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Anästhesie maßgeschneidert (eBook)

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2015 | 1. Auflage
336 Seiten
Thieme (Verlag)
978-3-13-202061-0 (ISBN)

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Anästhesie maßgeschneidert -
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Dieses Praxisbuch bietet Anästhesisten Sicherheit für die Betreuung spezieller Patientengruppen mit besonderen Anforderungen. - Verschiedenste Patientengruppen: u.a. Schwangere, Kleinkinder, ambulante Patienten, Tumorpatienten, Traumapatienten, körperlich behinderte Patienten, gehörlose sowie blinde Patienten - Spezielle Anforderungen dieser Patientengruppen: anatomische, physiologische, psychologische sowie organisatorische Besonderheiten - Mit hilfreichen Tipps, Tabellen zum schnellen Nachschlagen und Dosierungsempfehlungen anhand von Fallbeispielen

0 Vorwort 6
0 Anschriften 7
0 Abkürzungen 9
1 Anforderungen an die „moderne“ Anästhesie 19
Einleitung 19
Historischer Überblick 19
Ausschaltung von Schmerzen 19
Optimale Operationsbedingungen 20
Junge Geschichte der Anästhesie – Fokus Versorgungsqualität 20
Outcome 20
Anforderungen heute 20
Aus Sicht der Patienten 21
Aus Sicht der Mitarbeiter und Kollegen 24
Aus Sicht der operativen Partner 25
Aus Sicht der Vorgesetzten 25
Literatur 26
2 Anästhesie bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern 27
Anatomische und physiologische Besonderheiten und deren Implikationen für die Kinderanästhesie 27
Einleitung 27
Sicherung der Atemwege 28
Beatmung 31
Zirkulation 33
Flüssigkeitsbedarf und Volumentherapie 33
Gefäßzugang 34
Hypothermie-Prävention und Temperaturmonitoring 35
Präoperative Vorbereitung 35
Präoperative Nüchternheit 35
Prämedikation 36
Präoperative Untersuchungen 36
Präoperative Gerinnungsanamnese 37
Arbeitshilfen 38
Anforderungen an den Anästhesisten und den Arbeitsplatz 41
Postoperative Folgen der Narkose 42
Neurotoxizität 42
Postoperatives Aufwachdelir im Kleinkindalter 43
Medikamente im Kindesalter 45
Grundlagen der Pharmakokinetik im Kindesalter 45
Anästhetika 49
Analgetika 50
Relaxanzien 50
Intranasale Medikamentenapplikation 51
Regionalanästhesieverfahren 52
Kaudalblock 52
Peniswurzelblock 53
Ilioinguinalis-/Iliohypogastrikusblock 53
Transversal-abdominal-plane-Block (TAP-Block) 54
Plexus-axillaris-Blockade 54
Periduralkatheter (PDK) 54
Klassische Operationen im Kindesalter 55
Duktusligatur 55
Nekrotisierende Enterokolitis, Mekoniumileus 55
Ösophagusatresie 55
Hypertrophe Pylorusstenose 56
Leistenhernie 57
Persistierender Urachus, Nabelhernie 57
HNO-Eingriffe 57
Kinderorthopädische Eingriffe 58
Seltene Erkrankungen 58
Literatur 59
3 Anästhesie bei Schwangeren 60
Einleitung 60
Anästhesierelevante physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 61
ZNS-Veränderungen 61
Respiratorische Veränderungen 61
Kardiovaskuläre Veränderungen 62
Hämatologische Veränderungen 63
Gastrointestinale Veränderungen 63
Hepatische Veränderungen 63
Renale Veränderungen 63
Anästhesiologische Besonderheiten des Fetus: Teratogenität und fetale Asphyxie 64
Teratogenität 64
Weitere Besonderheiten der anästhesiologischen Pharmakotherapie in der Schwangerschaft 65
Fetale Asphyxie 66
Grenzen und Möglichkeiten der Anästhesie in der Schwangerschaft 66
Was darf, was muss, wann soll operiert werden? 66
Präoperatives Management 67
Intraoperatives Management 68
Postoperatives Management 68
Klassische Operationen während der Schwangerschaft 69
Appendizitis und Appendektomie 69
