Kurzlehrbuch Pathologie (eBook)
Thieme (Verlag)
978-3-13-243219-2 (ISBN)
1 Grundlagen der Pathologie
1.1 Pathologie als klinisches Fach
Key Point
Die Pathologie ist eine im klinischen Alltag unverzichtbare Disziplin; primäre Aufgabe ist die diagnostische Einordnung pathologisch veränderter Gewebe.
Da der Pathologe vom klinisch tätigen Arzt beauftragt wird und daher in der Regel keinen direkten Patientenkontakt hat, spielt die Pathologie in der Wahrnehmung der Patienten nur eine untergeordnete Rolle. Für therapeutische Entscheidungen ist die Pathologie jedoch häufig wesentlich: Tatsächlich wird in vielen Fällen erst durch eine histologische Untersuchung die genaue differenzialdiagnostische Klärung eines klinischen Befundes möglich und eine spezifische Therapie begründet.
Fallbeispiel
Beispielhaft soll hier die Differenzialdiagnose eines vergrößerten Lymphknotens vorgestellt werden:
Ein vergrößerter Lymphknoten ist häufig Ausdruck eines entzündlichen Geschehens; hierbei kann es sich um eine fortgeleitete Entzündung handeln, z. B. im Abflussgebiet einer infizierten Wunde. Die Erreger können aber auch den Lymphknoten direkt befallen und so zu einer Vergrößerung führen, z. B. bei einer Infektion mit Mykobakterien. In beiden Fällen ist eine antibiotische Therapie angezeigt, die meist zu einer Heilung führt und selten bleibende Schäden verursacht.
Abzugrenzen von entzündlichen Veränderungen sind Lymphknotenvergrößerungen auf dem Boden eines neoplastischen Prozesses; hier können Tumorzellen über die Lymph- oder Blutbahn in die Lymphknoten verschleppt werden (Lymphknotenmetastasen), darüber hinaus gibt es primäre Neoplasien des lymphatischen Gewebes mit Manifestation im Lymphknoten (z. B. Hodgkin- oder Non-Hodgkin-Lymphome). Sofern bioptisch der Verdacht auf eine Metastase gesichert werden kann, schließen sich klinisch eine (ausgedehnte und u. U. belastende) Suche nach dem Primärtumor sowie eine entsprechende (möglicherweise operative und verstümmelnde) Therapie an. Liegt dagegen ein Non-Hodgkin-Lymphom vor, muss eine weitere Subtypisierung der Erkrankung erfolgen, was wiederum eine aggressive und nebenwirkungsreiche Polychemotherapie zur Folge haben kann.
Die oben aufgeführten Differenzialdiagnosen des klinischen Befundes „vergrößerter Lymphknoten“ können zwar anhand der körperlichen/zusatzdiagnostischen Befunde sowie der laborchemischen Untersuchungen eingegrenzt werden, eine histopathologische Untersuchung ist zur endgültigen Validierung der Diagnose jedoch unersetzlich – nicht zuletzt auch aus forensischen Gründen.
Exkurs
Die Pathologie als grundlegende Lehre von den Krankheiten wird traditionsgemäß (und willkürlich) in eine allgemeine Pathologie und eine spezielle Pathologie aufgeteilt; die allgemeine Pathologie behandelt dabei wichtige Grundprinzipien und Gesetzmäßigkeiten krankhafter Vorgänge, die spezielle Pathologie befasst sich bereits mit konkreten Krankheitsbildern. In der Vergangenheit wurden ganz unterschiedliche Konzepte des Krankhaften entwickelt. Diese beinhalten die Säftelehre des Hippokrates: Hippokrates führte Erkrankungen auf ein Ungleichgewicht der 4 Körpersäfte Blut, gelbe Galle, schwarze Galle und Schleim zurück. Diese sog. Humoralpathologie wurde durch die Solidarpathologie von Morgagni abgelöst; hier wurde die Ursache von Erkrankungen innerhalb der einzelnen Organe vermutet. Rudolph Virchow schließlich begründete die Zellularpathologie, indem er die Zelle als Ort der Krankheit propagierte. Damit legte Rudolf Virchow den Grundstein zu unserem modernen Krankheitsverständnis.
1.1.1 Aufgaben der Pathologie
1.1.1.1 Bioptische Diagnostik
Merke
Histologische Untersuchungen von Biopsaten sind in der Pathologie zahlenmäßig am häufigsten. Hierbei werden Gewebestückchen untersucht, die während eines diagnostischen Eingriffs gewonnen wurden, z. B. im Rahmen einer Gastroskopie oder einer Laparoskopie.
Gelegentlich werden auch größere Proben oder ganze Organe histologisch aufgearbeitet, z. B. die Appendix vermiformis zur Sicherung einer Appendizitis oder die Prostata zur Bestimmung einer Karzinomausdehnung.
