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Antidepressiva absetzen (eBook)

Anleitung zum richtigen Umgang mit Dosierungsänderungen
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
152 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-11913-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Antidepressiva absetzen -  Giovanni A. Fava
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Antidepressiva wann und wie absetzen? Fakten: Etwa die Hälfte der Patient:innen leidet unter persistierenden Absetzerscheinungen. Diese können schwerwiegend und bedrohlich sein Konkretes Know-how: Alle Schritte des Absetzens vor dem Hintergrund klinischer Erfahrung und aktueller Forschung Expertise: Fava ist einer der wenigen Scientist Practitioner im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie Das Absetzen von Antidepressiva ist weitaus schwieriger als ihre Verschreibung. Menschen, bei denen Entzugsphänomene auftreten, werden vor allem von medizinischer Seite oft allein gelassen. Fava, ein international renommierter Psychiater, stellt in diesem Buch drei Module vor, die das Absetzen der Medikamente erleichtern bzw. die Symptome dessen möglichst gering halten. Mit Hilfe aktueller Forschungsergebnisse und Falldarstellungen lernen Sie einzuschätzen, inwiefern Ihre PatientIn auf das Absetzen reagieren wird. Was ist angemessen, welche Gegenanzeigen gibt es für das Absetzen, welche Gegenanzeigen für das Fortsetzen? Wie kann die Dosisreduzierung durchgeführt werden, welche Optionen gibt es? Seite für Seite wird deutlicher, worauf es ankommt und dass präventive Maßnahmen gegen Medikamentenabhängigkeit und Entzugsphänomene durchaus möglich sind!

Giovanni A. Fava Prof. Dr. med., Psychiater und Psychotherapeut von internationaler Bekanntheit, ist der Entwickler der WBT und Professor an der Universià di Bologna. Herausgeber einer der meist zitierten Zeitschriften im Bereich Psychotherapie und Psychosomatik.

Giovanni A. Fava Prof. Dr. med., Psychiater und Psychotherapeut von internationaler Bekanntheit, ist der Entwickler der WBT und Professor an der Universià di Bologna. Herausgeber einer der meist zitierten Zeitschriften im Bereich Psychotherapie und Psychosomatik. Wulf Bertram, Dipl.-Psych. Dr. med., geb. in Soest/Westfalen, Studium der Psychologie, Medizin und Soziologie in Hamburg. Zunächst Klinischer Psychologe im Universitätskrankenhaus Hamburg Eppendorf, nach Staatsexamen und Promotion in Medizin Assistenzarzt in einem Sozialpsychiatrischen Dienst in der Provinz Arezzo/Toskana, danach psychiatrische Ausbildung in Kaufbeuren/Allgäu. 1986 wechselte er als Lektor für medizinische Lehrbücher ins Verlagswesen und wurde 1988 wissenschaftlicher Leiter des Schattauer Verlags, 1992 dessen verlegerischer Geschäftsführer. Aus seiner Überzeugung heraus, dass Lernen Spaß machen muss und solides Wissen auch unterhaltsam vermittelt werden kann, konzipierte er 2009 die Taschenbuchreihe "Wissen & Leben", in der mittlerweile mehr als 50 Bände erschienen sind. Bertram hat eine Ausbildung in Gesprächs- und Verhaltenstherapie sowie in Psychodynamischer Psychotherapie und arbeitet als Psychotherapeut in eigener Praxis. Für seine "wissenschaftlich fundierte Verlagstätigkeit", mit der er im Sinne des Stiftungsgedankens einen Beitrag zu einer humaneren Medizin geleistet hat, in der der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit im Mittelpunkt steht, wurde Bertram 2018 der renommierte Schweizer Wissenschaftspreis der Margrit-Egnér-Stiftung verliehen.

Zum Geleit


Der einfachste Weg, Absetzsymptome von Antidepressiva zu vermeiden, wäre, sie gar nicht erst zu verschreiben. Wobei das in vielen Fällen ohnehin die bessere Idee ist.

Aber der Reihe nach. Denn wahr ist auch, dass Antidepressiva lebensrettende Medikamente sind. Der Berufsverband der psychiatrischen Disziplinen schätzt, dass bei 30–70 % der jährlich konstant um 10 000 schwankenden Suizide (vor Corona!) eine Depression zugrunde lag. Dass solche Selbsttötungen durch eine rechtzeitige und fachgerechte Gabe von Antidepressiva verhindert werden können, ist wahrscheinlich. Wie viele Leben dadurch gerettet werden, kann nur spekuliert werden.