Cholelithiasis, Cholezystitis und Cholezystektomie 70
Traumata 72
Literatur 74
4 Anästhesie bei der Geburt 75
Einleitung 75
Physiologie der Geburt 76
Anästhesie bei vaginaler Entbindung 76
Periduralanästhesie (PDA) 76
Patientenkontrollierte intravenöse Analgesie 79
Lachgas plus Sauerstoff 79
Narkose zur Sectio caesarea 80
Spinalanästhesie 80
Periduralanästhesie 81
Kombinierte Spinal- und Periduralanästhesie 81
Allgemeinanästhesie 81
Anästhesie in Abhängigkeit von der Dringlichkeit der Sectio 82
Blutdruckmanagement 82
Maßnahmen zur Senkung des Hypotonierisikos 82
Behandlung der Hypotonie 82
Vorgehen bei Gestosen 83
Präeklampsie und Eklampsie 83
HELLP-Syndrom 83
Peripartale Blutungen 84
Allgemeinmaßnahmen 84
Uterotonika 85
Management der Gerinnungsstörung 85
Anästhesieverfahren bei operativer Therapie einer peripartalen Blutung 85
Literatur 86
5 Anästhesie bei ambulanten Patienten 88
Einleitung 88
Besonderheiten des ambulanten Patienten 90
Besonderheiten des ambulanten Anästhesisten 92
Vorbereitung des Patienten 92
Zuständigkeit 92
Zeitpunkt des Vorgesprächs 93
Anamnese 94
Voruntersuchungen 94
Patientenaufklärung 95
Präoperative Anordnungen 95
Prämedikation 98
Patienteninformation 99
Welche Anästhesie für welchen Patienten? 99
Allgemeinanästhesie 100
Lokal- und Regionalanästhesie 102
Operation – was dann? 104
PONV-Prophylaxe 104
Postoperative Schmerztherapie 104
Entlassung 108
Teilnahme am Straßenverkehr, Geschäftsfähigkeit, Heimtransfer 109
Nachbetreuung 109
Literatur 111
6 Anästhesie bei Schwerverletzten und Polytraumapatienten 113
Rationale des notärztlichen Handelns 113
Fallbeispiel zur Erläuterung der Vorgehensweise nach dem ABCDE-Schema 115
Erstmaßnahmen und Bergung des Unfallopfers 116
Beherrschen auftretender Komplikationen auf dem Weg in die Klinik 123
Untersuchung im Schockraum 125
Operative Therapie 127
Literatur 127
7 Anästhesie bei Tumorpatienten 129
Kachexie als physiologische Besonderheit bei Tumorpatienten 129
Management am Beispiel des Ösophaguskarzinoms 131
Ätiologie 131
Prätherapeutische Diagnostik und Staging 131
Risikofaktoren – Beurteilung der Operabilität 131
Therapieoptionen 132
Prä- und intraoperative Besonderheiten der Anästhesie 133
Einfluss von intraoperativer Manipulation und Anästhesieverfahren auf den Tumorprogress und das Outcome 135
Postoperatives Management 137
Komplikationsmanagement auf der operativen Intensivstation 138
Literatur 141
8 Anästhesie bei psychisch kranken Patienten 144
Einleitung 144
Besonderheiten der anästhesiologischen Versorgung psychisch kranker Patienten 145
Anästhesieaufklärung und psychopharmakologisches Management 145
Narkosevorbereitung und -einleitung 147
Narkoseausleitung und postoperative Überwachung 148
Häufige psychische Erkrankungen und störungsspezifische Besonderheiten 149
Angststörungen 149
Affektive Störungen – Depression 150
Schizophrenie 150
Borderline-Persönlichkeit und selbstverletzendes Verhalten 151
Einwilligungsfähigkeit des Patienten 151
Definition der Einwilligungsfähigkeit 152
Einwilligungsunfähigkeit 152
Anregung der Bestellung eines gesetzlichen Betreuers 152
Eilentscheidungen 152
Zwangsbehandlungen 153
Freiheitsentziehende Maßnahmen 153
Patientenverfügung 153
Physiologische und pharmakologische Besonderheiten von Psychopharmaka 153
Antidepressiva 153
Antipsychotika (Neuroleptika) 155
Anxiolytika 156
Hypnotika 156
Spezielle Krankheitsbilder als Folge unerwünschter Arzneiwirkungen 156
Elektrokrampftherapie 158
Literatur 160
9 Anästhesie bei Patienten mit neurologischen Störungen und Behinderungen 162
