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Innenohrschwerhörigkeit (eBook)

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
240 Seiten
Thieme (Verlag)
978-3-13-163911-0 (ISBN)

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Innenohrschwerhörigkeit - Gerhard Hesse
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Differenziert Alle Formen und Entstehungsmechanismen der Innenohrschwerhörigkeit Das Krankheitsbild verstehen Ätiologische und epidemiologische Daten werden mit audiometrischen und radiologischen Befunden verknüpft Up-to-date bleiben Neues aus der Forschung Therapiemöglichkeiten Medikamentöse Therapie, CI, Hörgeräte Expertenwissen Vom Spezialisten für das Thema Innenohrschwerhörigkeit

Gerhard Hesse: Innenohrschwerhörigkeit 1
Innentitel 4
Anschriften/Impressum 5
Vorwort 6
Inhaltsverzeichnis 8
Teil 1 Allgemeiner Teil 14
1 Grundlagen der Anatomie und der Physiologie des Innenohres 15
Einleitung 15
Haarzellen 16
Kochleärer Verstärker 16
Transduktion des Schallreizes 18
Stütz- und Pfeilerzellen 19
Ortsabbildung – Tonotopie 19
Recruitment 21
Afferente Schallübertragung der inneren Haarzelle auf den Hörnerv 22
BDNF hemmt Degeneration der Spiralganglienzellen 22
Literatur 23
2 Differenzierende Audiometrie 24
Einleitung 24
Tonschwellenaudiogramm 24
Höchsttonaudiometrie 26
Békésy-Audiometrie 26
Unbehaglichkeitsschwelle und Tinnitusbestimmung 26
Überschwellige (Recruitment-)Tests 26
Psychoakustik/zentrale Hörtests 30
Sprachgebundene Tests 30
Sprachaudiogramm 30
Sprachaudiometrie im Störschall 30
Freiburger Sprachtest im Störschall 31
Sprachunabhängige Tests 32
Objektive audiologische Diagnostik 32
Otoakustische Emissionen (OAE) 32
Transitorisch evozierte otoakustische Emissionen (TEOAE) 32
Distorsionsprodukte otoakustischer Emissionen (DPOAE) 32
Evoked Response Audiometry (ERA) 34
Elektrokochleografie (ECochG) 35
Literatur 36
3 Bildgebende Verfahren 38
Einleitung 38
Konventionelle Röntgendiagnostik 38
Computertomografie 39
Digitale Volumentomografie (DVT) 40
Magnetresonanztomografie 41
Neuere Indikationen und „Ergebnisse von MRT-Untersuchungen 42
Literatur 43
Teil 2 Spezieller Teil 44
4 Akute Innenohrschwerhörigkeit 45
Plötzliche einseitige Hörminderung (idiopathischer Hörsturz) 45
Molekulare Grundlagen des Hörsturzes 46
Ätiologie des Hörsturzes 48
Risikofaktoren 49
Hörsturz und Stress – „Stress“ als Auslöser einer plötz„lichen Hörminderung 51
Hörsturz und Apoplex 52
Hörsturz und Hyper„cholesterinämie 52
Infektiös bedingte Schwerhörigkeit 55
Bakterielle Infektionen 55
Innenohrschwerhörigkeit bei der Syphilis/Otosyphilis 55
Virusinfektionen 56
Schwerhörigkeit nach Meningitiden 57
Mykogene Infektionen als Ursache für Schwerhörigkeit 58
HIV-Infektionen und Schwerhörigkeit 58
Retrokochleäre Hörminderung 59
Multiple Sklerose 59
Idiopathische hypertrophe Pachymeningitis 61
Kleinhirnbrückenwinkel-Tumoren 61
Intrakranielle Aneurysmen und plötzlicher Hörverlust 62
