt, sondern stets als interaktives Zusammenwirken beider gesehen werden muss (▸ Kap. A7). Dieses Zusammenwirken von inneren, körperlichen Vorgängen und äußeren Anforderungen und Deutungsmustern lässt für den konkreten Menschen die o. a. »sinnvolle Antwort« auf eine subjektiv sinnvolle Situation entstehen. Aus der Forschung über psychische (oft als Basis auch der physischen) Gesundheit unter dem Begriff Salutogenese (Antonovsky 1997) wissen wir, dass dort, wo eine solche Kohärenz aus sinnvoll empfundenen Situationen typisch ist, Menschen eine große Widerstandkraft gegen schädigende Einflüsse haben. Wo dies aber chronisch nicht gelingt – etwa in Folge von traumatischen Erlebnissen –, ist der Mensch stark verletzlich (vulnerabel).

Mit ihrer phänomenologischen Haltung ist die HPT deutlich von den anderen Grundorientierungen zu unterscheiden. Denn was das Subjekt in einer Situation als sinnvoll ansieht bzw. empfindet, ist nicht (allein) durch äußere Reize und »Faktoren« bestimmt, und auch nicht durch das, was Außenpersonen in Forschungsdesigns herausgefunden und in Form von Manualen als Interventionen vorgeben, wie es für den behavioralen Ansatz typisch ist. Es ist aber auch nicht (allein) durch biologische Triebe und deren psychodynamisches Zusammenspiel erfassbar, wie es im psychodynamischen Ansatz der Fall ist – besonders wenn der Blick auf psychopathologische Erklärungsmuster nicht auch die Ressourcen, salutogenetischen Dynamiken und Selbstregulationspotentiale mitberücksichtigt. Letztlich kann der subjektive Sinn aber auch nicht (allein) durch die Strukturen interpersoneller Dynamiken erklärt und verstanden werden, worauf der systemische Ansatz eher fokussiert. Wobei konzediert werden darf, dass reale Therapien inzwischen ohnedies weit konzeptübergreifender und integrativer verlaufen, als es die Lehrbuchdebatten unter der Fragestellung möglichst sauberer Abgrenzung und der in Deutschland betriebene Konkurrenzkampf zwischen sogenannten »Verfahren« erscheinen lassen.

Die Konsequenz der phänomenologischen Haltung ist, den zu therapierenden Menschen bei seiner Erforschung innerer, körperlicher Prozesse und deren symbolisierender Einordnung in einen Sinnzusammenhang achtsam zu begleiten und für diese Prozesse ggf. Anregungen zu geben. Wobei, nochmals betont sei, dass ein solcher Sinnzusammenhang nicht losgelöst von sozialen und materiellen Anforderungen und Strukturen, von der biografischen Vergangenheit und den Möglichkeiten der Zukunft und vielem Weiteren »in der Welt« gefunden werden kann. All diese Gegebenheiten in der Welt sind mitbestimmend, aber sie determinieren nicht das, was der Mensch als sinnvoll empfindet. Und er ist damit frei, angesichts und trotz aller Umstände bestimmen zu können – und zu müssen –, als wen er sich selbst in dieser Welt sehen will. Letzteres ist die »existenzielle Freiheit«, die vom existenzanalytischen Ansatz in der HPT besonders betont wird (Längle 2021).

Diese kurzen Ausführungen zeigen, dass allein schon aus der phänomenologischen Haltung sehr viel darüber folgt, wie in der HPT die Therapeut:innen ihre Patient:innen1 sehen. Zur Charakteristik des damit verbundenen Menschenbildes werden oft die »Basic Postulates and Orientation of Humanistic Psychology« von James Bugental (1964) zitiert, welcher als erster Präsident der 1962 gegründeten »Association for Humanistic Psychology (AHP)« wirkte (siehe ▸ Kap. A2). Bei den folgenden elf Grundsätzen geht es bei den ersten fünf um das Menschenbild der HPT, die folgenden sechs charakterisieren deren wissenschaftliche und methodische Orientierung. Auch diese letzteren sind bemerkenswert, weil daran deutlich wird, dass die AHP keineswegs wissenschaftsfeindlich war oder die anderen Verfahren ausgrenzen wollte. Vielmehr ging es der AHP um eine Ergänzung der Perspektiven anderer Verfahren und um wesentliche Fragen, welche den Menschen ausmachen.

Da solche Postulate sprachlich und terminologisch gewöhnlich sehr prägnant und gleichzeitig bedeutungsvoll sind, werden sie hier sowohl im Original als auch mit freierer Übersetzung referiert. Bugental selbst – und viele, die sich darauf bezogen haben (z. B. Hutterer 1998) – haben diese Postulate weiter kommentiert. Wenn man so will, stellt dieses Buch (besonders Teil A) eine umfassende Erläuterung (auch) dieser Postulate dar.

Elf Grundsätze der Humanistischen Psychologie
(Basic Postulates and Orientation of Humanistic Psychology) nach Bugental (1964)

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    Man, as man, supercedes the sum of his parts (der Mensch ist in seinem Wesen mehr, als was die Aufsummierung seiner Teile ergeben würde).

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    Man has his being in a human context (der Mensch ist in seiner Existenz nur im Kontext anderer Menschen zu sehen).

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    Man is aware (der Mensch lebt (reflexiv) bewusst).

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    Man has choice (der Mensch hat Entscheidungsfreiheit).

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    Man is intentional (der Mensch lebt sinn- und zielorientiert).

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    Humanistic Psychology cares about man (die Humanistische Psychologie kümmert sich um die Belange der Menschen).

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    Humanistic Psychology values meaning more than procedure (die Humanistische Psychologie hält Fragen nach der Bedeutung von etwas für wertvoller als Fragen nach einem bestimmten methodischen Vorgehen).

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    Humanistic Psychology looks for human rather than nonhuman validations (die Humanistische Psychologie orientiert sich hinsichtlich der Gültigkeit ihrer Befunde an menschlichen Maßstäben und nicht an formalen Kriterien).

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    Humanistic Psychology accepts the relativism of all knowledge (die Humanistische Psychologie erkennt die Relativität allen Wissens an).

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Erscheint lt. Verlag 20.12.2022
Zusatzinfo 13 Abb., 1 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Gesprächspsychotherapie • Gestalttherapie • Logotherapie • Personzentriert • Psychische Erkrankungen • Psychische Probleme • Psychodrama
ISBN-10 3-17-036565-7 / 3170365657
ISBN-13 978-3-17-036565-0 / 9783170365650
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