Manuelle Medizin 1 (eBook)
672 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-240311-6 (ISBN)
1 Biomechanische und kinematische Grundlagen
U. Böhni
1.1 Definition der Bewegungen, Achsen und Ebenen
Bewegungen Im dreidimensionalen Raum existieren 2 Arten von Bewegungen ( ▶ Abb. 1.1):
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Rotation φ = Kreisbahn um eine Achse
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Die Rotation im Uhrzeigersinn ist positiv (+).
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Die Rotation im Gegenuhrzeigersinn ist negativ (–).
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Translation S = Parallelverschiebung entlang einer Achse
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Die Translation nach ventral (anterior), kranial und rechts ist positiv (+).
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Abb. 1.1 Zwei Bewegungsarten: Rotation und Translation.
(Quelle: Böhni U, Lauper M, Locher H, Baumann M, Bitterli M, Gautschi R, Grob D, Hämmerle G, von Heymann W et al. Definition der Achsen, Ebenen und Richtungen. In: Böhni U, Lauper M, Locher H, Hrsg. Manuelle Medizin 2. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2020)
Achsen Am Körper wird der Nullpunkt des Achsensystems auf die Cornua sacralia projiziert. Die 3 Achsen werden im Koordinatensystem wie folgt definiert:
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X-Achse = transversale (horizontale) Achse
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von – X links-lateral Richtung medial nach + X rechts-lateral
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Y-Achse = sagittale Achse
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von – Y posterior/dorsal nach + Y anterior/ventral
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Z-Achse = vertikale Achse
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von – Z kaudal nach + Z kranial
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Ebenen Die anatomischen Raumebenen werden im dreidimensionalen Koordinatensystem wie folgt definiert:
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XY = transversale (horizontale) Ebene
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YZ = sagittale Ebene
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XZ = frontale (koronare) Ebene
Aus den anatomischen Raumebenen ergeben sich 6 Freiheitsgrade im dreidimensionalen Raum ( ▶ Abb. 1.1):
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Rotation um die X-Achse – Flexion (positiv) und Extension (negativ)
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Rotation um die Y-Achse – Rechts- (positiv) und Linkslateralflexion (negativ), an den Extremitäten Abduktion und Adduktion
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Rotation um die Z-Achse – axiale Rechts- (positiv) und Linksrotation (negativ), an den Extremitäten Außen- und Innenrotation
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Translation entlang der X-Achse – Translation nach medial und lateral
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Translation entlang der Y-Achse – Translation nach ventral (anterior) und dorsal (posterior)
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Translation entlang der Z-Achse – Translation nach kranial und kaudal, an den Extremitäten nach distal
Abb. 1.2 Die 6 Freiheitsgrade im dreidimensionalen Raum.
(Quelle: Böhni U, Lauper M, Locher H, Baumann M, Bitterli M, Gautschi R, Grob D, Hämmerle G, von Heymann W et al. Definition der Achsen, Ebenen und Richtungen. In: Böhni U, Lauper M, Locher H, Hrsg. Manuelle Medizin 2. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2020)
1.1.1 Allgemeine Begriffe der Arthrokinematik
Die Arthrokinematik beschreibt das Verhalten zweier Gelenkpartner zueinander unter physiologischen und dysfunktionalen Bedingungen. Die alleinige Verwendung der Begriffe Rotation und Translation ist zur Beschreibung der komplexen Bewegungsabläufe nicht ausreichend. Wir haben die Bewegungsformen wie Rollen, Gleiten, Rollgleiten, Translation und Koaptation/Dekoaptation zu berücksichtigen, welche alle auf Rotation und Translation zurückzuführen sind.
Es existieren als 2 Bewegungsarten der Gelenke und Wirbelsäulensegmente im dreidimensionalen Raum ( ▶ Abb. 1.1):
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Anguläre Funktionsbewegungen sind aktive, muskulär geführte Bewegungen: Flexion/Extension, Lateralflexion und axiale Rotation sind osteokinematische Rotationsbewegungen; in den Gelenken finden dabei Roll-Gleit-Bewegungen statt ( ▶ Abb. 1.6).
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Translatorische Bewegungen erfolgen passiv als Traktionen und Gleitbewegungen ( ▶ Abb. 1.2).