Zum einen soll mithilfe der Biopsie die Frage geklärt werden, ob überhaupt ein krankhafter Prozess vorliegt, und wenn ja, welcher. Darüber hinaus dienen Biopsien auch der Verlaufskontrolle; so wird z. B. im Rahmen einer Gastritistherapie die Entzündungsaktivität und damit der Therapieerfolg (oder –misserfolg) beurteilt
1.1.1.2 Obduktion
Die innere Leichenschau (Synonym: Sektion, Obduktion, Autopsie) ist ein weiteres wesentliches Aufgabengebiet des Pathologen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Erkrankungen morphologisch nachweisen und die Todesursache bestimmen. Obduktionsbefunde erlauben damit auch eine „Qualitätskontrolle“der klinischen Diagnostik und beeinflussen gesundheitspolitische Entscheidungen (Todesursachenstatistik). Ferner dient die Obduktion der Ausbildung der Studierenden; schließlich liefern Obduktionsbefunde wichtige Daten hinsichtlich der Identifizierung neuer Krankheitsbilder.
Merke
Eine Obduktion wird immer dann unerlässlich, wenn die Klärung eines nichtnatürlichen Todes ansteht. Hier kann die Obduktion auch als gerichtliche Obduktion – z. B. zur Abklärung von Straftaten – vom Gericht angeordnet werden.
Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Obduktion: Der Status des Leichnams ist nicht durch ein eigenes Gesetz geregelt. Da die Leiche keine eigentumsfähige Sache darstellt, besteht seitens der Angehörigen nur ein Totensorgerecht. Strafbar sind die Störung der Totenruhe, die Entfernung der Leiche aus dem Gewahrsam der Berechtigten oder die Beseitigung einer Leiche ohne Erlaubnis.
Auch die Obduktion stellt eine Störung der Totenruhe dar, im Krankenhaus greift diese Auslegung allerdings nicht, da sich der Leichnam im Gewahrsam der Krankenhaus- bzw. der Institutsleitung befindet. In jedem Fall ist die Obduktion zivilrechtlich ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen, daher darf sie – sofern keine richterliche Anordnung vorliegt – nicht gegen den Willen des Patienten oder der Angehörigen durchgeführt werden. Im Falle einer Zuwiderhandlung kann eine Schadensersatzforderung gestellt werden. Praktikabel ist die so genannte Zustimmungslösung, bei der die Angehörigen eine Sektion ausdrücklich gestatten. Ferner kann eine Einwilligung des Patienten bereits zu Lebzeiten über die allgemeinen Vertragsbedingungen der Krankenhäuser eingeholt werden. Werden bei der Obduktion Gewebeteile oder andere Körpersubstanzen entnommen, so entstehen eigentumsfähige „Objekte“, die generell der Befugnis des Patienten oder seiner Erben unterstehen. Eine explizite Einwilligung des Patienten oder seiner Erben ist auch vonnöten für die wissenschaftliche Nutzung von Körpersubstanzen oder Geweben (z. B. im Rahmen der Forschung).
1.1.1.3 Ärztliche Schweigepflicht
Die ärztliche Schweigepflicht gilt selbstverständlich auch für Pathologen und umfasst sämtliche Ergebnisse der bioptischen und autoptischen Untersuchungen. Unter besonderen Umständen gilt die Schweigepflicht nicht, zum Beispiel bei Verdacht auf einen nichtnatürlichen Tod sowie bei Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Infektionsschutzgesetz. In allen übrigen Fällen kann der Arzt nur durch den Patienten selbst von der Schweigepflicht entbunden werden; Angehörige oder Hinterbliebene sowie Behörden können die Schweigepflicht hingegen nicht aufheben. Ebenso hat nur der Patient selbst das Recht auf Einsicht in seine Krankenunterlagen – also z. B. in die Ergebnisse einer bioptischen Untersuchung.
1.1.2 Gesundheit/Geburt/Tod
Gesundheit und Krankheit. Der Begriff „Gesundheit“ bezeichnet laut WHO-Definition den Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens. Eine „Krankheit“ liegt entsprechend dieser Definition dann vor, wenn einer oder mehrere der oben genannten Faktoren beeinträchtigt sind. Im engeren Sinne ist ein Mensch dann krank, wenn ein physischer Defekt oder eine psychische Störung (oder beides) vorliegt.
Krankheiten treten mit sehr unterschiedlichen Häufigkeiten auf und besitzen unterschiedliche Ursachen/Mechanismen; zur Charakterisierung sind folgende allgemeine Grundbegriffe nützlich:
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Inzidenz (Neuerkrankungsrate): Anzahl der an einer bestimmten Erkrankung neu Erkrankten innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, üblicherweise pro Jahr. Die „Inzidenzrate“ bezeichnet die Anzahl der an einer bestimmten Erkrankung neu Erkrankten im Verhältnis zur Anzahl der Exponierten.
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Erscheint lt. Verlag | 4.9.2019 |
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Reihe/Serie | Kurzlehrbuch | Kurzlehrbuch |
Co-Autor | Matthias Krams, Sven Olaf Frahm, Udo Kellner, Christian Mawrin |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Allgemeines / Lexika |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete | |
Medizin / Pharmazie ► Studium | |
Schlagworte | Bewegungsapparat • Hammerexamen • Humanmedizin • Humanmedizin Klinik • Kurzlehrbuch • Medizinstudium • Pathologie • Prüfungsvorbereitung |
ISBN-10 | 3-13-243219-9 / 3132432199 |
ISBN-13 | 978-3-13-243219-2 / 9783132432192 |
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Größe: 54,3 MB
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