Expertise Fuß und Sprunggelenk (eBook)
536 Seiten
Thieme (Verlag)
978-3-13-201771-9 (ISBN)
1 Knochen- und Knorpelläsionen am oberen Sprunggelenk
1.1 Malleolarfrakturen
S. Ochman
1.1.1 Einleitung
Frakturen des oberen Sprunggelenks (OSG) zählen zu den häufigen Verletzungen und gehören zur klinischen unfallchirurgischen Routine. Durch die wachsenden Erkenntnisse in der Biomechanik und bildgebenden Diagnostik hat sich das Verständnis dieser Verletzung erweitert, obwohl die Versorgungsstrategien in Teilen kontrovers diskutiert werden. Hinzu kommt eine Häufung dieser Verletzung bei älteren Patienten, die eine zunehmende Herausforderung darstellt.
Die anatomische Reposition ist die Grundvoraussetzung für ein gutes Langzeitergebnis. Ziele der Rekonstruktion sind die anatomische Reposition ohne Gelenkstufen, die Wiederherstellung der Länge, Rotation und Achsenverhältnisse sowie die Wiederherstellung einer stabilen Gelenkführung durch Beachtung und Beseitigung ligamentärer Instabilitäten.
1.1.1.1 Epidemiologie
Mit einer Inzidenz von 10% stehen die Sprunggelenkfrakturen an 3. Stelle aller Frakturen ▶ [1], ▶ [7], ▶ [31]. Insbesondere zeigt sich aufgrund der demografischen Entwicklung eine stetige Zunahme und es ist mit einer steigenden Inzidenz zu rechnen ▶ [5], ▶ [13].
Es lassen sich 2 Häufigkeitsgipfel erkennen, zum einen bei Männern im Alter unter 30 und zum anderen bei Frauen jenseits des 60. Lebensjahres ▶ [7], ▶ [13].
1.1.1.2 Ätiologie
Frakturen des OSG entstehen meist in Folge eines Luxationsmechanismus als Kombination von Supinations- oder Pronationskräften sowie Zug oder Druck auf das OSG.
Seltenere Mechanismen sind Dezelerations-Traumen oder eine direkte Krafteinwirkung ▶ [51]. Im Vergleich zum jungen Patienten zeigen ältere Patienten mit osteoporotischer Knochenqualität häufig ein Niedrigenergie-Trauma in Folge eines häuslichen Sturzes als Ursache ▶ [27], ▶ [43].
1.1.1.3 Chirurgische und funktionelle Anatomie
Das OSG (Articulatio talocruralis) wird als eine anatomische und funktionelle Einheit aus den gelenktragenden Anteilen der distalen Fibula und Tibia, des Talukorpus mit der Gelenkkapsel sowie den verbindenden ligamentären Strukturen gebildet ( ▶ Abb. 1.1).
Anatomie des Sprunggelenks.
Abb. 1.1
Abb. 1.1a Bewegungsachsen des oberen und unteren Sprunggelenkes – Sicht auf die Trochlea tali.
(Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von Voll M. und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: © 2018 Thieme. All rights reserved.)
Abb. 1.1b Posteriore Sicht auf das obere und untere Sprunggelenk mit entsprechenden Bewegungsachsen.
(Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von Voll M. und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: © 2018 Thieme. All rights reserved.)
Abb. 1.1c Anteriore und d) posteriore Sicht auf das OSG, Trochlea tali mit ventral breiterer Gelenkfläche als dorsal.
(Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von Voll M. und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: © 2018 Thieme. All rights reserved.)
Abb. 1.1d Posteriore Sicht auf das OSG, Trochlea tali mit ventral breiterer Gelenkfläche als dorsal.
(Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von Voll M. und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: © 2018 Thieme. All rights reserved.)
Die distale Gelenkfläche der Tibia (Tibiaplafond) verläuft horizontal, ist vorne breiter als hinten und ist in der Sagittalebene nach hinten geneigt. Medial befindet sich der Malleolus medialis mit der Kontaktfläche zum Talus als Facies articularis malleoli. Der Innenknöchel besteht aus zwei Anteilen, dem Colliculus anterior und posterior und den Ansatzstellen des Pars anterior und posterior des Lig. deltoideum. Hinter dem Colliculus posterior verlaufen die Sehnen des M. tibialis posterior und des M. flexor digitorum longus in einer Rinne.
Lateral findet sich die Inzisura fibularis als Kontaktfläche zur Fibula. Die Fibula verbreitert sich nach distal zum Malleolus lateralis. Medial zeigt dieser durch die Inzisura fibularis Kontakt zur Tibia. An den Tubercula anterius und posterius setzten die Syndesmosen-Bänder an. Dorsal der distalen Fibula verlaufen die Peronealsehnen in einer Rinne.
Im OSG artikulieren die distale Tibia und Fibula mit dem Taluskorpus als Trochlea tali. Die Talusrolle zeigt eine zylindrische Form ( ▶ Abb. 1.1c, ▶ Abb. 1.1d), die im ventralen Anteil breiter ist als im dorsalen. Das erklärt den komplexen Bewegungsablauf des OSG, das nicht als reines Scharniergelenk gesehen werden kann.
