Sozialpsychologie der Gruppe (eBook)
130 Seiten
UTB GmbH (Verlag)
978-3-8463-5225-0 (ISBN)
Stefan Stürmer lehrt Sozialpsychologie an der Fernuniversität Hagen.
Macht, Konflikte, Vorurteile, Kooperation, Unterstützung – all dies sind spannende Phänomene in sozialen Gruppen. Wer wissen will, wie solche Gruppen wirklich "ticken", wird in diesem Lehrbuch fündig und erhält eine grundlegende und leicht verständliche Einführung in ein zentrales Forschungs-, Lehr- und Prüfungsthema der Sozialpsychologie.
Die Autoren stellen dabei die zentralen Theorien und Modelle sozialer Gruppenprozesse vor und informieren über die wichtigsten Forschungsmethoden und -ergebnisse zum Verhalten innerhalb und zwischen Gruppen. Als Vertiefungslektüre eignet sich das Buch ideal zur Prüfungsvorbereitung im Bereich Sozialpsychologie.
Das Spektrum wurde für die 2. Auflage erweitert um die Themen Radikalisierung, Diversität und Xenophilie.
Stefan Stürmer lehrt Sozialpsychologie an der Fernuniversität Hagen.
Vorwort zur zweiten Auflage9
1 Einführung in die Gruppenpsychologie11
1.1 Begriffsbestimmung11
1.2 Grundlegende theoretische Perspektiven der Gruppenforschung13
1.2.1 Persönlichkeit und individuelle Differenzen13
1.2.2 Austausch und Interdependenz14
1.2.3 Soziale Kategorisierung und soziale Identität16
1.2.4 Soziale Kognitionen18
1.3 Gruppensozialisation19
1.3.1 Normen und Rollen19
1.3.2 Phasen der Gruppensozialisation21
2 Sozialer Einfluss in Gruppen24
2.1 Majoritätseinfluss24
2.1.1 Informationaler Einfluss25
2.1.2 Normativer Einfluss25
2.2 Minoritätseinfluss und Majoritäts-Minoritätsunterschiede28
2.2.1 Minoritätseinfluss28
2.2.2 Die Rolle von Gruppenidentifikation29
2.3 Sozialer Einfluss durch Autoritäten30
2.3.1 Gehorsam gegenüber Autoritäten31
2.3.2 Die Bedeutung der wahrgenommenen Behandlung durch Gruppenautoritäten34
3 Arbeiten und Entscheiden in Gruppen37
3.1 Effekte der bloßen Anwesenheit anderer Personen37
3.2 Gruppenleistung38
3.2.1 Koordinationsverluste39
3.2.2 Motivationsverluste40
3.2.3 Motivationsgewinne41
3.2.4 Gruppenzusammensetzung und Diversität42
3.3 Entscheidungsprozesse in Gruppen44
3.3.1 Verfügbarkeit entscheidungsrelevanter Informationen44
3.3.2 Nutzung von Informationen45
3.4 Führung47
3.4.1 Eigenschaftsorientierte Ansätze47
3.4.2 Kontingenzansätze48
3.4.3 Transaktionale und transformationale Ansätze49
4 Stereotype, Vorurteile, Stigmata52
4.1 Begriffsbestimmung52
4.2 Ursachen und Inhalte von Stereotypen und Vorurteilen55
4.2.1 Persönlichkeit und individuelle Dispositionen55
4.2.2 Soziale Kategorisierung56
4.2.3 Stereotype, Vorurteile und Stigmata als soziale Konstruktionen58
4.2.4 Inhalte von Stereotypen62
4.3 Effekte von Stereotypen und Vorurteilen auf das Handeln und Auswirkungen auf die Zielpersonen63
4.3.1 Automatische und kontrollierte Prozesse63
4.3.2 Auswirkungen auf die Zielpersonen65
5 Intergruppenkonflikte und die Verbesserung der Intergruppenbeziehungen69
5.1 Ursachen von Intergruppenkonflikten69
5.1.1 Negative Interdependenz69
5.1.2 Relative Deprivation70
5.1.3 Negative soziale Identität71
5.2 Verbesserung von Intergruppenbeziehungen74
5.2.1 Veränderungen der sozialen Kategorisierung75
5.2.2 Strukturierter Intergruppenkontakt77