Aspekte der Anästhesieführung bei neurologischen Erkrankungen 162
Besteht ein erhöhter Hirndruck? 162
Bestehen anatomische Besonderheiten, die Achtsamkeit erfordern? 166
Gibt es Kontraindikationen für ein Regionalanästhesieverfahren? 169
Besteht eine Disposition zur malignen Hyperthermie? 169
Ist das Aspirationsrisiko erhöht? 171
Sind kardiorespiratorische Einschränkungen vorhanden? 172
Ist meine Narkoseführung durch eine neurologische Dauermedikation beeinflusst? 173
Besteht ein Risiko für vegetative Dysfunktion? 174
Bei welchen pharmakologischen Substanzen ist Vorsicht geboten? 176
Hat mein Patient eine schlafbezogene Atmungsstörung? 177
Neurologische Krankheitsbilder 178
Schlaganfall 178
Epilepsie 183
Morbus Parkinson 186
Atypische Parkinson-Syndrome 188
Demenzerkrankungen 188
Idiopathischer Normaldruckhydrozephalus 188
Weitere extrapyramidalmotorische Störungen 189
Friedreich-Ataxie 189
Tumorerkrankungen des Nervensystems 190
Multiple Sklerose 191
Akute eitrige Meningitis 193
Störungen der neuromuskulären Übertragung – Myasthenia gravis 194
Motoneuronerkrankungen 197
Myopathien 198
Polyneuropathien 200
Patienten mit Störungen der Sinneswahrnehmung 203
Präoperative Vorbereitung 203
Blinde Patienten 204
Schwerhörige und gehörlose Patienten 204
Körperlich behinderte Patienten 204
Perioperative Besonderheiten 204
Geistig behinderte Patienten 204
Ursachen und präoperative Vorbereitung 204
Literatur 205
10 Anästhesie bei adipösen Patienten 209
Einleitung 209
Ermittlung des Körperfettanteils 210
Body-Mass-Index 210
Taillenumfang: Apfel- und Birnentyp 210
Waist-to-Height-Ratio 210
Komorbiditäten bei Adipositas 210
Anästhesievorbereitung 212
Dosierung der Medikamente bei Adipositas 212
Formeln zur Gewichtsberechnung 212
Grundlagen der Dosisberechnung 213
Anästhesieverfahren 215
Allgemeinanästhesie 215
Regionalanästhesie 216
Intraoperative Lagerung 218
Narkoseausleitung und Extubation 218
Postoperative Betreuung 219
Bariatrische Chirurgie 219
Operationsmethoden 220
Postoperative Komplikationen 221
Postoperatives Management 222
Anästhesie zur bariatrischen Chirurgie 222
Anästhesie für laparoskopische Eingriffe 222
Anästhesie zur Laparotomie 222
Literatur 223
11 Anästhesie bei geriatrischen Patienten 225
Einleitung 225
Anästhesierisiko und präoperative Vorbereitung 226
Anästhesierelevante Vorerkrankungen und notwendige Voruntersuchungen 226
Präoperatives Assessment der Kognition bei geriatrischen Patienten 226
Perioperativer Umgang mit der Dauermedikation 227
Besonderheiten bei der intraoperativen anästhesiologischen Überwachung 227
Standard-Monitoring 227
Indikation zum erweiterten hämodynamischen Monitoring unter Berücksichtigung altersphysiologischer Aspekte 227
Intraoperative Volumentherapie 228
Hypothermie 228
Besonderheiten der Anästhesieführung bei geriatrischen Patienten 229
Allgemeinanästhesie 229
Allgemeinanästhesie oder rückenmarknahe Regionalanästhesie? 229
Postoperatives Konzept 231
Kardiovaskuläre Komplikationen 231
Pulmonale Komplikationen 231
Neurologische Komplikationen 231
Exkurs: Delir 231
Postoperative Schmerztherapie 235
Postoperative Schmerztherapie – womit? 236
Schmerzmessung 236
Gabe von Blutprodukten – Patient Blood Management 237
Literatur 239
12 Anästhesie bei chronisch kranken Patienten 240
Einleitung 240
Der allergische Patient 242
Einleitung 242
Pathophysiologie 243
Präoperatives Management 243
Anästhesieeinleitung und Narkoseführung 244
Therapie und Komplikationsmanagement 245
Postoperatives Konzept 245
Literatur 246
Der Patient mit Lungenerkrankung 246