Doch Antidepressiva haben ihren Wert nicht nur in solchen existenziellen Situationen. An Depressionen litten 2022 in Deutschland 11,3 % der Frauen und 5,1 % der Männer (AOK Bundesverband). Insgesamt waren im Laufe eines Jahres 8,2 % der deutschen Bevölkerung neu erkrankt, das entspricht 5,3 Mio. der Bundesbürgerinnen und -bürger. Was diese Krankheit für die betroffenen Individuen bedeutet, muss man entweder selbst erfahren haben oder kann es aus den zahlreichen, auch literarischen Schilderungen von Betroffenen erfahren: Der niederländische Psychiater Piet C. Kuiper, selbst Psychiater, war der Erste, der sich outete und in seinem Buch »Seelenfinsternis« (1992) die Innenwelt eines depressiven Menschen schilderte: Bodenlose Einsamkeit, grundlose, quälende Schuldgefühle, völlige Unfähigkeit, sich über irgendetwas auf dieser Welt zu freuen, bis hin zu dem Gefühl, ein wandelnder Toter zu sein, kennzeichnen Stimmung und Erleben depressiver Menschen.

Kuiper verordnete sich damals selbst einen MAO-Hemmer als Antidepressivum. Er wurde wieder gesund, aber es kann nicht sicher geschlossen werden, ob das Medikament, vor dem er zuvor selbst stets gewarnt hatte, tatsächlich half oder ob die Besserungen, die sich einstellten, auf der Tatsache beruhte, dass alle Depressionen irgendwann ohnehin abklingen. Aber dann auch wieder rezidivieren können.

Die Auswahl der Antidepressiva war zu Kuipers Zeit noch sehr überschaubar. Inzwischen zählen die Websites der Apotheken mindestens 20 verschiedene Präparate auf. Das ist die Klaviatur, auf der Psychiater:innen spielen müssen. In den 1990er-Jahren gab es einen Innovationsschub mit der Entwicklung von reversiblen MAO-Hemmern, Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und wenig später von Noradrenalin-Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (NSRI). Diese Gruppe von Medikamenten zeigte einige Vorteile gegenüber den bis dahin marktbeherrschenden Trizyklika (TZA). Diese machten vielen Patient:innen mit erheblichen Nebenwirkungen zu schaffen, wie starke Mundtrockenheit, Herzrasen, Obstipation, Harnverhaltung, Herzrhythmusstörungen und orthostatische Dysregulation.

Die meisten der TZA waren bereits in den 1980er-Jahren aus dem Patentschutz gelaufen und nicht mehr von großem ökonomischen Interesse für die Pharmafirmen, obwohl sie in Klinik und Praxis noch regelmäßig und durchaus erfolgreich angewandt wurden. Die Entdeckung, dass es möglich war, mit bestimmten Substanzen die Inaktivierung des Neurotransmitters Serotonin im synaptischen Spalt zu verhindern und dadurch dort dessen Konzentration zu erhöhen, führte zum Design einer Vielzahl von neuen Medikamenten, die auf diesem Prinzip beruhten. Sie leiteten einen neuen Therapie- und Pharmaboom ein. Da der Wirkungsmechanismus bei allen SSRI letztlich gleich war, musste die Pharmaindustrie bei ihrem Marketing viel Fantasie entwickeln, um mögliche Alleinstellungsmerkmale oder wenigstens Wirkungsschwerpunkte herauszustellen.

Da wurde beispielsweise 1990 ein Antidepressivum eingeführt, das angeblich auch besonders gegen die soziale Phobie wirken sollten, und – welch Zufall! – kurz zuvor war eine neue Diagnose »generalisierte soziale Phobie« in das DSM-III (1987) aufgenommen worden. Eine andere strategische Meisterleistung einer Pharmafirma bestand darin, ein »Sisi-Syndrom« zu inaugurieren, benannt nach Kaiserin Elisabeth von Österreich und Ungarn. Sisi soll im Wesenskern depressiv gewesen sein, hätte ihre Krankheit aber perfekt mit betonter Lebhaftigkeit, wilden Ausritten, weiten Reisen und der Produktion von Gedichten im Stil von Heinrich Heine kompensieren und kaschieren können. Das Sisi-Syndrom schaffte es zwar nicht in die offiziellen Diagnoseklassifikationen, wurde aber in der Laienpresse begierig aufgegriffen. Es weckte Hoffnungen besonders bei Patientinnen, die vielleicht überfordert und mit ihrem Leben unzufrieden, aber bemüht waren, eine perfekte und attraktive Fassade aufrechtzuerhalten. Auch deren Ärztinnen und Ärzte schienen froh zu sein, diesem »undankbaren Patientengut« etwas scheinbar Maßgeschneidertes anbieten zu können. Das entsprechende Antidepressivum erlebte einen Höhenflug. Ob es nicht besser gewesen wäre, wenn die betroffenen Patientinnen eine professionelle psychologische Beratungen aufgesucht oder eine Psychotherapie begonnen hätten, steht auf einem anderen Blatt.

