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Wissenschaftskompetenz in der Medizin (eBook)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
184 Seiten
Thieme (Verlag)
978-3-13-243211-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wissenschaftskompetenz in der Medizin - Christian Jassoy, Jens-Karl Eilers, Andreas Sönnichsen
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2 Grundlagen empirischer Wissenschaft


Christian Jassoy

2.1 Beobachtung und Experiment


Empirische Forschung erhebt Daten auf systematische Weise. Es gibt zwei Arten empirischer Forschung: systematische Beobachtung und Experimente ( ▶ Abb. 2.1).

Abb. 2.1 Gliederung der Forschung. Medizinische Wissenschaft ist empirische Forschung mit Beobachtung (Feldforschung) und Experiment

2.1.1 Systematisches Beobachten


Wissenschaftliches Beobachten ist die aufmerksame Wahrnehmung einer Sache verbunden mit der Erwartung, dass sich Veränderungen ereignen werden, und mit der Absicht, die Veränderungen zu erfassen und festzuhalten ▶ [2]. Beobachtungsstudien in der Medizin untersuchen zusätzlich den Zustand eines Untersuchungsobjekts in seinem normalen Zusammenhang und in seiner natürlichen Umgebung

Wenn wir im Alltag Dinge beobachten, geschieht das zu einem bestimmten Zweck. Zum Beispiel unter der Frage: „Jetzt will ich wissen, was die Katze hier vorhat.“ Ähnlich verhält es sich mit wissenschaftlichen Beobachtungen. Wissenschaftliche Beobachtungen finden unter dem Aspekt einer präzisierten Fragestellung statt, z.B. zum Überprüfen einer Hypothese. Die Beobachtungen müssen objektivierbar sein. Das heißt, andere Untersuchende müssen mit gleichen Messinstrumenten in der gleichen Umgebung die gleichen Beobachtungen machen können.

Der klassische Begriff für eine beobachtende Studie ist „Feldstudie“. In der medizinischen Forschung gibt es zahlreiche Formate solcher Studien. Beobachtungsstudien haben unterschiedliche Bezeichnungen, je nachdem, ob eine Messung zu einem einzelnen Zeitpunkt gemacht oder „etwas“ über einen längeren Zeitraum beobachtet wird, ob vorher genau festgelegt wird, was gemessen werden soll, oder ob möglichst viele Daten erfasst werden, um hinterher zu entscheiden, was davon genauer unter die ▶ Lupe genommen wird.

2.1.2 Experiment


Experimente sind Untersuchungen, bei denen ein Ereignis nach einem Plan herbeigeführt wird, um es zu beobachten. Dazu muss das Untersuchungsobjekt aktiv änderbar sein. Die Größe, die bei einem Experiment verändert wird, bezeichnet man als unabhängige Variable. Beispielsweise ist in einer klinischen Studie, in der Probanden ein neues Medikament gegen Bluthochdruck probeweise erhalten, das Medikament die unabhängige Variable. Die unabhängige Variable ist das, was bei der Planung des Experiments vorgegeben wird. Das darauf reagierende Geschehen ist die Zielgröße oder die von der Veränderung abhängige Variable. In dem Beispiel ist die abhängige Variable der Blutdruck. Die abhängige Variable ist das, was gemessen wird. In Experimenten müssen alle anderen Faktoren, die das Ergebnis beeinflussen können ( ▶ Einflussgrößen), möglichst konstant gehalten werden. In dem einfachen Beispiel von oben müssen zumindest die Medikamentendosis, die Einnahmedauer, das Geschlecht und Alter der Probanden gleich oder vergleichbar sein. Wissenschaftliche Experimente müssen grundsätzlich wiederholbar sein.

Merke

Empirische Forschung erhebt Daten auf systematische Weise. Es gibt zwei Arten empirischer Forschung, systematische Beobachtung und Experiment:

  • Beobachtungsstudien messen Eigenschaften in ihrer natürlichen Umgebung. Die Beobachtungen müssen objektivierbar sein.

  • Experimente untersuchen die Folgen des planmäßigen Herbeiführens eines Ereignisses. Experimente müssen wiederholbar sein.

Vertiefendes Wissen

Grenzen der experimentellen Forschung

Nicht alles kann durch Experimente untersucht werden. Es gibt natürliche und ethische Grenzen. In der Natur und in der medizinischen Forschung ist manches nicht beeinflussbar und deshalb experimentell nicht zugänglich. Nicht änderbar sind z.B. Himmelsvorgänge wie der Lauf der Planeten um die Sonne. In der medizinischen Forschung ist beispielsweise das Alter einer Versuchsperson nicht beeinflussbar. Wenn man untersuchen möchte, wie die Langzeitwirkung einer Therapie ist oder wie lange eine Impfung schützt, muss man ggf. über mehrere Jahre beobachten.