Basilarinsuffizienz als Ursache eines „Hörsturzes“ 62
Bogengangsdehiszenzen 64
Migräne und Hörverlust 64
Psychogene plötzliche Hörminderung 66
Akute hydropische Schwerhörigkeit 66
Pathophysiologische Vorstellungen zum Hydrops 67
Diagnostik der hydropischen Schwerhörigkeit 69
Kochleäre Menière-Erkrankung 74
Hydropsmaskierung als prognostisches Zeichen 74
Literatur 75
5 Schwerhörigkeit im Alter 80
Entwicklung der Hörfähigkeit im Alter 80
Ausprägung und Genese 80
Pathomechanismen der Schwerhörigkeit im Alter 81
Altersbedingte Auffälligkeiten der Nervenfasern im N. cochlearis 81
Grundlagenforschung im Tiermodell 82
Epidemiologie der Schwerhörigkeit im Alter 82
Welche Rolle spielen Risikofaktoren bei der Entwicklung einer Schwerhörigkeit? 83
Blue Mountains Hearing Study: Alkoholkonsum, Rauchen und Hörverlust 83
Umwelt- und genetische Einflüsse bei der altersbedingten Schwerhörigkeit 84
Aktuelle tonaudiometrische Befunde 84
Unterscheidung zwischen peripherer und retrokochleärer (neuraler bzw. zentral-nervöser) Hörstörung 87
Kortikale Veränderungen im Alter 89
Temporale und spektrale Verarbeitung wird im Alter erschwert 90
Hörverlust im Alter und mentale Fähigkeiten 91
Demenz und Schwerhörigkeit 91
Einfluss von Screening-Untersuchungen auf die Hörfähigkeit im Alter 92
Versorgung schwerhöriger alter Menschen mit Hörgeräten 92
Verbesserungen in der Versorgung älterer Schwerhöriger sind notwendig 93
Hörtherapie unterstützt die Rehabilitation älterer Schwerhöriger 93
Literatur 94
6 Immunologische bedingte Schwerhörigkeit 97
Einleitung 97
Klassifikation nach Harris 97
Autoimmunschwerhörigkeit und Labordiagnostik 98
Heat-Shock-Protein 70 und Autoantikörper 99
Autoimmunerkrankung des Innenohres – eigenständige Erkrankung oder syndromale Mitreaktion? 100
Autoimmunerkrankungen mit Innenohrbeteiligung 100
Cogan-Syndrom 102
Behçet-Syndrom 103
Erklärungsmodelle der Autoimmunschwerhörigkeit 105
Tierversuche 105
Histologische Untersuchungen 106
Therapie der Autoimmunschwerhörigkeit 106
Langzeitprognose der Autoimmunschwerhörigkeit 107
Literatur 108
7 Traumatische Innenohrschwerhörigkeit 112
Einleitung 112
Akute Lärmschäden: Knall- und Explosionstraumata 113
Akutes Knalltrauma 113
Explosionstrauma 115
Verpuffung 117
Akutes Lärmtrauma 117
Grundlagen der Therapie und Protektion bei Lärmschäden 118
Erworbene Lärmschwerhörigkeit 119
Beruflich bedingte Lärmschäden 119
Lärmbelastungen in nicht industriellen Lärmbereichen 122
Neurale Mitbeteiligung bei Lärmeinwirkung 129
Schädeltrauma und Felsenbeinfrakturen 131
Stumpfes Schädeltrauma 131
Felsenbeinfrakturen 131
Fensterrupturen des ovalen und runden Fensters 133
Ergebnisse operativer Abdeckung des runden Fensters 134
Generelle Tympanoskopie beim Hörsturz? 134
Literatur 135
8 Ototoxische Schwerhörigkeit 138
Einleitung 138
Aminoglykosid-Antibiotika 138
Hörverlust nach Neomycin-Ohrentropfen 140
Versuche der Otoprotektion vor Aminoglykosidgabe? 140
