Innere Kinder, Täter, Helfer & Co (Leben Lernen, Bd. 202) (eBook)
248 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-20285-4 (ISBN)
Jochen Peichl, Dr. med., war bis Ende 2010 Oberarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum Nürnberg und ist jetzt in freier Praxis und als Leiter des Institutes für Hypno-analytische Teiletherapie InHAT tätig. Weiterbildung u. a. in Traumazentrierter Psychotherapie und Ego-State-Therapie; aktuelle Arbeitsschwerpunkte in Theorie und Praxis: Borderline -Störungen, Trauma-assoziierte und dissoziative Störungen. www.jochen-peichl.de www.teiletherapie.de
Jochen Peichl, Dr. med., war bis Ende 2010 Oberarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum Nürnberg und ist jetzt in freier Praxis und als Leiter des Institutes für Hypno-analytische Teiletherapie InHAT tätig. Weiterbildung u. a. in Traumazentrierter Psychotherapie und Ego-State-Therapie; aktuelle Arbeitsschwerpunkte in Theorie und Praxis: Borderline -Störungen, Trauma-assoziierte und dissoziative Störungen. www.jochen-peichl.de www.teiletherapie.de
Innere Kinder, Täter, Helfer & Co
Zu diesem Buch 3
Über Jochen Peichl 3
Inhalt 6
Einleitung: Wohin geht die Reise? 10
1. Was Menschen Menschen antun können 18
2. Das ödipale Dilemma 26
2.1 Ein eindrucksvolles Beispiel: Kernberg spricht mit einer Patientin 26
2.2 Unklare Begriffe 30
3. Die Selbst-Familie oder der Ego-State-Ansatz nach Watkins 38
3.1 Das multidimensionale Selbst 38
3.2 Spurensuche 40
3.3 Über Freud hinaus: Paul Federn und Edoardo Weiss 42
3.4 Ego-State-Theorie: John und Helen Watkins 45
3.5 Wie entstehen Ego-States? 49
3.6 Die Vorteile der Ego-State-Therapie 55
4. Die Innenwelt der Ego-States 61
4.1 Der sogenannte Normalfall 61
4.2 Ego-States – der Versuch einer funktionalen Beschreibung 63
4.3 Unterschiedliche Kategorien von Ego-States 66
4.3.1 Ego-States, die der Anpassung dienen 66
4.3.2 Introjekte 68
4.3.3 Traumabezogene Ego-States 70
5. Dissoziation und Multiple Persönlichkeit 76
5.1 Dissoziation 77
5.2 Die Kaskade der Stressbewältigung 79
5.3 Dissoziation, Traumaerfahrung und die Folgen 83
5.4 Dissoziative Identitätsstörung: ein kurzer Abriss 85
5.4.1 Ist die Dissoziation eine Krankheit? 88
5.4.2 Zum Verständnis der einzelnen Teile des Selbst 91
6. Die traumatisierte Selbstfamilie der Borderline-Patienten 96
6.1 Borderline-Störung: was man davon wissen sollte 97
6.2 Jeffrey Young: Kategorien der Ego-States bei den Borderline-Patienten 99
6.3 Elizabeth Howell: eine spezielle psychische Organisation der Ego-States bei Borderline-Patienten 104
6.4 Hypoarousal/Hyperarousal und die Opfer/ masochistisch- und Täter/hasserfüllt-States bei Borderline-Patienten 106
7. Die Bildung und Funktion traumabasierter Ego-States 110
7.1 Die Identifikation mit dem Täter oder die Entstehung traumabezogener Ego-States 113
7.2 Über Täter- und Opferintrojekte 114
7.3 Die desorganisierte Bindung 118
7.4 Die Strukturelle Dissoziation nach Ellert Nijenhuis 123
7.4.1 Der emotionale Persönlichkeitsanteil: EP 126
7.4.2 Der »anscheinend normale« Teil der Persönlichkeit 127
7.4.3 Die Dimensionen der Strukturellen Dissoziation 129
7.4.4 Das Handlungssystem, die masochistische und sadistische Abwehr 130
7.5 Die inneren Verfolger: Fremdkörper im Selbst oder innere Helfer? 135
7.5.1 Der innere Verfolger, Typ 1: das radikale Helfer-Ego-State 138
7.5.2 Der innere Verfolger, Typ 2: das Täterintrojekt (täteridentifiziert) 140
7.5.3 Der innere Verfolger, Typ 3: aggressive Ego-States 141
7.5.4 Der innere Verfolger, Typ 4: Mittäterintrojekte (täterloyal) 143
7.6 Die Schutzfunktion der Täterintrojekte nutzen 144
8. Der sadistische und der nicht sadistische Täter 146
8.1 Die Verhaltensstrategie nicht sadistischer Täter 147
8.2 Die Verhaltensstrategie sadistischer Täter 150
8.3 Die Entstehung unterschiedlicher Opfer- und Täterintrojekte 155
8.3.1 Ego-State-Bildung bei nicht sadistischem Missbrauch 156
8.3.2 Ego-State-Bildung bei sadistischem Missbrauch 157
9. Die Praxis der Ego-State-Therapie: die Grundprinzipien von Brücke, Verschiebung und innerem Dialog 160