Einleitung 246
Pathophysiologie 247
COPD 247
Asthma bronchiale 253
Obstruktives Schlafapnoesyndrom 255
Literatur 257
Der Patient mit koronarer Herzkrankheit 257
Einleitung 257
Pathophysiologie 257
Präoperatives Management 257
Anästhesieeinleitung und Narkoseführung 263
Therapie und Komplikationsmanagement 265
Postoperatives Konzept 266
Literatur 267
Der Patient mit Herzinsuffizienz 267
Einleitung 267
Pathophysiologie 267
Präoperatives Management 268
Anästhesieeinleitung und Narkoseführung 269
Therapie und Komplikationsmanagement 271
Postoperatives Konzept 271
Literatur 272
Der Patient mit Herzklappenerkrankungen 272
Einleitung 272
Pathophysiologie 272
Präoperatives Management 273
Anästhesieeinleitung und Narkoseführung 276
Therapie und Komplikationsmanagement 278
Postoperatives Konzept 278
Literatur 279
Der Patient mit Herzrhythmusstörungen oder Schrittmacher 279
Einleitung 279
Pathophysiologie 279
Präoperatives Management 280
Anästhesieeinleitung und Narkoseführung 281
Therapie und Komplikationsmanagement 281
Postoperatives Konzept 282
Literatur 283
Der antikoagulierte Patient 283
Einleitung 283
Antikoagulanzien 283
Karenzzeiten 284
Literatur 289
Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion 289
Einleitung 289
Pathophysiologie 289
Präoperatives Management 290
Anästhesieeinleitung und Narkoseführung 290
Therapie und Komplikationsmanagement 291
Postoperatives Konzept 292
Literatur 292
Der Patient mit Diabetes mellitus 292
Einleitung 292
Pathophysiologie 292
Präoperatives Management 293
Anästhesieeinleitung und Narkoseführung 295
Therapie und Komplikationsmanagement 296
Postoperatives Konzept 297
Literatur 297
Der Patient mit Schilddrüsenerkrankung 298
Einleitung 298
Pathophysiologie 298
Präoperatives Management 298
Anästhesieeinleitung und Narkoseführung 300
Therapie und Komplikationsmanagement 301
Postoperatives Konzept 302
Literatur 302
Der Patient mit Leberinsuffizienz 302
Einleitung 302
Pathophysiologie 303
Präoperatives Management 303
Anästhesieeinleitung und Narkoseführung 306
Therapie und Komplikationsmanagement 308
Postoperatives Konzept 308
Literatur 308
13 Anästhesie und chronischer Schmerz 309
Einleitung 309
Chronischer Schmerz und Operation 309
Multimodales Konzept zur Schmerzprävention 309
Assessment 310
Präoperatives Management 310
Koanalgetika 310
Prä- und intraoperatives Management 310
Regionalanästhesie-Verfahren 310
Opioide 311
Intraoperatives Management 311
Ketamin 311
Lidocain 311
Interventionstechniken 312
Postoperatives Management 312
Nichtopioide 312
Der aktive Patient 312
Literatur 313
14 Anästhesie in schwierigen Situationen 314
Anästhesie bei Zwischenfällen 314
Häufigkeit und Ursache von Zwischenfällen in der Anästhesie 315
Zwischenfallmanagement in der Anästhesie 315
Umgang mit schweren Behandlungsverläufen in der Anästhesie 319
Literatur 321
Ethische Aspekte der Anästhesie 322
Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung 322
Ethikberatung in klinischen Einrichtungen 322
Literatur 324
Anästhesie bei Zeugen Jehovas 324
Einleitung 324
Rechtlicher Rahmen 324
Behandlungsalgorithmus Notfalltransfusion 324
Leitlinien 325
Risiko und Komplikationen 325
Präoperatives Assessment: Anamnese und Anämie 325
Patientenwille und Patientenverfügung 327
Intraoperatives Management 327
Management einer schweren Anämie 327
Ethischer Konflikt 328
Tödliche Verläufe 329
Literatur 329
Anästhesie bei Organspenden 330
Einleitung 330
Die postmortale Organspende 330
Die Lebendorganspende 333
Ethische Problematik 334
Literatur 336
15 Sachverzeichnis 338

