Fasziendistorsionsmodell (eBook)
Thieme (Verlag)
978-3-13-242144-8 (ISBN)
1 Einleitung
Wer will was Lebendiges erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist herauszutreiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.
Faust, J. W. von Goethe (1749–1832)
Woran liegt es, dass vielen Menschen mit akuten oder chronischen Beschwerden durch die klassischen medizinischen Verfahren nicht ausreichend geholfen werden kann? Diese Frage stellte sich der amerikanische Arzt und Osteopath Stephen Typaldos D.O. (1957–2006). Aus dieser für ihn frustrierenden Situation entwickelte er durch genaue Beobachtung der Gestik der Patienten seine neue Sichtweise. Das Resultat ist eine der effektivsten Behandlungsmethoden für Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, die wir derzeit haben: das Fasziendistorsionsmodell (FDM).
Seit Typaldos im September 1991 die ersten Fasziendistorsionen erkannte und im März 1992 erstmalig öffentlich darüber berichtete, sind knapp 25 Jahre vergangen – lange genug für das FDM, um den Weg in viele Länder der Welt und zu vielen Therapeuten und Ärzten gefunden zu haben, die damit regelmäßig erfolgreich arbeiten, aber anscheinend nicht lange genug, um auch in der breiten Öffentlichkeit oder beim Patienten angekommen zu sein.
1.1 Behandlungsansatz im FDM
Dabei bietet das FDM einen Behandlungsansatz, der mit oft verblüffenden Erfolgen aufwarten kann. Das erlebe ich regelmäßig in meiner Praxis: Von dem Sportler, der nach der Behandlung eines verstauchten Knöchels ohne Trainingspause seinem Sport nachgehen kann, über den Jungen, der nach einem Kreuzbandriss nicht mehr, wie eigentlich in Aussicht gestellt, ein halbes Jahr im Schulsport fehlen muss, bis hin zur Studentin, die damit langfristig ihre Migräne losgeworden ist (authentische Fälle aus der Praxis des Autors) – solche oft erstaunlichen Heilerfolge lassen die Frage auftauchen, warum das FDM in der Öffentlichkeit doch noch relativ wenig bekannt ist.
Derzeit verzeichnet die Faszienforschung einen wahren Boom: Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht neue Erkenntnisse publiziert werden, welche Funktion das Fasziensystem im Körper erfüllt und wie wichtig es für die Schmerz‑ und Körperwahrnehmung ist. Auch Therapieformen, die Faszien behandeln, werden populärer, z.B. Rolfing oder Fasziendehntechniken, relativ selten aber wird in den Medien das FDM genannt, das in den Augen einiger Therapeuten ebenfalls eine Faszientechnik ist (wobei dies am Kern des FDM vorbeigeht, wie sich zeigen wird).
Weshalb ist das FDM trotz der Behandlungserfolge noch nicht so bekannt? Ist der Name zu sperrig und unzugänglich oder die Zahl der Therapeuten noch zu gering? Sicherlich fällt es auch schwer, im Dickicht der zahlreichen Therapieformen, die es gibt, den Überblick zu behalten und die Spreu vom Weizen zu trennen. Gerade Patienten können mit dem Begriff meist nicht viel anfangen und wenden sich daher bei Beschwerden eher an einen Arzt oder Orthopäden, eine Physiotherapie- oder Osteopathiepraxis als an einen FDM-Therapeuten.
Weshalb einige Ärzte das FDM vielleicht skeptisch betrachten, mag daran liegen, dass das FDM ihr im Studium erlerntes Handlungsschema auf den Kopf stellt: Im FDM ist nicht der Arzt, sondern der Patient der Experte für seinen Körper und den Erfolg der Behandlung – und nicht nur das: Im Patienten liegt auch der Schlüssel für die Diagnose. Dabei wenden sich doch Patienten, so die gängige Vorstellung, Rat suchend an einen Mediziner; sie wissen nicht, was ihnen fehlt, und erhoffen sich von ihm die Benennung der Ursache der Beschwerden und das Aufzeigen einer Lösung. Den Patienten aber als Experten anzusehen und ihm damit einhergehend eine hohe Kompetenz zur Wahl des Behandlungsweges zuzuweisen, kann Gefahren bergen: So könnte die wirkliche Ursache (vielleicht ein Tumor oder eine schwere innere Erkrankung) unentdeckt bleiben, dafür aber eine Behandlung durchgeführt werden, die wirkungslos ist (weil die Ursache nur vermutet wird) oder gar nachteilig sein kann, zumal sie oft nicht sanft und schonend abläuft, sondern mit sehr kräftigen Handgriffen durchgeführt wird.
