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Honig im Blut (eBook)

Meine Kindheit im Schatten der Leukämie
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
304 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-1857-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Honig im Blut -  Kirsty Everett
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Die kleine Kirsty ist neun Jahre alt und gilt als begabte Turnerin. Als sie einen großen Turnwettbewerb gewinnt, wird ein Talentscout auf sie aufmerksam. Ihr Traum von Olympia scheint mit einem Mal zum Greifen nah! Doch am nächsten Tag geht es Kirsty schlecht. Sie kann kaum aufstehen und hat starke Schmerzen. Im Krankenhaus erhält sie dann die Schockdiagnose: Sie hat Leukämie. Die Therapie wird mindestens zwei Jahre in Anspruch nehmen, an Turntraining ist während dieser Zeit nicht zu denken. Kirstys großer Traum findet ein jähes Ende. Nun geht es nicht mehr um Medaillen, sondern das reine Überleben ...



Kirsty Everett wurde 1981 in der australischen Stadt Caringbah geboren. Schon früh galt sie als vielversprechendes Gymnastiktalent. Ihr Traum von einer Sportlerkarriere wurde jäh durch eine Leukämieerkrankung beendet, den Lebensmut hat Kirsty trotzdem nie verloren. Heute arbeitet sie als Autorin und Aktivistin für Krebsvorsorge und -therapie.

Kirsty Everett wurde 1981 in der australischen Stadt Caringbah geboren. Schon früh galt sie als vielversprechendes Gymnastiktalent. Ihr Traum von einer Sportlerkarriere wurde jäh durch eine Leukämieerkrankung beendet, den Lebensmut hat Kirsty trotzdem nie verloren. Heute arbeitet sie als Autorin und Aktivistin für Krebsvorsorge und -therapie.

1. Kapitel:
Nur für den Tag


»Oh, gut, da kommt Kirsty! Gleich werdet ihr staunen. Sie rollt sich immer perfekt zusammen und braucht keine Betäubung.«

Diese Art Termin wurde »Nur für den Tag« genannt, und das bedeutete, dass man lediglich tagsüber bei der Behandlung war, statt über Nacht im Krankenhaus zu bleiben. »Nur für den Tag« bestand aus einem großen Raum ganz am Ende einer Station. Ich weiß nicht, warum nicht alle ein eigenes Zimmer bekamen, denn zu dieser Zeit stand jedes zweite auf der Station leer und wurde nicht genutzt. Vielleicht wollte man uns Krebskids einfach alle an einem Ort haben.

»Nur für den Tag« bestand aus acht Betten, sieben davon Einzelbetten. In sechs von ihnen lag jeweils ein glatzköpfiges Kind, und das bedeutete, dass das siebte Bett für mich bestimmt war. Auf dem achten – direkt neben der Tür – fand die Behandlung statt. Auf diesem Altar wurde unsere Unschuld den Krebsgöttern geopfert. Es war weniger ein Bett als eine kaum gepolsterte Bank, wie ein großes Bügelbrett. Daneben befand sich ein Vorhang, den man als Sichtschutz rundherum zuziehen konnte, sobald jemand auf der Bank lag.

Ich setzte mich auf das letzte freie Bett, holte ein Buch hervor – Unreal von Paul Jennings – und begann zu lesen. Mum knallte ihre Handtasche auf den Boden und holte die aktuelle Ausgabe der Women’s Weekly heraus. Dann ließ sie sich in einem beigefarbenen Sessel neben mir nieder.

»Wo ist denn der Lutscher für Bradley? Wir sollten Kirsty bitten, Bradley mal zu zeigen, wie das Ganze funktioniert.«

Die Krankenschwester, die das sagte, hieß Karen. Karen war immer hier. Das strähnige lange Haar hing ihr als fettiges, verknotetes Durcheinander zu beiden Seiten des Gesichts herunter. Mum meinte oft, es sehe aus, als könne es »eine ordentliche Wäsche samt Trockenföhnen« gebrauchen. Karen hatte einen riesigen Hintern, der so heftig wackelte, dass er sie manchmal durchs Zimmer zu jagen schien. Dann ging sie mit schnellen Schritten auf eines von uns Kindern zu, und ihr Hintern merkte plötzlich, dass er nicht zurückbleiben durfte. Karen wühlte kurz in ihren Taschen und förderte dann einen roten Lolli zutage. Damit ging sie zu dem zweijährigen Bradley, der den Kopf zurückwarf, den Mund weit aufriss und einen schrillen Schrei ausstieß. Wie alle Kinder hier hatte Bradley eine Glatze. Außerdem hatte er dunkelbraune Augen, geisterhaft blasse Haut und einen geschwächten, unterernährten Körper. Wahrscheinlich war es gut, dass man hier kein Fenster öffnen konnte, denn Bradley wäre vom ersten Windstoß davongeweht worden.