1 Anforderungen an die „moderne“ Anästhesie


André Hemping-Bovenkerk

1.1 Einleitung


Anforderungen, die an Anästhesisten und Anästhesien gestellt werden, haben sich ebenso rasant entwickelt und diversifiziert wie das Fachgebiet selbst. Betrachtet man die Anfänge, so finden sich erste Hinweise auf eine erfolgreiche Anästhesie bereits in der Bibel: „Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm seiner Rippen eine und schloss die Stätte zu mit Fleisch“ (Genesis II, 21). Damit verbunden sind bereits erste Anforderungen an eine Anästhesie, die zumindest auch der allgemein anerkannten Bedeutung des Wortes Anästhesie vom griechischen anaisthēsía entsprechen, definiert als Ausschaltung der Schmerzempfindung.

Als Geburtsstunde und damit Start einer rasanten Entwicklung der „modernen“ Anästhesie gilt der 16. Oktober 1846 als William Thomas Green Morton in Boston eine erfolgreiche Äther-Anästhesie demonstrierte.

Zwar markiert dieser Tag den Beginn der Neuzeit für die Anästhesie, verbunden mit einem strukturierten und beabsichtigten Fortschritt, aus heutiger Sicht ist das damalige Vorgehen jedoch nicht mehr modern. Es entspricht nicht mehr gemäß Definition des Begriffes modern ▶ [11] dem neuesten Stand der geschichtlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und technischen Entwicklung.

Die Anforderungen an das Fachgebiet Anästhesie befinden sich in einem stetigen Wandel. Anforderungen, mit denen Morton 1846 konfrontiert war, sind aus heutiger Perspektive selbstverständliche Kernaufgaben geworden. Betrachtet man die historische Entwicklung der Anästhesie, so haben sich die Anforderungen an die Anästhesie deutlich verändert.

1.2 Historischer Überblick


Bis zur Entwicklung der Anästhesie war die Geschwindigkeit des Chirurgen neben seiner Geschicklichkeit ein wesentlicher, das Outcome beeinflussender Faktor.

1.2.1 Ausschaltung von Schmerzen


Schmerz war ein fester Bestandteil jeder Operation und der Versuch einer Ausschaltung des Schmerzes durch Tränke von Pflanzen, der Inhalation von Dämpfen und ähnlichem wurde keine Bedeutung beigemessen bzw. nicht wissenschaftlich aufgearbeitet. Letztlich blieb die Vorstellung, dass Schmerz gottgegeben sei, über Jahrhunderte hinweg theologisch legitimiert. Da die Mortalität während einer Operation ohne Analgesie und ohne aseptisches Vorgehen extrem hoch war, stellten Operationen oftmals den letzten Ausweg dar, wenn keine andere Aussicht auf Heilung mehr bestand.