Eine mächtige, von der Pharmaindustrie lancierte und finanzierte »Fortbildungswelle« – mit Tagungen und Workshops auf griechischen Inseln, in Sternerestaurants, Weltkulturerbe-Locations, Medici-Villen, Unikliniken, auf Satellitensymposien bei großen Psychiatriekongressen und weiteren attraktiven Destinationen – rollte über das Land. Psychiatrische Ordinarien und Chefärzte großer Landeskrankenhäuser (im Teilnehmerjargon »Leihmäuler« genannt) priesen auf Kongressen und »Fortbildungsreisen« die neuen Medikamente, betonten deren Spezialitäten, mit denen sie sich scheinbar von anderen abhoben, wiesen auf ihre geringen Nebenwirkungen hin, präsentierten Mengen von PowerPoint-Folien mit Studien, in denen das jeweilige Medikament anderen und Placebo ohnehin überlegen gewesen war. Parallel dazu schwärmten die Pharmareferenten aus und besuchten die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, teilten ihre Empfehlungen, Hochglanzprospekte und nicht nur Kugelschreiber aus. Auch in der Laienpresse und in reißerischen Buchpublikationen wurden die SSRI als Sensation vorgestellt, zum Teil sogar als Glückspille (Prozac). Dadurch entstand auch von Seiten der Patient:innen Druck auf die Mediziner:innen, diese Wundermittel zu verschreiben. Und es funktionierte. Das Verordnungsvolumen stieg deutlich und stetig an. Während 2006 bei berufstätigen Erwachsenen noch 12,8 Tagesdosen je Versicherungsjahr verordnet wurden, waren es 2021 25,8 Tagesdosen je Versicherungsjahr. Das sind stattliche 101,3 % mehr als zu Beginn der Erhebung (Quelle: Gesundheitsreport der Techniker-Krankenkasse). Inzwischen schluckt jede:r achte bis zehnte Patient:in in Deutschland Antidepressiva (oder bekommt sie zumindest verschrieben).

In der psychiatrischen und epidemiologischen Literatur wird seit Jahren diskutiert, ob die Depression als Krankheit zugenommen hat oder ob sie nur früher und häufiger diagnostiziert wird, weil sowohl die Ärztinnen und Ärzte als auch die Betroffenen besser informiert sind und die Patient:innen sich eher trauen, professionelle Hilfe aufzusuchen und weniger ein Tabu aus ihrem Leiden machen. Wahrscheinlich stimmt beides, innerhalb der Wachstumsrate mag eine tatsächliche Zunahme neuer depressiver Erkrankungen enthalten sein. Aber ein so steiler Anstieg der Verschreibungen lässt sich nicht allein dadurch erklären. Die Depression ist keine ansteckende Infektionskrankheit, die sich epidemieartig von Mensch zu Mensch ausbreitet. Demnach kann diese Steigerungsrate nur bedeuten, dass reichlich Antidepressiva verschrieben werden, die fehlindiziert sind. Die tatsächlich geringen Nebenwirkungen der SSRI und NSRI führen nicht zu Adhärenz-Problemen, sondern erlauben auch den Patient:innen, die ein Antidepressivum eigentlich nicht nötig hätten, es über längere Zeiträume problemlos einzunehmen. Den meisten Menschen geht es nach einer Krise im Berufsleben oder Partnerschaft mit einem nachfolgenden Stimmungstief ohnehin irgendwann besser, egal ob sie Antidepressiva oder Emser Pastillen eingenommen haben.

Mittlerweile wackelt zudem das gesamte Hypothesengebäude um die SSRI und NSRI-Wirkungen. Metaanalysen einschlägiger Studien haben beispielsweise gezeigt, dass die Konzentration dieser Botenstoffe an den angenommenen Wirkorten sich bei Depressiven und Gesunden nicht unterscheidet. Irgendwie helfen Antidepressiva aber offensichtlich dennoch bei Depressionen, und das nicht nur über einen Placeboeffekt. Nur weiß niemand genau, wie. Der schöne,...

Erscheint lt. Verlag 17.6.2023
Übersetzer Wulf Bertram
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Allgemeines / Lexika
Schlagworte Antidepressiva • Antidepressiva absetzen • Depression • Nebenwirkungen • nebenwirkungen antidepressiva • Psychopharmaka • Psychopharmaka absetzen • Psychopharmakologie
ISBN-10 3-608-11913-2 / 3608119132
ISBN-13 978-3-608-11913-8 / 9783608119138
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