Embryologie der Haustiere (eBook)
Thieme (Verlag)
978-3-13-241988-9 (ISBN)
1 Entwicklungsbiologische Grundlagen
Ralph Brehm
Für das Verständnis der normalen embryologischen Entwicklung einerseits, aber auch der Entstehung kongenitaler Fehlbildungen andererseits sind Kenntnisse über Entwicklungsfaktoren, Entwicklungsmechanismen und die ihnen zugrunde liegenden molekularbiologischen Prinzipien wichtig. Hiermit beschäftigt sich die Entwicklungsbiologie. Sie erforscht grundsätzliche Vorgänge, durch die einzelne Lebewesen wachsen und sich von einer einzelnen Zelle zu einem komplexen vielzelligen Organismus entwickeln (Ontogenese). Die Entwicklungsbiologie hat ihren Ursprung in der Embryologie und befasst sich mit genetischen und epigenetischen Vorgängen.
Die Entwicklung eines Organismus stellt ein komplexes Wechselspiel verschiedener genetisch bestimmter Entwicklungsfaktoren (Genprodukte) dar, zu denen z.B. Morphogene, Transkriptionsfaktoren, Adhäsionsmoleküle, Wachstumsfaktoren und Entwicklungs(-kontroll-)gene gehören. Hinzu kommen aber auch noch epigenetische Entwicklungsfaktoren und Faktoren der inneren und äußeren Umwelt des Embryos. Verschiedene Entwicklungsmechanismen stehen zueinander in enger, z.T. wechselseitiger Beziehung, wie z.B. die Induktion, die Zellproliferation, die Zelldifferenzierung, die Zellmigration, die Signaltransduktion, der kontrollierte Zelltod (Apoptose) und das Zellwachstum.
1.1 Verfahren der Entwicklungsbiologie
Für die Erforschung stehen innovative zell- und molekularbiologische Techniken zur Verfügung, zu denen z.B. die rekombinante DNA-Technologie, die Isolierung und Manipulation von (embryonalen) Stammzellen sowie die Etablierung von Tiermodellen zählen. Mittels „Loss-and-gain-of-function“-Experimenten (in vitro und/oder in vivo) können z.B. Gene oder Genabschnitte gezielt ausgeschaltet („ausgeknockt“) oder verändert/ergänzt werden. Die CRISPR/Cas-Methode (CRISPR: clustered regularly interspaced short palindromic repeats; Cas: CRISPR-assoziierte Endonuklease, meist Cas9) ist eine hochaktuelle Methode, um DNA gezielt zu schneiden und zu verändern (genome editing). Gene können mit dem CRISPR/Cas-System schnell eingefügt, entfernt oder ausgeschaltet werden, auch einzelne Nukleotide in einem Gen können geändert werden. Weitere molekulare Techniken sind z.B. Microarray-Analysen, SAGE (serial analysis of gene expression), der Einsatz von siRNAs (small interfering RNAs), Methoden der Proteomics und moderne morphologische Techniken (z.B. In-situ-Hybridisierung, Immunhistochemie, Immunfluoreszenz, konfokale Laser-Scanning-Mikrokopie).
Von großem Vorteil für die Aufklärung entwicklungsbiologischer Prozesse ist, dass viele molekulare Eigenschaften evolutionär konserviert sind und somit die Möglichkeit besteht, an Modellorganismen die Entwicklung von Mensch und Tier zu untersuchen. Zu diesen zählen als Vertreter der Invertebraten z.B. die Fruchtfliege (Drosophila melanogaster) und der Vertebraten das Huhn (Gallus gallus), der südafrikanische Krallenfrosch (Xenopus laevis) sowie die Maus (Mus musculus). Es existieren viele transgene Mauslinien sowie Knockout(KO)- und Knockin(KI)-Mäuse. Derartige gezielte Mutagenesen werden i.d.R. an embryonalen Stammzellen durchgeführt, die anschließend in Blastozysten implantiert werden.
Mithilfe all dieser Methoden sowie der Tiermodelle ist es möglich, grundlegende Fragestellungen und Prozesse der Embryologie und Entwicklungsbiologie zu untersuchen. Hierzu zählen die zeitliche und räumliche Expression spezifischer Gene, die molekulare Steuerung der Zellbewegungen, die zur Morphogenese beitragen, oder die Determinierung von Zellen auf ein ganz bestimmtes Entwicklungsschicksal.
1.2 Genetische bzw. transkriptionale Regulation der Entwicklung
Gene, die in so gut wie allen Zellpopulationen vorkommen und an grundlegenden zellulären Mechanismen wie der Nukleinsäuresynthese (Transkription), der Proteinbiosynthese (Translation), dem Aufbau der Zellmembran, dem Zytoskelett und der Zellorganellen, dem Nährstofftransport und an Stoffwechselfunktionen beteiligt sind, werden als „konstitutive Gene“ (Haushaltsgene, engl. housekeeping genes) bezeichnet.