10. Die Behandlungstechnik der Ego-State-Therapie bei traumabasierten Störungen 169
10.1 Grundlegende Techniken der Ego-State-Therapie 170
10.1.1 Nicht hypnotische Techniken 173
10.1.2 Hypnotische Methoden des Zugangs 175
10.2 Kontaktaufnahme mit Ego-States 177
10.2.1 Ins System hineinsprechen 177
10.2.2 Einen Ego-State herausrufen 179
10.3 Die Planung der Behandlung traumabasierter Störungen nach dem SARI-Modell 180
10.3.1 Die Phase der Sicherheit und Stabilisierung 182
10.3.2 Schaffung eines Zugangs zum Traumamaterial und den damit verbundenen Ressourcen 192
10.3.3 Die Auflösung der traumatischen Erfahrungen 201
10.4 Integration der Traumaerfahrung in den Selbst- und Weltentwurf 209
11. Spezielle Techniken der Ego-State-Therapie: Umgang mit Quälgeistern, inneren Verfolgern und Täterintrojekten 216
11.1 Schurkenschrumpfen 216
11.2 Innere Stimmen und die Bearbeitung ich-syntoner Über-Ich-Botschaften 219
11.3 Traumatische Introjekte: täteridentifizierte oder täterloyale Ego-States 221
11.3.1 Umgang mit täteridentifizierten Ego-States 224
11.3.2 Arbeit mit täterloyalen Introjekten 226
11.3.3 Umgang mit aggressiven Reaktionen auf das Trauma 229
12. Ausblick: meine Ego-State-Philosophie 231
Anhang 1 – 4 234
Fragebogen zur ESD 235
Wie stabil fühle ich mich? 236
Literatur 239
7. Die Bildung und Funktion traumabasierter Ego-States Joseph Santoro und Kollegen veröffentlichten schon im Jahre 1997 ein klinisches Modell der Borderline-Persönlichkeitsstörung, welches in seiner Klarheit noch bis heute Gültigkeit besitzt. Ihr sogenanntes »Equifinalitätsmodell der BPS« (Santoro et al. 1997) diskutiert die Rolle der traumatischen Umweltbedingungen im Leben eines Kindes (Faktor I), deren Auswirkung auf die neurobiologischen Prozesse auf dem Hintergrund konstitutioneller biologischer Verwundbarkeiten (Faktor II) für die Entstehung einer BPS. Mit »Equifinalität« meinen die Autoren, dass jeder Faktor für sich allein oder in Kombination das gleiche Ziel erreichen könne, nämlich die Herausbildung einer Persönlichkeitsstörung. Das Modell als grafische Darstellung zeigt Abbildung 7-1 auf S. 110. Für uns interessant ist vor allem der Faktor I, der sich mit den Folgen des traumatischen Stress in der frühen und späten Kindheit beschäftigt. Gemeint sind chronische Stress- und Alarmreaktionen des Säuglings oder Kindes auf dysfunktionale familiäre Kommunikationsstrukturen im Sinne kumulativer, sequenzieller Traumatisierung. Sie entstehen durch entwertende und feindselige Interaktionsmuster (siehe Lichtenberg 1990, Milch 1998) zwischen den Bezugspersonen und in Bezug auf das Kind und durch unvorhersehbare aversive Reaktionsmuster auf Regel- und Normenüberschreitungen, wobei diese Normen vom Erwachsenen willkürlich verändert werden können. Unter psychotraumatischem Stress lässt sich eine aversive, d. h. schwer erträgliche Situation verstehen, die bei einem Kind eine Schreck- und Angstreaktion auslöst, welche dazu führt, dass es sich in seiner psychologischen und physischen Sicherheit und Unversehrtheit bedroht fühlt. Gleichzeitig besteht keine Möglichkeit, der Quelle des aversiven Reizes durch Selbstschutz oder Flucht zu entkommen. Im Anfangsstadium einer unangenehmen und bedrohlichen Situation wird ein kleines Kind schreien, damit die umsorgende Person von der ablaufenden Bedrohung erfährt, d. h., das Bindungssystem wird im potenziellen Helfer aktiviert. Wenn sich dieser Zustand von psychotraumatischem Stress häufig wiederholt und somit das Reaktionsmuster generalisiert, dann kommt es zu Veränderungen im neurobiologischen Stresssystem (siehe Perry 1994, 1999, 2001; Perry et al. 1994, 1998; Schore 1994, 1996, 1998, 2000a + b + c, 2001a + b + c, 2002). Unglücklicherweise bringt aber das Schreien des misshandelten Kindes den Verursacher des Traumas kaum dazu, das Kind zu verteidigen oder für das Kind zu kämpfen - der Täter ist paradoxerweise gleichzeitig der ersehnte potenzielle Retter. In Abwesenheit eines liebevoll umsorgenden Elternteils und nach vielen bitteren Enttäuschungen