Seine Eltern standen machtlos und starr wie Statuen daneben, wie alle Eltern im »Nur für den Tag«.

»Wenn du ein braver Junge bist, bekommst du diesen Lolli«, verkündete Karen.

»Ich glaube, Karen hat es mit den Lollis selbst ein bisschen übertrieben«, murmelte Mum in meine Richtung, und wir kicherten diskret über Karens Hintern.

Jetzt begannen auch die fünf anderen Kinder zu schreien, genau wie Bradley. Der Chor heulender Krebskinder erfüllte das Zimmer. Ich saß still da, das Buch im Schoß, und gab keinen Ton von mir. In meinen Ohren schrillte es, und ich versuchte mich auf die Wörter im Buch zu konzentrieren, doch die Schreckensschreie ließen meine Hände zittern, und die Wörter sprangen wild auf der Seite umher.

»Dann müssen wir das Ganze wohl auf die harte Tour erledigen.« Karen steckte den Lutscher zurück in die Tasche und winkte eine weitere Krankenschwester heran. Als sich die zweite Frau näherte, schrie Bradley noch schriller. Er wusste, was jetzt kam. Wir alle wussten es. Gänsehaut breitete sich explosionsartig auf meinen Armen aus.

Karen versuchte, ihn hochzuheben. Er trat und schlug nach ihr, und schon hielt die zweite Krankenschwester seine Beine fest. »Komm schon, Bradley«, sagte Karen. »Mach es uns doch nicht so schwer.«

Einen Augenblick lang hielt Bradley inne, doch die anderen Kinder weinten aus Solidarität weiter. Als er das Behandlungsbett erreichte, wo eine Assistenzärztin auf ihn wartete, fing er an zu jaulen, als würde er ermordet. Das Schrillen in meinen Ohren wollte einfach nicht verstummen. Ich hörte ein Rauschen, als man den Vorhang um das Behandlungsbett zog. Jetzt konnten wir Bradley nicht mehr sehen, aber wir hörten ihn noch. Die anderen Kinder wurden still. Bradley lag jetzt auf dem Altar, und niemand von uns konnte ihm mehr helfen.

Ich hörte, wie die Ärztin sagte: »Kann ihm mal jemand eine Hand auf den Mund legen? Ich bekomme die Nadel nicht rein, wenn er so schreit.« Jemand tat es, doch ich konnte Bradley hinter der Hand immer noch schreien hören. Quälend langsam vergingen die Minuten. Der Vorhang öffnete sich. Bradley schrie nicht mehr, sondern schluchzte laut, als ihn sein Dad zu seinem Bett trug, während Karen die Infusionen am Ständer hinterherschob.

»Hier hast du deinen Lolli«, zwitscherte sie und hielt Bradley die Süßigkeit direkt vors Gesicht. Er griff danach und warf sie auf den Boden. »Wer ist als Nächstes dran?«

Das war nicht ich. Sie holten sich das jüngste Kind zuerst und arbeiteten sich dem Alter entsprechend hoch. Ich würde viel Zeit haben, zu lesen und den schrillen Schreien zu lauschen, bevor ich auf den Altar musste.

Eines nach dem anderen wurden die Kinder geholt und erhielten ihre Behandlung. Irgendwann kam Karen dann an mein Bett.

»Auf geht’s, Kirsty. Du bist dran.«

Ich schwang die Beine über den Bettrand und ging auf den Foltertisch zu, Mum folgte mir. Karen zog ein sauberes Plastiklaken über das Bett. Ich benutzte den kleinen Schemel, um auf die harte Oberfläche zu kommen, und rollte mich sofort auf der Seite liegend zusammen, weil ich wusste, sie würden zuerst die Knochenmarkbiopsie durchführen, eine sogenannte »KMB«. Rasch zog Karen den Vorhang um das Bett. Mum stand am Fußende, um niemandem im Weg zu sein, doch sie achtete immer darauf, ihren Blick auf dieselbe Stelle zu richten wie ich. Sie wollte nicht sehen, was sie mit mir machen würden. Das hätte niemand sehen wollen. Der Vorhang war knallorange und mit Comicfiguren bedruckt – nicht mit Goofy oder Donald Duck, sondern mit seltsamen Kreaturen, die den beliebten Disney-Figuren nur entfernt ähnelten. Rote Lollis machten eine Biopsie nicht leichter, und blöde Comicfiguren auf einem Vorhang auch nicht.