Die für die Embryonalentwicklung spezifischen regulierten Gene, die Entwicklungs(-kontroll-)gene, werden im Gegensatz zu den Haushaltsgenen nur zu bestimmten Zeitpunkten, in bestimmten Zeitfenstern und in bestimmten Zellen exprimiert. Durch diese (wenigen) Gene wird eine Vielzahl unterschiedlicher Zelltypen definiert, die letztlich den tierischen oder menschlichen Organismus ausmachen. Die differenzielle Genexpression spielt in der Entwicklung/Embryologie eine große Rolle, da in allen Zellen die für die differenzierten adulten Zellen charakteristischen Expressionsmuster irgendwann einmal angeschaltet werden müssen. Entwicklungskontrollgene sind Gene, die bei der Festlegung und Steuerung des Körperbauplans sowie der Gewebe- und Organdifferenzierung wichtige Funktionen haben. Die sukzessive Embryonalentwicklung wird sozusagen durch eine Art Genhierarchie gesteuert, an deren Anfang die (übergeordneten) Entwicklungskontrollgene stehen. Diese kodieren i.d.R. für Transkriptionsfaktoren und/oder Mastergene, die wiederum die Expression weiterer Gene steuern und die Entwicklung voranbringen. Am Ende der Hierarchie steht dann die Regulation von zell-, gewebe- und organspezifischen Genen.
Die Steuerung der Genexpression durch Transkriptionsfaktoren, die sich mit ihren DNA-bindenden Domänen an Regulator- oder Promotor-Abschnitte bestimmter Gene anlagern, stellt einen bedeutenden Aspekt der Entwicklungsbiologie und Genregulation dar. Interessant, aber auch für das Verständnis erschwerend ist, dass ein und derselbe Transkriptionsfaktor aktivierend oder inhibierend auf die Transkription wirken kann, je nachdem, in welcher Zelle oder in welchem Stadium der Entwicklung der Transkriptionsfaktor aktiv ist. Diese Faktoren werden nach ihrer Proteinstruktur, meist der DNA-bindenden Domäne, benannt. Es können z.B. Homöobox-Gene, Pax-Gene und Gene, die für basische Helix-Loop-Helix(bHLH)-Transkriptionsfaktoren kodieren, unterschieden werden.
Eine der wichtigsten Klassen von Entwicklungskontrollgenen stellen die homöotischen Gene dar. Hierbei handelt es sich um übergeordnete Gene, welche die Differenzierung von Zellen und Geweben während der (embryonalen) Entwicklung steuern, indem entsprechende Gengruppen aktiviert oder gehemmt werden. Mutationen innerhalb homöotischer Gene können zur Umwandlung oder dem Verlust von Organstrukturen oder ganzer Körperabschnitte führen. Diese Gene, die an sog. homöotischen Transformationen der Fruchtfliege entdeckt wurden, enthalten als charakteristische Sequenz stets eine Homöobox. Zu den bekanntesten homöotischen Genen gehören die Hox-Gene ( ▶ Abb. 1.1). Diese stellen eine Familie von regulativen Genen dar und ihre Genprodukte sind Transkriptionsfaktoren, welche die Aktivität anderer, funktionell zusammenhängender Gene im Verlauf der Morphogenese steuern. Die Tatsache, dass die Basensequenz der Homöobox bei allen Hox-Genen aller Tierarten sehr ähnlich ist, lässt den Schluss zu, dass diese Genfamilie bereits früh in der Evolutionsgeschichte konserviert worden ist. Die Hauptaufgabe der Hox-Gene ist die Gliederung des Embryos entlang der Körperlängsachse. Beim Wirbeltierembryo und auch beim Menschen sind die Hox-Gene u.a. für die Ausbildung und Form der Wirbel (Halswirbel, Brustwirbel, Lendenwirbel), Rippen und Extremitäten essenziell. In Vertebraten existieren 4 homologe Hox-Cluster auf 4 verschiedenen Chromosomen, die in ihrer Gesamtheit die Identität der Körpersegmente festlegen. Das Besondere an den Hox-Genen ist zudem, dass ihre Reihenfolge auf dem Chromosom exakt der Reihenfolge ihrer Expression in den aufeinanderfolgenden Körpersegmenten entspricht. Dieses zeitlich und räumlich aufeinander abgestimmte Expressionsmuster der Hox-Gene wird auch als „Hox-Code“ bezeichnet. Die 2. Körperachse wird nicht von Hox-Genen gesteuert, und für ihre Festlegung sind andere Transkriptionsfaktoren verantwortlich.
Abb. 1.1 Anordnung der Homöobox-Gene bei der Fruchtfliege, Drosophila, und bei der Maus. Die homöotischen Gene (Hom) von Drosophila und die homologen Hox-Gene der Maus (Hox) sind in der gleichen Reihenfolge auf den Chromosomen (c) angeordnet, wie sie im Embryo (b, d) und in der Fliege (a) exprimiert werden. Die homöotischen Gene zeigen sowohl in ihrer Verteilung auf den Chromosomen als auch in ihrer Expression entlang der kraniokaudalen Körperachse eine hoch konservierte Anordnung.
(Quelle: Wehner, Gehring. Zoologie. 25. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2013)
Pax-Gene (Abk. für Paired-box-Gene) kodieren für gewebespezifische Transkriptionsfaktoren. Die PAX-Proteine sind im frühen Entwicklungsstadium u.a. an Entwicklungsprozessen im paraxialen...
Erscheint lt. Verlag | 21.8.2019 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Studium |
Veterinärmedizin ► Vorklinik ► Histologie / Embryologie | |
Schlagworte | Allantois • amnion • Befruchtung • chorion • Ektoderm • Entoderm • foetus • Fötus • Fruchthüllen • Furchung • Keimblätter • Mesoderm • Nabelschnur • Organentwicklung • Plazenta • Plazentation • Primitiventwicklung • Zellteilung |
ISBN-10 | 3-13-241988-5 / 3132419885 |
ISBN-13 | 978-3-13-241988-9 / 9783132419889 |
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