Vielleicht trägt aber auch der Begriff „Modell“ im Namen des FDM seinen Teil zu der Skepsis bei: Warum sollte jemand mit Knieschmerzen einen Therapeuten aufsuchen, der scheinbar von einem – wie auch immer gearteten – modellhaften Denken ausgeht, wenn er doch zum Orthopäden gehen kann, der ihm anhand bildgebender Diagnostik zeigen kann, wie es „wirklich“ um sein Bein bestellt ist? Einer der zentralen Aspekte, auf den immer wieder zurückzukehren sein wird, ist daher der Begriff „Modell“. Dabei lässt sich die Grundannahme des FDM in wenigen Worten beschreiben: Es geht davon aus, dass Verdrehungen (Distorsionen) des Bindegewebes (Faszien) zu Beschwerden führen. Durch ein Rückgängigmachen der Distorsion verschwinden die Beschwerden augenblicklich, der Patient erhält seine normale Beweglichkeit zurück. Das ist die Annahme des Modells.
Info
Dabei wird sich jedoch zeigen, dass die Reflexion und Systematisierung von Wissen zwar für dessen Beschreibung in einem Buch wichtig ist, für den konkreten Patient-Therapeuten-Kontakt jedoch in den Hintergrund tritt: Es gibt wohl kaum eine andere Behandlungsform, die sich so stark an der jeweiligen Situation mit dem individuellen Patienten und der unmittelbaren Kommunikation mit diesem orientiert und so wenig auf theoretisches Wissen zurückgreift. Der FDM-Therapeut handelt zum Großteil nicht danach, was ihm theoretische Erkenntnisse nahelegen, sondern unmittelbar aus der jeweiligen Situation mit dem individuellen Patienten heraus. Auf diesen Aspekt wird noch zurückzukommen sein.
Wenn diese Modellannahmen aber nun in die konkrete Behandlungspraxis überführt werden, muss das Modell erweitert werden: Denn zur Medizin als einer praktischen, also Handlungswissenschaft (Kap. ▶ 2) gehört der Therapeut-Patienten-Kontakt. Im FDM steht der Patient im Mittelpunkt, da dieser der Experte für seinen Körper und das Ausmaß seiner Beschwerden ist. Der FDM-Therapeut orientiert sich an dessen Gestik und Beschreibung, um daraus den konkreten Handlungsauftrag herzuleiten (Patientenorientierung, Kap. ▶ 4.4). Dabei geht er, wie erwähnt, davon aus, dass verdrehte Faszien die Ursache der Beschwerden sind (Faszien, Kap. ▶ 4.2). Mit der Korrektur der Fasziendistorsion schafft er die Voraussetzung, damit die verletzte Gliedmaße zu ihrer physiologischen Funktion zurückfindet, damit so die Beschwerden nicht mehr zurückkehren. Hier ist der Patient gefordert, den Körper zu unterstützen, indem er ihm die Informationen zur Verfügung stellt, die dieser für die physiologische Funktion benötigt (Bewegung, Kap. ▶ 4.3). Diese 3 Aspekte – im Folgenden Säulen genannt – ergeben zusammen genommen das FDM als praktisches, angewandtes Medizinkonzept.
Begreift man das FDM in diesem weiten Verständnis, zeigt sich, warum der Begriff Modell so wichtig ist: Er macht deutlich, dass das FDM nicht auf eine Faszientechnik reduziert werden kann. Es ist keine Behandlungstechnik oder manuelle Methode; es geht nicht nur darum, Fasziendistorsionen, die sich in konkreten Beschwerden äußern, zu behandeln. Vielmehr muss es in einem weiteren Kontext innerhalb der Medizin verstanden werden, und d.h. im praktischen Tun. Medizin ist keine Naturwissenschaft. Sie ist eine praktische, handelnde Anwendung von Wissen auf Basis von Annahmen und Modellen, die wir – ob bewusst oder unbewusst – unserem Handeln am Patienten zugrunde legen. Das FDM ist erst unter Einbezug der 3 Säulen Faszie, Bewegung und Patientenorientierung vollständig (und darüber hinaus so eigenständig, dass es ...
Erscheint lt. Verlag | 23.1.2019 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Naturheilkunde |
Schlagworte | Bindegwebe • Faszien • Fasziendistorsion • Fasziendistorsionsmodell • FDM • Gestik • Körpersprache • manuelle Schmerztherapie • Osteopathie • Typaldos |
ISBN-10 | 3-13-242144-8 / 3132421448 |
ISBN-13 | 978-3-13-242144-8 / 9783132421448 |
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