Ein weiterer Grund dafür, dass Experimente nicht immer möglich sind, sind ethische Grenzen. Zum Beispiel kann man bei Menschen nicht einfach eine Krankheit auslösen, um die Pathologie besser zu erforschen. Auch in der klassischen Biologie, Ökologie, in Sozialwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften stehen häufig ethische Gründe gegen experimentelle Eingriffe.

2.2 Deskriptive, explorative und explanative Untersuchungen


Wissenschaftliche Untersuchungen werden gelegentlich nach ihrem Erklärungsanspruch eingeteilt. Dafür werden die Begriffe „deskriptiv“, „explorativ“ und „explanativ“ gebraucht:

  • Deskriptive Studien beschreiben Eigenschaften, wie z.B. Art, Ausmaß, Häufigkeit oder einfach nur das Vorhandensein eines Merkmals.

  • Explorative Studien suchen nach Zusammenhängen, z.B. ob besonders aktive Smartphone-Nutzer häufiger übergewichtig sind.

  • Explanative Studien messen Ursache-Wirkungs-Beziehungen, z.B. ob Medikament A den Blutdruck senkt.

Vertiefendes Wissen

Zusammenhang von Erklärungsanspruch und empirischen Untersuchungsmethoden

Die Begriffe „deskriptive“, „exploratorische“ und „explanative“ Untersuchungen sind historisch gewachsen und ihre Definition in der Literatur ist uneinheitlich. Der Begriff „explorativ“ wird manchmal synonym für eine Pilotstudie gebraucht, mit der erste Daten erhoben werden. Übertragen auf die klassische Einteilung von empirischer Forschung sind deskriptive und explorative Untersuchungen am ehesten beobachtend. Explanative Untersuchungen sind experimentelle Studien und solche beobachtenden Untersuchungen, mit denen nach einem Ursache-Wirkungs-Zusammenhang geforscht wird.

2.3 Forschungsfragen und Hypothesen


2.3.1 Formulierung von Forschungsfragen und -hypothesen


Ausgangspunkt für wissenschaftliche Untersuchungen sind Forschungsfragen und Forschungshypothesen. In der Regel untersuchen Forschungsstudien mehrere Fragen oder Hypothesen.

Forschungsfragen fragen nach folgenden Aspekten:

  • Vorhandensein, Ausmaß und Beschaffenheit eines Phänomens, z.B.:

    • „Wie hoch ist die Inzidenz von Blasenkrebs in Deutschland?“

    • „Haben HIV-Infizierte eine virusspezifische T-Lymphozyten-Immunantwort?“

  • Zusammenhang zwischen zwei oder mehr Beobachtungen, z.B.:

    • „Gibt es eine Beziehung zwischen Lebensalter und Häufigkeit von Herzinfarkt?“

  • Ursache-Wirkungs-Beziehung (kausaler Zusammenhang), z.B.:

    • „Senkt Medikament A den Blutdruck?“

Die Forschungshypothese ist eine mögliche Antwort auf die Forschungsfrage, deren Richtigkeit noch zu belegen ist. Zum Zweck der Forschung wird der Satz als wahr angenommen. Hypothesen können aus Forschungsfragen immer dann gebildet werden, wenn nach Zusammenhängen oder nach Ursache-Wirkungs-Beziehungen gesucht wird, z.B.:

  • „Die Häufigkeit von Herzinfarkten nimmt mit dem Alter zu.“

  • „Medikament A senkt den Blutdruck.“

Für Fragen nach dem Vorhandensein, Umfang, Maß und Beschaffenheit einer Sache ist es meist nicht sinnvoll, eine Hypothese zu formulieren, sondern man belässt es bei der Forschungsfrage.

2.3.2 Eine Hypothese, mehrere Vorhersagen


Aus einer Hypothese lassen sich Vorhersagen ableiten nach dem Prinzip „Wenn die Hypothese stimmt, dann müsste dieses oder jenes zu- oder eintreffen“. Oftmals sind mehrere Vorhersagen möglich.

Zur Forschungshypothese „Medikament A senkt den Blutdruck“ können beispielsweise die folgenden Vorhersagen gemacht werden:

  • Vorhersage 1: „Bei Patienten mit Hypertonie sinkt der Blutdruck, nachdem sie Medikament A eingenommen haben.“

  • Vorhersage 2: „Patienten mit Hypertonie, die Medikament A erhalten, haben einen niedrigeren...

Erscheint lt. Verlag 7.9.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete
Schlagworte Evidenz • Evidenzbasiert • Medizinische Forschung • Medizinstudium • Nachweis • Nutzen • Relevanz • Studien
ISBN-10 3-13-243211-3 / 3132432113
ISBN-13 978-3-13-243211-6 / 9783132432116
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