Diagnoseleitfaden Osteopathie (eBook)
256 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-243231-4 (ISBN)
2 Globale Untersuchung
In diesem Kapitel erfahren Sie mehr zur Herangehensweise der Untersuchung von Patienten. Dazu gehören die Anamnese, Inspektion sowie die körperliche Untersuchung mithilfe geeigneter Testverfahren. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden dem osteopathischen Kontext zugeordnet, entsprechend bewertet und bilden die Grundlage der anschließenden Therapie.
2.1 Grundannahmen für die Untersuchungsreihe
Grundsätzliches: Da der menschliche Körper ständig der Schwerkraft unterliegt, muss der aufrechte Körper seine Gewichtskraft im Gleichgewicht halten. Wird diese aus dem Lot verlagert, führt das zu einer veränderten statischen Belastung des Körpers. Durch steuernde neurophysiologische Prozesse muss die Körperhaltung an diese vertikale Kraftgröße ständig im Sinne des Gesamtkörpergleichgewichts mit möglichst minimalem Energieverbrauch (Gesetz der Ökonomie) angepasst werden. Diese sind u. a. auf Informationen von den verschiedenen Proprio-, Intero- und Exterozeptoren angewiesen. Die Funktionalität des gesamten Nervensystems ist von größter Bedeutung.
Bezogen auf eine Bewegung wird die Situation noch komplexer. Je uneingeschränkter das Zusammenspiel der myofaszialen Kraftketten ist, desto geringer ist der Energieaufwand für den Körper.
Kommt es zu Dysfunktionen im parietalen, faszialen, viszeralen und/oder kraniosakralen Bereich, können die Kraftketten im Körper nicht optimal genutzt werden. Sie können sogar unphysiologisch sein. Der Einfluss der psychischen und mentalen Verfassung sei, obwohl er auch für die Körperhaltung von großer Bedeutung ist, hier nur am Rande erwähnt. Das führt zu Dysbalancen – auch bezogen auf den Stoffwechsel –, strukturellen Überbelastungen und schlimmstenfalls zu strukturellen Defekten, denn Struktur und Funktion bedingen sich gegenseitig.
Im Stand, Sitz und in der Bewegung geht es für den Körper also immer um den permanenten Ausgleich eines kontrollierten Ungleichgewichts.
2.1.1 Bedeutung der Körperhaltung
Aus der Perspektive der Diagnostik, insbesondere bei der klinischen Inspektion, stellt sich die Frage, ob der Patient eher ein anteriores, posteriores oder zentriertes Haltungsmuster zeigt ( ▶ Abb. 2.1). Das Haltungsmuster weist auf Zonen starker Spannungen hin und kann Anhaltspunkte auf die dominierende Dysfunktion geben (parietales, viszerales oder kraniosakrales Problem; vgl. ▶ [2], ▶ [6], ▶ [27]):
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Ein posteriores Haltungsmuster kann einen Hinweis auf ein parietales Problem im Bereich Wirbelsäule, Becken, untere Extremität geben.
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Das anteriore Haltungsmuster weist vermehrt auf eine viszerale Dysfunktion von Thorax, Abdomen und/oder kleinem Becken hin.
-
Liegen zudem Seitneigungen vor, kann das ein Hinweis auf die Seitenlage der Dysfunktion sein. Rotationen verstärken das Ausmaß der Flexion/Extension/Seitneigung.
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Ein zentriertes Haltungsmuster mit einem in sich zusammensinkenden Zug in die zentrale vertikale Achse des Körpers kann ein Hinweis auf eine Dysfunktion in der zentralen vertikalen Faszienkette oder des kraniosakralen Systems sein.
Abb. 2.1 Haltungstypus.
a Posteriorer Typ (Schwerkraftlinie [SKL] nach posterior verlagert).
b Normaler (zentraler) Typ (SKL ist im Lot).
c Anteriorer Typ (SKL nach anterior verlagert).
(Hermanns W. GOT – Ganzheitliche Osteopathische Therapie. 3. Aufl. Stuttgart: Haug; 2012: 72, Abb. 8.3a–c)
Der normale Befund wäre ein zentrales Haltungsmuster (mit kleinen Abweichungen in verschiedene Richtungen im Sinne des kontrollierten Ungleichgewichts) ohne die oben beschriebenen deutlichen Zugrichtungen, die über den Ecoute-Test im Stand festgestellt werden ▶ können.
