Referenz Orthopädie und Unfallchirurgie: Knie (eBook)
996 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-243540-7 (ISBN)
1 Deformitäten, Fehlbildungen und neuromuskuläre Störungen
1.1 Kongenitale Kniegelenkluxation
H. M. Lorenz, K. Tsaknakis, A.-K. Hell
1.1.1 Steckbrief
Die kongenitale Kniegelenkluxation ist ein sehr seltenes Krankheitsbild. Sie ist definiert als angeborene, abnorme Überstreckbarkeit des Kniegelenks mit gleichzeitig eingeschränkter Beugefähigkeit und tritt sowohl idiopathisch als auch im Rahmen neuromuskulärer und syndromaler Grunderkrankungen auf. Therapieziele sind die Steigerung des Gesamtbewegungsumfangs zwischen maximaler Flexion und Extension auf > 90°, Reduzierung der Überstreckbarkeit bestenfalls auf 0–3° und Steigerung der Flexion auf bestenfalls > 110°, damit die gehfähigen Patienten durch die Erkrankung keine wesentlichen Einschränkungen in ihrem Alltag hinnehmen müssen. Die Therapie beginnt direkt postnatal mit konservativen Maßnahmen. In 15–58% der Fälle ist im Verlauf mindestens eine operative Intervention erforderlich ▶ [16].
1.1.2 Synonyme
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Kongenitale Kniegelenkluxation: in Abgrenzung zur traumatischen, erworbenen Kniegelenkluxation
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Genu recurvatum congenitum: Das Leitsymptom ist eine schmerzlose Überstreckbarkeit des Kniegelenks mit oder ohne Strecksteifigkeit. Meist lässt sich das Knie weder in die Neutralposition noch in eine Beugehaltung überführen.
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congenital Dislocation of the Knee
1.1.3 Keywords
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kongenitale Kniegelenkluxation
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Knieinstabilität
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Kniestrecksteife
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Extensionsbehandlung
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offene Kniereposition
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Genu recurvatum
1.1.4 Definition
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Als kongenitale Kniegelenkluxation wird eine angeborene, abnorme Überstreckbarkeit des Kniegelenks mit gleichzeitig eingeschränkter Beugefähigkeit bezeichnet.
1.1.5 Epidemiologie
1.1.5.1 Häufigkeit
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Die Inzidenz der angeborenen Kniegelenksluxation ist mit 1 auf 100000 Lebendgeburten ca. 100-mal geringer als die der angeborenen Hüftgelenksluxation ▶ [6], ▶ [7].
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Seit der Erstbeschreibung 1812 durch Chaussier (erwähnt bei Rechmann 1914) wurden wenige hundert Fälle publiziert ▶ [18].
1.1.5.2 Altersgipfel
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angeboren
1.1.5.3 Geschlechtsverteilung
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w:m = 1:1
1.1.5.4 Prädisponierende Faktoren
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keine bekannt
1.1.6 Ätiologie und Pathogenese
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Für eine genetische Komponente spricht, dass in 60–100% der Fälle zusätzliche Skelettdeformitäten und Organfehlbildungen bestehen, wie z.B. ▶ [2], ▶ [3], ▶ [7], ▶ [8], ▶ [11], ▶ [15]:
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Hüftdysplasie (bei ca. 45% der Patienten)
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Klumpfuß
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Talus verticalis
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Ellenbogenluxation
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Handdeformitäten
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Wirbelsäulendeformitäten
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Anlagestörungen des Urogenitaltrakts
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Anlagestörungen des Herzens
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Anlagestörungen des Gastrointestinaltrakts
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Zu den häufigeren neuromyopathischen oder syndromalen Grunderkrankungen zählen ▶ [2], ▶ [6], ▶ [7], ▶ [21]:
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Myelomeningozele
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Larsen-Syndrom
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spondyloepiphysäre Dysplasie
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Ehlers-Danlos-Syndrom
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Down-Syndromist
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Streeter-Syndrom
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Symptomkomplex der Arthrogryposis multiplex congenita
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Die Ursache ist auch 200 Jahre nach der Erstbeschreibung nicht bekannt. Offenbar existiert ein Subtyp ohne und ein Subtyp mit morphologischen Veränderungen ▶ [11]. Ersterer spricht in der Regel gut auf eine konservative Therapie an, bei Letzterem sind operative Korrekturen erforderlich. Es wird von unterschiedlichen intraoperativen Auffälligkeiten berichtet, von denen eine Fibrose großer Teile des M. quadriceps die führende Pathologie zu sein scheint. Beschrieben wurden ▶ [1], ▶ [2], ▶ [3], ▶ [7], ▶ [11], ▶ [13], ▶ [15], ▶ [19], ▶ [20]:
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Fibrosierung von Teilen des M. quadriceps
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Agenesie des suprapatellaren Rezessus
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Elongation oder Agenesie der Kreuzbänder
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Seitenbandinstabilität
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generelle Bandlaxizität
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Ventralisation des Ansatzes der Hamstring-Sehnen, wodurch diese zu Kniestreckern werden.