5.2.3 Intergruppale Versöhnung83
6 Kollektives Handeln86
6.1 Begriffsbestimmung86
6.2 Vier Stufen zur aktiven Partizipation88
6.2.1 Mobilisierungspotenzial88
6.2.2 Mobilisierungsversuche90
6.2.3 Teilnahmemotivation90
6.2.4 Teilnahmebarrieren91
6.3 Jenseits individueller Kosten und Nutzen: soziale Identifikation und Emotionen92
6.3.1 Soziale Identifikation als Determinante der Teilnahmemotivation93
6.3.2 Gruppenbasierte Emotionen94
6.4 Biografische Faktoren und individuelle Differenzen95
6.5 Die Sozialpsychologie der Radikalisierung97
6.5.1 Das Streben nach Bedeutung und Sinn97
6.5.2 Gruppennarrative98
6.5.3 Gruppensozialisation100
7 Positives Verhalten zwischen Gruppen101
7.1 Grundlagen von Xenophilie101
7.1.1 Persönlichkeitseigenschaften102
7.1.2 Individuelle Motive103
7.2 Unterschiede zwischen Eigen- und Fremdgruppenhelfen104
7.2.1 Wie verbreitet ist Fremdgruppendiskriminierung im Hilfeverhalten105
7.2.2 Motivationale Unterschiede106
7.3 Individuelle und soziale Funktionen von Fremdgruppenhelfen110
7.3.1 Individuelle Funktionen110
7.3.2 Soziale Funktionen112
7.4 Mobilisierung gruppenübergreifender Solidarität114
Anhang
Literatur116
Sachregister128
1Einführung in die Gruppenpsychologie
Menschen aller bekannten Populationen leben in Gruppen; die Fähigkeit, Gruppen zu bilden ist eine Universalie der Spezies Mensch. Im Vergleich zu den meisten anderen sozialen Lebewesen ist das Gruppenverhalten des Menschen ausgesprochen vielfältig und differenziert. Menschen können zu vielen unterschiedlichen Gruppen gehören, in diesen Gruppen unterschiedliche Rollen und Positionen einnehmen, ihre Gruppenzugehörigkeiten wechseln und eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppenziele verfolgen. Im Folgenden werden wir zunächst einige grundlegende Begriffe der sozialpsychologischen Forschung zu Gruppenprozessen und Intergruppenverhalten erläutern.
1.1Begriffsbestimmung
Der Gruppenbegriff wird in der Sozialpsychologie je nach Forschungstradition unterschiedlich definiert. Die meisten Sozialpsychologinnen und -psychologen stimmen aber darin überein, dass es für das psychologische Verständnis von Gruppenprozessen entscheidend ist, inwieweit sich Personen selbst als Gruppe definieren. Sie gehen daher von einem Gruppenbegriff aus, der die subjektive Sicht der Gruppenmitglieder, Teil einer Gruppe zu sein, zum zentralen Definitionskriterium erhebt (Tajfel/Turner 1986).
Soziale Gruppe: Eine Menge von Individuen, die sich selbst als Mitglieder derselben sozialen Kategorie wahrnehmen und ein gewisses Maß an emotionaler Bindung bezüglich dieser gemeinsamen Selbstdefinition teilen. Die Gruppe, zu der ein Individuum sich zugehörig fühlt, wird als „Eigengruppe“ bezeichnet, eine im sozialen Kontext relevante Vergleichsgruppe als „Fremdgruppe“.
Der sozialpsychologische Gruppenbegriff lässt sich sowohl auf Kleingruppen anwenden, in denen die Möglichkeit direkter („Face-to-Face-“)Interaktionen zwischen allen Gruppenmitgliedern besteht (Arbeitsgruppen, Teams etc.), als auch auf soziale Kategorien, bei denen diese Möglichkeit nicht besteht (Männer, Psychologen, Deutsche etc.). In der Sozialpsychologie werden die Begriffe „soziale Kategorie“ und „Gruppe“ daher typischerweise synonym verwendet.
