PROMETHEUS Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem (eBook)
Thieme (Verlag)
978-3-13-244415-7 (ISBN)
1 Stammes- und Entwicklungsgeschichte des Menschen
1.1 Stammesgeschichte des Menschen
A Kurzer Überblick über die stammesgeschichtliche Entwicklung des Menschen Um die Evolution des menschlichen Körpers besser zu verstehen, ist es sinnvoll, seine stammesgeschichtliche Entwicklung zurückzuverfolgen. Der Mensch und seine engsten Verwandten gehören zum Stamm der Chordatiere (Chordata) mit rund 50 000 Arten. Er besteht aus zwei Unterstämmen:
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Invertebrata (Wirbellose): Manteltiere (Tunicata) und Schädellose (Acrania oder Cephalochordata) und
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Vertebrata (Wirbeltiere).
Obwohl das Aussehen einzelner Vertreter der Chordaten stark voneinander abweicht, unterscheiden sie sich von allen anderen Tierstämmen durch charakteristische morphologische Strukturen, die zu irgend einem Zeitpunkt im Leben dieser Tiere, manchmal nur während der Embryonalentwicklung, in Erscheinung treten ( ▶ s. G). Wirbellose Chordaten wie die Cephalochordaten mit der bekanntesten Art, dem Lanzettfischchen (Branchiostoma lanceolatum), sind hinsichtlich ihrer Organisation als Modell eines primitiven Wirbeltiers zu betrachten. Sie liefern Hinweise für den Grundaufbau des Wirbeltierkörpers und sind daher für das Verständnis der gesamten Wirbeltierorganisation sehr wichtige Formen (s. D ▶ Abb. 1.3). Alle Vertreter der heutigen Wirbeltierklassen (Kieferlose, Knorpelfische, Knochenfische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere) haben zahlreiche charakteristische Merkmale gemeinsam ( ▶ s. H), u. a. die aus einer Reihe von Wirbeln aufgebaute Wirbelsäule, die der gesamten Gruppe ihren Namen gab (Vertebrata). Die Evolution eines amniotischen Eies, d. h. die Entwicklung des Embryos innerhalb einer festen Eischale und in einer mit Flüssigkeit gefüllten Amnionhöhle, verbesserte das Überleben der Wirbeltiere an Land und war somit ein besonders bedeutungsvoller Durchbruch während der Evolution. Diese Anpassung der Reproduktion ermöglichte den landlebenden Vertebraten (Reptilien, Vögel und Säugetiere), ihre Lebenszyklen vollständig an Land zu durchlaufen und die letzten Bindungen an ihre Herkunft aus dem Wasser zu lösen. Vergleicht man die Embryonen verschiedener Wirbeltierklassen, lassen sich zahlreiche morphologische und funktionelle Ähnlichkeiten erkennen, u. a. die Anlage von Kiemenbögen (s. B ▶ Abb. 1.1).
Innerhalb der Säugetiere werden drei Hauptgruppen unterschieden: Monotremata (Kloakentiere), Marsupialia (Beuteltiere) und Placentalia (Plazentatiere). Zu letzteren zählt auch der Mensch. Plazentatiere besitzen eine Reihe typischer Merkmale ▶ (s. J), u. a. investieren sie deutlich mehr Energie in die Pflege und Aufzucht ihrer Jungen. Plazentale Säugetiere beenden ihre Embryonalentwicklung innerhalb der Gebärmutter und sind während der gesamten intrauterinen Phase mit ihrer Mutter über die Plazenta verbunden. Der Mensch ist ein Angehöriger der Säugetierordnung Primates (Herrentiere), deren erste Vertreter vermutlich kleine baumlebende Säugetiere waren. Zusammen mit den Halbaffen, den Affen und den Menschenaffen besitzt er Merkmale, die ihren Ursprung in der Anpassung an eine baumlebende Lebensweise haben. So besitzen Primaten z. B. bewegliche Schultergelenke, wodurch sie sich schwingend von Ast zu Ast hangeln können, geschickte Hände, mit denen sie sich an Ästen festhalten und Nahrung bearbeiten können, sowie sich breit überlappende Sehfelder beider Augen, welche das räumliche Sehen verbessern.
B Unterschiedliche Stadien der frühen Embryonal entwicklung von Wirbeltieren
Abb. 1.1 Die frühen Entwicklungsstadien (obere Reihe) von Mensch, Vogel, Reptil, Amphibie und Fisch besitzen eine charakteristische Form, die praktisch für alle Wirbeltiere dieses Stadiums gleich ist. Auffallend ist die Übereinstimmung in der Gestalt, insbesondere bei der Anlage der Kiemen- bzw. Schlundbögen in der späteren Kopf-Hals-Region. Diese morphologische und funktionelle Ähnlichkeit von frühen Entwicklungsstadien weist auf Verwandtschaftsbeziehungen hin, d. h. die Keimentwicklung (Ontogenese) eines Wirbeltierorganismus stellt in gewisser Weise die kurze und schnelle Rekapitulation der Stammesentwicklung (Phylogenese) dar (Theorie der sog. „biogenetischen Grundregel“ von Ernst Haeckel, 1834–1919).
