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Die Schattenseiten des Gesundheitsmanagements in Fukushima - Kosuke Hino

Die Schattenseiten des Gesundheitsmanagements in Fukushima

Der Reaktorunfall am Kernkraftwerk Fukushima Daiichi

(Autor)

Buch | Softcover
232 Seiten
2017
Verlag Neuer Weg
978-3-88021-449-1 (ISBN)
CHF 20,95 inkl. MwSt
Ein schweres Erdbeben verursachte am 11. März 2011 große Schäden am Kernkraftwerk Fukushima Daiichi. Es kam zu einem vollständigen Stromausfall. Die Kühlung der Reaktoren und Brennstäbe fiel dadurch aus. E eine unkontrollierte Kernschmelze war nicht mehr zu verhindern. Der anschließende Tsunami, der die Anlage überflutete, verschlimmerte die Situation noch. Der Super-GAU dauert bis heute an.Über die gesundheitlichen Folgen und ihre systematische Vertuschung durch die japanische Regierung und Tepco gibt dieses Buch authentischen Einblick und mahnt den Kampf zur weltweiten Stilllegung aller Atomkraftwerke entschlossen weiterzuführen.

Kōsuke Hino, geboren 1975. Nach seinem Jura-Studium an der Universität Kyūshū begann er, bei der Tageszeitung, Mainichi Shimbun als Journalist zu arbeiten. Nach seiner Zeit als Korrespondent in Ōtsu (Präfektur Shiga), in Tsuruga (Präfektur Fukui) und in Osaka ist Hino jetzt im Sonderressort Investigative Recherchen tätig. Als Korrespondent in der Präfektur Fukui berichtete er hauptsächlich über die vielseitige Problematik um dortige Atomkraftwerke. Seit der Reaktorkatastrophe in Fukushima betreibt Hino durchgehend investigative Recherchen. Sein erstes Buch, Die Schattenseiten des Gesundheitsmanagements in Fukushima, veröffentlichte er im September 2013. Damit dokumentiert Hino ausführlich die Geheimhaltung und Vertuschung der Ergebnisse von Schilddrüsenuntersuchungen in der Präfektur Fukushima durch die Verantwortlichen. Im September 2014 erschien seine zweite Dokumentation: Die Reaktorkatastrophe in Fukushima und die Täuschung um die Hilfspolitik. Seine dritte Veröffentlichung wurde im Februar 2016 herausgegeben mit dem Titel Fünf Jahre der Reaktorkatastrophe in Fukushima und das aufgegebene Volk. Sein viertes und neuestes Buch zu diesem Thema: Sechs Jahre nach Fukushima, Schäden, die ungeschehen gemacht werden. – Verdrehte Wahrheit von Tschernobyl-Daten. Er brachte es zusammen mit Ryo Omatsu heraus, einem Spezialisten für russische Gesellschaftspolitik. Die drei letztgenannten Dokumentationen sind bislang nur in japanischer Sprache erhältlich.