Anguläre Funktionsbewegungen beinhalten an peripheren Gelenken arthokinematisch betrachtet 2 Bewegungskomponenten ( ▶ Abb. 1.6): Der konvexe Partner führt eine Rollbewegung durch und gleitet dabei gleichzeitig kontinuierlich in die entgegengesetzte Richtung, da sonst eine relative Verschiebung (Luxation) im Gelenk stattfinden würde. Da die angulären Bewegungen der peripheren Gelenke arthrokinematisch Roll-Gleit-Bewegungen ( ▶ Abb. 1.6) sind, korreliert die translatorische Beweglichkeit mit der angulären Beweglichkeit: Ist die Gleitfähigkeit (Arthrose!) eingeschränkt, wird auch das anguläre Bewegungsausmaß eingeschränkt.
1.1.1.1 Rollen, Gleiten und Translation
Abb. 1.3 Rollen, Gleiten, Rollgleiten und Translation. CR: Rotationszentrum der Bewegung zwischen den Partnern; CC: Krümmungszentrum; KP: Kontaktpunkt; Imov: Bewegungsindex als Verhältnis des Abstands zwischen Rotationszentrum und Krümmungszentrum und des Abstands zwischen Kontaktpunkt zu Krümmungszentrum. (Datenquelle: ▶ [652])
Reines Rollen entspricht der normalen Bewegung des Rades auf der Straße ( ▶ Abb. 1.3). Das Rotationszentrum der Bewegung zwischen Rad und Straße liegt beim sich kontinuierlich bewegenden Kontaktpunkt, was eine etwas schwer vorstellbare kinematische Betrachtung darstellt. Das Rotationszentrum der Bewegung liegt bei reinem Rollen dort, wo keine Bewegung stattfindet: Bei einer Rollbewegung findet am Kontaktpunkt in jedem Moment keine Bewegung statt. Es handelt sich um ein kinematisches Konzept zur qualitativen Beschreibung von Bewegungen, ohne dass der Punkt ein definitives anatomisches Korrelat hat. Das Krümmungszentrum liegt in der Nabe des Rades. Es findet eine große räumliche Verlagerung statt, so dass reines Rollen in den menschlichen Gelenken kaum zustande kommen kann, was eben durch gleichzeitiges Gleiten verhindert wird.
Gleiten entspricht dem „Durchdrehen“ des Rades auf der Straße (das Rad bleibt am gleichen Ort). Das Rotationszentrum der Bewegung zwischen Rad und Straße liegt in der Nabe und damit auf dem Krümmungszentrum. Man erkennt schon jetzt, dass Gleiten nicht das gleiche ist wie Translation: Beim Gleiten wird zwischen den Gelenkpartnern kein Weg zurückgelegt, während Translation eine Bewegung entlang einer Koordinatenachse darstellt ( ▶ Abb. 1.3). Klassisches Beispiel für praktisch reines Gleiten ist das Hüftgelenk bei Flexion/Extension, wo keine räumliche Verlagerung der Gelenkpartner stattfindet.
Die Kombination von Rollen und Gleiten, das Rollgleiten ( ▶ Abb. 1.7) findet in vielen Gelenken statt. Dabei findet ein Gleiten statt (und nicht eine Translation – Begriffsversmischungen wie translatorisches Gleiten schaffen ohnehin mehr Verwirrung). Typische Beispiele sind das Knie- und das Schultergelenk.
Translation kann beschrieben werden als eine Rotation mit einem Rotationszentrum außerhalb des Krümmungszentrums und des Kontaktpunkts – im Extremfall im Unendlichen als reiner Weggewinn entlang einer Achse ( ▶ Abb. 1.3). In der praktischen Biomechanik sind aber die meisten Translationen Rotationen mit weiter entfernten Rotationszentren. Übertragen auf das Bild des Rades und der Straße entspricht die Translation dem blockierten Rad bei Vollbremsung.
Merke
Das Rotationszentrum der Bewegung beschreibt das Bewegungsverhalten, der Kontaktpunkt gibt Auskunft über die Stellung der Gelenkspartner zueinander, und das Krümmungszentrum beschreibt die Form der Gelenkpartner ( ▶ Abb. 1.7).
Klinische Bedeutung
Die Beanspruchung der Knorpelflächen ist beim Gleiten maximal auf einen Punkt auf der konkaven Gelenkfläche konzentriert (Beispiel: Pfannenabrieb bei Koxarthrose), bei der...
Erscheint lt. Verlag | 9.11.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete |
Schlagworte | Bewegungsorgan • Biomechanik • Clinical Reasoning • Differenzialdiagnose • Halteorgan • Manuelle Medizin • Manuelle Therapie • Mobilisation • MWE • Neuroanatomie • Neurophysiologie • Orthopädie • Schmerzanalyse • Schmerztherapie • segmentale Dysfunktion • Stufentherapie |
ISBN-10 | 3-13-240311-3 / 3132403113 |
ISBN-13 | 978-3-13-240311-6 / 9783132403116 |
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