Ototoxität der Platinkomplexe und anderer Zytostatika 141
Schleifendiuretika 142
Salizylate 143
Malariamittel 145
Sonstige potenzielle Ototoxika 147
Fraglich ototoxische Medikamente 148
Schwerhörigkeit und PDE-5-Inhibitoren (Sildenafil) 148
Hörverlust nach Ator„vastatin 148
Olivenöl 148
Literatur 149
9 Mittelohrbedingte Innenohrschwerhörigkeit 152
Einleitung 152
Innenohrbeteiligung nach Mittelohrentzündung 152
Otosklerose 154
Osteogenesis imperfecta und Morbus Paget 155
Mittelohrtumoren mit Innenohrbeteiligung 155
Literatur 156
10 Genetisch bedingte Innenohrschwerhörigkeit 158
Einleitung 158
Häufigkeit und Einteilung hereditärer Schwerhörigkeit 158
Connexine 159
Andere Genorte und -mutationen 160
Genetische Disposition für normales Hören 160
Diagnostische Gentests 160
Monosymptomatische hereditäre Schwerhörigkeit 163
Fehlbildungen und audiometrische Bilder 163
Syndromische hereditäre Innenohrschwerhörigkeit 166
Usher-Syndrom 166
CHARGE-Syndrom 167
Alport-Syndrom 167
Alport-ähnliche Syndrome 169
Pendred-Syndrom 171
Pendred-ähnliche, schilddrüsenassoziierte Syndrome 172
Lyosomale Speicherkrankheiten 173
Refsum-Syndrom 174
Sichelzellanämie 174
Genetisch bedingte Hauterkrankungen 175
Sonstige hereditäre Syndrome 176
Genetische Prädisposition als Ursache für Alters- oder Lärmschwerhörigkeit 178
Genetische Faktoren der lärminduzierten Innenohrschwerhörigkeit 178
Plötzliche Hörminderung und genetische Prädisposition? 179
Literatur 179
11 Schwerhörigkeit im Kindesalter 184
Einleitung 184
Embryonal erworbene infektiös bedingte Schwerhörigkeit 184
Röteln 184
Zytomegalie 185
Toxoplasmose 186
Erythroblastose 186
Perinatale Asphyxie 186
Postnatale Schwerhörigkeit 187
Arteriosklerose und kochleäre Veränderungen bei Jugendlichen 187
Literatur 188
12 Chronische Innenohrschwerhörigkeit durch Gefäß-, Stoffwechsel- oder Tumorerkrankungen 190
Einleitung 190
Nierenfunktionsstörungen 190
Leberfunktionsstörungen 192
Vitamin-A-Mangel (Retinol-Mangel) 192
Lebertransplantation 192
Schilddrüsenfunktions„störungen 193
Speicherkrankheiten 193
Siderosen 193
Mukopolysaccharidose – Hurler-Syndrom 194
Phenylketonurie 194
Fettstoffwechselstörungen 194
Diabetes mellitus 194
Tumorerkrankungen 195
Vaskuläre Störungen 196
Therapeutische Konsequenzen 199
Literatur 199
13 Psychogene Schwerhörigkeit 202
Einleitung 202
Psychogene plötzliche Hörminderung 202
Diagnostik der psychogenen Hörstörung 204
Schwerhörigkeit und Taubheit 205
Literatur 205
14 Ausblick: Therapieoptionen bei Innenohrschwerhörigkeit 207
Einleitung 207
Plötzliche, einseitige idiopathische Hörminderung 207
Warum sind Steroide effektiv? 208
Endolymphhydrops 209
Autoimmunschwerhörigkeit 209
Lärmtraumata 210
Intratympanale Kortisontherapie 210
„Hörpillen“ 210
Gentherapie 210
Welche Optionen für eine Gentherapie gibt es? 211
Was bleibt? 211
Hörgeräte 211
Kochleaimplantate 212
Hör- und Audiotherapie 212
Literatur 213
Anhang 216
Sachverzeichnis 217