wird das Kind das Schreien als Copingverhalten bei Bedrohung aufgeben und abhängig vom Alter des Kindes und der Art der Traumatisierung in das Hyperarousalkontinuum als einer kindlichen Variante der Kampf-Flucht-Reaktion oder ins dissoziative Kontinuum übergehen. Die Folge des Hyperarousal sind eine gesteigerte Schreckhaftigkeit, die ständige ängstliche Beobachtung der Umwelt auf bedrohliche Reize und eine verbesserte Fähigkeit, aus dem Verhalten, der Stimme oder der Mimik eines Gegenübers dessen potenzielle Gefährlichkeit und Neigung zur Grenzüberschreitung herauszulesen. Santoro nennt das die Entwicklung einer »relationship control phobia«, eine kreative kindliche Anpassungsleistung, die nach der Manifestation der BPS in der Spätpubertät sich als die Kriterien eins und zwei nach DSM-IV manifestieren: (1) Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. (2) Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist. Diese fast schon paranoide Kontrolle der Umwelt verhindert den Aufbau eines Gefühles innerer Sicherheit und zerstört jegliches basales Urvertrauen. Die Grundannahme, dass alle Beziehung zu Außenstehenden zwar ersehnt, aber bedrohlich und überwältigend ist, wirkt sich natürlich auch auf die Herausbildung eines eigenen Selbstbildes aus: Das sich neuronal tief einbrennende negative Selbstbild ist die Übernahme dessen, was die anderen mir spiegeln - aus einem inneren Introjekt wurde durch Identifikation: ich bin dumm, böse, eine Last usw. Der für viele Borderline-Patienten typische Selbsthass ist aus der Identifikation mit dem negativen Selbst-Bild »ich bin böse« entstanden, die Kriterien drei und sieben der BPS nach DSM-IV. 7.1 Die Identifikation mit dem Täter oder die Entstehung traumabezogener Ego-States Das Dilemma, welches den Kern der psychotraumatischen Erfahrung für das Kind darstellt, ist der innere Kampf zwischen Bindungsverhalten, d. h. Aufrechterhalten einer lebensnotwendigen Bindung, und der Schutzreaktion vor aversiven, überwältigenden Reizen. In dieser chronischen Notfallsituation bilden sich Ego-States, die in ihrer Funktion als Überlebensstrategie gesehen und gewürdigt werden müssen. Eine Form ist die Übernahme des Täters als Introjekt in den Innenraum, als sogenanntes Täterintrojekt. Schon Ferenczi (1930, 1933) hatte darüber geschrieben, dass die Wünsche des Täters zum Mittelpunkt der kindlichen Identität werden können: Seinen Bedürfnissen und Wünschen zu entsprechen, versprach Hoffnung auf Überleben. Aber sich so intensiv mit den destruktiven Absichten eines anderen zu beschäftigen, dem man bedingungslos ausgeliefert ist, sich innerlich an seine Stelle zu setzen, um seine Absichten zum besseren Selbstschutz zu erahnen, das hinterlässt intrapsychische Spuren: Der andere beginnt in uns zu leben, als Rollenbild, als Interaktionsmodell, als Täterintrojekt, als Imitat. Mit diesen Ego-States will ich mich nun beschäftigen: mit den gelebten Täter/hasserfüllt-States der Borderline-Patienten, d. h. mit der aktiven Imitation des Täters in der Beziehung zu anderen, insbesondere aber auch mit Täterintrojekten, die als vernichtende, verurteilende innere Instanzen das traumatisierte kindliche Selbst bedrängen, als sei in realer Abwesenheit des Täters dieser ständig präsent. Aber auch mit den sogenannten Opferintrojekten, der Übernahme der Opferposition in das vorherrschende Selbstbild eines Menschen nach traumatischen Erfahrungen. »Opfer sein« als eine Form der gelebten Identität, hinter der alle selbstbewusste Eigenständigkeit zu verschwinden droht. [...]
Erscheint lt. Verlag | 22.5.2015 |
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Reihe/Serie | Hilfe aus eigener Kraft |
Leben lernen | |
Leben Lernen | Leben Lernen |
Zusatzinfo | mit Abbildungen sowie Fragebögen und Tests |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Borderline • Dissoziation • Psychosomatisch • Resilienz • Trauma • Traumatherapie |
ISBN-10 | 3-608-20285-4 / 3608202854 |
ISBN-13 | 978-3-608-20285-4 / 9783608202854 |
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