Der Begriff „Entitativität“ bezieht sich darauf, inwieweit eine Ansammlung von Personen vom sozialen Beobachter als kohärente soziale Einheit wahrgenommen wird (bzw. seinem „prototypischen“ Bild einer Gruppe entspricht). Im Allgemeinen werden Gruppen, bei denen ein hohes Maß an Interaktionen zwischen Gruppenmitgliedern besteht, als besonders entitativ angesehen – z. B. Familien oder Teams (Lickel et al. 2000).
Der Begriff „Gruppenkohäsion“ bezieht sich auf den inneren Zusammenhalt einer Gruppe (das „Wir-Gefühl“), der u. a. durch die Intensität und emotionale Qualität der Beziehungen der Gruppenmitglieder zueinander zum Ausdruck kommt. Gruppenkohäsion ist eine variable Eigenschaft einer Gruppe: Sie kann zwischen Gruppen, zwischen unterschiedlichen sozialen Kontexten und über die Zeit hinweg variieren.
Der Begriff der „sozialen (oder auch kollektiven) Identifikation“ bezieht sich wiederum auf die psychologische Beziehung zwischen einem einzelnen Gruppenmitglied und der Gruppe. Soziale Identifikation wird als ein Konstrukt aufgefasst, das aus mehreren Komponenten besteht (Leach et al. 2008). Auf abstraktem Niveau reflektieren diese Komponenten:
welchen Stellenwert die Gruppenmitgliedschaft für die Selbstdefinition einer Person hat und
wie viel eine Person emotional in ihre Gruppenmitgliedschaft investiert.
Aufgrund unterschiedlicher individueller Erfahrungen können sich einzelne Gruppenmitglieder unterschiedlich stark mit ihrer Gruppe identifizieren; die Stärke dieser Identifikation kann außerdem mit dem sozialen Kontext variieren. Ein wichtiger Einflussfaktor auf die psychologische Beziehung zwischen Individuum und Gruppe ist, ob die Gruppenzugehörigkeit selbst gewählt worden ist (z. B. die Mitgliedschaft in einer Freizeitsportgruppe oder einer politischen Partei) oder ob sie durch soziale Strukturen oder die Behandlungen anderer Personen vorgegeben ist (z. B. die Zugehörigkeit zu einer sozialen Kategorie basierend auf dem Geschlecht, der Ethnie oder der sexuellen Orientierung).
Für das Erleben der Gruppenzugehörigkeit ist ferner relevant, ob es sich bei der Gruppe um eine soziale „Minoritätsgruppe“ oder um eine „Majoritätsgruppe“ handelt. Minoritäten haben (mit Ausnahmen von Eliten) typischerweise einen niedrigeren sozialen Status innerhalb der Gesellschaft als Majoritäten und verfügen nicht selten über eingeschränkte gesellschaftliche Rechte oder Ressourcen. Forschungsergebnisse zeigen, dass Minoritätsangehörigen im Vergleich zu Majoritätsangehörigen ihre Gruppenzugehörigkeit in sozialen Situationen häufiger präsent ist, wobei sie gleichzeitig in geringerem Maße positive Gefühlszustände aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit erleben (Lücken/Simon 2005).
1.2Grundlegende theoretische Perspektiven der Gruppenforschung
Der folgende Abschnitt gibt einen kurzen – und angesichts des Zweckes des vorliegenden Buches notwendigerweise selektiven – Überblick über einflussreiche theoretische Perspektiven der sozialpsychologischen Gruppenforschung.
1.2.1Persönlichkeit und individuelle Differenzen
Die historische Entwicklung der sozialpsychologischen (Inter-)Gruppenforschung am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde von zwei unterschiedlichen Perspektiven dieser Zeit geprägt: einerseits von Forschungsarbeiten, die kollektive Phänomene wie Kultur, Massen, Gesellschaft und die Beziehungen zwischen Gruppen in den Mittelpunkt stellten; andererseits von Forschungsarbeiten der experimentellen Psychologie, die sich auf die Erforschung individueller Phänomene beschränkte.