1 Grundlagen der Anatomie und der Physiologie des Innenohres


1.1 Einleitung


In den letzten 20–30 Jahren konnten wesentliche neue Erkenntnisse über die Schallverarbeitung im Innenohr gewonnen werden. Dies betrifft besonders die aktive Beweglichkeit der äußeren Haarzellen und ihre Steuerung sowie molekularbiologische Zusammenhänge der Funktion und auch der Schädigung von Innenohrstrukturen, sowie die weitere zentrale Schallverarbeitung in der Hörbahn bis zum auditorischen Kortex, wo das akustische Signal wahrgenommen, erkannt, bewertet und verstanden wird.

Das Innenohr liegt kaffeebohnengroß und gut geschützt im härtesten Knochen des Körpers, dem Felsenbein – damit ist es aber auch direkten Untersuchungen nicht zugänglich. Die Schnecke (Kochlea) ist in 2½ Windungen spiralig um den Modiolus gewickelt, die Gesamtlänge entspricht abgerollt etwa 32 mm. Sie besteht aus 3 übereinander liegenden Kanälen oder Skalen: Zwischen der oberen (Scala vestibuli) und der unteren (Scala tympani) liegt auf der Basilarmembran das eigentliche Sinnesorgan, die Scala media oder das Corti’sche Organ (▶ Abb. 1.1). Das Corti’sche Organ bildet so mit der unten liegenden Basilar- und der oben liegenden Reissner-Membran die kochleäre Trennwand (cochlear partition). Die äußeren Skalen (Scala vestibuli vom ovalen Fenster aufwärts führend, Scala tympani abwärts zum runden Fenster führend) kommunizieren an der Schneckenspitze (Apex) am Helikotrema miteinander und mit dem Liquor des Gehirns über den Aquaeductus cochleae – sie enthalten natriumreiche, extrazelluläre Perilymphe. Dagegen wird die kaliumreiche Flüssigkeit der Scala media oder des Ductus cochlearis (Endolymphe) in der Stria vascularis, also aus dem zuführenden arteriellen Blut, gebildet und über den Saccus endolymphaticus rückresorbiert. Zwischen der kaliumreichen Endolymphe, die nur den apikalen Anteil der Haarzellen und die Stereozilien versorgt, und der natriumreichen Perilymphe, die den Zellleib der Haarzellen umspült, besteht durch die unterschiedlichen Ionenkonzentrationen eine Potenzialdifferenz von etwa 80 mV. Zusätzlich besteht eine elektrische Potenzialdifferenz der Endolymphe zum intrazellulären Zytoplasma der Haarzellen. Diese 3 Flüssigkeitsräume unterscheiden sich damit in ihrer Ionenkonzentration und ihrem elektrischen Ruhepotenzial. Diese Potenzialdifferenzen müssen durch energieverbrauchende Stoffwechselprozesse und Ionenpumpen aufrechterhalten werden, sie stellen zugleich eine wesentliche Grundlage der mechanoelektrischen Transduktion von Schallsignalen dar.

Abb. 1.1 Schematische Anatomie des Corti’schen Organs.

(Lehnhardt E, Laszig R. Praxis der Audiometrie. Thieme 9. Aufl. 2009.)

Dieser Ionenfluss in und zwischen den Haarzellen steuert wiederum die Empfindlichkeit des Hörens: Eine Reihe von Transportproteinen ist für den Ionenfluss in den Haarzellen des Innenohres bei Säugetieren verantwortlich. Dieser Austausch geladener Teilchen betrifft den intrazellulären Kalziumspiegel, das Membranpotenzial und damit die Sensitivität der Kochlea. So reagieren die mechanoelektrischen Transduktionskanäle (MET) der inneren Haarzellen schon auf Vibrationen des Corti-Organs und setzen Neurotransmitter frei. Das endokochleäre Potenzial in der Skala media wird gesteuert durch die Ionensekretion aus der Stria vascularis und den Ionenstrom durch Zellen des Corti-Organs. Hier greift eine Vielzahl von Transportmechanismen ein ▶ [15]. Eine spezielle Funktion haben hierbei Kalzium-Ionen Sequestrationen in speziellen Ausstülpungen der äußeren Haarzellen (OHC). Diese scheinen – unabhängig von den prestinmodulierten Bewegungen der OHC – die Sensitivität zu beeinflussen und besonders in Phasen der Überstimulation oder bei Störungen die Empfindlichkeit herabsetzen zu können.

Für die Kalzium-Transportmechanismen existieren anscheinend 2 unterschiedliche Kalziumkanäle ▶ [14], wobei der eine in der unmittelbaren Nähe der Synapsen liegt, aber nur begrenzte Kapazität zur Aufrechterhaltung hoher Feuerungsraten hat. Sind diese erschöpft, werden weitere Kalzium-Ionen aus Reserve-Pools ausgeschüttet, die weiter entfernt liegen.

Versorgt werden die Zellen des Corti’schen Organs über die Stria vascularis, die Sauerstoff, Energieträger und Elektrolyte an- und Stoffwechselprodukte abtransportiert.

1.2 Haarzellen


Auf der Basilarmembran sitzen etwa 12000 Haarzellen (▶ Abb. 1.2), die eigentlichen Sinneszellen oder „Mechanorezeptoren“: Sie müssen die mechanische Schallwelle aufnehmen und in elektrische Erregung umwandeln. Die Haarzellen sind in 3000 Reihen angeordnet, d.h. auf 1mm finden sich 88 Reihen Sinneszellen. Pro Reihe finden sich jeweils 3 äußere (OHC) und 1 innere Haarzelle (IHC) auf einer Breite von 0,08mm an der Basis und 0,5mm an der Schneckenspitze ▶ [20].

95% der etwa 30000 Nervenfasern des N. cochlearis ziehen afferent von den inneren Haarzellen zu den im Modiolus gelegenen Spiralganglienzellen und von dort zum N. cochlearis der gleichen und der Gegenseite. Die 5% efferenten Nervenfasern verlaufen im olivokochleären Bündel vom Colliculus inferior fast ausschließlich zu den äußeren Haarzellen. Das bedeutet, dass die innere Haarzelle einzeln Kontakt zu vielen Nervenfasern hat und die Information in das ZNS, an den auditorischen Kortex leitet, während die äußeren Haarzellen zu mehreren an eine Nervenzelle angeschlossen sind und von oben gesteuert werden ▶ [17].