Nachwort zur deutschen Übersetzung Am Nachmittag des 15. Februar 2016 betrat ich den Sitzungssaal eines Hotels – gleich am JR-Bahnhof (Japan Railways)von Fukushima. Seltsamerweise war es das gleiche Hotel wie vor ungefähr vier Jahren, bei meiner ersten Recherche. Die Präfektur Fukushima betrieb jetzt nur noch eine Einrichtung für „Gesundheitsuntersuchungen“, denn aus der bisherigen Bezeichnung „Gesundheitsmanagement“ war mittlerweile das Wort „Management“ verschwunden. Die Tische im vorderen Teil des Saales waren hufeisenförmig angeordnet, dahinter standen mehrere Reihen mit Bürotischen, an denen etwa 50 Männer in unauffälligen Anzügen saßen. Hinter denen wiederum waren circa 60 Stahlrohr-Bürostühle aneinandergereiht, auf denen – locker in Jeans und Fleece-Jacken gekleidete – Männer und Frauen Platz genommen hatten. Links und rechts saßen auf hohen, silberfarbenen Bockleitern Männer, mit Fernsehkameras ausgerüstet. An den hufeisenförmigen Tischen hatten die Mitglieder des Komitees Platz genommen. Die Männer im Anzug waren von der Präfektur Fukushima, von der Medizinischen Hochschule der Präfektur Fukushima sowie staatliche Angestellte. Bei den hinter ihnen Sitzenden handelte es sich um Zeitungs-, Fernseh- und freie Journalisten sowie interessierte Bürger. Wie groß aber war ihr Abstand zu den Leuten vom Komitee! Wer nicht hoch oben auf den Leitern saß, konnte ihre Gesichter nicht richtig erkennen, und ohne Lautsprecher wären auch ihre Stimmen nicht zu hören gewesen. Eine solche Distanz hatte es vor vier Jahren nicht gegeben. Vom Untersuchungskomitee ist mehr als die Hälfte der Mitglieder ausgewechselt worden; sowohl Shunichi Yamashita fehlt, der eigentliche Verantwortliche und Vorsitzende des Komitees, als auch Shinichi Suzuki, der die Untersuchung der Schilddrüsen bei Kindern geleitet hatte. Nicht, dass sie nichts mehr damit zu tun hätten, sie erscheinen nur nicht mehr in der Öffentlichkeit. Das aber heißt auch, dass sie nicht mal befragt werden können. Als ich vor vier Jahren hier im Hotel war, hatte es bei den Schilddrüsenuntersuchungen noch keine Patienten mit Krebs gegeben. An diesem Tag nun aber verkündete der Bericht des Komitees, dass die Zahl der Krebspatienten auf 166 angestiegen sei. Danach wurde der „Zwischenbericht nach fünf Jahren“ diskutiert. Darin wurde zwar zugegeben, dass die Zahl der Patienten im Vergleich zur landesweiten Statistik um ein Zigfaches angestiegen sei, doch faktisch wurde das wieder geleugnet durch die Aussage, ein kausaler Zusammenhang mit der Verstrahlung durch den Unfall sei „nur schwer vorstellbar“. Als Begründung hierfür wurde genannt: dass a) die Strahlung im Vergleich zu Tschernobyl deutlich geringer sei; b) der Zeitraum bis zur Entdeckung der Erkrankung von zwischen einem bis zu vier Jahren nach dem Unfall kurz sei; und dass c) bei denen, die zur Zeit des Unfalls noch keine fünf Jahre alt waren, nichts entdeckt worden sei. Es war der gleiche abgesprochene Inhalt wie der auf dem „geheimen Treffen“ im September 2012, über den ich bereits berichtet hatte. Wozu bedurfte es dann eigentlich noch der Untersuchung? Doch angesichts dieses Anstiegs scheint es auch unter den Insidern zu gären. Einer von ihnen gestand mir: „Ich hätte anfangs nicht geglaubt, dass wir so viele (Krebspatienten) finden werden. Und wenn die Frage kommt, ob denn dann nicht überall in Japan mehr Fälle auftreten müssten, wenn es nichts mit der Verstrahlung zu tun hat, sind wir einfach ratlos. Ehrlich gesagt, mit Gewissheit kann niemand eine Antwort geben.“ Am Ende des „Zwischenberichtes nach fünf Jahren“ ist Folgendes zu lesen: Sowohl das angegebene Ziel der Untersuchung, „der Präfektur-Bevölkerung die Angst hinsichtlich ihrer Gesundheit zu nehmen“, als auch die unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Voraus gegebenen Informationen weckten den Verdacht, als habe das Urteil des Komitees bezüglich der Untersuchungsergebnisse schon vorher festgestanden. Als eine Lehre daraus wurden Arbeitsgruppen eingesetzt“ (Hervorhebung – K. Hino). Ganz klar wird hier auf das von mir berichtete Problem des „geheimen Treffens“ Bezug genommen. Ein Blick – auch dreieinhalb Jahre nach der Enthüllung – auf das darin Angesprochene zeigt: Das verloren gegangene Vertrauen konnte nicht wiederhergestellt werden, was auch nicht weiter verwundert. Die augenscheinliche Realität nicht zur Kenntnis zu nehmen und sich bloßem „Verdacht“ hinzugeben – davon kehrt kein Vertrauen zurück. Und dann fand am 14. September 2016, gut ein halbes Jahr später, in der Sugitsuma-Halle, ganz in der Nähe der Fukushima-Präfekturbehörde, die 24. Sitzung des Beratungskomitees statt. An diesem Tag war die Zahl der Journalisten, die auf den hinteren Besucherplätzen Stellung bezogen hatten, größer denn je. Denn einige Tage zuvor hatten die Zeitungen, darunter das Lokalblatt von Fukushima, über den Vorschlag des Vorsitzenden des Komitees, Hokuto Hoshi, berichtet, die Schilddrüsenuntersuchungen „zu reduzieren“. Als die Sitzung begann, gingen zahlreiche Komiteemitglieder – noch bevor Hoshi den Vorschlag einbrachte – auf diese Angelegenheit ein: „Eine Reduzierung zum jetzigen Zeitpunkt, da die Untersuchungen entschieden fortgeführt werden müssen, ist nicht akzeptabel.