Die Assistenzärztin stand direkt neben mir. Nahe genug, dass ich sehen konnte, wie ihre Hände zitterten. Sie wirkte sehr jung, wie ein Teenager. Ihr Gesicht war ganz weiß, und ein Schweißfilm glänzte darauf. Das kurze Haar stand ihr in Stacheln vom Kopf ab.

»Kirsty ist anders als die anderen«, erklärte ihr Karen. »Sie wird stillhalten. Sie braucht nicht einmal etwas zur Betäubung. Kirsty macht alles Cold Turkey.«

Die Augen der Ärztin weiteten sich, und sie gab ein ungläubiges Grunzen von sich.

»Sie ist ganz brav«, pflichtete Mum Karen bei. »Sie weiß, dass sie unbedingt stillhalten muss, und sie mag den Lachgasgeruch nicht.« Durch Karens und Mums Hilfe sah es so aus, als hätten wir die Ärztin zu etwa vierzig Prozent von meiner Fähigkeit überzeugt, still liegen zu bleiben, während man die unglaublich schmerzhaften medizinischen Prozeduren an mir durchführte. Und sie würde sich auf keine lange Diskussion einlassen. Lachgas kostete Geld. Wir schrieben das Jahr 1991, und manchmal gab es in »Nur für den Tag« nicht einmal Lachgas, deswegen mussten sie benutzen, was da war, um dem Entsetzlichen das Entsetzen zu nehmen – auch wenn das kaum half. Manchmal gaben sie einem Pethidin, das die Kinder in schlaffe Puppen verwandelte. Wenn es kein Pethidin gab, bekamen wir Promethazin.

Mit ihren kalten, schwieligen Händen schob Karen Stück für Stück meine Trainingshose herunter, sodass mein rechter Hüftknochen für die Ärztin freilag. Eine kalte Flüssigkeit wurde mir auf die Haut gespritzt, und ich spürte, wie sie mir den Rücken herunterlief und auf der Liege einen feuchten Fleck bildete. Es roch so stark nach Desinfektionsmittel, dass meine Augen zu tränen begannen. Während ich eine irre Micky-Maus-Version anstarrte, wurde eine kleine Plastikplane mit einer Aussparung von fünf Zentimetern Durchmesser über meinen Körper gebreitet. Das Loch befand sich genau dort, wo die Nadel in meine Haut dringen würde. Die Biopsienadel, die sie gleich in meinen Körper rammen würden, glänzte silbern und war ziemlich dick, etwa wie eine Tintenpatrone. Damit man das Knochenmark erreicht, muss die Nadel mit großer Wucht durch den Knochen gestoßen werden, und das tut unglaublich weh. Um die Patienten nicht zu großen Schmerzen auszusetzen, erfolgt das üblicherweise nach einer Betäubung, aber ich schien mir den Ruf erarbeitet zu haben, dass ich alles schweigend ertrug. Ich schrie nie, und ich lag immer ganz still, deswegen bekam ich nichts. Schritt eins meiner heutigen Behandlung würde gleich beginnen.

Die Ärztin rammte mir die Nadel in die Hüfte. Ich blinzelte, als mich der Schmerz durchfuhr. Es fühlte sich an, als verabreichte einem ein Blitz einen Wespenstich. Einige Tropfen Knochenmark wurden in einem Plastikröhrchen aufgefangen, und dann zog man langsam die Nadel aus mir heraus. Es brannte, als sie meinen Körper verließ. Das Plastiklaken mit dem Loch wurde heruntergenommen. Karen verteilte noch mehr Desinfektionsmittel über der Einstichstelle, wischte sie mit ein wenig Gaze ab und drückte mit dem Daumen ein kreisrundes Pflaster auf die Wunde.

Nun war es Zeit für Schritt zwei, die Lumbalpunktion, »LP« genannt – die Prozedur hinter dem Vorhang, die ich am schlimmsten fand. Bei einer...

Erscheint lt. Verlag 25.2.2022
Übersetzer Simone Schroth
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Original-Titel Honey Blood
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Onkologie
Schlagworte Achterbahnfahrt • Australien • Autobiografie • Behandlung • Biografie • Blutkrebs • Cancer • Chemo • Chemotherapie • Courage • Drama • Erfahrungsbücher • Erinnerungen • Erkrankung • Gymnastik • Kindheit • Kind mit Krebs • Krankenhausaufenthalt • Krankheit • Krebs • Krebserkrankung • Leben mit Krebs • Leukämie • Memoir • mutig • Mutmachbuch • Mutmachen • Patient • Turnen • Überleben
ISBN-10 3-7517-1857-5 / 3751718575
ISBN-13 978-3-7517-1857-8 / 9783751718578
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