Bereits 1772 wurde Distickstoffmonoxid (Lachgas) durch Joseph Priestley synthetisiert. 1800 erkannte Humphrey Davy als erster dessen analgetische Wirkung im Rahmen eines Selbstversuches bei Zahnschmerzen. Allerdings fand diese Entdeckung keine weitere Beachtung. Die Geburt der „modernen“ Anästhesie wurde sozusagen erneut verpasst. Zunächst wurde Lachgas – ebenso wie Äther, der bereits 1540 von Paracelsus beschrieben worden war – zur Belustigung auf Veranstaltungen und Jahrmärkten verwendet. Erst 1844 erfolgte der Versuch einer alleinigen Lachgasanästhesie durch Horace Wells. Ein erneuter Einsatz 1845 bei einer Vorführung im Boston General Hospital scheiterte dann jedoch aufgrund einer fehlerhaften Dosierung, sodass die Verwendung von Lachgas zur Anästhesie zunächst nicht weiter verfolgt wurde.

Am 30. März 1842 führte Crawford Williamson Long die erste erfolgreiche Äthernarkose durch. Weitere 4 Jahre später und insgesamt 300 Jahre nach der Erstbeschreibung durch Paracelsus fand am 16. Oktober 1846 die erste öffentlich beachtete Ätheranästhesie durch den Zahnarzt William Thomas Green Morton statt, unter der John Collins Warren unter Anwesenheit weiterer Kollegen einen Tumor am Hals entfernte. Morton war damit der Erste, der mit persönlicher Inspiration und Überzeugung das richtige Agens vor dem richtigen Auditorium, am richtigen Platz sowie zum richtigen Zeitpunkt der Geschichte verabreichte und für eine Verbreitung dieser Neuigkeit über den gesamten Globus sorgte ▶ [5].

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Äther und Chloroform, das lange Zeit als Monoanästhetikum in der Geburtshilfe Verwendung fand, zur Einleitung und Aufrechterhaltung einer Inhalationsanästhesie eingesetzt. Dann folgten zunächst Halothan und Enfluran. Später wurden injizierbare Kurznarkotika (ab 1924 Barbiturate) und Opioide entwickelt.

Parallel zur Inhalationsanästhesie entwickelte sich auch die Lokal- und Regionalanästhesie seit 1884 stetig weiter. Bereits 1898/1899 führte Karl August Bier die erste neuraxiale Blockade durch.

1.2.2 Optimale Operationsbedingungen


Bis dahin waren die Anforderungen an die Anästhesie im Wesentlichen die Analgesie, Hypnose und Sicherstellung des Überlebens des Patienten. Mit der Entwicklung der ersten Muskelrelaxanzien kam als weitere Dimension der Komfort des Operateurs hinzu.

Der Anästhesist entwickelte sich vom Hilfsassistent chirurgischer Eingriffe im Operationssaal zum Spezialisten für Narkose und Betreuung von Patienten in kritischen Lebenssituationen ▶ [12].

1.2.3 Junge Geschichte der Anästhesie – Fokus Versorgungsqualität


1949 sollte im Rahmen des 52. Deutschen Ärztetages der Facharzt für Anästhesie in die Facharztordnung aufgenommen werden. Allerdings wurde der Beschluss aufgrund des Protestes weiterer Fachgesellschaften ausgesetzt. Erst 1952 wurde die „Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Anästhesie“ gegründet, aus der 1953 die „Deutsche Gesellschaft für Anästhesie“ hervorgehen sollte. 1960 wurde der erste außerordentliche Lehrstuhl (Prof. Frey, Mainz) eingerichtet und 1966 folgte der erste ordentliche Lehrstuhl in Hamburg. Diese Entwicklung kennzeichnet die zunehmende Bedeutung der Aus- und Weiterbildung von Anästhesisten sowie der wachsenden Diskussion um Mortalität und Sicherheit von Patienten, der durch eine strukturierte und entsprechend qualifizierende Ausbildung begegnet werden sollte.

Seitdem ist die Anästhesie fester Bestandteil des medizinischen Spektrums in Deutschland und ein Krankenhaus mit operativem Spektrum ohne Anästhesie undenkbar.