C Anlage der Schlund- bzw. Kiemenbögen bei einem fünf Wochen alten menschlichen Embryo
Abb. 1.2 Ansicht von links. Die Schlundbzw. Kiemenbögen sind (ähnlich wie die Somiten, die Ursegmente des embryonalen Mesoderms) metamer angelegte Grundstrukturen des Wirbeltierembryos. Das heißt, sie sind in hintereinander liegende, gleich gebaute Abschnitte gegliedert. Sie liefern u. a. das Anlagenmaterial für die artspezifische Entwicklung des Viszeralskeletts (Oberund Unterkiefer, Mittelohr, Zungenbein und Kehlkopf), der dazugehörigen Gesichtsmuskulatur sowie des Schlunddarms (s. ▶ Die Entwicklung der Schlund- (Kiemen-)Bögen beim Menschen).
D Bauplan eines Chordaten: Lanzettfischchen (Branchiostoma lanceolatum)
Abb. 1.3 Die Wirbeltiere (zu denen auch der Mensch gehört) sind ein Unterstamm der Chordatiere (Chordaten), deren typischer Vertreter das Lanzettfischchen ist. Es steht am Beginn der Evolution zu den Wirbeltieren. Zu den charakteristischen Baumerkmalen der Chordaten gehört die Ausbildung eines Achsenskeletts, der Chorda dorsalis (Rückensaite). Auch beim Menschen sind noch Reste der Chorda dorsalis erhalten, z. B. im Nucleus pulposus der Bandscheiben. Die Chorda dorsalis wird beim Menschen allerdings nur während der Embryonalentwicklung angelegt und nicht fertig ausgebildet. Daraus können sich manchmal sog. Chordome, das sind entwicklungsbedingte Tumoren, entwickeln. Dorsal der Chorda ist das röhrenförmige Nervensystem angelegt. Der Körper und insbesondere die Muskulatur besteht aus mehreren Segmenten, den Myomeren. Diese myomere Gliederung ist beim Menschen besonders gut im Rumpfbereich zu erkennen. Ferner zeichnen sich Chordaten durch einen geschlossenen Blutkreislauf aus.
G Chordatenmerkmale
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Ausbildung eines Achsenskeletts (Chorda dorsalis)
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dorsal gelegenes Neuralrohr
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segmentale Gliederung des Körpers, insbesondere der Muskulatur
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von Spalten durchbrochener Vorderdarm (Kiemendarm)
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geschlossener Blutkreislauf
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hinter dem After (postanal) liegender Schwanz
E Bauplan eines Wirbeltiers am Beispiel eines Knochenfisches
Abb. 1.4 Die Wirbeltiere stellen den Unterstamm der Chordaten dar, aus denen sich der Mensch entwickelt hat. Am Beginn der Wirbeltierevolution stehen die Fische, bei denen die Chorda dorsalis zur Wirbelsäule umgebaut wurde. Die segmental angeordneten knöchernen Wirbel der Wirbelsäule umschließen ringförmig Reste der Chorda dorsalis und verdrängen diese mehr oder weniger. Von den Wirbelkörpern gehen dorsale und ventrale Bögen aus. Die dorsalen Bögen (Wirbeloder Neuralbögen) bilden in ihrer Gesamtheit den Neuralkanal; die ventralen Bögen (Hämalbögen) formen in der Schwanzregion einen Hämalkanal für die großen Blutgefäße; in der Rumpfregion sind sie Träger der Rippen.
H Wirbeltiertypische Merkmale
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Konzentration von Nervenzellen, Sinnesorganen und Mundwerk zeugen am Kopf (Zephalisation)
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mehrteiliges Gehirn mit Hypophyse
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Ersatz der Chorda dorsalis durch die Wirbelsäule
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in der Regel zwei Extremitätenpaare
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Ausbildung von Kiemenbögen
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Auftreten von Neuralleistenzellen
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geschlossener Blutkreislauf mit ventralem, gekammertem Herz
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Labyrinthorgan mit Bogengängen
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mehrschichtige Epidermis
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Erscheint lt. Verlag | 7.9.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Studium ► 1. Studienabschnitt (Vorklinik) ► Anatomie / Neuroanatomie |
Schlagworte | Allgemeine Anatomie • Anatomieatlas • Anatomie /Mensch • Bänder • Bewegungssystem • Entwicklungsgeschichte • Faszien • Gelenke • Klinik • Knochen • Körperbau • Leitungsbahnen • Lernpaket • Medizinstudium • Muskeln • Präpkurs • Prometheus • Topografie • Vorklinik |
ISBN-10 | 3-13-244415-4 / 3132444154 |
ISBN-13 | 978-3-13-244415-7 / 9783132444157 |
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Größe: 129,5 MB
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