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Gleitlagerdysplasie
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Demgegenüber fanden andere Autoren genau diese Auffälligkeiten nicht oder betrachteten sie lediglich als sekundäre Phänomene, z.B. als Folge einer passiven Überstreckung im Rahmen einer intrauterinen Fehllage ▶ [6], ▶ [11], ▶ [15], ▶ [20].
1.1.7 Klassifikation und Risikostratifizierung
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Ausgehend von überwiegend radiologischen Kriterien unterscheiden mehrere Autoren (Erstbeschreibung in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts) zwischen 3 Graden ( ▶ Abb. 1.1a–c) ▶ [3], ▶ [6], ▶ [11]:
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Grad I: Hyperextension ohne Dislokation der Gelenkfläche
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Grad II: Subluxation mit Ventralisation der tibialen Epiphyse
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Grad III: vollständige Dislokation der tibialen Epiphyse vor die Femurkondylen
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Klassifikation der kongenitalen Kniegelenkluxation nach radiologischen Kriterien.
Abb. 1.1 Ausgehend von radiologischen Kriterien unterscheiden mehrere Autoren zwischen 3 Schweregraden.
Abb. 1.1a Grad I: Hyperextension ohne Dislokation der Gelenkfläche.
Abb. 1.1b Grad II: Subluxation mit Ventralisation der tibialen Epiphyse.
Abb. 1.1c Grad III: vollständige Dislokation der tibialen Epiphyse vor die Femurkondylen.
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Nach überwiegend klinischen Befunden und dem Verlauf unterscheidet J. Finder im Jahr 1964 fünf Luxationstypen ▶ [4]:
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Typ 1: physiologische Hyperextension bis 20°, meist bis zum 8. Lebensjahr vollständig regredient
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Typ 2: bis ins Erwachsenenalter persistierende, einfache Hyperextension
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Typ 3: anteriore Subluxation mit einer Hyperextension bis 90° und einem Beugehindernis gegen die Neutralstellung
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Typ 4: Dislokation der tibialen Gelenkfläche nach ventral und kranial
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Typ 5: komplexe Varianten einschließlich einer gemischten Kategorie angeborener Krankheiten wie Ehlers-Danlos und Arthrogrypose
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2016 wurde von der Arbeitsgruppe um Mehrafshan eine neue Klassifikation publiziert, die sich an...
Erscheint lt. Verlag | 7.12.2022 |
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Reihe/Serie | Referenz | Referenz |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Orthopädie |
Schlagworte | Arthrose • Endoprothetik • Gelenkfrakturen • Knie • Kniegelenk • Kniegelenkersatz • OP-Techniken • Orthopädie und Unfallchirurgie |
ISBN-10 | 3-13-243540-6 / 3132435406 |
ISBN-13 | 978-3-13-243540-7 / 9783132435407 |
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Größe: 98,1 MB
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