“ Wohl wegen des Drucks, den dieser Widerstand auf ihn ausübte, redete Hoshi sich heraus; von einer „Reduzierung“ sei gar nicht die Rede gewesen – doch zu einer konkreten Erörterung kam es nicht. Vonseiten der Administration aber war sehr wohl und eindeutig eine Reduzierung beabsichtigt gewesen. Bei einer Einverständniserklärung, die den Benachrichtigungen über die nächste Untersuchung beigefügt war, konnte auch schon ein Feld „nicht einverstanden“ angekreuzt werden, obwohl es bislang ein solches nur für „einverstanden“ gegeben hatte. „Der Wille der Betreffenden, sich untersuchen zu lassen oder nicht, ist zu respektieren“ – das klingt zunächst gut. Wenn es aber seitens der Organisation, die die Untersuchungen durchführt, heißt, „es geht auch ohne“, dann ist abzusehen, dass die Zahl der Untersuchten abnimmt. „Über die Gesundheit der Kinder wachen“, ertönte wieder und wieder der Mahnruf. Welchen Sinn aber haben diese Worte dann noch? Viele Bewohner der Präfektur, viele von der Katastrophe Betroffene waren von Beginn an misstrauisch gegenüber der Untersuchung – sie sei unehrlich. Mein Reportage ist lediglich ein Beweis dafür, dass diese Zweifel berechtigt sind. Auch nachdem mein Buch „Der Reaktorunfall am Kernkraftwerk Fukushima Daiichi – Die Schattenseiten des Gesundheitsmanagements in Fukushima“ im Jahr 2013 erschienen war, fuhr ich mit meiner Berichterstattung über den AKW-Unfall fort; mal unter dem Stichwort der „Freiwilligen, die sich selbst evakuiert haben“, mal zum Wohnproblem oder zur Dekontaminierung. Trotz der unterschiedlichen Themen und der verschiedenen dafür Zuständigen ging es dabei immer um das Gleiche: Hinter verschlossenen Türen wird heimlich untersucht – und zugleich eine Politik inszeniert, die mit schönen Worten wie „lasst uns zusammenrücken“ Geschäftigkeit vorgaukelt. Und den Betroffenen werden – ohne deren Einverständnis – die Folgen einseitig aufgezwungen, schließlich sei es ja bereits so beschlossen worden. Und nicht nur das: Selbst Protokolle werden gefälscht, und niemand übernimmt Verantwortung. Die Regierung hat bislang nichts weiter getan als genau diese drei Dinge: „verheimlichen“, „so tun, als ob etwas getan wird“, „aufzwingen“. Mit der Art und Weise, wie sie mit dem AKW-Unfall von Fukushima und seinen Folgen umgeht, ist sie dabei, die Demokratie in diesem Land zu zerstören. Als ich davon hörte, dass nun eine deutschsprachige Version des Buches erscheinen wird, habe ich es noch einmal gelesen. Keinesfalls möchte ich mich selbst loben, aber: es ist alles andere als veraltet. Mehr noch, aufs Neue habe ich gespürt, dass dieses Buch die „Wahrheit“ aufzeigt. Sind doch mittlerweile sechs Jahre seit dem Unfall vergangen, Jahre, in denen das Bestreben der Politiker, die Folgen des Unfalls als „ungeschehen“ darzustellen, immer klarer erkennbar geworden ist. Yukiko Kishi-von Heyden, Mari Takahashi, Chika Kiezmann, Satoko Iyoda, Kazuko Kanuma-Kölzer, Toyo Washio, Shinobu Katsuragi, Petra Alt und Heinz Mittelbach möchte ich sehr für die Unterstützung danken: für ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten bei der Übersetzung und beim Lektorat, die diesen Text für den deutschen Leser in wohlformulierte Sätze brachten. Dr. Sebastian Pflugbeil, dem Präsidenten der Gesellschaft für Strahlenschutz e. V., der die Bedeutung meines Berichtes zu schätzen wusste und die deutsche Übersetzung in die Wege geleitet hat, und Thomas Dersee, dem Herausgeber der Fachzeitschrift Strahlentelex, der mit seinem umfangreichen Fachwissen das fachliche Korrekturlesen der Übersetzung übernommen hat, gilt ebenso mein besonderer Dank. Zum Schluss möchte ich mich bei Carsten Zimmer vom Verlag Neuer Weg für sein Engagement bedanken, ohne dass das Erscheinen der deutschen Übersetzung nicht möglich gewesen wäre. Mein fortwährender Wunsch ist: Möge dieses Buch weltweit zur Kenntnis genommen und damit auch den Betroffenen geholfen werden, über deren Wohl sich die Politiker dieses Landes hinwegsetzen. Und möge es – entgegen ihrem weiteren Zerbrechen – dazu beitragen, die Demokratie zu bewahren. Februar 2017, Kōsuke Hino, Journalist der Gruppe von Sonderberichterstattern der Mainichi Shimbun

Erscheinungsdatum
Sprache deutsch
Maße 140 x 200 mm
Gewicht 307 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Arbeits- / Sozial- / Umweltmedizin
Schlagworte AKW • Atom • Fukushima • Fukushima; Berichte/Erinnerungen • Gau • Gesundheit • Gesundheitsmanagement • Gesundheitssystem und Gesundheitswesen • Japan • Katastrophe • Strahlung • Umweltmanagement • Umweltmedizin • Umweltschutz • Umweltschützer und Umweltorganisationen • Umweltverschmutzung
ISBN-10 3-88021-449-2 / 3880214492
ISBN-13 978-3-88021-449-1 / 9783880214491
Zustand Neuware
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