Die weitere Entwicklung der Anästhesie ist insbesondere durch Einführung eines Standardmonitorings und damit verbunden einer Diskussion um die Vermeidung von anästhesieassoziierten Todesfällen geprägt. Die Einführung der Pulsoxymetrie Mitte der 70er Jahre stellt einen wesentlichen Meilenstein dar.

Mit der Einführung der EEG-basierten Messung der Anästhesietiefe im Jahr 1996 rückte die Diskussion um eine adäquate Tiefe in den Fokus der anästhesiologischen Forschung, auch verbunden mit Fallberichten von Awareness und Bedenken um das Outcome der Patienten. Lange Zeit lag der Fokus der anästhesiologischen Outcome-Forschung auf der intraoperativen Wachheit ▶ [10].

Die wachsenden Anforderungen an das Fachgebiet erforderten neben der Qualifizierung zum Facharzt für Anästhesie weitere Subspezialisierungen. Neben der Zusatzbezeichnung „spezielle Schmerztherapie“ (1996) und „Notfallmedizin“ (2003) wurde auch die „spezielle Intensivmedizin“ aufgenommen. So wie sich die Anästhesie einst aus dem chirurgischen Fach heraus entwickelt hat, etabliert sich heute die Schmerzmedizin zunehmend als eigenständiges Fachgebiet, aber auch Notfall- und Intensivmedizin werden mehr und mehr als eigene Fachgebiete wahrgenommen.

1.2.4 Outcome


Aktuell erweitern nicht invasive Monitoringmethoden wie nicht invasive Herzzeitvolumen-Messung und Pulskonturanalysen das anästhesiologische Spektrum und tragen zu einer lebhaften Diskussion über den Einfluss der Anästhesie auf Mortalität und kognitive Fähigkeiten bei. Die Optimierung anästhesiologischer Arbeitsplätze unter arbeitspsychologischen und ergonomischen Gesichtspunkten verbunden mit einer besseren Übersicht und der Integration neuer Alarmhierarchien bringt zusätzliche Verbesserungen.

1.3 Anforderungen heute


Der historische Überblick zeigt, dass sich das Anforderungsspektrum in den letzten 160 Jahren seit der Geburtsstunde der „modernen“ Anästhesie stetig erweitert hat. Die rasante Entwicklung der Chirurgie, die Vergrößerung des operativen Spektrums und der Rückgang der operationsbezogenen Mortalität wären ohne die immensen Fortschritte in der Anästhesiologie kaum denkbar gewesen (▶ [12], ▶ [17]).

Die gestiegene Versorgungsquantität älterer und multimorbiderer Patienten erfordert auch weiterhin ein hohes Maß an Innovation und Qualitätsorientierung des Anästhesisten sowie die Anpassung an veränderte Anforderungen.

1.3.1 Aus Sicht der Patienten


Anästhesie erfordert die Betrachtung des gesamten Menschen, nicht nur eines erkrankten Organs. Für ein besseres Verständnis ist es essenziell, sich die Bedürfnisse und die daraus resultierenden Anforderungen aus Sicht der Patienten näher zu betrachten. Die Angst der Patienten, während der Anästhesie zu versterben, hat sich über die Zeit nicht wesentlich verändert, trotz des Vertrauens, dass die Anästhesie sicherer geworden ist ▶ [34]. Neben Awareness, Schmerz und PONV stellt mittlerweile die Sorge um kognitive Veränderungen eine neue Dimension der Bedenken dar. Aus Gründen der Übersicht wird im Folgenden auf die Darstellung der...

Erscheint lt. Verlag 16.9.2015
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Anästhesie
Schlagworte ambulante Patienten • Anästhesie • Anästhesie Schwangere • Anästhesiologie • Dosierungsempfehlungen • Praxisbuch • Schmerztherapie • spezielle Anforderungen • Traumapatienten
ISBN-10 3-13-202061-3 / 3132020613
ISBN-13 978-3-13-202061-0 / 9783132020610
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