Am Kopf der äußeren Haarzelle befinden sich 100–120 Stereozilien, am Kopf der inneren 60 pro Zelle. Die Zilien der OHC sind von der Tektorialmembran bedeckt ▶ [7].

Abb. 1.2 Haarzellen.

(Zenner HP. Hören. Thieme 1994.)

Abb. 1.2a Isolierte äußere Haarzelle (OHC) – elongiert und kontrahiert.

Abb. 1.2b Isolierte äußere Haarzelle (OHC).

Abb. 1.2c Isolierte innere Haarzelle (IHC).

Abb. 1.2d Aufsicht auf das Corti-Organ. 3 Reihen äußerer Haarzellen (OHC), 1 Reihe innerer Haarzellen (ICH), innerer Sulkus (IS), Tektorialmembran (TM), Hensel-Zellen (HS) – Vergrößerung 1115x (Mit freundlicher Genehmigung Gebhard Reiss, Witten-Herdecke.)

1.3 Kochleärer Verstärker


Erst seit wenigen Jahren ist bekannt, dass die äußeren Haarzellen (▶ Abb. 1.3) wie Muskelzellen ein Zytoskelett aus Myosin- und Aktinfilamenten besitzen, sie sind also zu aktiver Bewegung fähig ▶ [22]. Vermittelt wird diese Bewegung durch das haarzellspezifische Motorprotein Prestin, das durch Anionentransport die Elektromotilität der OHC gewährleistet. Es ist erst vor wenigen Jahren entdeckt worden ▶ [13]. Diese Prestin-Expression ist abhängig von Membranpotenzialen und Ionenkonzentrationen ▶ [9]. Bei Versuchen an neugeborenen Ratten wurde herausgefunden, dass eine Depolarisation die Prestinausschüttung herunterregelt und so eine Ursache für Hörstörungen und Tinnitus sein könnte.

Dabei wird die Bewegung des Motorproteins Prestin in mechanische Arbeit umgewandelt; das Molekül durchläuft dabei spannungsabhängig mind. 2 Übergangsformen, die unterschiedliche elektromechanische Kopplungen bewirken können ▶ [3].

Die Schallverarbeitung in der Kochlea geht aus von einer Auslenkung des ovalen Fensters durch die schwingende Steigbügelfußplatte. Dadurch wird die Wanderwelle entlang der Basilarmembran in Richtung Schneckenspitze ausgelöst. Abhängig von der Anregungsfrequenz entwickelt die Wanderwelle an einem spezifischen Punkt ein Maximum und verlangsamt sich danach drastisch. Die Wanderwelle entsteht dabei in 2 sich potenzierenden Schritten: Sie wird zum einen allein durch die Energie der Schallwelle in schwacher Form als passive Wanderwelle ausgelöst ▶ [18], zum anderen wird sie als aktive Wanderwelle massiv verstärkt durch die äußeren Haarzellen ▶ [22]. Diese Schwingungen der Basilarmembran lassen sich laser-doppler-vibrometrisch messen, sie sind nicht linear, während die passiven Wanderwellen allein nur eine lineare Verstärkung ermöglichen. Zusätzlich sind diese Wanderwellen ortsvariablen Widerständen entlang der Basilarmembran ausgesetzt: An der Schneckenbasis ist die Steifigkeit der Membran 1000-fach höher als an der Schneckenspitze, dadurch wird zugleich die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wanderwelle abgebremst. Dies wird partiell durch die Stütz- und Pfeilerzellen des Innenohres vermittelt und gesteuert ▶ [22].

Das Innenohr der Säugetiere verfügt daher neben einer unglaublich großen Dynamik auch über eine sehr hohe Frequenzselektivität in einem großen Bereich. Dies ist umso erstaunlicher, als das mechanorezeptive...

Erscheint lt. Verlag 29.4.2015
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete
Schlagworte Altersschwerhörigkeit • Audiometrie • Chronische Innenohrschwerhörigkeit • erbliche Schwerhörigkeit • Hydropische Schwerhörigkeit • Innenohr • Innenohrschwerhörigkeit • Mittelohrbedingte Innenohrschwerhörigkeit • Ototoxische Schwerhörigkeit • Schwerhörigkeit bei Kindern
ISBN-10 3-13-163911-3 / 3131639113
ISBN-13 978-3-13-163911-0 / 9783131639110
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