Hinsichtlich der ligamentären Anteile finden sich am OSG der laterale und mediale Kollateralbandkomplex sowie der Syndesmosen-Komplex.
Der Syndesmosen-Komplex besteht aus den Ligg. tibiofibulare anterius, transversale (innominatum), posterius und dem interosseum. Der mediale Kollateralbandapparat besteht aus einem oberflächlichen und tiefen Anteil und wird im klinischen Kontext häufig als Lig. deltoideum oder Deltaband bezeichnet. Der oberflächliche Anteil setzt sich aus den Ligg. tibiotalare superficiale, tibiocalcaneare und tibionaviculare zusammen. Der tiefe Anteil wird durch eine Pars anterior und Pars posterior vom Innenknöchel zum Talus gebildet und ist deutlich kräftiger ausgebildet als der oberflächliche. Der laterale Kollateralbandkomplex wird durch die Ligg. fibulotalare anterius, fibulocalcaneare und das Lig. fibulotalare posterius gebildet.
1.1.1.4 Biomechanik
Im OSG erfolgt die Lastübertragung des Teilkörpergewichts auf den Fuß. Während des Gangzyklus können Werte bis zum fünffachen Körpergewicht erreicht werden ▶ [21], ▶ [28], ▶ [41].
Die Druckbeanspruchung der Gelenkflächen erfolgt zum einen axial zum anderen als Biegebeanspruchung durch die Zugkräfte der Kollateralbänder ▶ [45]. Die Zonen höchster Beanspruchung liegen in den seitlichen Anteilen der Facies articularis inferior tibiae und in der Facies articularis superior tali sowie in den vertikal ausgerichteten Gelenkflächen zwischen Innen- und Außenknöchel. Der zentrale Anteil des Talus wird weniger beansprucht ▶ [21].
Biomechanisch bilden das obere und das untere Sprunggelenk zusammen eine Art Kardangelenk, dessen Hauptachsen nicht senkrecht zueinander angeordnet sind ▶ [21].
Das OSG ist hier kein reines Scharniergelenk. Sein Bewegungsausmaß liegt um eine Achse, die durch die Spitze des Malleolus medialis und durch das Zentrum des Malleolus lateralis und damit durch den Krümmungsmittelpunkt der Trochlea tali zieht ▶ [21].
Der Bewegungsumfang des OSG beträgt 20° für die Dorsalflexion (Extension) und 45° für die Plantarflexion. Die Trochlea tali ist vorne breiter als hinten und fibular breiter als tibial, sodass es bei zunehmender Plantarflexion zu einer Verkantung kommt, die zu einer Ab- und Adduktionsbewegung und zu einer günstigen Druckübertragung im Gelenk führt ▶ [12], ▶ [21].
Die Form der Trochlea ist als Ausschnitt eines Kegelmantels zu sehen, dessen Spitze nach medial zeigt ▶ [12]. In Folge dessen kommt es bei der Bewegung im OSG zu einer Pseudorotation des Talus (bei Plantarflexion Innenrotation um 1,4°, Dorsalflexion Außenrotation um 4,2°) ▶ [35]. Aufgrund der Bewegungsachse im OSG kommt es bei Bewegungen in der Sagittalebene zu einer Innenrotation der Tibia bei Dorsalextension. Durch die geometrische Form der Gelenkkörper stehen immer nur Teile der Gelenkflächen für die Kraftaufnahme zur Verfügung und dieses ist von der jeweiligen Gelenkstellung abhängig ▶ [21].
Aufgrund der Form der Talusrolle und der Bewegungsachse führt die distale Fibula bei Extension und Flexion im OSG eine Bewegung in vertikaler, anteriorer-posteriorer und in der Rotationsachse durch ▶ [25].
1.1.2 Diagnostik
Klinisch unspezifische Hinweise auf eine Sprunggelenkfraktur sind indirekte Frakturzeichen wie Schwellung, Hämatom und Schmerzen. Weitere Signale sind das Vorliegen einer Fehlstellung oder direkte Frakturzeichen wie Krepitation oder Merkmale der offenen Fraktur.
Oft zeigen die Patienten einen lokalisierten Druckschmerz über der Malleolarregion sowie eine Bewegungseinschränkung. Überprüft werden sollte die Belastungsfähigkeit des Sprunggelenks, was meist nicht möglich oder eingeschränkt ist.
Instabile Frakturformen zeigen meist sichtbare Fehlstellungen. Hier muss eine sofortige Reposition erfolgen, um eine Entlastung der Weichteile zu erzielen.
Merke
Erscheint lt. Verlag | 27.1.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete |
Schlagworte | Fuß • Fußchirurg • Fußchirurgie • Fuß- und Sprunggelenkchirurgie • orthopädische Fußchirurgie • Othopädie • Sprunggelenk |
ISBN-10 | 3-13-201771-X / 313201771X |
ISBN-13 | 978-3-13-201771-9 / 9783132017719 |
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Größe: 106,7 MB
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