2.2 Anamnese
Die Anamnese hat einen äußerst wichtigen Anteil am diagnostischen Untersuchungsgang. Der Patient kennt seine Schmerzsymptomatik gut und gibt im Rahmen der Eigenanamnese mit seinen Worten die Information zu seinem Beschwerdebild wieder. Konzentriertes Zuhören und gezieltes Nachfragen sind in dieser Situation wichtige Aufgaben des Behandlers. Er muss die erhaltene Information in pathophysiologische Zusammenhänge bringen und einordnen können. Die Befundung erfolgt über die körperliche Untersuchung, daher darf die Diagnose nach der Anamnese noch nicht feststehen. Die Art der Untersuchung muss ergebnisoffen sein und darf nicht das Ziel haben, Annahmen aus dem Anamnesegespräch zu bestätigen.
Die Anamnese ist ein strukturiertes Gespräch. Der Patient hat Zeit, seine Schmerzthematik darzustellen, und es gibt Möglichkeiten für gezieltes Nachfragen. Die Besonderheit dieses Gesprächs liegt darin, dass zum einen der Patient bestimmt, was er sagen will/kann, zum anderen muss der Behandler für sich festlegen, welche Fragen für ihn wichtig sind. Vor diesem Hintergrund ist die Gesprächsführung sensibel zu führen und von Fall zu Fall muss entschieden werden, welche Fragen vorab und welche im Laufe der Untersuchung gestellt werden müssen oder können.
Im Anamnesegespräch sollten folgende Themenblöcke behandelt werden:
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eigentliches Symptom:
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Wann ist dieses aufgetreten (spontan, schleichend)?
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Schmerzlokalisation, Ausstrahlungsschmerz, Anlauf-, Ruheschmerz
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Was bessert/verschlechtert den Zustand?
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Ist der Schmerz dauerhaft, intermittierend etc.? Zu welcher Tageszeit tritt er auf?
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Bewegungsapparat:
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Gelenkbeschwerden
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Schmerzen im Kapsel-Band-Apparat
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Knochenschmerzen
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Gibt es Probleme in mehreren Bereichen, wechselnd oder immer am selben Ort?
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viszerale Probleme:
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Verdauung an sich, Obstipation, Durchfall
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Meteorismus, Reflux
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Bronchitiden etc.
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Stoffwechselerkrankungen
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Symptome, die den Kopf betreffen:
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Kopfschmerz, Schwindel, Konzentrationsstörungen
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Nasennebenhöhlen
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Zahnprobleme, Okklusionsstörungen
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Tinnitus
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Fehlsichtigkeit
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Immunsystem:
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Allergien
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Infektionen
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Herz-Kreislauf-System:
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körperliche Belastbarkeit
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Blutdruck
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arterielles System
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venöses System, Varizen
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Hauterkrankungen
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neurologische Erkrankungen
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Urogenitalbereich:
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Harnverhalten
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Menstruationsbeschwerden etc.
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Traumata, Operationen, Narben
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durchlebte Krankheiten
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Ernährung, Alkohol, Rauchen
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Schlaf
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alltäglicher Lebensrhythmus/Stress, Bewegung
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Familie:
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gehäufte Krankheiten
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Krebsleiden
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Diabetes mellitus
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Rheuma
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genetische Anomalien
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letzter Arztbesuch, Vorsorgeuntersuchung, letzte Befunde
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kieferorthopädische Eingriffe/Hilfsmittel:
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Knirschschiene
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Klammer
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orthopädische Hilfsmittel:
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Einlagen
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Erscheint lt. Verlag | 18.3.2020 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Naturheilkunde |
Physiotherapie / Ergotherapie ► Behandlungstechniken ► Osteopathie | |
Schlagworte | Diagnostik • Faszien • globale Tests • lokale Tests • myofasziale Ketten • Osteopathie • Untersuchung • Wirkungsketten |
ISBN-10 | 3-13-243231-8 / 3132432318 |
ISBN-13 | 978-3-13-243231-4 / 9783132432314 |
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Größe: 14,9 MB
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