Letzter Ansatz geht davon aus, dass sich das Verhalten von Menschen in Gruppen (wie das Verhalten von Menschen allgemein) unmittelbar aus ihren individuellen Eigenschaften, Präferenzen und Interessen ableiten lässt. Um es mit Floyd Allport, dem Verfasser eines der ersten Lehrbücher für Sozialpsychologie auszudrücken: „There is no psychology of groups which is not essentially and entirely a psychology of individuals“ (Allport 1924, 4).
Die sozialpsychologische Forschung hat eine Vielzahl von Persönlichkeitseigenschaften und individuellen Differenzen identifiziert, die einen Beitrag zur Erklärung von Gruppenverhalten leisten (➔ z. B. in Kapitel 3: individuelles Selbstwertgefühl als Moderator der Effekte der Anwesenheit anderer Personen auf die eigene Leistung; in Kapitel 5: soziale Dominanzorientierung als Determinante von Vorurteilen; in Kapitel 7: politische Selbstwirksamkeitserwartung als Erklärung interindividueller Differenzen politischer Partizipation). Persönlichkeits- oder eigenschaftsbasierte Ansätze erklären allerdings nur unzureichend, warum sich Menschen als Mitglieder von Gruppen häufig anders verhalten als es ihre persönlichen Eigenschaften erwarten lassen (z. B. kooperativer und freundlicher gegenüber Mitgliedern ihrer Eigengruppe und wettbewerbsorientierter und feindseliger gegenüber Mitgliedern einer Fremdgruppe). Tatsächlich legt die empirische Forschung, entgegen dem Allport’schen Postulat, eine Diskontinuität zwischen individuellem Verhalten und Gruppenverhalten nahe, sodass man nicht einfach von den Eigenschaften von Individuen auf ihr Verhalten in Gruppensituationen extrapolieren kann (Sherif 1962, 5).
1.2.2Austausch und Interdependenz
„Austausch- oder Interdependenztheorien“ sehen in der wechselseitigen Abhängigkeit von Menschen in sozialen Interaktionen und Beziehungen den Schlüssel zum Verständnis von Interaktionen in Gruppen (z. B. Blau 1964; Thibaut/Kelley 1959). Die Kernannahmen dieser Perspektive sind wie folgt: Menschen sind im Hinblick auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse voneinander abhängig (interdependent). Die Bildung von relativ zeitstabilen Gruppen ermöglicht einen sicheren und vorhersehbaren wechselseitigen Austausch von materiellen und immateriellen Ressourcen. Durch Kooperationen mit anderen Gruppenmitgliedern können zudem Ziele erreicht werden, die individuell nicht erreicht werden könnten. Da Menschen in Gruppen ihre Beziehungen, Regeln und Ziele aufeinander abstimmen und gemeinsam definieren müssen, lassen sich ihre Verhaltensweisen nicht einfach aus ihren individuellen Eigenschaften ableiten; eine Gruppe selbst verhält sich dementsprechend typischerweise auch anders als die Summe ihrer Mitglieder.
Im Einklang mit „Theorien der rationalen Entscheidung“ („Rational-Choice Theories“) gehen Vertreter von Austausch- oder Interdependenzansätzen zudem davon aus, dass Menschen Interaktionen, die instrumentell für die individuelle Zielerreichung sind, als positiv empfinden und sie dementsprechend wiederholen. Sie schließen sich daher Gruppen an und verbleiben in ihnen, wenn sie erwarten, dass die Interaktionen innerhalb von Gruppen zu positiven Ergebnissen für sie führen; sie verlassen die Gruppe, wenn die Bedürfnisbefriedigung unter den Erwartungen bleibt und sich positivere Alternativen für die Realisierung...
Erscheint lt. Verlag | 9.3.2020 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Sozialpsychologie | |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Autoritäten • Forschung • Gruppendynamik • Gruppenprozess • Gruppenpsychologie • Gruppensozialisation • Konflikt • Kooperation • Lehrbuch • Macht • Majorität • Minorität • Motivationstheorie • Prüfung • Psychologie • Soziale Arbeit • Soziale Arbeit studieren • Soziale Gruppen • Sozialpsychologie • Stereotype • Stigmata • Vorurteil |
ISBN-10 | 3-8463-5225-X / 384635225X |
ISBN-13 | 978-3-8463-5225-0 / 9783846352250 |
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